Vorweltriesen in der Gefangenschaft. Erlebnisse mit Walrossen und See-Elefanten

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1929
Autor: Dr. Alexander Sokolowsky, Hamburg, Erscheinungsjahr: 1929

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Säugetiere, Robben, Seelöwen, Seehunde, Seeelefanten, nordpolare Meeresgebiete, Fische, Polarmeer, Robbenschläger,
Unter den zahlreichen Tieren, die unsere Erde bewohnen, zeichnen sich die zu den Säugetieren gehörenden Robben durch ihre hohe geistige Begabung aus. Es ist allgemein bekannt, welch kluge Geschöpfe die Seehunde und Seelöwen sind; namentlich die letzteren erweisen sich für die Dressur besonders geeignet. Sie lernen nicht nur verhältnismäßig leicht allerlei Kunststücke, sondern zeigen sich als überaus geschickte Jongleure. Dabei führen sie die ihnen von ihren Lehrmeistern beigebrachten Kunststücke mit erstaunlicher Sicherheit und mit Eifer aus, ja sie lassen auch unzweifelhaft Ehrgeiz erkennen. Die hohe Intelligenz der Robben lässt sich wohl daraus erklären, dass sie ursprünglich von Landraubtieren abstammen. Sie haben während der langen Zeit ihrer Umwandlung von Landbewohnern zu Wassertieren auf dem Wege der Anpassung ihre hohe Begabung, die sie von ihren Vorfahren erbten, bis auf die Gegenwart bewahrt.

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Zu den zahlreichen kleineren Robbenarten, die in den Meeresgebieten des Nordens und des Südens unserer Erde heimisch sind, kommen noch zwei Vertreter der genannten Tiergruppe hinzu, die sich durch Körpergröße und Schwere auszeichnen. Es sind dieses Walross und See-Elefant. Das erstere bewohnt in Herden die nordpolaren Meeresgebiete; dagegen ist der See-Elefant ein Bewohner des polaren Südens. Im Körperbau unterscheiden sich freilich diese beiden Riesentiere. Während das Walross noch imstande ist, trotz der Umgestaltung seiner Gliedmaßen zu flossenartigen Schwimmwerkzeugen, mit seinen kurzen vier Beinen auf dem Boden umherzuwatscheln, kann der See-Elefant die Hintergliedmaßen nicht mehr als Beine benutzen, er rutscht wie die Seehunde auf dem Bauche umher.

Es war ein zoologisches Ereignis ersten Ranges, als vor einer Reihe von Jahren die ersten Walrosse aus dem Nördlichen Eismeer in fünf jungen Exemplaren durch Carl Hagenbeck nach Europa gebracht und in seinem Tierpark in Stellingen ausgestellt wurden. Mit großer Freude erinnere ich mich noch der interessanten Szene, als die jungen Walrosse, die ihre lange Reise gut überstanden hatten, aus ihren Transportkäfigen in das geräumige Wasserbecken gelassen wurden, das ihnen als ein Teil des „Eismeerpanoramas“ zum Aufenthalt eingeräumt worden war. Einen eigenen Reiz gewährte es, als die scheinbar plumpen, aber im Grunde genommen sehr beweglichen jungen Kolosse ihren engen Gefängnissen entstiegen und mit sichtbarem Vergnügen dem Wasser zueilten. Hier erwiesen sie sich nichts weniger als plump, sondern zeigten sich als vollendete Schwimmer und Taucher. Sie schwammen zuerst unruhig hin und her, wobei sie ihre Herdennatur nicht verleugneten, denn sie hielten dicht zusammen. Nicht lange dauerte es, da hallte ihr lautes Gebrüll durch den Tierpark. Man konnte dadurch eine Vorstellung gewinnen, auf welche Weise sich diese geselligen Geschöpfe in den Weiten des polaren Weltmeeres miteinander verständigen. Der Geselligkeitstrieb offenbart sich in ihrem Freileben durch die treue Kameradschaft, mit der sie sich in Gefahr beistehen. Die Weibchen verteidigen die Jungen mit größter Energie, wobei sie die Preisgabe ihres eigenen Lebens nicht scheuen. Der Mut und die Kampfwut des ausgewachsenen Männchens wird von den Robbenschlägern sehr gefürchtet. Ingrimmig stürzen sie sich auf den Feind, um die Herde zu verteidigen, wobei sie mit ihren großen Stoßzähnen die Planken des Bootes durchstoßen und es unter Umständen zum Kentern bringen. Bei ihren Wanderungen durch das Polarmeer nehmen die Weibchen ihre Jungen auf den Rücken. Wie außerordentlich anhänglich diese Tiere ihren Artgenossen gegenüber sind, geht aus einem Ereignis hervor, das ich im Tierpark beobachten konnte. Ein Exemplar war aus der Mitte der gefangengehaltenen jungen Walrosse verkauft worden. Mehrere Tage hindurch schwammen die Zurückgebliebenen in ihrem Becken unruhig und laut brüllend umher, da sie den Verlust zuerst nicht überwinden konnten.

Die Walrosse nähren sich in der Freiheit mit Vorliebe von Muscheln, die sie mit ihren langen Stoßzähnen aus dem Boden des Meeres in der Nähe der Küsten herauswühlen. Ihre Nahrung nehmen sie schlürfend zu sich. Sie sind aber auch gewaltige Fischfresser.

Die seelischen Eigenschaften der Walrosse sind hoch entwickelt. Das ging in überzeugender Weise aus dem intimen Freundschaftsverhältnis hervor, das ein junger Walrossbulle namens „Pallas“ mit einem Wärter geschlossen hatte. Es gewährte einen eigenen Reiz, zu beobachten, in welcher sichtbar erfreuten Weise der junge Koloss für die Liebkosungen seines Wärters zugänglich war. Er folgte ihm nicht nur auf Anruf, sondern watschelte auch auf seinen langen Flossenfüßen getreu wie ein Hund hinter seinem Pfleger her. Auch allerlei Kunststücke hatte er gelernt, so konnte er Horn blasen, und auf Kommando ließ er seine Stimme erschallen. Später sind noch wiederholt junge Walrosse in den Tierpark gelangt, die sich gleichfalls mit ihrem Pfleger befreundeten.

Mit dem Walross zeigt der See-Elefant im Körperbau manche Übereinstimmung, die auch in den Lebensgewohnheiten dieser beiden großen Wassersäuger zutage tritt. Dennoch lassen sich bei einem genaueren Vergleich grundlegende Unterschiede zwischen beiden Robbenformen nachweisen. Das Walross ist als Charaktertier des hohen Nordens anzusehen; dagegen bewohnt der See-Elefant die Meeresgebiete des polaren Südens. Die ersten See-Elefanten gelangten auf Veranlassung Carl Hagenbecks durch Johannes Pallenberg nach Europa. Dieser brachte im Jahre 1910 zwei junge Exemplare mit einer größeren Anzahl von Pinguinen glücklich nach Stellingen. Leider fielen die wertvollen Tiere dem Krieg zum Opfer. Später wurden von Heinrich und Lorenz Hagenbeck, den Söhnen Carl Hagenbecks, verschiedene Expeditionen nach dem Südpolarkreis zum Fang von See-Elefanten ausgesandt. Diese Bemühungen waren von Erfolg gekrönt, indem mehrere prachtvolle Exemplare, Männchen und Weibchen, nach Stellingen gelangten. Ein gewaltiges Exemplar, das den Namen „Goliath“ erhielt, brachte eine Expedition im Jahre 1926 in die Heimat; es hatte eine Länge von fünf Metern und ein Gewicht von 40 Zentnern. Sein Fang war mit großen Mühen und Strapazen verknüpft. Das auf dem Lande ruhende Tier wurde zunächst mit einem großen Netz überworfen und am Entkommen verhindert. Nun galt es, den sich wehrenden Koloss über den steinigen Boden bis zu einer bereitstehenden Barkasse zu ziehen. Hierauf wurde er unter erheblichen Schwierigkeiten, da das Tier sich wehrte, schwimmend bis zum Expeditionsschiff geschleppt und mit einer starken Winde an Bord gezogen. Hier fand der Riese in einem großen Bunker für die Zeit der Rückreise seinen Aufenthalt. Während der langen Seereise fastete das Tier, da es nur an lebende Nahrung, die aus Fischen und Tintenfischen besteht, gewöhnt war. In Stellingen angekommen, wurden ihm in den ersten Tagen ein Zentner lebende Karpfen, Schleie und Goldfische als täglicher Fraß angeboten. Aber auch hier hungerte es mehrere Wochen lang. Endlich gelang es, durch Anbieten von lebenden Dorschen aus der Ostsee das Tier zum Fressen zu bringen. Schließlich gewöhnte es sich auch an tote Fischnahrung. Jetzt nimmt es die toten Fische mit Gier aus der Hand seines Wärters und leistet im Vertilgen von Fischen geradezu Erstaunliches. Als Rekordleistung hat es an den beiden Pfingsttagen fast vier Zentner Fische verzehrt. Dass durch diese gewaltige Nahrungsaufnahme Größe und Schwere des Tieres während der Zeit seiner Ankunft bis heute zugenommen haben, ist selbstverständlich.

Obwohl sich „Goliath“ die erste Zeit seinem Pfleger und Fänger gegenüber im Tierpark durchaus nicht liebenswürdig benahm, hat er sich im Laufe der Zeit eine friedlichere Gesinnungsart angeeignet. Tier und Pfleger leben jetzt in freundschaftlichem Verhältnis miteinander. Auch hat es sein Pfleger verstanden, ihm allerlei Kunststücke beizubringen. „Goliath“ kommt nicht nur auf Anruf seines Wärters bei der Fütterung aus dem Wasser heraus, sondern richtet sich auch auf Befehl desselben in all seiner Größe mit dem Vorderkörper auf und lässt dabei sein typisches Gebrüll erschallen. Eine ganz eigenartige Stellung nehmen die See-Elefanten oft an, wenn sie Vorder- und Hinterleib in die Höhe biegen, mithin nur mit dem Bauche auf dem Boden ruhen. Diese wiegende Stellung kann man häufig bei den Tieren beobachten, wenn sie erregt sind. Einen ganz eigenartigen Anblick gewährt es, wenn der im Wasser ruhende „Goliath sich plötzlich hoch emporhebt und mit seinen großen Augen Umschau hält. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Beschauer in diesen Tieren Geschöpfe vor sich hat, die aus den Tagen der Vorwelt noch bis in unsere Zeit hinein übriggeblieben sind.

Ein See-Elefant in der beliebten Wiegestellung. (Phot. A. von Zychlinski)
Ein brüllender See-Elefant. (Phot. A. von Zychlinski)
Ein männlicher See-Elefant bei der Fütterung. Die Aufnahme aus Carl Hagenbecks Tierpark in Stellingen zeigt die große Bewegungsfähigkeit des riesigen Tieres.
Drei Freunde: Wärter, Walross und Seehund.

Vorweltriesen in der Gefangenschaft

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Jäger auf dem Robbenschlage

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Ein männlicher See-Elefant bei derr Fütterung

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Ein See-Elefant in der beliebten Wiegestellung

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Drei Freunde, Wärter, Walross und Seehund

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