Einleitung und Plan

Eine Fortsetzung meiner Vorlesungen über Reformationsgeschichte, oder mit andern Worten, die neuere Geschichte seit der Reformation, freilich mehr nach ihrer kirchlichen, sittlichen und literarischen Seite hin, ist es, was ich Ihnen hiermit zu geben gedenke. Kirchengeschichtliche Vorlesungen im streng wissenschaftlichen Sinne des Wortes sollen diese Vorträge auch diesmal nicht sein, denn manches, was man in jenen suchen würde, müssen wir hier unberührt lassen, während wir andres mit in den Kreis unsrer Betrachtungen hereinziehen werden, was der Kirchenhistoriker gewöhnlich der allgemeinen oder auch der Literaturgeschichte überlässt. Besonders wird das Persönliche und Individuelle in stärkern Zügen hervortreten, als es etwa der akademische Vortrag der Kirchengeschichte gestattet, welcher seiner Natur nach mehr das Ganze als das Einzelne im Auge hat, und eher fragt, was die Kirche durch die Personen geworden , als was die Personen durch die Kirche geworden sind. Wir werden uns bei dem Leben und den Schriften einzelner ausgezeichneter Männer, in denen sich der Geist des Protestantismus auf diese oder jene Weise ausgeprägt hat, oder auch wieder bei solchen, an denen das Gegenteil sichtbar wird. länger aufhalten und so nicht selten in das Gebiet der Biographie und der Literargeschichte hinüberschweifen. Nicht bloß Theologen und kirchliche Männer im engern Sinne, auch ausgezeichnete Staatsmänner, Krieger, Philosophen, Dichter, Künstler werden in weitern oder engern Umrissen unserm Auge sich darstellen. Auch höher begabte Frauen werden nicht minder Anspruch auf unsre Teilnahme zu machen haben. Um aber uns nicht zu sehr ins Weite und Unbestimmte zu verlieren, werden wir immer den Begriff der Reformationsgeschichte in so weit festhalten, dass wir solche Individualitäten vorzüglich nur in der Beziehung vorführen, als sie irgendwie eine reformatorische Wirksamkeit wirklich geäußert haben oder haben äußern wollen. So werden wir z. B. dichterische und philosophische Werke nicht sowohl nach ihrem allgemeinen ästhetischen oder metaphysischen Gehalte, nach ihrem technischen oder wissenschaftlichen Werte, als vielmehr nach dem Einfluss beurteilen, den sie auf das christliche Volk, auf den Glauben und die sittliche Lebensansicht ihrer Zeitgenossen geübt haben, wobei wir freilich nicht werden umhin können, auch teilweise die wissenschaftlichen Elemente mit hineinzuziehen, soweit diese mit der religiösen und sittlichen Seite in Berührung stehen. Ebenso wird das Politische uns nur in so weit beschäftigen, als es den Boden bildet, auf welchem das große Schauspiel des geistigen Lebens sich bewegt, oder auch insofern es selbst wieder mit bewegt und bestimmt wurde durch die Vorgänge in der religiösen und kirchlichen Welt. Wir werden den Protestantismus besonders nach zwei Seiten hin zu betrachten haben: nach seiner äußerlichen nämlich, und seiner innerlichen Seite. So werden wir also, uns anlehnend an die politische Geschichte, fürs Erste zu zeigen haben, wie die junge Gemeinde der Protestanten in Deutschland, in Frankreich, in England, den Niederlanden, in der Schweiz unter vielfachen Bedrückungen und Kämpfen sich endlich ein selbstständiges Dasein errungen und sich die politische Anerkennung von Seiten der europäischen Mächte erworben hat. Wir stehen in dieser Beziehung auf einem mit Blut getränkten Boden, der des Blutes noch nicht genug hat, und der nur nach heftigen Erschütterungen, nach furchtbaren Entladungen des in ihm gärenden Feuerstoffes, zur Ruhe gebracht werden konnte. Hinter uns liegen zwar schon die ersten Glaubenskämpfe, die noch in das Zeitalter der eigentlichen Reformationsperiode gehören, der Schmalkaldische Krieg in Deutschland, der Kappeler Krieg in der Schweiz; aber vor uns liegen noch in ernste Gewitterwolken gehüllt die Bartholomäusnächte, die blutgetränkten Schaffote der Stuarts, Albas gräuliche Verwüstungen in den Niederlanden, der dreißigjährige Krieg, die Dragonaden in Frankreich und die Tage von Villmergen in der Schweiz. Physische und geistige Kräfte, Päpste und Konzilien, Fürsten und Pöbelmassen, Inquisition und Jesuitismus erheben ihre drohenden Gestalten gegen die junge Kirche, welche das Recht der Glaubensfreiheit mit Hinopferung aller Lebensgüter, ja des Lebens selbst, geltend zu machen sucht. Schöne, erhebende Züge des Glaubensmutes, der Tugendstärke, des Liebeseifers werden uns aus dem Qualm der Scheiterhaufen, aus dem Getose der Schlachten, aus der Nacht der Kerker, aus dem Dunkel der Verbannung entgegenleuchten; aber auch der Fanatismus wird mit seinem schauerlichen Chor über die tragische Bühne schreiten und seine blutige Geißel über unfern Häuptern schwingen. Und zwar nicht immer wird auf der Seite der alten Kirche allein das Unrecht, noch auf der abgetrennten allein das Recht zu finden sein; sondern wie in allen menschlichen Erscheinungen Licht und Schatten sich auf tausendfältige Weise mischen, so wird es auch in dieser Zeit der alten katholischen Kirche nicht an frommen Märtyrern, der evangelischen nicht an tollkühnen Schwärmern fehlen; denn wie in der Reformationsgeschichte der Bauernkrieg und ähnliche Erscheinungen uns die Verirrungen des protestantischen Glaubenseifers darstellten, so werden wir auch in dieser Periode nicht selten die Fackel des politischen Aufruhrs und des Bürgerkrieges ihre Streiflichter vermischen sehen mit dem reinern Lichte der evangelischen Freiheit. Nicht nur aber bei diesen äußern Kämpfen wird unser Auge verweilen; mitten durch sie hindurch wird es dringen in das innere Heiligtum der evangelischen Kirche. Aber auch hier wird es leider nicht überall angezogen werden von dem stillen Frieden Gottes , den der Christ bei dem Eintritt in das geweihte Haus des Herrn sucht. Auch hier, im Innern der protestantischen Kirche, stoßen wir auf feindliche Elemente, die sich bekämpfen und den Alleinbesitz der gottseligen Lehre sich streitig machen. Nicht um über das Heilige zu spotten, auch nicht um in selbstgefälligem Dünkel über die Weisheit der Väter uns zu erheben, aber wohl um uns der Beschränktheit der menschlichen Erkenntnis bewusst zu werden, die auch nicht selten bei guter Meinung in falschen Eifer ausartet, werde n wir die unerbaulichen Zänkereien der Lutheraner und Reformierten, die sie mit und unter einander führten, betrachten, ohne uns jedoch zu tief in die dogmatischen Unterscheidungen einzulassen, welche allein für den Theologen von Beruf von Bedeutung sind, und auch für diesen oft nur von untergeordneter, historischer Bedeutung. Lieber und anhaltender werden wir dann bei jenen Männern Gottes verweilen, die mitten unter dem lärmenden Gezänke die Leuchte des Glaubens aufrecht erhielten und mit dem Öl der Liebe und Duldung sie tränkten, wenn andere das Öl der Leidenschaft in das lodernde Feuer gossen. Selbst die einseitige Gefühlsrichtung, die bodenlose Tiefe des Mystizismus, die sanfte Liebesglut edler Schwärmerei wird uns bei allen ihren Mängeln willkommen sein neben der harten, frostigen und eisernen Konsequenz eines einseitigen theologischen Verstandes. Auch den Sonderlingen werden wir nachgehen, die unbefriedigt mit dem, was die größere Gemeinde, sei es der Lutheraner oder der Reformierten, ihnen bot, ihren eignen Weg versuchten und entweder im Verein mit Gleichgesinnten sich als besondere Parteien und Sekten konstituierten, oder, von Allen verlassen, bald als Ungläubige, bald als Schwärmer und Unsinnige von der Mehrzahl verfolgt wurden. In allen diesen Erscheinungen werden wir das Prinzip des Protestantismus aufsuchen, und wenn wir in der Regel finden werden, dass sich dasselbe statt in seiner Reinheit und Ganzheit, meistenteils getrübt und einseitig, sowohl in diesen äußerlichen Erscheinungen, als in der Kirche selbst abgespiegelt hat, so wird uns dies eine neue Aufforderung sein, die Wahrheit, die am Irrtum ist, aufzusuchen, und aus den aufgefundenen Bruchstücken uns im Geiste jenen Tempel aufzubauen, in dem der Ewige im Geist und in der Wahrheit verehrt wird. —

Nach zwei Seiten hin finden wir nämlich den Protestantismus sich ausbilden, nach der positiven und nach der negativen Seite hin, so dass wir nicht unpassend von einem positiven und einem negativen Pol derselben reden können. Ich will mich darüber deutlicher erklären.


Es ist gewiss ein Missverstand des Protestantismus, wie wir dies schon früher gezeigt haben, wenn man denselben bloß in das Negative, ins Protestieren und Verneinen setzt. Gleichwohl gehört das Protestierende und Verneinende mit zum Protestantismus. Ohne dieses kritische Salz, ohne dies zweischneidige Schwert des Widerspruches gegen jede unhaltbare Autorität, können wir uns seine geistige Macht gar nicht denken. Diese Richtung ist eben das, was wir den negativen, den verneinenden Pol des Protestantismus nennen möchten. Und so finden wir denn auch, dass die Einen vorzugsweise in dem Widerspruch gegen das Bestehende verharrten und diesen Widerspruch zu allen Zeiten erneuerten, da wo die Stabilität im Glauben und der Verfassung der Kirche überhand nehmen wollte. Diese protestantische Opposition geht durch die ganze neuere Geschichte hindurch, und zeigt sich auf verschiedene Weise, bald mehr als eine besonnene und verständige, sowohl in der Form wissenschaftlicher Prüfung, als in populärer Aufklärung, bald mehr als eine stürmische, verwegene, in der Form des Puritanismus auf der einen, in der des falschen Rationalismus auf der anderen Seite. Ihren Höhepunkt hat die negierende Seite der Reformation in der Revolution erreicht; aber eben durch dieses Ausschlagen in die Revolution hat sie ihren ursprünglichen reformatorischen Charakter verleugnet und eine notwendige Reaktion hervorgerufen. Wenn aber, wie gesagt, das verneinende Prinzip nur die eine Seite, nur der negative Pol des Protestantismus ist, so fragt sich, worin denn das Positive, das Bejahende und Aufbauende desselben sich zeige. Einzig, antworten wir, in der Feststellung des religiösen, des christlichen Prinzips, in der Aufrechterhaltung der wahren Autorität, der Autorität des Wortes Gottes. Durch dieses, und nicht durch bloßes Verneinen, hat die Reformation gesiegt, und nur in der Bewahrung dieses positiven Elementes wird ihr ferner ihr Sieg zu allen Zeiten gesichert bleiben. Das haben denn auch die Nachkommen Luthers wohl gefühlt, und während die Einen fortwährend im Niederreißen ihren protestantischen Geist beurkunden wollten, fehlte es nicht an solchen, welchen das Erhalten des einmal Errungenen, die Sicherung der reinen Lehre, als das Wichtigere, ja als das einzig Nothwendige erschien. Freilich zeigte sich dann auch wieder auf dieser Seite Missverstand und Einseitigkeit. Unter dem Worte Gottes, auf dem allein die Kraft der protestantischen Kirche als auf einem sichern Grundstein ruhen sollte, verstanden Viele den bloßen Buchstaben der Lehre, wie ihn Luther und seine Genossen für die Bedürfnisse ihrer Zeit festgestellt hatten in den Bekenntnisschriften, und sie glaubten sich vorzüglich dadurch verdient zu machen, dass sie diesen Buchstaben wo möglich in noch engere Grenzen fassten und jeder weitern Prüfung den Weg versperrten. Über dem Halten am Positiven vergaßen sie dann allerdings, dass der Protestantismus auch mit ein negatives und kritisches Element in sich schließe. Sie führten zur Stabilität einer toten Orthodoxie zurück, und gaben mit der Freiheit der Untersuchung die Freiheit des protestantischen Glaubens auf. Nur wenig erleuchtete Männer, wie ein Philipp Jacob Spener zu seiner Zeit, wussten den wahren und tieferen Glaubensgrund zu unterscheiden von dem, was grübelnde Menschenweisheit darüber aufgebaut hatte, und lenkten wieder zum einfachen Bibelchristentum, zur reinen und gesunden positiven Lehre zurück. Und so sing der wahre evangelische Protestantismus an sich wieder Bahn zu brechen durch die Schranken und Bollwerke des Luthertums und Calvinismus hindurch. Aber auch hier zeigte sich bald wieder eine neue Einseitigkeit, die zwar an einem bessern und lebendigeren Glaubensgrund festhielt, als die Orthodoxie des neuen Scholastizismus war, die aber bald in ihrer Ängstlichkeit allen Anforderungen der Kunst sowohl als allen Einflüssen der Wissenschaft sich entzog, von der Berührung mit der Welt sich absonderte und so in der Gestalt des sogegenannten Pietismus zwar die gläubige Herzensfrömmigkeit Luthers und auch in vielen Stücken seine dogmatische Sprache und Denkweise festhielt, dabei aber jene Munterkeit und Frische des Geistes, jene kecke Untersuchungskraft und jenen offenen Sinn für freie Wissenschaft vermissen ließ, durch welche Luther und die Reformatoren sich so herrlich ausgezeichnet hatten. So griff denn in der Folge der Zeiten jeder ein Stück von dem auf, was einst ganz und verbunden in jenen großen Männern gelebt hatte, der Eine mehr ihren durchdringenden Verstand und ihre Forschbegierde, der Andere mehr ihre zähe Festigkeit im Halten an dem Errungenen, ein Dritter mehr ihre gemütliche Gläubigkeit, ihren kindlich frommen Sinn. — Lassen Sie uns dies aber uns nicht irre machen, verehrteste Freunde! Gerade dieses Brechen des Lichtes in verschiedene Strahlen ist es ja, was Leben und Mannigfaltigkeit in die Geschichte bringt; genug, wenn wir nur die verschiedenen Nuancen und Schattierungen auf die eine Ursache zurückzuführen bemüht sind, und uns durch Leidenschaft und Vorurteil nicht den Blick zum Voraus einnehmen lassen.

Nicht nur aber innerhalb der protestantischen Kirche werden wir die mannigfaltigsten Geistesrichtungen kennen lernen und an ihnen eben sowohl das Gute aufsuchen, als wir das Mangelhafte und Einseitige an ihnen nicht verdecken wollen; sondern auch in der katholischen Kirche, die sich unsrer bunten Mannigfaltigkeit gegenüber ihrer Gleichförmigkeit rühmt, werden wir den Geist des Protestantismus und der Reform unter verschiedenen Gestalten und Verhüllungen sein Recht behaupten sehen. Wenn wir sie auf der einen Seite mit neuen Kräften ausgerüstet, namentlich mit der geistigen Macht des Jesuitismus umgeben, unsrer Kirchenpartei gegenüber in feindlicher Stellung erblicken, auf der anderen wieder sie bemüht sehen, den alten Frieden herzustellen; wenn wir Einzelne aus ihrer Gemeinschaft in die unsrige, und umgekehrt aus der unsrigen in die ihrige werden übergehen sehen: so wird uns doch nicht dieses gegnerische Verhältnis ausschließlich beschäftigen. Mit der Unbefangenheit, welche die Geschichte fordert, werden wir auch der inneren Entwicklung der katholischen Kirche nachgehen und mit Freuden es erkennen, wie auch in dieser Kirche, wenn gleich nicht selten unter dem unbewussten Einfluss des Protestantismus, sich mitten in betrübten Zeiten ein schönes religiöses Leben entwickelt hat; wie auch hier Männer und ganze Gesellschaften tätig, besonnen und mit edler Uneigennützigkeit gewirkt haben zur Einführung eines bessern Unterrichtes, zur Linderung und Verminderung des menschlichen Elendes, zur Pflege der höchsten geistigen Güter. — Von dem gewonnenen freieren Standpunkte aus werden wir dann auch über die Parteiinteressen der einzelnen Konfessionen und Sekten hinaus den Blick erheben auf die großen Interessen der gesamten Kirche, der Christenheit überhaupt, indem wir sehen, wie in der Verbreitung des Christentums unter nicht-christlichen Völkern, in dem christlichen Missionswerke, die Tätigkeiten der verschiedenen Kirchenkörper bald einander störend, bald aber auch wieder in höherer Eintracht verbunden sich begegneten. Wir werden sehen, wie, auch unabhängig von den bestimmteren Formen des Kirchentums, das Christentum sich unter den verschiednen Lebensverhältnissen beurkundet hat, obwohl wir auch hier den Einfluss des Konfessionellen nie ganz verkennen werden. Aus dem stillen Kreise des häuslichen Lebens und der häuslichen Sitte, wie aus dem Hofleben und dem Feldlager, aus den Raths- und Kanzleistuben, aus dem Schulwesen und dem b?rgerlichen Leben, werden wir uns Beispiele zu sammeln suchen, an denen wir sehen mögen, wie weit dem christlichen Geiste ein Einfluss gestattet war auf diese Verhältnisse, oder wie weit eine gegebene Zeit hinter ihrer Aufgabe zurückgeblieben sei. Endlich werden auch die Angriffe auf das Christentum von Seiten der Wissenschaft aus und die Art, es zu verteidigen, uns nicht fremd bleiben dürfen. So haben wir, dieser kurzen Andeutung nach, einen reichen mannigfaltigen Stoff vor uns, wobei uns nur bange werden kann, ob die uns so kurz zugemessene Zeit auch ausreichen werde, das Verheißene zu erfüllen. Wir werden darum wohltun, unsre Aufgabe chronologisch zu teilen und uns die Grenzsteine abzustecken, an denen der Weg uns vorüber führen wird. Der Zeitraum von dem Schlusse der Reformation bis auf unsre Zeit lässt sich in drei kleinere Perioden zerlegen, an welche wir uns zu halten gedenken, ohne jedoch uns sklavisch an dieselben zu binden, wenn der Zusammenhang der Begebenheiten ein Rück- oder Vorwärtsschreiten in dieser Hinsicht gebietet. Eine natürliche Grenze für unsere erste Periode bildet der dreißigjährige Krieg, auf welchen hin alles arbeitet und von welchem aus sich eine neue Art des Lebens in manchen Beziehungen entfaltet. Die erste unserer Perioden wird demnach gehen von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis auf die Zeiten des dreißigjährigen Kriegs, dessen Schluss bekanntlich der westfälische Frieden ist (1648). Bei dieser ersten Periode, die uns vor der Hand schon hinlänglich beschäftigen wird, werden wir genötigt sein, hie und da in die Zeit der Reformation selbst wieder hinaufzusteigen, namentlich werden wir die Reformationsgeschichte der Länder nachzuholen haben, die ich in meinen frühern Vorträgen entweder gar nicht oder nur flüchtig berührt habe, vor allem die Reformation in Frankreich, in England und den Niederlanden, sowie auch teilweise in anderen Gegenden, woran sich dann leicht die weitern Begebenheiten anreihen lassen, welche den äußern Kampf um die politische Existenz des Protestantismus betreffen.

Mit Rücksicht auf diese vorherrschende Richtung können wir diese 1. Periode als die Periode der Verfolgungen und Religionskriege bezeichnen, wenn gleich die letzteren auch in den folgenden Jahren noch nicht aufgehört haben. Aber auch innerlich macht sich während dieser Periode der Kampf der Systeme auf eine gewaltsame Weise geltend; denn nicht nur dauert der Zwiespalt zwischen Protestantismus und Katholizismus in der alten Weise fort, sondern auch die Spannung zwischen Lutheranern und Reformierten wird aufs Höchste getrieben. Diese Periode ist es denn auch zugleich, in welcher die drei großen Hauptbekenntnisse der Christenheit ihren förmlichen Abschluss erhalten: das lutherische durch die Konkordienformel, das römisch-katholische durch das Konzil von Trident, das reformierte durch die helvetische Konfession, den Heidelberger Katechismus und die Synode von Tordrecht, — so dass wir sagen können, die ganze Periode bilde zunächst die Fortsetzung der Reformationsgeschichte selbst, wenn auch nicht immer von ihrer Lichtseite.

Die 2. Periode ist als Übergangsperiode in die neuere Zeit zu betrachten. Sie erstreckt sich von den Zeiten des dreißigjährigen Krieges, oder, genauer gefasst, vom Abschluss des westfälischen Friedens 1648 bis nach dem Anfange des 18. Jahrhunderts, etwa bis zur Zeit, wo die englischen Deisten und französischen Enzyklopädisten ihren schädlichen Einfluss zu üben begannen, oder auch bis auf die Erscheinung der Brüdergemeinde und des Methodismus, gleichzeitig mit den Wirkungen, welche von einer andern Seite die Leibnitzische und Wolfische Philosophie auf die Theologie hatte. Diese Periode schließt sich in ihren Erscheinungen teils an die vorige Periode an, indem auch in ihr noch Verfolgungen und Religionskriege, doch mehr nur teilweise, stattfinden, und auch im Innern der Kampf zum Teil noch mit denselben Waffen einer kirchlichen Scholastik fortgeführt wird; doch leuchtet in dieser Zeit der mildere Geist der Spenerschen Schule und des sogenannten Pietismus in die protestantische Kirche hinein und verheißt ihr eine kräftige Wiedergeburt, während in der katholischen Kirche der dem Pietismus verwandte Jansenismus, in der englischen Kirche der Puritanismus*) und die Lehre der Quäker die Geister in Aufregung erhalten und vor Erstarrung in Formen sichern. Es ist nicht mehr der einseitige Kampf zwischen Protestanten und Katholiken, auch nicht mehr der allein zwischen Lutheranern und Reformierten, der die Zeit bewegt; sondern innerhalb dieser größeren Kirchenparteien machen sich neue Bestrebungen geltend, der Pietismus in der lutherischen, der Jansenismus in der katholischen, der strengere Puritanismus und der mildere Arminianismus in der reformierten Kirche. Über die Schranken der kirchlichen Konfessionen hinaus reichen sich bereits in dieser Zeit Gleichgesinnte die Hände, und begegnen sich in dem allgemeinen Bekenntnis, dass es überhaupt anders werde müsse mit der Kirche, und dass an die Stelle toter Formen treten müsse der lebendig machende Geist des apostolischen Christentums. Spener in Deutschland, Fenelon in Frankreich sind bei aller sonstigen Verschiedenheit die keuschen Priester dieser unsichtbaren Kirche. Aber auch die kleinern Religionsgesellschaften erhalten mehrfachen Zuwachs, das Unklare mischt sich dem Reinern bei, und namentlich tauchen unter Cromwells Protektorat in England eine Unzahl von Sekten auf, die zum Teil wieder an die frühern wiedertäuferischen Bewegungen im Reformations-Zeitalter erinnern. — Alle diese verschiedenen Richtungen aber kommen darin über ein, dass sie das Christentum fortwährend als die Religion des Heils, als die einzige wahre Religion betrachten; alle von ihnen, selbst die verschrieenen Sozinianer, wollen Christen sein, nur jeder auf seine Weise.

*) Dieser freilich schon etwas früher.

Nun aber beginnt etwa mit dem dritten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts die 3. Periode, die uns aus den kirchlichen Streitigkeiten hinaus mitten auf den großen Kampfplatz der Geister stellt auf dem weiten Gebiete menschlicher Philosophie. Mit dem Einflusse, den die Deisten in England, die sogenannten Enzyklopädisten in Frankreich, die besonneneren philosophischen Systeme in Deutschland auf die religiöse Denkweise des Volkes sowohl, als auf die theologische Wissenschaft zu gewinnen anfangen, beginnt die neuere, die moderne Zeit im engeren Sinne des Wortes. Sie ist schwer mit einem Namen zu bezeichnen oder in ein Bild zu fassen, weil die verschiedenartigsten Elemente sich in ihr durchkreuzen, weil wir selbst, noch zu sehr in den Kampf dieser Elemente verflochten, den Standpunkt noch nicht gewonnen haben, um in richtiger Perspektive das Bild der nächsten Vergangenheit aufzufassen. Wollten wir sagen, es sei der Geist der bloßen Verneinung, der Freigeisterei, des Antichristentums und des absoluten Abfalls vom Evangelium, so würden wir damit höchstens das eine bittere Ingrediens bezeichnen, mit dem die Arznei gemischt ist; wir würden aber über dem übeln Beigeschmack die heilsamen Reagenzien verkennen, welche die höhere Hand, die unsere Schicksale leitet, mit Bedacht erwogen und in den Kelch der Prüfung gelegt hat. Ja wir würden vergessen müssen, dass neben den verneinenden Erscheinungen dieser Zeit sich ja auch wieder positive Elemente gefunden haben, und dass es mitten unter den Neuerungen nie an entschiedenen Anhängern des einmal Erprobten, ja selbst nicht an übertriebenen Verteidigern des Veralteten gefehlt hat. Wollten wir umgekehrt mit Anderen diese moderne Zeit preisen als den Höhepunkt der menschlichen Bildung, als das Zeitalter der Humanität, der vorurteilsfreien Prüfung, der ungeschmälerten Menschenrechte, als das non plus ultra der Weisheit und der zur höchsten Virtuosität entwickelten Tatkraft, so würden wir nicht nur ungerecht werden gegen die frühern Zeiten, sondern wir müssten blind sein gegen die Zerrbilder, welche zu unsrer Demütigung neben den edleren Gestalten des letzten Jahrhunderts und des gegenwärtigen, in dem Spiegel der Geschichte sich reflektieren; wir müssten unser Gefühl abgestumpft haben gegen die schmerzlichen Erfahrungen, die unsre Väter und wir mitten in den gepriesensten Epochen der Aufklärung gemacht haben. Lassen wir es also einstweilen bei dem unbestimmten Namen der neuen, oder wie man gerne sagt, der modernen Zeit bewenden, wohl wissend, dass damit sich nur eine äußerst unbestimmte Vorstellung verbinden lässt, indem ja dieses Neue selbst wieder sich in ein Älteres, in ein Neueres und Neuestes teilt, so dass das, was am Anfange als das Vorherrschende des Zeitalters erscheint, am Ende schon wieder in seinem Verschwinden begriffen ist. Vielleicht, dass die weitere Ausführung dieser Periode seiner Zeit uns einige Punkte an die Hand geben dürfte, von denen aus wir in dem vielfach verschlungenen Irrgarten uns besser zurechtfinden können, als es uns jetzt noch im Anfange möglich wird. Indem wir nun aber so den vorhandenen Stoff in die drei genannten Perioden zerlegen werden, so wird es auch wieder nötig sein, in den einzelnen Perioden denselben gruppenweise zu ordnen, damit die Bilder sich nicht verwirren. Wir werden am ungehindertsten fortschreiten, wenn wir, wenigstens bei den beiden ersten Perioden, in welchen der Kampf zwischen den großen Kirchenparteien noch ein äußerlich bewegter ist, diesen Kampf voranstellen und also mit der Ausbreitung des Protestantismus und der Beschränkung , die er durch die Verfolgungen erlitten, beginnen; dann die innere Gestaltung, sowohl der lutherischen als der reformierten Kirche, folgen lassen und bei den einzelnen ausgezeichneten Männern derselben, sowie auch bei den einzelnen Sekten und Parteien länger verweilen; und endlich einen Blick auf die gleichzeitigen Erscheinungen in der römisch-katholischen, auch wohl in der griechisch-orientalischen Kirche werfen, sowie auf die große Kirche Christi überhaupt. Doch werden wir auch hier uns nicht ängstlich an das einmal aufgestellte Fachwerk binden. Auch in der äußern Geschichte der Verfolgungen spiegelt sich ja wieder das Innere ab, hier musste sich ja die Überzeugung aussprechen, hier die Gesinnung bewähren; und ebenso war wieder die innere Entwicklung der Kirche in Lehre und Leben von äußern Bedingungen abhängig, weshalb wir absichtlich schon in der äußern Geschichte das Innere werden hervortreten lassen, und umgekehrt bei der Darstellung der inneren Verhältnisse auf Äußeres zurückkommen werden, je nachdem es der Gegenstand erfordert. Es handelt sich ja überhaupt in diesen Vorlesungen nicht sowohl um eine gelehrte und schulgerechte, als um eine belebende und anregende Behandlung des geschichtlichen Stoffes. So weit es daher die Natur des Gegenstandes nur immer erlaubt, werde ich es auch diesmal versuchen, wenn schon nicht in jeder, doch in den meisten Vorlesungen wo möglich ein kleineres Ganzes Ihnen darzustellen/ das bestimmt sein soll, neben den vielen einzelnen Eindrücken irgend einen Haupteindruck zurückzulassen, so jedoch, dass diese verschiedenen Ganzen unter sich wieder ein größeres Ganzes bilden.

Dass ich endlich über dem allgemeinen welthistorischen Standpunkte auch den besondern nicht vergessen, dass ich, wie früherhin in der Reformationsgeschichte, so auch hier bei der Geschichte unsrer schweizerischen, ja bei der speziellen Geschichte unsrer Basler Kirche hie und da mit größerer Vorliebe verweilen werde, wird, denk' ich, Ihre Billigung finden. Zwar wird diese Rücksicht auf das Vaterländische und Vaterstädtische in diesen Vorträgen mehr zurücktreten müssen, als in denen über die Reformationsgeschichte, weil die Bedeutung, welche die Schweiz und unser Basel für das Allgemeine hatten, in diesen späteren Zeiten nicht mehr so groß ist, als in den Zeiten der Reformation, und weil der Stoff ohnedies schon ein sehr reicher und mannigfaltiger ist. Aber auch nur in einem bescheidenen Maße wird die Erinnerung an Männer, die unter unsern Vorfahren in Segen gewirkt, die den gemeinen Nutzen unsrer Stadt und unseres Landes, das Wohl unsrer Kirche, den Flor der höheren und niederen Schulen erhalten und begründen halfen, nicht ohne heilsame Folgen sein. Überdies haben ja auch die schweizerischen Kirchen von Zürich, Basel und Genf, von Bern und Schafhausen, fortwährend einen regen Anteil an dem kirchlichen Leben der Zeit genommen; und wenn auch nicht alles rühmlich ist, was in der Geschichte jener Zeiten uns auf dem vaterländischen Boden begegnet, so ist doch manches wieder würdig, der Vergessenheit entrissen zu werden. Namentlich hat Basel durch seine Lage nach außen und durch seine innere Beschaffenheit in den Zeiten des 16. und 17. Jahrhunderts eine eigentümliche Stellung behauptet. Bei jenen unerbaulichen Kämpfen zwischen dem starren Luthertum und dem ebenso starren Calvinismus hat die Basler Kirche in ihren Einrichtungen manche Modifikationen erlitten, die bis auf diesen Tag bestehen; und von Basel aus gingen später die ersten Versuche, die Fesseln der hemmenden Formula Consensus zu sprengen. In Basel haben verschiedene Glaubensrichtungen, die anderswo verfolgt oder verspottet wurden, ihre Zuflucht gefunden. Den französischen und anderen Glaubens-Flüchtlingen öffnete es zu verschiedenen Malen seine Arme, mehrere ausgezeichnete Männer der zu beginnenden Periode haben auch hier gelebt, teils gelernt, teils gelehrt; und in den Zeiten, wo dem positiven Christentum so manche Gefahr drohte, ließen sich hier kleinere Religionsgesellschaften nieder, die bis auf diesen Tag in Frieden unter uns wohnen. Und wenn wir auf die großen Zwecke des praktischen Christentums sehen, so haben sich ja hier so manche christliche Vereine gebildet, die noch immer unter Gottes väterlichem Schutze in Segen wirken. Milde Stiftungen im Geiste des Christentums sind in eben den Zeiten entstanden, welche sonst so häufig in andrer Beziehung der Engherzigkeit beschuldigt werden. Ja, hat nicht besonders in der neuern Zeit Basel dadurch eine kirchenhistorische Bedeutung erhalten, dass hier die Missions- und Bibelgesellschaften zuerst auf dem europäischen Kontinent Fuß gefasst haben?

Wir leben in einer Zeit, in welcher die Ansichten von den christlichen Dingen vielfach auseinander gehen. Die Verschiedenheit der Ansichten macht sich in Schule und Kirche, im großen geselligen, wie im engem Familienleben in dem Maße geltend, als wir selbst immer mehr über den Gesichtskreis unsrer nächsten Umgebungen uns erheben und mit hineingezogen werden in die Strömung der Gegenwart. Die Zeit ist vorüber, wo ein und dasselbe äußere Bekenntnis nach allen Seiten hin Allen gleichmäßig genügte, wo die Autorität geachteter Religionslehrer jedem Zweifel und jedem Disput ein Ende machte. Jeder sucht sich im Gewirre der Meinungen seine eigne Meinung zu bilden, und das Recht, alles zu untersuchen und zu bezweifeln, ist auch in die untern Schichten der Gesellschaft gedrungen. Ob dieser Zustand ein besserer oder ein schlimmerer sei als der frühere, will ich nicht entscheiden; genug, wir können uns dem Zuge der Zeit nicht eigenmächtig entziehen, sondern müssen sehen, wie wir durchkommen. Ich schmeichle mir auch nicht mit dem Gedanken, durch diese Vorträge alle Zweifel heben und alle Streitigkeiten schlichten zu wollen. Meine Vorträge sollen nicht dogmatischer, sondern historischer Natur sein. Nun aber ist die Geschichte die große Vermittlerin aller Gegensätze, und wenn auch der Gedanke an die Wandelbarkeit der menschlichen Meinungen keineswegs über das beruhigen kann, was die Gegenwart beunruhigt, so hat doch das Gefühl des historischen Zusammenhangs unsrer Denkweise mit der Denkweise früherer Zeiten etwas ungemein Erhebendes und Stärkendes. Die Beobachtung , dass auch entgegengesetzte Bestrebungen eine tiefere historische Wurzel und damit eine beziehungsweise Berechtigung haben, führt auch die heilsame Scheu mit sich, leichtfertig über dieselben abzusprechen. Wir werden billiger und besonnener in unserm Urteil; und dass eben dieser Geist der Mäßigung, der Duldung und der Liebe durch diese Vorträge möge gefördert, der Sinn für das reine Christentum durch Betrachtung der Gegensätze möge geschärft und die Begeisterung für dasselbe geweckt werden, das ist der Wunsch, womit ich diese Einleitung schließen und die Reihe der künftigen Vorlesungen beginnen möchte.