Vorlesungen über Geschichte, Inhalt, Stellung und Beruf des Judentums. Zweite Vorlesung, gehalten am 29. Dezember. Altertum und der Mosaismus. (Fortsetzung.)

Auf diesem Boden nun erstand der Mosaismus als vollständiger Gegensatz, und verhielt sich und verblieb als Gegensatz, bis das Altertum seinen ganzen Inhalt erschöpft und sich selbst gezeigt hatte, dass es unfähig sei, die Wahrheit zu finden, dass es wohl einzelne Wahrheiten zum Bewusstsein zu bringen vermöge, die aber darum nur untergeordneten Wert haben, weil sie in das Absolute nicht aufgegangen sind.

Welches ist nun der wesentlichste Inzidenzpunkt zwischen den Religionen und Philosophemen des Altertums und dem Mosaismus. Jene waren vom Menschen ausgegangen, vom Verhalten des Außen auf diesen, das als ein zwiespältiges erschien, und das sich im Allgemeinen als den Zwiespalt des Lebens und Todes, des Seins und Nichtseins setzte, über den man nicht hinaus konnte, und den man daher in die Gottheit übertrug. Der Mosaismus überging von Gott aus. Jene sagten: die Welt ist, darum ist Gott. Der Mosaismus aber sagte: Gott ist, darum ist die Welt.


Von diesem einen Satze aus wird uns Alles erklärlich. Jene sehen den Menschen und die Welt, und suchen als deren Urheber die Gottheit. Der Mosaismus hat Gott gefunden, oder besser: er hat ihn, und von ihm aus kommt er zur Welt und zum Menschen. Darum konnte jenen Religionen und Philosophemen die Gottheit nur das Abbild ihrer Anschauung der Welt sein, darum mussten sie den ganzen Zwiespalt in den sichtbaren Erscheinungen in die Gottheit übertragen, die dieses Zwiespalts Urheber; aber für den Mosaismus existierte dieser Zwiespalt gar nicht, da von Gott kein solcher ausgehen kann; darum mussten Jene über Werden und Vergehen, Sein und Nichtsein, nicht hinauskönnen; aber dem Mosaismus ist das Sein nicht zweifelhaft, da ihm Gott ist, und das Sein in Gott seine Lösung hat; darum mussten Jene stets in die Vielgötterei verfallen und sich darin auflösen, während der Mosaismus die Gottheit als Einheit in der Erkenntnis hatte, und darin einen ewigen Bestand erlangte.

Doch verlassen wir den Weg der Antithese, und betrachten den Inhalt des Mosaismus für sich. Alles, was wir so eben gesagt haben, bestätigt sich durch die ersten Worte der Schrift: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, d. i. die Welt." Gott war, und schuf die Welt. Gott ist, und die Welt ist Folge dessen, in empfängt von ihm das Sein, sie nimmt ihren Anfang; Gott lässt sie zuerst als Tohu vabohu, als Chaos sein, und dann entfaltet er in bestimmter Ordnung und Zeit: folge das Sein in den großen Besonderheiten; zuerst die allgemeinste Phase, das Licht, dann immer die allgemeinere, und aus ihr die besondere: Ausdehnung, Wasser, Erde, Pflanzen etc., zuletzt die vollendete Besonderheit, der Mensch.

Der große Inhalt des Mosaismus ist also:

1) Gott ist das absolute Sein.
2) Die Welt ist sein Werk, indem er das Allgemeine immer mehr zum Besondern werden ließ.
3) Gott Ist also außerweltlich, oder besser, überweltlich, Gott und Welt sind nicht identisch, denn die Welt nur sein Werk, das als Komplex der Besonderheiten Nirgends Gott ist, welcher das Absolute.
4) Gott ist als das absolute Sein die Einheit.
5) Die Welt ist eine Einheit, Alles In ihr übereinstimmend, Alles notwendig, „Alles gut"

In diesen Erkenntnissen, h. A., sind alle Fragen des Altertums teils von vorn herein abgeschnitten, teils beantwortet. Indem die Welt nicht vom Egoismus des Menschen, sondern von der Allgemeinheit Gottes aus betrachtet wird, kann nicht vom Nützlichen und Schädlichen die Rede sein, denn das sind nur egoistische Bezüge zum Menschen, die aus den Begierden desselben ihren Inhalt ziehen. (Was an und für sich sehr gut ist, kann mir sehr nachteilig sein; an dem Winde, der die Luft einer ganzen Provinz reinigt, kann ich mir den Tod holen.) Aber auch das Werden und Vergehen kann keinen Zwiespalt haben, indem sie in dem allgemeinen Sein ihre Lösung haben. Ein Werden und Vergehen findet nur bei dem Besonderen statt, welches aber nur aus dem Allgemeinen heraus, ist und aus diesem heraus immer wieder ist. Daher hat Welt und Ewigkeit im Geiste des Mosaismus dieselbe Bezeichnung . . . . Auch das kann nicht wie Frage sein, wie die Welt des Diesseits aus einem Jenseits geworden, denn die Welt ist nicht aus Gott, sondern durch Gott, indem er das allgemeine Sein immer zu einem Besondern werden ließ.

Der Mosaismus lehrt also: Gott ist das absolute Sein (. . . . .) darum einzig und einig (. . . . ), überweltlich, Schöpfer der Welt, der die Einheit aller Besonderheiten ist. Darum kann Gott keine Besonderheit sein, darum unkörperlich, darum weder in einem seiner Werke, noch in einem Zeichen (von Menschenhänden) darstellbar. Aus demselben Grunde, weil Gott keine Besonderheit, ist er heilig ( . . . ), d. h. in ihn gehen alle besonderen Eigenschaften zu einer Allgemeinheit auf; daher vollkommen (. . . . ). Indem Gott das absolute Sein ( . . . .) ist, hat er gar keine Zeit, er ist ewig ( . . . . ), denn nur eine Besonderheit wird und vergeht. Eben so ist er darum unbegrenzt im Sein und Können, daher allgegenwärtig und allmächtig (. . . . ).

Hiermit hatte der Mosaismus das leere Jenseits des Inders, das Unerforschliche des Ägypters, die Notwendigkeit des Sabäismus, das unerklärliche Schicksal des Persers, und alle die Phasen der Philosophie, welche diesen entsprechen, abgewiesen durch eine volle, begriffliche Anschauung von Gott, und war eben dadurch der Vielgötterei und Götzenbildnerei, der schlechten Rettung jener Religionen, aufs Strikteste gegenüber getreten. Die Wahrheiten, welche in jenen Religionen und Philosophemen irgend gefunden, waren aufgegangen in die Wahrheit, welche der Mosaismus gab, aber zugleich ihre Unwahrheit verdammt, ihre Trostlosigkeit ersetzt durch die kräftigste und innigste Zuversicht.

Während aber hiermit der Inhalt des Altertums erledigt ist: setzt der Mosaismus von hier aus sein Werk erst recht fort.

Die Schöpfungsgeschichte, wie sie die Schrift uns gibt, hat durchaus nicht einen buchstäblichen Sinn, sondern sie gibt uns die großen Ideen, durch welche uns die Schöpfung der Welt begreiflich wird. Zuerst, dass das allgemeinere Sein immer zum besonderen ward, wodurch der ganze Prozess des Werdens verständlich, erst das Chaos, dann das Licht, dann die Ausdehnung (der Raum) etc. Dann, dass die Schöpfung sich entwickelte, von Stufe zu Stufe in der Zeit; dass also von Beginn an Gott die Gesetzlichkeit in sie legte, aus welcher nach verschiedenen Revolutionen erst später für den Erdkörper eine genaue Ordnung, ein Kreislauf des Lebens hervorging (nach der Flut). Der Mosaismus erkennt also die Welt als die Einheit aller Besonderheiten, durch von Gott in sie gelegte Naturgesetze bestehend. An die Spitze der Besonderheiten, als die vollendete Besonderheit, tritt der Mensch. Die Vollendung der Besonderheit besteht ist ihm darin, dass er nur nach einer Seite noch mit der gewordenen Allgemeinheit, der aus Besonderheiten bestehenden Allgemeinheit, der Welt zusammenhängt, nach der andern wieder zur absoluten Allgemeinheit, zu Gott, zurückkehrt. Der Mosaismus setzt daher den Menschen als dualistisch (Leib und Seele), aber dieser Dualismus ist wieder eine höhere Einheit, wie wir später sehen werden. Bei allen Wesen heißt es: Gott schuf es, beim Menschen wird ein zwiefacher Akt angegeben: er bildete ihn Staub vom Erdboden, als eine Besonderheit der sinnlichen Welt, und blies in seine Nase Odem des Lebens, d. h. er gab ihm den Geist (wie es auch vor der Flut heißt 6, 3: „mein Geist in dem Menschen soll nicht auf ewig unterliegen.“) In diesem Geiste ist der Mensch der absoluten Allgemeinheit, Gotte, zugewandt, d. h. der Mensch ist im Ebenbilde Gottes. Denn es versteht sich im Mosaismus von selbst, dass diese Ebenbildlichkeit Gottes sich nur auf den, Geist beziehen kann, wie denn auch wiederholt der Mosaismus Gott als „Gott der Geister in allem Fleische" erklärt.

Dies, h. A., ist der wichtigste Punkt in der Lehre des Mosaismus vom Menschen, worauf derselbe aufs Konsequenteste sich aufbaut: die Ebenbildlichkeit Gottes von Seiten des Geistes des an sich dualistischen Menschen. Der Mosaismus setzt daher als den Grundzug dieser göttlichen Ebenbildlichkeit die Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen voraus. Der Mensch soll herrschen über alle ihn umgebenden Wesen; der Mensch, benennt alle Wesen mit Namen; Adam kann, von der verbotenen Frucht essen, aber es auch bleiben lassen; Kain kann gut handeln, aber auch böse; und als das ganze Gesetz erteilt war, heißt es: „Siehe, ich lege dir vor, Leben und Tod, wähle das Leben". Nirgends kommt im Mosaismus eine Spur von der Notwendigkeit des Sabäismus vor, der die Geschicke des Menschen an die Gestirne, gebunden glaubt, vom unbegreiflichen Schicksal des Persers, vom unbeugsamen Fatum des Griechen und Römers, dem selbst Zeus und alle Götter, unterworfen sind: der Mosaismus erkennt den Menschen für frei und sich selbst bestimmend an, denn er ist ebenbildlich Gotte.

Ist aber der Mensch dualistisch, d. h., mit seinem einen Teile der sinnlichen Welt, mit dem andern Gotte zugewandt, ist er ferner in seinem Geiste Gott ebenbildlich,und darum frei und selbstbestimmend: so ist notwendig der Inhalt seines Lebens – nach immer größerer Ähnlichkeit mit Gott zu streben, seinen Geist aus der leiblichen Besonderheit heraus immer mehr zu fördern und der Allgemeinheit zu nähern, den Egoismus der leiblichen Natur (nicht wie der Inder zu zerstören, der dafür den Egoismus des leeren Geistes schafft, sondern zu beherrschen, zu regeln, und in die Allgemeinheit (der Liebe und Gerechtigkeit) aufgehend zu machen. „Du sollst dich heiligen, wie Gott heilig ist." „Vollkommen sei mit dem Ewigen, deinem Gott." Indem aber der Mensch dualistisch und frei, selbstbestimmend ist, so kann er Jenes tun, oder auch nicht; er kann sich auch dem Egoismus seiner sinnlichen Natur, seiner Begierde, überlassen, und, was deren Befriedigung entgegensteht, (in, Wollust, Hass, Ungerechtigkeit etc.) rücksichtslos bekämpfen: mit einem Worte, der Mensch kann auch zur Sünde kommen. Die Schrift stellt zwei Momente der Sünde auf, zuerst die sinnliche Natur des Menschen an sich, und zweitens die Gesellschaft, indem diese der Befriedigung der persönlichen Begierde ein Hindernis setzt. In dem ersten Moment tritt der Mensch seiner von Gott ihm erteilten Bestimmung entgegen, im zweiten dem Rechte des Nebenmenschen. Beides setzt sie in der Geschichte des Paradieses und in der Geschichte Kains auseinander; dort ist es das Gebot Gottes, hier das Recht seines Bruders — in Beiden kommt der Mensch zur Sünde. Der Endzweck in beiden Berichten ist (nicht etwa der Anfang einer erblichen Sünde, das verstieße ja von vorn herein gegen die Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen, sondern) die inhärierende Möglichkeit der Sünde im Menschen zu zeigen. Diese Möglichkeit der Sünde im Menschen ist eine Konsequenz seiner dualistischen Natur und seiner Freiheit. Hiermit hat der Mosaismus die Frage: wieso in der vollkommenen Welt Gottes die Sünde sein könne? von vorn herein abgeschnitten. Die Sünde ist ja nicht eine Allgemeinheit, ein Absolutes, sondern nur eine Beziehung des Individuums zu sich selbst, die seine Wirkung auf die Allgemeinheit hat, und am Individuum wieder, aufhört; ja, indem die Sünde eine Betätigung der menschlichen, Freiheit und Selbstbestimmung, ist, ist sie vom allgemeinen Standpunkt gut. Dem Perser ist die Sünde eine Förderung der Macht der Finsternis, des bösen Gottes, des Ahrimans, also mit allgemeinem Inhalt; aber im Mosaismus ist die Sünde nur eine Beziehung für das Individuum ohne Wesenheit für das Allgemeine. Die Sünde ist nicht die Natur des Menschen, sondern die Möglichkeit in der Natur des Menschen.

Der Mosaismus, erkennt also den Menschen an: als die Einheit des Leibes und Geistes, in Ersterem dem Egoismus der sinnlichen Natur anhängend, im Letzteren Gott ebenbildlich, darum frei und selbstbestimmend, darum zur Bestimmung die Annäherung an Gott habend, darum aber auch mit der Möglichkeit der Sünde.

Dies lehrt der Mosaismus von Gott, Welt, Mensch. Wie verhält sich aber nun Gott zur Welt? und wie zum Menschen?

Ist Gott für die sichtliche Welt der Schöpfer, der in sie die Gesetzlichkeit und feste Ordnung gelegt, so dass sie in dieser auch besteht: so muss er hingegen zum Menschen, als dem Inhaber des ihm ebenbildlichen Geistes, der die Bestimmung sich ihm zu nähern, aber auch vermöge seiner Freiheit die Möglichkeit des Gegenteils hat, in einer andern, in einer besonderen Beziehung stehen. Wir wollen hierfür, h. A., die Ausdrücke mittelbar und unmittelbar wählen. Der Schöpfer steht zur Welt in einer mittelbaren Beziehung, indem er dieselbe vermittelst der in sie gelegten Gesetze unverändert bestehen lässt; hingegen zu dem ihm ebenbildlichen Menschengeiste in unmittelbarer Beziehung, indem hier von Seiten des Menschengeistes eine freie Entwicklung, von Seiten Gottes eine fortwährende Einwirkung angenommen wird. Dass eine solche Unmittelbarkeit Gottes zum Menschen stattfinden muss, liegt von selbst erwiesen in der Ebenbildlichkeit und der daraus hervorgehenden Bestimmung des Menschen. Gott hat ihn ebenbildlich gemacht, folglich ihn in unmittelbare Verbindung mit sich gesetzt. Worin besteht aber diese Unmittelbarkeit Gottes zum Menschen?

1) in der fortwährenden Lenkung der Menschengeschicke; Gott hat den Menschen mit dieser Bestimmung geschaffen; würde der Mensch diese Bestimmung nicht erfüllen, so wäre das Werk Gottes unerreicht, wie dies am Geschlecht der Flut dargestellt worden; soll also das Werk Gottes ausgeführt werden, so muss er die Menschen, die in ihrer Freiheit das Gegenteil möglich machen, dahin leiten. Dies spricht der Mosaismus auf jeder Seite der Schrift aus. Sowohl die Führung des einzelnen Menschen, die Waltung Gottes in ihrem Geschick wird überall mit den lebhaftesten Ausdrücken gefeiert, als auch die Leitung aller Menschenvölker zur religiösen und sittlichen Vervollkommnung wird, wenn auch mehr angedeutet, indem wir diesen letzteren Begriff in dem Prophetismus erst ausgebildet finden, da der Mosaismus Raum dafür nur in der vormosaischen Geschichte hatte, wo sie jedoch im Turmbau von Babel und in der Geschichte Josephs bedeutsam ausgesprochen ist. Die Frage: wie diese Lenkung der Menschengeschicke mit der Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen vereinbar ist? löset der Mosaismus von vorn herein; Gott ordnet dem Menschen die äußeren Verhältnisse, Geburt, Familie, Besitztum, zu; innerhalb derselben lässt er ihn frei handeln; durch die Voraussicht dessen aber, was der Mensch tun werde, die dem Allwissenden nicht mangeln kann, ordnet er den Gang der Begebenheiten so, dass sie zum bestimmten Ziele kommen. Die Brüder Josephs verkaufen diesen in ihrer Selbstbestimmung, aber gerade darauf hat Gott die Begebenheiten so geordnet, dass dadurch Joseph die Völker vor der Hungersnot schützt, und die Familie Jakobs nach Ägypten kommt.

2) dass Gott Richter der Handlungen des Menschen ist; indem Gott dem Menschen die Bestimmung gegeben, muss er jede Förderung derselben, wie jeden Abfall von ihr als eine Störung seines Werkes, mit den angemessenen Folgen versehen. Auch dies lehrt der Mosaismus mit den entschiedensten Ausdrücken. Hier aber müssen wir auf die mosaische Anschauung von der Sünde zurücksehen. Die Sünde ist eine Beziehung des Individuums zu sich selbst, jedoch ohne Wesenheit für die Allgemeinheit. Darum muss diese Beziehung wieder verändert, ja aufgehoben werden können. Der Sünder kann wieder zur Tugend zurückkehren. Ein Gleiches muss aber auch hinsichtlich der Wirkung der Sünde stattfinden. Die Strafe des Sünders muss vor sich gehen, aber die Sünde eben so vergeben werden, wenn der Sünder zur Tugend zurückgekehrt ist. Gott ist Richter, und kann also die Sünde nicht ungeahndet hingehen lassen; er ist aber auch barmherzig, und muss der reuigen Seele die Schuld vergeben. Gerade dieser scheinbare Widerspruch wird im Mosaismus stark hervorgehoben und herrlich gelöst. Wiederholt spricht er aus:
„der Ewige ist ein barmherziger, gnädiger Gott, langmütig und von unendlicher Huld und Treue, der Sünde vergibt, Missetat und Frevel, Nichts aber ungeahndet hingehen lässet", und „der gedenket der Sünde der Väter an Kindern und Kindeskindern." Es ist bekannt, wie oft eine Gott insinuierte süßliche Liebe diesen Ausspruch zum Gegenstand ihrer Angriffe gemacht hat, ohne doch zu bedenken, dass, wenn man die Worte oberflächlich nimmt, der Widerspruch zu offenbar ist, als dass man nicht die Lösung etwas tiefer zu suchen genötigt sei. Sehen wir auf die Wirklichkeit, und diese ist doch offenbar die letzte Instanz über die Wahrheit einer Lehre: so bemerken wir allerdings in zahllosen Fällen die Nachkommen unter den materiellen Folgen der Verbrechen der Eltern leiden. Die Eltern leben ausschweifend und erzeugen ein Geschlecht, das den Keim der Schwäche, des Todes mit sich zur Welt bringt; des Ehrlosen Schandtat drückt auf das Geschick der Kinder auf allen Seiten-, der Verschwender hinterlässt den Erben Luft; Ludwig XVI., ein braver Mann, muss für die Sünden seiner Vorgänger das Haupt auf die Guillotine legen. Also die Wirklichkeit spricht für den kräftigen Ausspruch des Mosaismus. Man wird sagen: ja, das ist natürlich, d. h. die materiellen Folgen treten unmittelbar auf die Sünde ein, und Gott lässt diese Folgen in seiner Lenkung der Menschengeschicke in der Tat eintreten. Gut, das ist die Lösung. Gott lässt als Richter auf die Sünde die Folgen eintreten, und so Nichts ungeahndet. Aber die Sünde ist nicht bloß materielle Tat; sie ist auch die Beziehung der Seele zu Gott; sie hat die Annäherung der Seele zu Gott gestört, hintertrieben; so ist es die Barmherzigkeit Gottes, welche dies für die Reuigen wieder aufhebt, die Schuldhaftigkeit vergibt, die Störung tilgt, die Seele des Sünders wieder zu sich bringt. So spricht also der Mosaismus aus, dass Gott als Richter Nichts ungeahndet, und die Folgen der Sünde eintreten lässt, dass er aber die Schuld in seiner Barmherzigkeit vergibt, und die Seele des Sünders wieder zu sich bringt.

Diese Unmittelbarkeit Gottes zum Menschen findet aber im Mosaismus seine wahre und wesenhafte Stützung.

3) darin, dass Gott sich offenbaret hat. Der Mosaismus setzt diese Offenbarung Gottes überall voraus; er leitet sie meist ganz einfach durch ein . . . . „Gott sprach" ein; dann gibt er sie geschichtlich, indem er von ihr berichtet; aber er ist auch derselben im Fortschritt ganz bewusst, denn nicht allein, dass er geradezu sagt: „Vom Himmel her hat er dich seine Stimme hören lassen, um dich zu unterrichten," so gibt er auch z. B. im 12. Kap. des 4. B. vollständigen Aufschluss über die verschiedenen Arten der göttlichen Offenbarung, und stellt anderwärts die Bedingungen für eine solche auf, nämlich dass sie Nichts enthalte, was dem gegebenen Begriffe von Gott widerspräche, z. B. die Erscheinung Gottes in irgend einer Gestalt, die Lehre von mehren Göttern. Von vorn herein ist nun dem zu begegnen, dass man im Geiste des Mosaismus nicht etwa den Begriff der „Offenbarung" verfälschen oder verflachen möge. Der Mosaismus versteht allerdings darunter, einmal die Verkündigung der allgemeinen Grundsätze an das Volk, dann die Einwirkungen Gottes auf die Vorstellungen und Erkenntnisse der berufenen Männer. Das Wesentliche ist aber, dass die göttliche Offenbarung im Mosaismus nichts Zufälliges, keine gewählte Einkleidung ist, ein Gewand, das man ihm nach Belieben abnehmen könne, ohne dass er dadurch am Inhalt verliere. Man sieht die Offenbarung im Mosaismus gewöhnlich nur als den modus rerum narrandarum an, als die Art der Berichterstattung, die auf den Inhalt und dessen Wahrheit keinen Bezug hat. Dem ist nicht so, sondern die Offenbarung ist im Mosaismus ein integrierender Teil, der Eckstein. Wenn Gott dem Menschen einen ihm ebenbildlichen Geist gegeben, darum die Bestimmung, ihm immer ähnlicher zu werden, darum die Freiheit und Selbstbestimmung, darum die Möglichkeit des Gegenteils jener Bestimmung: so muss er der Menschheit auch die Wahrheit, eröffnen, weil sie ohne diese in ewiger Irre, ohne jemals ihre Bestimmung zu erfüllen, sich ergehen, und zuletzt zur Trostlosigkeit und Verzweiflung kommen würde, wie dies das offenbarungslose Altertum erweist. Nur dass die Menschheit ihre eigenen Phasen ebenfalls durchmachen, das erreichen soll, was sie für sich erreichen kann, und sich überhaupt zur Annahme der Wahrheit frei entwickeln musste, weshalb die Offenbarung nicht sofort an die gesamte Menschheit erging, sondern an ein einzelnes, hierzu erzogenes Völkchen. Der Mosaismus, mit Voraussetzung dieser Argumentation, sieht nun die Offenbarung als die vollendete Unmittelbarkeit Gottes zum Menschen an. Gott wäre, wenn er nur die Schicksale der Menschheit leitete, und die Handlungen der Menschen richtete und die Sünde vergäbe, doch nur teilweise unmittelbar; denn auch hierin könnte, wie bei den übrigen Geschöpfen, nur eine Gesetzlichkeit, und zwar höherer Art erkannt werden. Da aber Gott, weil er den Menschengeist ebenbildlich gemacht, diesem vollkommen unmittelbar sein muss: so muss er auch auf unmittelbare Weise ihm die Wahrheit eröffnet haben. Gott ist erst unmittelbar zum Menschen durch die Offenbarung und innerhalb derselben. So ist diese nicht bloß ein modus, sondern ein integrierender Teil der Lehre, deren eigentlicher Kern die Unmittelbarkeit Gottes zum Menschen ist. Dass Gott die Schicksale der Menschheit leitet, und die Handlungen der Menschen richtet, ist erst erklärt und erwiesen dadurch, dass er ihm auch die Wahrheit unmittelbar geoffenbart hat. Im andern Falle wäre Jenes nur vorausgesetzt und angenommen.

Wir kehren auch hier am Schluss zum Anfang zurück. Wir sahen, der Mosaismus ging von Gott aus, und von diesem zur Welt und zum Menschen. Wie so vermag er dies? Weil ihm Gott ein geoffenbarter ist. Die Erkenntnis Gottes erlangt er nicht durch Spekulation, weil er sonst notwendig vom Menschen zur Welt, und von dieser zu Gott gehen, und dann in die Phasen der heidnischen Religionen, und Philosophen, sich verlieren müsste; sondern, er weiß schon Gott, und von diesem gewussten Gott aus erkennt er die Welt und den Menschen; er weiß aber eben Gott, weil dieser sich selbst kund getan. Der Mosaismus will Gott mit dem Verstande begreifen, daher sagt er unaufhörlich: „erkennet Gott" — aber er will ihn nicht erst mit dem Verstande finden, sondern hat ihn durch die Offenbarung erhalten. Die ganze Wahrheit des Mosaismus fordert also die göttliche Offenbarung, die ihm aber im Voraus durch die Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott erklärt ist. Diese erklärt zugleich die Möglichkeit der, Offenbarung, da sie schon dieselbe fordert.

Würde ich, h. A., hier nicht bloß eine Geschichte des Judentums geben, sondern auch eine Beweisführung für dasselbe, so müsste ich eine Menge von Fragen, die sich hier auch vom s. g. rationellen Standpunkte aufdrängen, beantworten. Allein ich habe mich hier lediglich an die Geschichte zu halten, vielleicht beantwortet diese die noch übrigen Fragen in ihrem Verlaufe am Besten. Hier wollte ich nur die Notwendigkeit der Offenbarung aus dem Mosaismus heraus erweisen.

Der Raum einer Vorlesung zwingt mich, hier stehen zu bleiben. Wir haben uns heute die Lehre von Gott, wie sie der Mosaismus aufstellt, im Gegensatz zu dem im Widerspruche des Seins und Nichtseins befangenen Altertum klar gemacht. Der Mosaismus proklamierte:

1) Gott als das absolute Sein,
2) die Welt seine Schöpfung, in welcher das allgemeine Sein stufenweise zur Besonderheit geworden,
3) Gott demnächst überweltlich, einzig und einig, unkörperlich, heilig, ewig, allgegenwärtig und allmächtig,
4) Den Menschen als die Einheit des Leiblichen und Geistigen, im Geiste Gott ebenbildlich, mit der Bestimmung, Gott immer ähnlicher zu werden, frei und, sich selbst bestimmend, mit der Möglichkeit der Sünde;
5) daher Gott unmittelbar zum Menschen, indem er dessen Geschicke zur Vervollkommnung leitet, seine Handlungen richtet, deren Folgen eintreten lässt, aber die Schuldhaftigkeit, dem Reuigen aufhebt, und ihm die Wahrheit geoffenbart hat.

Dies ist die religiöse Idee, wie sie der Mosaismus in die Welt gebracht hat, und wie sie seitdem die Menschheit immer mehr trotz fortwährendem Gegensatz sich erobert: die Einheit Gottes, die Einheit der Welt, die Einheit des Menschen, die Mittelbarkeit Gottes zur Welt durch die Naturgesetze, die Unmittelbarkeit Gottes zum Menschen durch Vorsehung, Gericht und Offenbarung.