Vorlesungen über Geschichte, Inhalt, Stellung und Beruf des Judentums. Zweite Vorlesung, gehalten am 29. Dezember 1846. Das Altertum und der Mosaismus.

Aus: Allgemeine Zeitung des Judentums, 11. Jahrgang, 04. Januar 1847
Autor: Philippson, Ludwig Dr. (1811-1889) deutscher Schriftsteller und Rabbiner. 1837 begründete er die Allgemeine Zeitung des Judentums, die er bis zu seinem Tode im Jahr 1889 herausgab und redigierte., Erscheinungsjahr: 1847

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Jüdisches Leben, Gottheit, Mosaismus, Religion
Wenn alle Berichte der Geschichte sowohl als aller Reisenden darin übereinstimmen, dass alle Menschenvölker, selbst auf der niedrigsten Stufe der Bildung, eine übernatürliche Macht, eine Gottheit anerkennen: so hat man diese große Erscheinung auf sehr mannigfaltige Welse zu erklären gesucht. Was haben wir aber zu tun, um einen wahrhaften Aufschluss hierüber zu gewinnen? Wir müssen zuerst von allen entwickelten Zustanden des menschlichen Geistes absehen, weil sonst der Begriff einer Gottheit eben nur Eigentum des entwickelten Geistes sein konnte. Wir müssen ebenso von allen künstlich vorausgesetzten, aber nicht nachweisbaren Zustanden absehen, wie von einem Urvolk, einer Uroffenbarung, einer mystischen Zeit-Periode etc., weil wir sonst eben vorausgesetzt, aber nicht erklärt haben. Wir müssen vielmehr in die natürlichste und unausgebildetste Beschaffenheit des Menschengeistes hinabsteigen, und in dieser schon die Notwendigkeit eines solchen Begriffs auffinden. Nur dadurch könnte die Allgemeinheit desselben erklärt werden.

Dem Menschen natürlich ist nun: das Gefühl seines Ichs, d. h. seines Anderseins als alle übrigen Dinge; der Mensch fühlt sich selbstständig, anders, abgeschlossen von den Dingen außer sich. Es waltet dies so sehr in ihm vor, dass der Nichtwissende in eine naive Verwunderung gerät, wenn er erfährt, dass er in seiner leiblichen Organisation mit einer ganzen Reihe von anderen Wesen übereinstimmt. Indem der Mensch sich so von selbst allen anderen Dingen gegenüber fühlt, genügt ihm für sein eignes Dasein dieses Dasein selbst. Er fühlt sich, darum ist er. Aber die anderen vorhandenen Dinge wirken auf ihn, er empfindet ihren nützlichen oder schädlichen Einfluss auf sich; sie befriedigen entweder seine Bedürfnisse und Begierden, oder sie stehen ihnen entgegen, und suchen sogar sein Dasein zu vernichten. Er muss also eine ihm freundliche oder feindliche Kraft in ihnen anerkennen; er muss diese teils gewinnen, teils bekämpfen, oder sich davor schützen. Er gewahrt ferner, dass er darüber nicht Herr ist, dass seine eigne Macht zumeist unzulänglich ist, die Gunst dieser in den Dingen außer ihm seienden Kraft zu gewinnen, oder ihre Ungunst von sich abzuhalten. Er gewahrt endlich den Wechsel und Wandel darin, dass ihm oft heut gut tut, was ihm gestern geschadet und umgekehrt; wodurch sich ihm abermals seine eigne Unmächtigkeit jener Macht in den Dingen gegenüber aufdrängt. So ist er gezwungen, eine Gewalt in den Dingen außer sich anzuerkennen, sich gegenüber, weil er sich ihr eben nicht gewachsen fühlt, weil sie über ihn, über seine Kräfte hinausreicht. Und diese Gewalt in den Dingen außer ihm, das ist ihm die Gottheit; die notwendige Anerkennung jener ist der Begriff dieser, wie er in allen Völkern notwendig entstehen musste.

Diese Erklärungsweise empfiehlt sich gerade dadurch, weil sie alle mystische und psychologische Künstlichkeit zurückweiset, weil sie im rohen Naturmenschen nichts voraussetzt, als was eben in ihm sein muss, und endlich, weil die Entwicklung des Gottheitsbegriffes geschichtlich in der Tat von hier ausgegangen ist.

Das ganze Altertum nun, und noch ein großer Teil der jetzigen Menschheit ist lediglich auf diesem Grunde verblieben: den Begriff der Gottheit in den außer dem Menschen seienden Dingen und den in diesen waltenden Kräften zu suchen — allerdings in gewissen Abstufungen.

Die unterste Stufe *) ist der Fetischmus oder das Schamanentum. Dieses erkennt, von der rohesten Anschauung aus, eben nur das ihm Feindselige in den äußeren Dingen an, was der Befriedigung seiner Begierde, oder was seiner Existenz Hindernisse setzt. Es ist hier eben Alles nur das Persönliche; der Mensch bezieht noch, wie das Kind, Alles auf sich selbst; das ihm Angenehme und Nützliche versteht sich von selbst, nimmt er stillschweigend hin; aber das ihm Entgegenstehende, Feindliche fällt ihm auf. Dieses Feindliche sucht er teils durch Opfer zu gewinnen, durch die er den Feind an seinem Wohle beteiligen will, teils durch Beschwörungen, Verzerrungen, Tänze etc. zu bekämpfen. Um sich ein sichtliches Zeichen dieser feindlichen Macht zu verschaffen, wählt sich der Schamane den ersten Gegenstand, der ihm aufstößt, einen Stein, einen Holzblock u. dgl.; sobald er aber einmal auf ein für ihn unüberwindliches Hindernis! gekommen, erkennt er jenes Zeichen für unmächtig, setzt es ab, und wählt ein anderes. Durch ganz Mittelafrika, wie im hohen Asien lebt ein ungeheurer, nicht gezählter Teil der Menschheit noch heute auf dieser Stufe.

*) In der Darstellung des heidnischen Altertums sind wir zum Teil Hirsch' Religionsphilosophie gefolgt.

Sobald aber der Mensch die Natur außer sich zu beobachten angefangen, sobald er vom Augenblick abzusehen und eine größere Zeitfolge zu befassen gelernt hat: muss er nicht bloß das Feindliche, sondern auch das Wohltätige gewahren, muss er in den außer ihm seienden Dingen ein Zwiespältiges, Leben und Tod, Werden und Vergehen erkennen, die im Gegensatz, also im Kampfe begriffen sind. Dadurch wird ihm die Welt, das Sein, nicht mehr ein gekanntes, sondern ein Rätsel, dessen Lösung er suchen muss. Dies ist die zweite Stufe, auf welcher alle asiatischen Völker, Ägypten eingeschlossen, verblieben sind. Wie wurde nun diese Lösung, jener beiden sich bekämpfenden Gewalt erstrebt? Zunächst ganz äußerlich, formell. Man sah, dass eben die wohltätigen wie die feindlichen Einflüsse einer nach dem andern immer wieder aufhören, dass die Dinge her Natur in bestimmter Ordnung kommen, gehen und wiederkehren, dass demnach die eigne Erhaltung allein durch diese Ordnung möglich ist, weil dadurch die feindlichen Einflüsse zur rechten Zeit immer wieder weichen. So erscheint die Ordnung, das Maß, als das die schädlichen Gewalten Beherrschende und sie mit den wohltätigen in Gleichgewicht Bringende, also als das Göttliche. Dies ist die Religion des Fohi, welche China und Japan bekennen. Sie erkennen eine Dreifaltigkeit an, Sanzai; der erste Zai, der Himmel mit den Gestirnen, das Befruchtende; der zweite: die Erde mit Feuer, Luft und Wasser, das Befruchtete; der dritte, der Mensch, der durch die Ordnung Beider existiert, und im Kaiser, als der Spitze dieser Ordnung, seine Personifikation hat. Alles muss dahin streben, zur Erhaltung dieser Ordnung, der rechten Mitte, beizutragen, und darum ist der Mensch das dritte Glied der dahin wirkenden Mächte.

Je mehr aber diese Ordnung nur die äußere Erscheinung, die Form, aber nicht das Wesen erklärt, desto eher musste der entwickeltere Menschengeist alles Wohltätige und Feindselige als getrennte, gegenüberstehende Gewalten begreifen, die notwendig durch eine dritte, über sie stehende, vermittelt werden müssen. Dies geschah demnächst in ganz konkreter Weise. Den Persern erschien das Leben, das Bestehen, das Gute in der konkreten Gestalt des Lichtes; der Tod, die Vernichtung, das Schlechte in der der Finsternis; Beide sind gleich mächtige, sich immerfort bekämpfende Gewalten, Ormuzd und Ahriman. Da aber aus der Gleichheit und aus dem Kampfe Beider notwendig Nichts resultieren würde, im dem sie sich gegenseitig aufheben, so suchte man über diese Beiden eine dritte, höhere Macht, Zeruane-Akrene, das unerkannte Schicksal, welche mit unbegreiflicher Notwendigkeit Beide im Kampfe erhält und Keinem den Sieg erteilt. Der Mensch hat nun die Pflicht, das Reich des Ormuzd durch Hervorbringung von Leben, Bäume pflanzen, Felder besäen etc. und durch äußere Reinigkeit zu fördern, da nach bestimmter Zeit dennoch das Licht siegen werde.

Diese konkrete Anschauung musste aber bei tiefer gehenden Völkern einer abstrakten weichen. Den Inderen erschien diese ganze Welt des Wechsels, des Werdens und Vergehens, die keine Lösung an sich habe, als eine untergeordnete, ein Diesseits, über die hinaus eine eigentliche Welt, ein Jenseits liegt, zu dem die sichtbare Welt der schlechte Gegensatz ist. Über das Seiende setzt er daher ein Sein, das aber ganz leer, ein bloßes Sein, ohne eine Bestimmtheit, ein inhaltsloses Jenseits, das Brahm. Hierhin kann auch der Mensch gelangen, im dem er die Natur überwindet, aus ihr heraus flüchtet, durch völliges Entsagen, durch Ertötung der Begierden, Verminderung der Bedürfnisse aufs Minimum; wenn er einsam, mit untergeschlagenen Beinen, sich in ein Gedankennichts versenkt, nur das heilige Wort Aoum denkend. Wie ist aber das sichtbare Diesseits aus diesem unbestimmten leeren Jenseits geworden? Dies weiß der Inder nicht zu beantworten. Er sagt: Im Brahm ist der Gedanke aufgestiegen, eine Welt zu schaffen als Gegensatz, und dieser Gedanke ermannte sich zu drei herrschenden Gewalten: Brahma, der Schaffende, Siwa, der Zerstörende, Wischnu der Erhaltende, dessen Symbol das Wasser ist.

Wenn aber auf diese Weise die Frage, wie die konkrete Welt aus jenem leeren Sein geworden, gar nicht gelöst ist: so bekannten dies die Ägypter geradezu. Das Urgöttliche, Neitha, sagen sie, ist, was war, ist und sein wird; aber seinen Schleier hat noch kein Sterblicher aufgedeckt. Die Neitha ist also das unerforschliche Urwesen, aus welchem auf eben so unerforschliche Weise nach und nach Dreifaltigkeiten emanierten, von denen die letzte: Osiris, Isis und Horus, innerhalb welcher die sichtbare Welt ward. Das unerforschliche Urwesen hat sich aber nun in der emanierten Welt ausgeprägt, und zwar in jedem Einzelgeschöpf, außer dem Menschen, namentlich in den Tieren auf charakteristische Weise, so dass diese Tiere einzelne Züge der Gottheit darstellen, weshalb sie, wie Katze, Krokodil, Ibis etc. vom Menschen zu verehren.

Allen diesen Religionen, welche also einen Widerspruch in der Natur als dualistische Gottheit setzen, die in eine dritte höhere aufgeht, gegenüber, hat der Sabäismus, dem die vorderasiatischen Völker, von den Assyrern bis zu den Phöniziern und Arabern anhingen, diesen Widerspruch gar nicht anerkannt, sondern vielmehr das Bestehen in der Mischung und Vereinigung der natürlichen Gegensätze gefunden. Das Warme wie das Kalte, das Trockne wie das Feuchte allein wären Verderben, erst durch die Mischung Beider wird das Leben. Es ist also Alles notwendig, und über alles Seiende die Naturnotwendigkeit als das Höchste und Zwingende. Am Meisten ist diese Naturnotwendigkeit in den Gestirnen abgeprägt, und zwar in den dem Altertum bekannten sieben Planeten: Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Venus und Saturn, welchen die einzelnen vorherrschenden Naturkräfte einwohnen. Der Mensch hat Nichts zu tun, als sich dieser Naturnotwendigkeit ganz hinzugeben, was im, dem höchsten Gölte, der Sonne, d. i. dem Moloch, dargebrachten Menschenopfer seine Gipfelung hat.

Wenn aber, h. A., alle diese Religionen, wie wir sehen, von einem tiefen Grundgedanken ausgingen, durch den sie die Rätsel des Seins zur Gewissheit einer göttlichen Macht erhoben, so haben sie doch abwärts von diesem Grundgedanken sich stets dem Spiele ihrer Phantasie überlassen, um für die Natur in ihren einzelnen Gebilden ein Verständnis sich zu schaffen. Dem kindlichen Menschen, der zwischen dem Lebendigen und Leblosen noch nicht zu unterscheiden weiß, ist Alles lebendig, ja das an sich Leblose, das dennoch eine Wirksamkeit zeigt, überrascht Ihn am Meisten, und er erkennt in ihm eine ungewöhnliche, eine übernatürliche, eine göttliche Kraft an. Die Schwierigkeit war daher stets nur, wie der Mensch zuerst aus dem Zwiespalt der Einflüsse auf sich zum Begriff einer Gottheit komme, in welcher der Gedanke der Schöpfung gedacht sei. War dies vollendet, so konnte sich der Mensch seiner Phantasie überlassen, um aus seiner Beobachtung der natürlichen und menschlichen Dinge sich Götter und Geister zu schaffen. So sieht der Schamane überall böse Geister, wo ihm ein Schaden geschieht; der Chinese hat Genien eingesetzt über jedes Individuum wie über jede Provinz und Stadt, über jeglichen Berg und Fluss, welche eben die Ordnung zu erhalten haben, er verehrt sie in scheußlichen Götzenbildern, setzt sie aber ab, sobald etwas aus der Ordnung gekommen, d. h. irgend ein Unglück geschehen. Der Inder lässt aus den drei emanierten Göttergewalten wieder acht andere, untergeordnete Götter emanieren, wie Indra, Beherrscher der Luft, Suria, die Sonne etc. Unter der Herrschaft des Indra stehen dreiunddreißig gute Geister, denen die frevelnden Geister, Jackschas und Rackschasas, entgegentreten. Aber endlich ist jedes natürliche Dasein eine Emanation Gottes, und der Ganges wie das Himelaya ist Gott, der Affe wie die Kuh sind wirkliche Abbilder der Gottheit. Der Perser kennt unter Ormuzd die reinen Geister des Lebens, die Ferwers, die sechs Amschaspands, die zahllosen Ized's, die in allen Dingen sind, wirken und verehrt werden. Im Reiche des Sabäismus verehrte jede Stadt, jeder Stamm einen eignen Stern als seinen Gott, seinen Baal. All diese Religionen kennen hier nur die eine Konsequenz, von ihrer Grundanschauung aus Alles für göttlich zu erklären, was ihrer besonderen Beachtung unterlag, z. B. in Indien der Ganges, in Ägypten der Nil, im prächtig hellen Persien das Licht, in Vorderasien, wo Glut und Dürre oft genug schädlich sind, die Mischung etc.

Wenden wir uns aber von den morgenländischen zu den abendländischen Völkern, so gewahren wir hier ein ganz Andres, eine neue Stufe, die dritte. Während nämlich jene die Natur vermöge des widersprechenden Verhaltens derselben zum Menschen, zu Gott machten: machen die abendländischen, Griechen, Römer und Germanen, innerhalb der Natur den Menschen selbst zu Gott. Sie identifizieren nämlich Natur und Mensch; die Empfindungen, welche die äußeren Einflüsse auf den Menschen machen, tragen sie in die Natur selbst hinüber. Dem Orientalen brachten die natürlichen Dinge die und die Wirkung hervor, weil dies eben ihre Natur ist, weil sie so sind, der Grieche aber lässt sie diese Wirkung hervorbringen, weil sie so wollen, weil sie das und das Gefühl haben, aus dem heraus sie es wollen. Der Orientale sah auf die dauernde Eigenschaft der Dinge, der Grieche aus die wechselnde Wirkung, z. B. dasselbe Meer, was heute den Schiffer zum Hafen bringt, verschlägt ihn morgen an unwirtbare Küsten; dieselbe Sonne, die in diesem Jahre die schönste Pracht der Natur hervorbringt, schafft im nächsten schreckliche Dürre. Es muss also ein wechselnder Wille in den Dingen walten, und dieser entsprang ihm nun aus gleichen Empfindungen, wie in seiner eignen Brust, aus ähnlichen Leidenschaften, aus Liebe, Hass, Rache, Besänftigung. Daraus entstand ihm ein Doppeltes: erstens, jedes natürliche Ding hat einen Gott in sich, und dieser Gott ist von den menschlichen Leidenschaften beherrscht, und zweitens, jede menschliche Leidenschaft hat selbst einen Gott in sich. Der Himmel hat einen Gott, Zeus, der bald liebt, bald zürnt. Die Liebe selbst hat einen Gott, ja nach den verschiedenen Arten der Liebe verschiedene Götter. Der Friede hat einen Gott, wie der Streit; jeder Gott lebt aber bald in Streit, bald in Frieden. Von diesem Standpunkte aus ist die Welt nicht geworden, sondern die Götter sind geworden. Hier war es nun, wo die Phantasie auf dem Grunde aller natürlichen und psychologischen Beobachtung eine völlig freie Herrschaft übte.

Insbesondere der griechischen Anschauung musste aber darum die Grenzlinie zwischen Gott und Menschen gänzlich verschwinden, und alle Menschen, die vom Nimbus der Vorwelt umleuchtet waren, stiegen zur Götterwelt hinauf. Dieselbe Anlage tragen die römische und nordische Mythologien, nur dass ihrer Individualität gemäß der praktische, selbstsüchtige Römer bei seinen Göttergebilden und seiner Götterverehrung zumeist vom Standpunkt des ihm Nützlichen, der Germane von dem der persönlichen Tapferkeit ausging.

Um aber das Bild des religiösen Geisteslebens des Altertums vollständig zu haben, müssen wir auch einen Blick auf seine Philosophie werfen, die jedoch vorzugsweise nur ein Produkt des griechischen Geistes ist. Ein neuerer Schriftsteller sagt: „Es ist ein falsches Vorurteil, dass zwar die heidnischen Religionen falsch wären, dass aber die Philosophen des Heidentums in der Wahrheit gelebt hätten. Man hilft sich gewöhnlich, um die Notwendigkeit der Offenbarung zu beweisen, mit der Behauptung, durch Philosophie seien immer nur Einzelne, nur die Philosophenschulen, durch die Offenbarung aber die ganze Welt zu Gott gekommen." Und mit Recht sagt er dies: denn die Philosophie des Altertums hat keinen andern Beruf gehabt, als zuerst die Religionen des Altertums zu vernichten, und dann sich selbst zu vernichten. Die Philosophie fing aber da an, wo die Religion, und wollte die Ursache aller Ursachen, das Prinzip der Schöpfung finden. Indem nun die jonische Schule ein bestimmtes Element, die pythagoräische die Zahl und Harmonie, die elearische Schule die Täuschung alles materiellen Seins und die alleinige Wahrheit der Abstraktion, hingegen Heraklit das Werden, Empedokles aber die Mischung der vier Elemente als das Bleibende, aber sich stets Verändernde zum Prinzip der Schöpfung machten, hatten sie nacheinander die Religion des Fetisch, Chinas, Indiens, Persiens und den Sabäismus zum Begriff erhoben und aufgelöst. Da war es Anaxagoras, welcher zuerst Sichtbares und Unsichtbares, Stoff und Geist schied, und diesen als das den Stoff in Bewegung Setzende erklärte. Das Sichtbare ist zuerst Chaos von gleichartigen, unendlich kleinen Teilen, das Unsichtbare, der . . ., der Verstand, setzt diese in Bewegung, dass sie sich trennen und vereinigen, und so die Dinge werden. Es war dies offenbar der Gedanke der ägyptischen Religion, Beide ein unerforschliches, also inhaltsloses Urwesen setzend. Hiermit war aber zugleich die griechische Religion vernichtet, denn wenn der Verstand das oberste Prinzip der Welt ist, konnten die griechischen Götter, die Gebilde der systemlosen Phantasie, nicht vor ihm bestehen. Da aber dieser Verstand des Anaxagoras noch ganz ohne Inhalt und Bestimmung war, so musste er bei den Sophisten rein subjektiv werden, so dass Nichts sei, als was der Verstand sich vorstelle. Diesen gegenüber begriff Sokrates sehr wohl, dass wenn Nichts sei, auch der Verstand Nichts sei, also der Mensch selbst nicht, dass also auch der Mensch Nichts wisse, wohingegen die Sophisten Alles wissen wollten, weil nur, was sie wüssten, wäre. Sokrates ging daher zur Allgemeinheit über, die er äußerlich erschauere; die Welt ist zweckmäßig, weil Alles in ihr übereinstimmt, weil das Einzelne in das Allgemeine aufgeht; Tugend ist daher, dass das Einzelne sich dem Allgemeinen unterordne. Plato führte dies weiter: das Allgemeine an sich erkannte er als Idee an, welche als Totalität aus allen Besonderheiten resultiere, die Einheit in der Mannigfaltigkeit. Diese Idee war aber früher, und das Sinnlich-Wahrnehmbare ist nach der Idee geschaffen und benannt. Diese Ideen schafft der Mensch aus sich heraus, indem er sie in einem früheren Leben schon angeschaut, und indem nun jede Idee ihren Gegensatz setzt, kommt sie zuletzt zur Einheit in der Allgemeinheit. Gerade den entgegengesetztesten Weg geht wieder Aristoteles. Das Allgemeine, sagt er, besteht nicht wirklich, sondern ist nur im Besondern wirklich; das Allgemeine ist bloß die Möglichkeit; es muss also in jedem Besondern die Bestimmung aufgesucht werden. Darum verfolgt Aristoteles nun das Besondere als Wirkliches, ohne es auf das Allgemeine, auf Gott zurückzuführen, was ihm eben nur das Mögliche ist. Alles ist Ihm ein Einzelnes, das neben dem andern Einzelnen sieht. Hiermit war aber die griechische Philosophie eben so wie die griechische Religion aufgelöst. In dieser erschienen die Götter als einzelne Gottheiten, über die keine Allgemeinheit gefunden wird, in der Philosophie einzelne Wahrheiten, die keine Wahrheit, nichts Absolutes über sich haben. Die späteren Schulen arbeiteten nur mitten im Römertum diese Selbstauflösung weiter aus, bis die ganze Trostlosigkeit der heidnischen Religion wie Philosophie zum offenen Vorschein und zur eignen Erkenntnis gekommen, weshalb der philosophische und populäre Skeptizismus das Endresultat war.

Dies, hochzuv. Anw., ist das Gesamtbild des ganzen religiösen Geisteslebens des Altertums, so wie des Teils der jetzigen Menschheit, der noch auf derselben Stufe verharret. So schwach diese Umrisse sind, so können Sie doch aus ihnen die Grundlage, das Wesen und das Resultat desselben erkennen. Die Grundlage ist der Egoismus, indem alle diese Erscheinungen nur vom Verhalten des Außens zum Menschen ausgegangen sind; der Inhalt ist: der Widerspruch des Seins und Nichtseins, des Lebens und Todes, des Werdens und Vergehens, welche sich immerfort fetzen und immerfort aufheben, und deren Vereinbarung nicht begreifbar; das Resultat ist: die Verzweiflung, die Trostlosigkeit, indem das Bewusstsein des Menschen es nicht zur Wahrheit bringen kann, und sich selbst immer wieder vernichtet. Was ist ihnen Gott? Entweder eine willkürlich angenommene Notwendigkeit, deren Dasein unerklärlich, oder ein willkürliches Drittes, das durch seinen Machtspruch den Widerspruch Zweier bestehen lässt, oder ein inhaltsloses, leeres Jenseits, aus dem der Übergang zum Diesseits nicht begreiflich, oder das naive Geständnis des Unerforschlichen, es ist, aber wir wissen nicht, was es ist. Die Lücken werden nun durch die Gebilde der Phantasie ausgefüllt. Dass diese Trostlosigkeit und Verzweiflung des Bewusstseins aber in den letzten Zeiten des römischen Reiches eine wirkliche und allgemeine war, lehrt uns die Geschichte; wir werden darauf zurückkommen. (Fortsetzung folgt,)

Philippson, Ludwig Dr. (1811-1889) deutscher Schriftsteller und Rabiner. 1837 begründete er die Allgemeine Zeitung des Judentums, die er bis zu seinem Tode im Jahr 1889 herausgab und redigierte.

Philippson, Ludwig Dr. (1811-1889) deutscher Schriftsteller und Rabiner. 1837 begründete er die Allgemeine Zeitung des Judentums, die er bis zu seinem Tode im Jahr 1889 herausgab und redigierte.

Philippson, Ludwig Dr. (1811-1889) deutscher Schriftsteller und Rabiner. Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Bonn-CastellJPG

Philippson, Ludwig Dr. (1811-1889) deutscher Schriftsteller und Rabiner. Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Bonn-CastellJPG

001. Bronzegefäß in Form eines Adlers, mit Goldeinlagen

001. Bronzegefäß in Form eines Adlers, mit Goldeinlagen

002. Bronze-Tiger, Knauf einer Bronzeglocke

002. Bronze-Tiger, Knauf einer Bronzeglocke

003. Rind, Bronzegefäß

003. Rind, Bronzegefäß

004. Elefant, Bronzegefäß

004. Elefant, Bronzegefäß

005. Fabel-Tier, Jade

005. Fabel-Tier, Jade

008a. Pferdekopf, grauer Ton.

008a. Pferdekopf, grauer Ton.

009a. Hund, Ton. Han-Zeit

009a. Hund, Ton. Han-Zeit

010. Widder, Tongefäß, irisierende grüne Glasur

010. Widder, Tongefäß, irisierende grüne Glasur

044. Theseus.. Aus dem Ostgiebel des Parthenontempels in Athen. Um 435 v. Chr. Pentilischer Marmor. London

044. Theseus.. Aus dem Ostgiebel des Parthenontempels in Athen. Um 435 v. Chr. Pentilischer Marmor. London

045. Nike. Aus dem Ostgiebel des Parthenontempels in Athen. Pentilischer Marmor. London

045. Nike. Aus dem Ostgiebel des Parthenontempels in Athen. Pentilischer Marmor. London

051. Amazonenherme. 5. Jahrh. v. Chr. Bronzekopie, Neapel, Terina

051. Amazonenherme. 5. Jahrh. v. Chr. Bronzekopie, Neapel, Terina

057. Hermenbüste des Doryphoros nach Polyklet. Bronzekopie von Apollonis aus Athen. Neapel. Aenus

057. Hermenbüste des Doryphoros nach Polyklet. Bronzekopie von Apollonis aus Athen. Neapel. Aenus

036. Kentaur und Lapithe. Um 445. Pentelischer Marmor. Metope vom Parthenontempel in Athen. London

036. Kentaur und Lapithe. Um 445. Pentelischer Marmor. Metope vom Parthenontempel in Athen. London