Abschnitt 8

... Hadlef hatte dem Begleiter seiner Enkelin unter vier Augen ein kurzes, nicht ohne einige Mühsal zu stande gebrachtes Schreiben an Follrich Folkarts eingehändigt, während Belke einen Versuch gemacht, Age zum Anlegen ihrer Sonntagstracht für den Besuch auf Süderoog zu veranlassen. Doch war dies erfolglos gewesen, da das Mädchen den Kopf geschüttelt und erwidert, es würde nicht gut bedacht sein, die hellfarbige Kleidung einer leicht möglichen Schädigung durch Wasser auszusetzen, davon abgesehn, daß sie auch bei etwaiger Nöthigung zum Rudern hinderlich wäre. Beides mußte die Alte, ob auch wider ihr heimliches Wünschen zugeben; so saß Age Terwisga mit ihrem gewöhnlichen blaugrauen Friesrock angethan, im Boot, ihr Haar, wie bei der Nachtfahrt von Cuxhaven her, durch ein umgeknotetes rothes Tuch gefesselt haltend. Dicht ostwärts von Neuwerk führte zwischen dem Ribbel- und Steilsand, eine breite, stets gefüllte Tiefrinne, die ›Kinderbalje‹, gen Norden schnell in das Hauptstrombett der Elbe; die Flut ging ihrer Höhe entgegen, doch war nicht für lange erforderlich. Bei dem frischen Wind gelangte das Boot voraussichtlich vor dem Ebbeeintritt über den breiten Sand der dem Ufer Süddithmarschens weit vorgelagerten ›Norderbank‹ hinweg und erreichte dahinter die offene, kein Hemmniß mehr entgegenstellende See. So konnte das Fahrzeug sich ohne Kreuzschlag gradaus nach Norden halten, das Mädchen nahm den Steuersitz ein, Arnold die Bank ihr gegenüber. Darin glich alles ihrem damaligen nächtlichen Beisammensein, sonst aber stand das sie Umgebende in stärkstem Gegensatz dazu. Nicht der Mond ging auf und warf Lichtblitze durch jagend zerreißendes Gewölk, sondern die Sonne stieg an wolkenlosem Himmel höher über der Elbe empor; kein Gewoge überschlug sich mit zischend weißen Kämmen und kein Sturm fuhr mit plötzlichen Stößen in die Segelleinwand, sie hielt sich unterschiedlos leicht im gleichmäßigen Wind gebauscht. Eine besser begünstigte, muthigere Fahrt ließ sich nicht wünschen, gleich einer in ruhiger Geschwindigkeit ihrem Ziel zuschwebenden Möwe zog das Boot durch die weite besonnte Einsamkeit dahin. Nach Osten begrenzte ein feiner dunkler Strich, nun auftauchend, nun wieder zergehend, den Horizont, die Deichlinie der bald etwas vorspringenden, bald mehr zurücktretenden Westküste des holsteinischen Landes. Sonst war nichts als Luft und Wasser.

Der Steuernden nah gegenübersitzend, traf Arnold beim Aufsehen mit dem Blick in ihr Gesicht, sah ihre Augen ihm zugerichtet. Doch die seinigen vermieden heut' ein Begegnen mit ihnen; er fühlte sich bedrückt, daß er etwas heimlich in sich trug und es ihr verschweigen mußte, wie's seine Hand der alten Belke zugelobt. Drum hielt sein Kopf sich zur Seite gewandt, als ob er vorüberfliegenden Wasservögeln nachschaue, und er dachte über das ihm Widerstrebende des seinem Mund auferlegten Verhehlens. Doch war dies nach dem Dafürhalten der beiden Alten nothwendig und geschah zum Besten des Mädchens, deshalb mußte es auch für ihn ein unverbrüchliches Gebot sein. Denn gewiß wollte er nicht minder ihr Bestes, als die Großeltern, trug ein ihn erfüllendes Verlangen in sich, mitzuwirken, daß ihr Leben so festgesichert und beglückend als möglich werde. Das schuldete er ihr aus Dankespflicht, zweimal hatte ihre Umsicht und Hülfe ihm das Leben gerettet, freilich wäre er ohne sie beidemal auch nicht in die Todesgefahr gerathen. So war's nicht eigentlich Dankesschuld, mehr noch der Trieb einer menschlich-warmen Antheilnahme an ihr, der in ihm von Tag zu Tag angewachsen war. Niemals hatte er zu jemandem in einem nahen, wirklichen Freundschaftsverhältnis gestanden, seine Natur zu solchem engen Anschluß nicht veranlagt geglaubt. Doch zum erstenmal erkannte er, sich darin irrthümlich beurtheilt zu haben, denn zweifellos war ein Gefühl, von dem er nach und nach auf Neuwerk stärker überkommen worden, das einer echten Freundschaft. Zwar nicht, wie's sonst meistens stattfand, zu einem Manne, sondern zu einem Mädchen, aber dieser Unterschied barg offenbar keine Bedeutung in sich, das Wesentliche ruhte darauf, daß ein Mensch zu einem anderen Menschen in derartige Beziehung trat. Dann galt das übrige gleich, die Uebereinstimmung im Gemüth machte die Grundlage der Befreundung aus, erzeugte diese. Sie erforderte auch nicht die nämliche Bildungsstufe, nur die gleiche Eigenart des Empfindens, vor allem der großen Naturwelt gegenüber. Die besaß Age Terwisga, im Einklang mit seiner eigenen, wie niemand, den er sonst kannte; ob sie nicht zu lesen und schreiben verstand, es auch nicht mehr erlernen zu können schien, war sie unverkennbar im Innern von einem dichterischen Vermögen der Anschauung und des Verständnisses erfüllt, gewissermaßen selbst ein belebtes Stück Poesie. Aus dem Vorrath seiner Kenntnisse mochte er ihr mancherlei geben, aber nach anderer Richtung empfing er auch von ihr, und ihn bedünkte, seine Gabe sei die geringere. Wohl entfloß die ihrige im Wesentlichen der Inselumwelt, doch dadurch, daß sie selbst ein Theil von dieser war; er fühlte, ohne sie würde ihm das Verständniß dafür nicht derartig aufgegangen, er darin nicht heimisch geworden sein. Denn so empfand er sich auf Neuwerk; eine Nachrechnung ergab, noch nicht volle vier Wochen befinde er sich dort, dagegen war's ihm innerlich, wie wenn er bereits eine unermeßbare Zeit im Gehöft Hadlefs Terwisga zugebracht, Theilnehmer an dem Leben der Bewohner drin gewesen sei. Seine Sinne umfing's mit einer traumähnlichen Täuschung, als ob er das vor ihm am Steuer sitzende große Mädchen schon als ein Kind über die einsamen Watten laufen gesehn und im summenden Wind ihre Stimme sprechen gehört habe.


In diese vorüberwechselnden Gedanken und Vorstellungen hinein, klang ihm jetzt einmal wirklich ihre Stimme mit der Frage an's Ohr: »Hast Du heute keine Lust, zu sprechen?« Das brachte ihn zur Besinnung, seine Schweigsamkeit sei etwas Ungewöhnliches, müsse ihr befremdlich erscheinen, und er antwortete mit einer gewissen Hastigkeit: »Die Fahrt ist so schön und macht schweigen, wie in wundervollen Träumen, darin redet man auch nicht, sieht und hört nur. Aber ich habe Dir noch nicht dafür gedankt, daß Du mich mitgenommen hast, das konntest Du wohl mit Recht erwarten.«

Um ihre Lippen ging ein leichter Zug, als ob sie lachen wollten, doch schwand gleich wieder von ihnen ab, und sie versetzte: »Mein Großvater hat's ja gewollt, nicht ich; willst Du Einem danken, mußt Du's ihm und Dir selbst, ich thue nur, was er mich geheißen hat, ob mir's auch nicht glaublich vorkommt, daß die Kimmung von Süderoog hat anzeigen sollen, sie litten Noth dort. Aber Mutter Belke meint's auch so, und mir kommt's nicht zu, klüger sein zu wollen, als sie.«

Kurz hielt die Sprechende an, setzte dann hinzu: »Ja, beim Träumen spricht man auch selten, hört nur drauf, was Andre sagen. Das ist sonderbar, aber vielleicht ist's darum manchmal so schön, zu träumen. Und daß sie alle Stimmen zum Sprechen haben, die Vögel, der Wind und die Wellen; man glaubt's ihnen auch nicht mit der Vernunft, aber hört doch gern zu, bis man die Augen aufmacht und wach wird.«

Die Augen Ages sahen gradaus in das Gesicht ihres Begleiters, er suchte jetzt, ihnen stand zu halten und über seine bisherige Befangenheit Herr zu werden, denn die Verheimlichung der Aufgabe seiner Theilnahme an der Fahrt war ja nichts Schlechtes, sollte vielmehr zum Besten des Mädchens dienen, doch trotzdem wich sein Blick bald noch wieder an der ruhigen Sicherheit des ihrigen vorbei, und er wußte nichts, um ein Gespräch darüber weiterzuführen. Oder ihm lag wohl etwas auf der Zunge, zu fragen, von welcher Art und Aussehen der Sohn Follrichs Folkarts auf Süderoog sei, aber diese Wißbegier durfte er nicht lautwerden lassen, denn sie hätte bei der Befragten einen Verdacht erwecken können. Doch einem Wiedereintritt des vorherigen Schweigens wollte er vorbeugen, ihm kam ein hülfreiches Mittel dazu in den Sinn, und die Hand nach seiner Brusttasche streckend, sagte er: »Ich habe das Buch mitgenommen, vielleicht, dacht' ich, könnte es uns unterwegs zu statten kommen. Hast Du Lust, hier zu hören, wie auf der Düne? So still ist's auch, und nicht einmal Geert Grawander kann zu uns heruntersteigen, um zu fragen, ob Du wieder Deine Zeit verspillst.«

Das rief den Nachmittag in's Gedächtniß, an dem sie nach dem Rückgang des alten Leuchtthurmwärters fröhlich beisammen über die drollige Kundgabe seiner Anschauung von Zeitbenutzung gelacht hatten, doch wiederholte Arnold dies gegenwärtig bei seiner Erinnerung dran nicht, und auch das Mädchen that's ebensowenig. Sie hatten überhaupt seit ihrem gemeinsamen Entrinnen aus den Fängen der Flut nicht mehr, wie vordem so häufig, miteinander gelacht; es war, als habe jene nahe Todesgefahr auf sie beide eine ernstmachende Wirkung geübt, ihnen die Lippen von übermüthiger Anwandlung entwöhnt. Age nickte nur bejahend zu seinem Anerbieten und, die Odyssee aufschlagend, begann er vorzulesen. Der Gesang, an dessen Schluß Odysseus durch die Beihülfe der Leukothea vor dem Grimm Poseidons an das Ufer der Phäakeninsel Scheria gerettet worden und dort auf dem Waldlaub in tiefen Schlaf gefallen, war der letzte gewesen, und kurz noch einmal darauf zurückgreifend, fragte Arnold: »Ist's Dir im Gedächtniß wie Leukothea ihm beigestanden, daß er glücklich nach Scheria gelangte, so wie Du mich durch den Sturm nach Neuwerk brachtest?« Unwillkürlich gestaltete sich ihm gegenwärtig dieser Vergleich, das Mädchen nickte abermals bejahend, und er hob den nächsten Gesang an, drin Pallas Athene an das Lager der Nausikaa in der Erscheinung einer Jugendgespielin derselben trat und sie im Traum ermahnte, mit dem Frühmorgen die angesammelte Wäsche zum Strand hinunter zu schaffen:

»Welch' ein lässiges Mädchen, Nausikaa, bist du der Mutter!
Alles Gewand, so werth der Bewunderung, liegt dir verwahrlost –«

Doch bei dem letzten Vers hielt der Lesende, dessen Blick zum nächsten voraufgegangen, stockend an, so daß Age Terwisga, den Kopf aufhebend, fragte: »Willst Du eine Stelle auslassen? Ist's wieder etwas, was ich zu verstehen zu einfältig bin?«

Das traf hier nicht in der vorgegebenen Art, wie sonst dann und wann, zu, oder vielmehr überhaupt nicht, ein völlig andersartiger Grund hatte sein Anhalten verursacht. Eigentlich thörichter Weise, denn bei gleichmäßigem Fortfahren hätte in den nachfolgenden Versen nichts zu einem Ausschalten Anlaß Gebendes gelegen, nur durch das Zaudern nahmen sie etwas Besonderes an. Außerdem konnten sie ohne Zerstörung des Zusammenhanges nicht wegfallen, so äußerte er ein paar Worte von Undeutlichkeit des Drucks auf der Seite und las danach rasch weiter:

»Und bald steht dir Vermählung bevor, wo Schönes du selber
Anziehn mußt und reichen den Jünglingen, wenn man dich heimführt,
Denn aus solchem ja geht ein Gerücht aus unter die Menschen,
Das uns ehrt; auch den Vater erfreut's und die liebende Mutter.
Ich als deine Gehülfin begleite dich, daß du geschwinder
Fertig sei'st; denn wahrlich du bleibst nicht lange noch Jungfrau.«

Arnold hatte sich bemüht, jetzt möglichst gleichmüthig-achtlos drüber hinzulesen, und fuhr so fort; sein niedergesenkter Blick ruhte auf dem Buch, während die Augen der Zuhörenden sich großgeöffnet auf ihn gerichtet hielten. In ihrem Hintergrunde ging etwas vor, als ob sie auch mit ihnen, aufmerksamer noch als mit dem Ohr, horche und auffasse; ihre Hand ließ einmal flüchtig das Steuerruder außer Acht, das Segel drohte dadurch aus dem Wind zu fallen, und sie mußte mit schneller Drehung das Boot in den richtigen Lauf zurückbringen. Dann zog dies wieder gradaus gen Norden, und Arnold Lohmer las den Gesang der Odyssee weiter. Nausikaa traf nach Pallas Athenes Planung am Ufer mit dem sturmverschlagenen Fremdling zusammen, half seiner Erschöpfung durch Speise und Trank ab und beschloß, ihn in die Wohnung ihrer Eltern zu führen. Doch hieß sie ihn, auf dem Weg dorthin voranzugehn und in einem Hain zu warten, bis das Dunkel einbreche, denn sie scheute davor zurück, daß sonst ein ihnen Begegnender sagen könne:

»Was der Nausikaa doch dort folgt so ein schöner und großer
Fremdling? Wo fand sie jenen? Der wird ihr Ehegemahl noch;
Einen Verirrten vielleicht empfing sie freundlich vom Schiffe
Fern entlegener Männer; denn nah uns wohnen ja keine.
Oder der Betenden kam ein vielerfleheter Gott nun
Hoch vom Himmel herab, und sie wird ihn haben auf immer.
Besser war's, wenn sie selber hinausging, einen Gemahl sich
Anderswoher zu finden, denn hier verachtet sie wahrlich
Alle phäakischen Freier umher, so viel und so edle!«

Eigen klang's zum leisen Wellengeräusch in die sonnige Seeweite hinaus, die wohl etwas Derartiges noch niemals vernommen, und noch besser als die Düne war dem Lesen der Odyssee das fortschwebende Fahrzeug angepaßt. Im Hain der Pallas saß am Ausgang des Gesanges der wartende Odysseus und flehte zu ihr:

»Höre mich endlich einmal, da zuvor du nimmer mich hörtest,
Als mich Verfolgten schlug der gewaltige Länderumstürmer!
Gieb, daß im Volk der Phäaken ich Lieb' antreff' und Erbarmung!«

Mit der Beendigung des Gesang's schloß Arnold das Buch, und ein Weilchen lag Schweigen über dem weitergleitenden Boot. Dann sagte Age Terwisga: »So beteten die Menschen auch damals schon, daß ihnen vom Himmel her Wünsche erfüllt werden sollten. Glaubst Du, daß da oben ein Ohr drauf hört? Ich glaub's nicht, hab' es schon als Kind nicht gethan. Was man selbst sich nicht geben kann, ich meine, nicht durch sich selbst erhalten kann, das bekommt man nicht.«

Solche Gedanken mochte sie schon früher in sich getragen haben, doch es rührte den Hörer an, derartig Ausdruck hätte sie ihnen vor Wochen nicht geben können, ihm war's, als ob die Worte eben vom Mund einer gebildeten Dame gekommen seien. Die Sprechweise des Mädchens hatte sich verändert, nahm wie von Tag zu Tage etwas Feineres an; das war nichts, was sie von außen erlernen mußte, gehörte zu dem, was sie aus sich selbst schöpfte, als keimfähig in ihr gelegen. Aber auch diese Welt- und Lebensanschauung, mit der des jungen Arztes übereinstimmend, war ihr aus dem eignen Innern aufgegangen, zu dem die großen Stimmen der Natur ihrer Heimath von frühauf gesprochen. Eine solche Unabhängigkeit von überliefertem fremdem Denken wäre bei einem weiblichen Wesen in Hamburg kaum vorstellbar gewesen; dort versäumten die jungen Damen niemals den sonntäglichen Kirchenbesuch, auch Lucinde Eschenhagen selbstverständlich nicht, zum Theil damit der Vorschrift des gesellschaftlichen Anstandes nachkommend, doch zum größeren aus Unfähigkeit, sich eigene Gedanken über ihr Dasein auf der Erde zu bilden. Das entsprang ihrer ›Bildung‹, die im Grunde ein lucus a non lucendo war – eigentümlich berührte im letzteren der Anklang an den Namen Lucinde – sich auf äußere Manieren und ein paar oberflächliche Kenntnisse, hauptsächlich das Conversationführen in französischer Sprache beschränkte. Gleichgültig war's, was gesagt und gedacht wurde; geschähe es auf deutsch, so gäbe es zumeist der Armseligkeit einer Unterhaltung von Leuten der untersten Stände kaum etwas nach.

Diese Vorstellungen und Empfindungen drängten sich Arnold heut' mit besonderer Deutlichkeit auf, und die endlose Nordseeweite mit dem unermeßlichen Himmelsdom drüber verstärkte ihm das Gefühl des Gegensatzes. Die Frage seiner Gefährtin beantwortend, sagte er: Du weißt schon, ich glaube auch nicht daran, daß die Bitte eines Menschen irgendwo außerhalb unsrer Erde Gehör findet, jeder muß selbst fürsorgen, seine Wünsche in Erfüllung gehn zu lassen, sich das zu gewinnen, was sie ihm als Glück vorhalten. Aber das Gebet des Odysseus erhörte damals Pallas Athene, ließ ihm auf Scheria zu theil werden, was er von ihr erflehte. Freilich that's sie's nicht wirklich, sondern der Dichter mißt es nur ihr zu, daß der vom Sturm Verschlagene die erhoffte Beihülfe und Liebe fand weil Nausikaa ihm diese entgegenbrachte und er in gleicher Weise von Liebe zu ihr erfaßt wurde.«

Age fragte: »Kommt das nachher in dem Gedicht?« und Arnold erwiderte: »Es wird nicht gradezu gesagt, aber man fühlt, es muß so geschehen sein.« Doch dazu schüttelte das Mädchen den Kopf und versetzte: »Daraus sieht man, es ist, was Du ein Gedicht heißt. Denn in der Wirklichkeit konnt' es nicht so geschehen, weil Odysseus schon eine Frau hatte, die auf seine Rückkehr wartete. Das wußte doch sicherlich auch Nausikaa und durfte nicht daran denken, daß er seiner Frau ungetreu werden könnte.«

Davon abbrechend, setzte sie hinzu: »Aber Odysseus hatte, als sie ihn am Ufer antraf, Speise und Trank nöthig, dafür ist's auch hier wohl Zeit, denn die Sonne geht schon bald gegen den Mittag.« Sich bückend, hob sie aus einem ihr zu Füßen stehenden Korb mitgenommene Eßvorräthe an belegten Broden, hartgesottenen Eiern und einen mit Meth gefüllten Krug hervor; das Boot hatte bereits seit längerem noch bei abnehmender Flut den breiten Sand der Norderbank überquert und, nicht weiter vom Wasserstand abhängig, die untiefenlos freie See erreicht. Zur Rechten machte sich schon die Strombewegung der Eiderausmündung bemerkbar; der herannahende Mittag hatte den Ostwind nicht abgeschwächt, vielmehr nach häufigem Verhalten an wolkenlosen Tagen noch kräftiger aufgefrischt, so daß mit vollgebauschtem Segel das kleine Fahrzeug hurtiger als zuvor dahinlief. Age reichte ihrem Begleiter eine der Brodschnitten, die er nahm und zu verzehren begann, doch langsam und nach einigen Bissen innehaltend, und gleicherweise that's das Mädchen. Das ließ ihn sagen: »Du hast auch noch keinen Hunger, scheint's, die See macht heute nur durstig.« Daraufhin bot sie ihm den Krug und er streckte die Hand danach, hielt diese indeß halbwegs zu den Worten an: »Trinke Du zuerst. Du mußt durstiger sein, als ich.« Dafür war eigentlich kein Grund, und sie fragte: »Warum sollt' ich's?« Er antwortete: »Weil« – doch wußte merklich selbst seine Annahme nicht zu begründen und fügte nach: »Du hast gesteuert und ich nichts gethan, nur ruhig gesessen.« – »Du hast vorgelesen, das macht doch noch eher Durst,« entgegnete sie; dabei blickten beide sich ins Gesicht, und um ihre Lippen ging ein leichtes Zucken über die von ihnen angeführten Gründe, aber ein Lachen ward nicht daraus, doch setzte sie jetzt den Methkrug zum Trinken an den Mund. Danach nahm er ihn, ungeschickt mit der Hand fassend, so daß er erst das Gefäß drehen mußte, um das gleiche zu thun. Wie er's in den Korb zurückstellte, kam ihr vom Mund: »Da ist's.«

Er verstand nicht, was gemeint sei, und fragte; sie hob deutend die Hand voraus gegen Norden und erwiderte: »Süderoog.« Da sein Rücken dorthin gewandt war, mußte er sich umdrehen und sah jetzt, noch in weiter Ferne, über der Wasserfläche sich einen kleinen dunklen, in der Mitte etwas erhöhten Strich aufheben. Der also war das Fahrtziel, die winzige Heimathscholle Follrichs Folkarts, für den seine Brusttasche das Schreiben verborgen hielt; eine Zeitlang blieben seine Augen dorthin gerichtet, und bald gestaltete sich's ihm deutlicher, der nämliche Anblick sei's, den er als Luftspiegelungsbild über den Horizont heraufgehoben wahrgenommen habe. Age hatte damals neben ihm gesagt: »Das ist nichts, nur Trug, er wird gleich wieder fort sein,« und dazu eine scheuchende Handbewegung gemacht, als bringe sie mit ihr die Erscheinung wieder zum Wegschwinden.

Als Arnold von der Betrachtung der Hallig sich wieder zu seiner vorherigen Haltung umkehrte, fiel ihm eine Veränderung im Aussehen Age's auf, ohne daß seinem ersten Blick klar wurde, was es sei. Aber dann bemerkte er, sie trage etwas um den Hals, und halb über die Brust herabhängend, was bisher nicht dort gewesen, darin er bei genauerem Hinblick eine Schnur mit aneinander gereihten, größeren und kleineren Bernsteinstücken von hellerer gelber und dunklerer brauner Färbung erkannte. Augenscheinlich waren das ihre seit langem angesammelten, zur Herstellung eines Halsbandes benutzten Wattenfunde; sie hatte dies auf die Fahrt mitgenommen und jetzt bei der Annäherung an Süderoog als Schmuck umgelegt. So trachtete sie doch danach, dort durch einen Zierrath Gefallen einzuflößen, wenngleich die Kette aus ungeschliffenen Rohstücken um den Nacken einer Hamburger Dame schwerlich den Eindruck eines Putzes erregt hätte. Das überraschte den stumm draufhin Schauenden und nicht in angenehmer Weise, sondern befremdend, stand ihm mit dem Wesen des Mädchens oder seiner Vorstellung davon nicht im Einklang. Sein Empfinden wuchs zu einer Mißstimmung an, er fühlte, diese müsse sich ihm im Gesicht ablesen lassen, und wandte, um sie zu verbergen, den Kopf wieder gegen Norden zurück. Einen Vorwand gab dazu, daß jetzt zur Rechten die schleswigsche Halbinsel Eiderstedt mit einem weißen Dünengürtel weit in die See vorsprang; die Fahrt ging ihr so unfern entlang, daß die Gliederung der Sandhügel und hinter ihnen der Thurm des Kirchdorfs Sanct Peter klar erkennbar wurden. Hier begannen indeß wieder breite, bei der vorgeschrittenen Ebbe schon fast trocken werdende Wattenbänke sich herauszustrecken und erforderten ihre Umkreisung; das Boot lenkte etwas von seiner bisherigen graden Richtung ab, bog dann wieder um, merklich einer Tiefrinne zwischen den Sanden nachfolgend, von Age Terwisga, wie's Hadlef gesagt, mit der Kundigkeit eines alterfahrenen Schiffers geleitet. Arnold saß in Gedanken, die sich durch seinen Kopf drängten und vorübertrieben, ohne eine deutliche Gestaltung anzunehmen; zur Seite gewahrte er einmal wieder ein breites, eigenthümlich in raschem Fluß sich westwärts bewegendes Wasser. Der Heverstrom, aus dem schleswigschen Innenland her hier ausmündend, war's, gegenwärtig nicht durch Gegendrang der Flut gehemmt, vielmehr von der Ebbe verstärkt. Quer ging's drüber fort, die nördliche umdeichte Küste von Eiderstedt schwand zurück, und nun sah der Aufblickende Süderoog schon über Erwarten nah herangerückt, er mußte länger als eine Stunde ohne Achtgabe drauf in sein Nachsinnen vertieft gesessen haben. Länglich hingestreckt lag die kleine Hallig da, in der Mitte hob sich auf der Wurft das einzige Gehöft empor, Watten, nicht sandig sondern mit einem grauen, weichen Schlick bedeckt, dehnten sich um das winzige Landstückchen. Doch zweigte nicht weit an diesem vorüber gegen Nordwest von der Hever ein schmales, Wasser enthaltendes Priel ab, darin zog das Boot noch eine Strecke weiter. Aber dann ließ seine Führerin das Segel fallen, näher hinan war zur Zeit nicht zu gelangen.

Ob auch die Wurft nicht viel höher als ein Dutzend Fuß über dem grünen Weidegrund des Eilandes aufragte, bildete doch das Haus eine Warte, von der sich in stundenweitem Umkreis jedes Fahrzeug gewahren ließ, unbemerkt vermochte keines heranzukommen. So war dies auch jetzt nicht geschehen, ein kräftig gewachsener junger Mann hatte sich bereits seit einer Viertelstunde von droben herunterbegeben, die Hosen bis zu den Knien aufschiebend den schlüpfrigen Wattenboden überwatet und stand wartend an der Stelle, wo das Boot, als an der nächsterreichbaren, sich festlegen mußte. Wohl sechs Schuh' hoch, als eine unverkennbare Friesengestalt blickte er den Ankömmlingen entgegen, baarhäuptig, der Wind blies ihm das hellblonde Haar um Stirn und Schläfen. Ein ungefähr Zwanzigjähriger war's mit hübschgebildeten Zügen und ungemein offenem, treuherzigem Gesichtsausdruck; zwischen dem lose am Hals klaffenden Hemd aus derbem Linnen sah ein Stück der kraftvoll gewölbten, bräunlich verwetterten Brust hervor. Seine wasserblauen Augen überlief's mit einem flüchtig aufglimmernden Schein, als das Boot so nah herangekommen, die Insassen drin von Gesicht erkennen zu lassen, und ihm fuhr vom Mund: »Büst Du dat. Age Terwisga? Dat harr ick mi hüt Morgen nich dacht.« Die Angerufene erwiderte zunächst nicht drauf, erst als sie das Segel eingerafft und festgemacht: »Vater Hadlef schickt etwas für euch im Korb, Anlof Follrichs, er glaubt, es käm' euch zu paß.« Beim Sprechen hob sie den schwer vollgepackten Korb auf die Bank, der junge Friese antwortete: »Ick will vörst Di röwer drägen.« Doch sie versetzte: »Thut bei mir nicht nöthig, ich bin barfuß, aber der Herr braucht's.« Sie hatte Schuhe und Strümpfe ausgezogen, nahm beide in die Hand, glitt behend über den Bootrand, und ging, ihren Rock leicht aufraffend, rasch durch den weichen Schlick dem steinwurfweit entfernten Landsaum der Hallig zu; hier spülte sie in einer kleinen Wassermulde hurtig den grauen Schlamm von den Füßen ab und legte ihnen die Bekleidung wieder an, so daß sie fertig dastand, als Anlof Arnold Lohmer rittlings auf den Schultern herzutrug. Das war auf den Halligen zur Ebbezeit selbstverständlich bei beschuht ankommenden Gästen; der junge Friese begab sich noch einmal zurück, um den Korb zu holen und das Boot bis zum Fluteintritt fester vom Priel auf den Sandrand heraufzuziehn; neben dem Mädchen auf seine Wiederkehr wartend, fragte Arnold, dem ihre Benennung Anlofs aufgefallen war: »Ist er denn nicht der Sohn des Besitzers der Insel? Der heißt doch Folkarts?« Das verstand die Befragte nicht gleich und entgegnete: »Ja, Anlof Follrichs ist's;« erst dann ging ihr auf, was er nicht begriffen, und sie erklärte ihm, daß bei den Nordfriesen der Sohn als Geschlechtsnamen nicht den seines Vaters, sondern dessen Rufnamen trage. Follrich Folkarts Vater habe Folkart Rutgers geheißen und sein Sohn nun Anlof Follrichs; darüber kehrte dieser mit dem Korb zurück, hörte das letzte mit an und sagte, den Mund zu einem Lachen verziehend: »Jo, un wenn ick mal en Söhn heff, denn heet he Anlofs, as mit Vörnam weet ich noch nich. Mi dücht, Du büst noch höger upwussen, Age.«

Von der Wurft kamen jetzt drei Leute herabgegangen, zwei schon mehr bejahrte, ein junges Mädchen hinter ihnen. Follrich Folkarts und seine Ehefrau Banke Jaspers waren's mit ihrer Tochter Mitje, mehr an Bewohnern gab's auf der Hallig nicht. Gleichmäßig wiesen sie gute, derbe Gesichtszüge und Gliedmaßen auf, denen man tägliche harte Arbeit ansah, besonders die rauhen, knochigen Hände des ungefähr Age Terwisga gleichaltrigen Mädchens bildeten einen stark augenfälligen Gegensatz zu den schlank ebenmäßigen Fingern jener. Alle zeigten sich über die unerwartete Ankunft Ages erfreut, während sie ihren unbekannten Begleiter merklich mit einiger Verwundrung anblickten, doch wortlos; zu fragen, wer er sei, war nicht Friesenbrauch, noch Gehörigkeit. Nur Banke Jaspers kam nach einigem Zuwarten vom Mund: »Is dat de Brüdigam?« Darauf erwiderte Age: »Ja, er ist ein Bräutigam, seine Braut wohnt in Hamburg, und ein Doctor ist er, der wegen Mutter Belke zu uns nach Neuwerk gekommen.« Die Antwort erleichterte wahrnehmbar der Frau die Brust, sie stieß aus: »Dat is jo godt!« fuhr danach in einer Arnold unverständlichen Sprache, der friesischen, die sie unter sich redeten, fort. Das Mädchen versetzte drauf: »Das weiß ich nicht, Banke,« und fügte, sich zu dem jungen Arzt umwendend, hinzu: »Sie hat eine kranke Kuh und fragt, ob Du die auch wieder besser machen kannst.« Mitje Follrichs stand neben ihr, faßte mit den Fingern nach ihrer Bernsteinschnur und sagte: »Dat sünd jo grote Stücken, hest Du de sülbn funn'n? Wenn Du de verköffst, kriggst Du wat davör.« Die Angesprochene erwiderte, kurz mit dem Kopf schüttelnd: »Dafür hab' ich sie nicht gesucht,« und Anlof fiel ein: »Nee, de sünd godt umtohangen, dat een nix Böses ankam kann.« Banke Jaspers sagte nun: »Ji mögt wul Kaffee drinken, farrig is he nich, ick wuss' jo nich, wer do keem, awers dat Kaken duert nich lang. Denn wüllt wi rup gahn.«

Herausfühlen ließ sich, daß Age Terwisga für die Frau ein besonderer Gast sei, dem Zurüstung vom Besten im Hause gebühre; Arnold Lohmer wandte sich an ihren Mann mit dem Wunsch, vorher einen Rundgang zur Besichtigung der kleinen Insel zu machen. Ihm war's, als erzeuge das Schreiben Hadlefs in seiner Tasche ihm ein körperlich peinigendes Empfinden auf der Brust, und er trug Verlangen, das Papierblatt so rasch als möglich nach seiner Bestimmung abzugeben. Der Angesprochene erwies sich sofort willfährig; vielleicht nirgendwo sonst mehr in der Welt hatte sich aus ältesten Tagen der Begriff und das Pflichtgeheiß der Gastfreundschaft so forterhalten, wie auf den Halligen; in ihrer schlichten, selbstverständlichen Uebung lag etwas noch an die homerische Zeit Erinnerndes, auch für den wildfremd Angelandeten, doch als Gast Empfangenen bedurfte es nur des Aussprechens eines Wunsches, um diesen seinem Wirth zum Gebot zu machen. So schritten die Beiden miteinander davon, während die übrigen zur Wurft hinanstiegen; im Ganzen erregte Süderoog dem Umschauenden ähnlichen Eindruck wie Neuwerk, doch mochte sein Umfang nur den vierten Theil von dem des letztern betragen, und sein mit Graswuchs bedeckter Boden hob sich kaum über den ringsumgebenden Wattengrund empor; zwei weidende Kühe und ein Dutzend von Schafen machten den ganzen Viehbesitz aus. An Stellen ward erkennbar, wie Neuwerk sei auch dies Eiland ehemals größer gewesen; Follrich Folkarts wies ab und zu mit der breiten Hand, dort habe in seiner Kindheit noch seitdem vom Wasser weggefressenes Weideland bestanden. Anderes wußte er nur aus seines Großvaters Mund; am Westrand der Hallig, wo jetzt sich grauer Schlick dehnte, hatte vor Zeiten ein gemauerter Leuchtthurm in die Höh' geragt, der aber in einer schweren Flutnacht spurlos weggeschwunden war, nur dann und wann redete ein aus dem Schlamm herausgespülter Ziegelstein von ihm. Damals war auch noch eine zweite Wurft auf der Hallig gewesen, deren Gehöft von der nämlichen Flut in Stücke geschlagen worden; sie sollte das festgeflochtene Schilfdach, auf das die Bewohner sich zuletzt hinaufgeflüchtet, vom Haus losgerissen und mit ihnen in die See hinausgeschwemmt haben; weitere Kunde von ihrem Verbleiben gab's nicht. Follrich erzählte davon nicht als etwas Besonderem, vielmehr in gleichmüthigstem Ton und fügte ebenso nach: »Jo, wi gaht all mal so weg.« Er, wie seine Angehörigen, sprachen außer dem Friesischen nur plattdeutsch, waren des Hochdeutschen nicht weiter mächtig, als daß sie's verstehen konnten; Süderoog lag von allem Verkehr mit andren Menschen noch weit einsamer, stiller und unbeachteter ab, als Neuwerk.

Doch klang vom Nordende der Insel her, wo sie in eine spitze Zunge auslief, ein unterlaßloses Gelärm, und man sah dort eine kleine Anzahl von möwenartigen, beständig auf und niederschießenden Vögeln mit weißblitzendem Brustgefieder die Luft erfüllen. Arnold fragte, was es sei, und erhielt die Antwort: »De sünd sit dree Johrn vun Sylt röwer kamen, do hebbt se ehnder bröd, nu doht se dat hier, warum weet ick nich. Wimmerswulken gifft se de Vagelmann in Husum den Nam un seggt, dat is wat Rares hiertoland. Awers se schüllt man bliwen, wi könt se god bruken un hebbt keen anner Eier nödig. Hest Du Lust, se neeger antosehn?«

Auf eine Bejahung wandte der Sprecher sich der Landzunge zu und sagte nach einer Wegstrecke nur noch einmal: »Verfehr Di awers nich.« Doch im selben Augenblick fuhr der junge Arzt in der That zusammen, denn gleichzeitig stob es dicht vor ihm wie eine tosende Wolke vom Boden in die Höh', Tausend über Tausende von großen, schwarzköpfigen Vögeln mit blaugrauen Flügeln und korallenrothen langen Spitzschnäbeln. Unter ohrbetäubendem Gekreisch jagten sie wild, wie eine sich auflösende und wieder zusammendrängende Masse durcheinander, einer aus der Luft brandenden See glich das weiße Flattergewoge, und die vordersten stießen hart bis auf die Köpfe der beiden Herangekommenen herunter, vor deren Füßen sich jetzt weitum der Sandboden mit unzählbaren, in kleinen Ausmuldungen liegenden, schwärzlich gesprenkelten Eiern übersäet zeigte. Raubseeschwalben waren's, seltene Sommergäste an den Nordseeufern, doch wo sie sich an einer Stelle zum Brüten niederließen, in ungeheurem Schwarm auftretend; dreist und wüthig schossen die von den Nestern aufgefahrenen Weibchen mit rauhschrillendem ›Kräik!‹ wider das Gesicht Arnold Lohmers nieder, der unwillkürlich seine Augen gegen sie mit den Händen deckte. Ihn überlief's, aus dem jähen Angriff packte ihn etwas, der Flut ähnelnd, Naturwildes an, das nicht, wie die Natur sonst, schön und erhebend wirkte, sondern feindlich erschreckte, ihm ein Gefühl wachrief, Tausenden von ingrimmigen Raubthieren gegenüber zu stehn, denen nur die Stärke von Tiger- oder Bärenkrallen und Gebissen fehle, Menschen als Beute zu zerfleischen. Follrich Folkarts dagegen hatte seine Mütze vom Kopf genommen, sammelte in sie, unbekümmert um das gellende Toben dicht über ihm, ein paar Dutzend von Eiern ein, und sagte, sich aufrichtend: »Se beert man so un rohrt as de Flod; awers wenn dat Water een dat so bet an'n Kopp makt, denn ist dat leeger und mutt een sick wahren, so lang as dat noch geiht.« Arnold war's erwünscht, den Rückweg anzutreten, als sie sich um etwa hundert Schritte von der Brutstatt entfernt hatten, auf die jetzt das Gewimmel der aufgescheuchten Vögel wieder herabsank, zog er das Blatt aus der Tasche und gab's seinem Begleiter, ein Schreiben Hadlefs Terwisga sei's für ihn. Follrich nahm das Papierstück, sah draufhin und sagte: »Schrewen hett he? Jo, awers lesen kann ick dat nich, dat lehrt wi nich up Süderoog. Kannst Du mi seggn, wat do schrewen steiht?« Der Brief war mit etwas Wachs von einer Kerze zugeklebt, sein Ueberbringer öffnete ihn, der Aufforderung Folge leistend, und es dauerte ein bischen, eh' er den schwer leserlichen, nur aus ein paar Reihen bestehenden Inhalt, der offenbar den Schreiber viel Mühe gekostet, herausbrachte; halb hoch- und halb plattdeutsch abgefaßt, lautete er: »Mi und Belke würde das freuen, Follrich Folkarts, wenn Din Söhn sich mit Age verspreken würr, darum haben wir sie zu euch hingeschickt.« Nach der Vorlesung blieb der Zuhörer ein paar Augenblicke still, eh' ihm vom Mund kam: »So, so, jo dat weer jo vör em ok godt, wi muchen jo blot nich davun anfangen. Awers se paßt jo richti tosam un sünd beid in dat Oller; ick will min Olsche dat seggn.«

Gleichmüthig-ruhig wie alles brachte Follrich es hervor, doch ließ es merken, eine verschwiegen auf der Hallig genährte Hoffnung sei in ihm von der Mittheilung Hadlefs verstärkt, der Erfüllung nahgerückt worden, und augenblicklich der Rücksicht auf den Gast nicht eingedenk, beschleunigte er mit weiter ausholenden Schritten seinen Gang, ließ außer Acht, daß Arnold hinter ihm zurückblieb. Dieser that jedoch nichts, ihn einzuholen, ihm war's erwünscht, eine Weile allein gelassen zu sein. Er hatte seine übernommene Aufgabe vollführt, wenigstens ihre Hauptsache, und fühlte sich von dem Druck der Verheimlichung, der während der Fahrt auf ihm gelegen, befreit. Age Terwisga fiel jetzt das weitere zu, sich zu entscheiden, was sie wollte; wie dies ihr im Sinn liege, schien sie durch die Mitnahme und Umhängung ihres Halsschmuckes kundgegeben zu haben. Doch bei der Erinnerung daran klangen seinem Ohr die Worte Anlofs Follrichs von vorhin wieder auf, die Bernsteinstücke seien gut zum Umhängen, daß Einen nichts Böses ankommen könne, und daraus ward ihm plötzlich eine Aeußerung des Mädchens im Gedächtniß wach, die damit übereinstimmte. Während der Wandrung nach dem Scharhörner Riff hatte sie das nämliche gesagt, dem ›Glesum‹ den einstmals die große Göttermutter als Halsband getragen, wohne noch die alte Kraft inne, vor bösen Geistern zu beschützen. Halb, als ob sie nicht wirklich dran glaube, und doch auch halb wie ernsthaft gemeint, war's ihr über die Lippen gekommen; Arnold Lohmer fiel's gegenwärtig erst wieder ein, und es diente dazu, auch die Mißstimmung von ihm abzuscheuchen, die im Boot über ihn gerathen. So hatte sie die Schnur doch wohl nicht mit dem rohen Geschmack eines Wilden als Zierrath angesehen, sondern als eine Art Amulet angelegt. Wogegen, ließ sich nicht sagen; vielleicht waren die wüthigen Vögel auf der Inselzunge ihr bekannt, und sie wollte sich, wenn sie dort Eier einsammle, eines Schutzmittels wider ihre scharfen Schnäbel dersichern.

Er wußte nicht, warum ihn diese Erkenntniß seiner fälschlichen Auffassung freudig umstimmte, oder doch, weil er mit Unrecht eine irrthümliche Meinung von der Plumpheit ihres Geschmacks gehegt hatte, und nun auch rascher ausschreitend, stieg er bald zur Halligwurft hinan. Hier saßen alle auf der geräumigen Hausdiele um einen Tisch beim Kaffeetrinken versammelt, ein erst seit dem letzten Jahrzehnt allgemeiner auf den friesischen Inseln bräuchlich gewordenes, noch als kostbar angesehenes und nur zu festlichen Anlässen bereitetes Getränk war's. Banke's Miene und Behaben ließ sich anmerken, daß ihr Mann ihr bereits Mittheilung von dem Schreiben Hadlefs Terwisga gemacht habe; sie lachte ab und zu ohne einen Grund halblaut vor sich hin und war sichtlich beflissen, Age etwaige Wünsche an den Augen abzulesen. Doch gab diese dazu kaum eine Gelegenheit, sprach selten etwas aus eignem Antrieb, sondern antwortete nur kurz auf die an sie gerichteten Fragen; dann klang ihre hochdeutsche Ausdrucksweise, sonderbar von der plattdeutschen um sie her abstechend, hier dem vom ersten Tag her auf Neuwerk dran gewöhnten Ohre Arnolds auffällig, wie die eines völlig andersgearteten Wesens. Dem Brauch gemäß ward er nach der Einnahme des Kaffees durch das Haus, einen sogenannten friesischen ›Heuberg‹ herumgeführt, der alte Name stammte von der Form des Gebäudes her, das aus der Ferne einem aufgethürmten großen Heuhaufen ähnelte; die niedrigen Räume waren äußerst einfach, nur für den nöthigsten Bedarf ausgestattet, erschienen im Vergleich mit denen des Neuwerker Gehöfts von ärmlicher Dürftigkeit. Alles aber blickte sorgfältig sauber gehalten an; nach andrer Richtung trat aus dem ganzen Bau unverkennbar hervor, die Hauptbedachtnahme bei ihm habe sich drauf gerichtet, ihn zu möglichst langem Standhalten gegen eine heraufschlagende Sturmflut zu festigen. Das zu erreichen, waren tief in den Boden der Wurft mächtige Eichenbalken eingerammt, deren Zwischenräume die Ziegelsteinmauern ausfüllten; falls diese von Wellengewalt durchstoßen und umgestürzt wurden, erhielt sich das Dachgebälk noch auf den Stützpfählen, bot den hinaufflüchtenden Bewohnern einen letzten Rettungshort; »De Köh un Scheep awers könt nich mit rup un möt versupen,« fügte Follrich Folkarts ruhig dem Schluß seiner Erklärung nach. So war die Bauart der Häuser auf allen Halligen und das Schilfdach wie über dem Hadlefs Terwisga unzerreißbar fest verflochten; im Windschutz des Gehöfts gegen Osten lag ein kleines wallumfaßtes Gärtchen, mit Kohl und Möhren bestellt. Fast wie ein tropischer Fremdling erscheinend, reckte sich an einer Stelle ein kümmerlicher Fliederstrauch bis zum Rand des Walles in die Höh', von hier an ließ der Wind sein Gezweig nicht weiter aufwärts gedeihen, sondern strich es verkrüppelt wagrecht zur Seite; doch sagte Banke Jaspers mit einem gewissen Stolz: »To'n Harwst gifft he Beeren to Fleedersupp.« Von der Wurft ging der Blick unermeßlich in die Runde; gegen Norden erhob sich verhältnißmäßig unfern über dem Wattengrund die umdeichte Küste der Insel Pellworm, westwärts ihr gegenüber schwamm nur undeutlich als eine niedrig-winzige Erdscholle die unbewohnte Nachbarhallig Norderoog, einem leicht auftauchenden Walfischrücken ähnelnd. Dagegen blinkten, noch eben sichtbar, drüberhin im Sonnenauffall gegen Nordwest mit weißlichem Schimmer die Dünen der Insel Amrum; sonst bestand ringshin die Umgebung Süderoogs aus See und Sanden. Die letzteren verschwanden indeß jetzt mehr und mehr, denn die Flut begann wieder zu kehren; der Junitag blieb wohl noch lange hell, aber die Sonne stieg schräg gegen den nordwestlichen Himmelsrand hinunter.

Nach der Beschauung des Gärtchens drehte sich Banke zu Age Terwisga und sagte: »Muchst Du nich ok mal de Wimmerswulken ansehn? Anlof geiht wiß mit Di, dat se nich up Di stöten könt, bi em büst Du seeker vör se.« Doch die Aufgeforderte antwortete, kurz mit der Hand deutend: »Dazu ist keine Zeit mehr, das Wasser kommt wieder und unser Boot muß an's Land; danach müssen auch eure Kühe und Schafe herauf.« Beides traf als richtig zu, das Vieh durfte nicht der Möglichkeit eines Heraufschwellens der Flut bis über den Weidegrund ausgesetzt werden, und Banke vermurmelte, wenn auch von der Erwiderung des Mädchens enttäuscht, in sich hinein: »Se denkt doch an allens – dat is jo ok godt – mi is dat rein ut'n Kopp weggahn.« Anlof Follrichs stieg daraufhin nieder, watete durch das ihm schon über die Füße plätschernde Wasser nach dem Boot und zog dies, sobald es sich, flott geworden, aufhob, an den Halligrand in Sicherheit: danach trieben er und Mitje das Vieh zur Hürde neben dem Haus auf die Wurft. Währenddessen sagte Age einmal, bei Arnold Lohmer stehend: »Morgen Vormittag um neun bringt die Flut unser Boot wieder los, daß wir abfahren können. Oder willst Du länger bleiben und noch einmal zu den Seeschwalben?« Der Angesprochene erwiderte: »Wenn Du's nicht willst; nach den Vögeln scheint's, hast Du kein Verlangen.« Das Mädchen antwortete: »Ich habe hier ja nichts mehr zu thun;« es klang draus, als ob sie einen leichten Ton auf das erste Wort gelegt und dadurch in gewisser Weise nochmals zur Wiederholung gebracht, die Zeitbestimmung der Rückfahrt hänge davon ab, ob er noch etwas auf Süderoog vorhabe. Banke Jaspers kam herzu, ihm war eine Röthe in's Gesicht gestiegen, und er versetzte nur rasch: »Ich auch nicht;« es fing jetzt doch an, abendlich zu werden, die niedergegangene Sonne umspann weithin den Horizont mit rother Glut, die sich wie ein Purpurvorhang vor der Ferne ausdehnte. Sich ebenfalls hinzugesellend, sagte Follrich Folkarts: »De Maan is ok all do und versöcht dat lik mit de rode Farw, awers dogegen kann he nich up.« Dorther, wo unsichtbar die schleswigsche Festlandsküste lag, schob sich aus einem Dunststrich über ihr wie ein Brandgeloder die ungefähr zu drei Vierteln ausgerundete Mondscheibe herauf und rief dem jungen Arzt die Erinnerung wach, daß er sie bei der Nachtfahrt von Cuxhaven nach Neuwerk ebenso emporsteigen gesehn habe. Demnach mußte er sich seit vier Wochen in dieser Nordseewelt befinden, noch nicht länger, fast unglaublich wollt's ihm vorkommen. Follrich setzte, einmal mit den Nasenflügeln vor sich hinauswitternd, hinzu: »Mit de Ostluft warrd dat wull gau wedder ut sin, de hölt sick to düsse Tid nich lang. Awers vör us, warrd dat wul Tid, Banke, dat wi us an'n Disch sett.« Auf dem hatten die Frau und Mitje bereits die Abendkost hergerichtet, Anlof war mittlerweile auch mit seinen Obliegenheiten fertig geworden, kam herbei, und bald saßen alle wieder auf der Diele um den Tisch versammelt. Der enthielt außer dunklem Roggenbrod und Butter hauptsächlich Ausbeute der See, kalte, gebratene Flunder, Garneelen und neben gesottenen Miesmuscheln, etwas auf Neuwerk nicht Vorhandenes, frische Austern, einen in Hamburg von Feinschmeckern theuer bezahlten Leckerbissen. Doch hier gehörten sie zum Täglichen; an den Rändern der tieferen, die großen, Süderoog umgebenden Sande durchziehenden Priele befanden sich mehrfach Austernbänke, von denen man zur Ebbezeit die Schalthiere mit der Hand ›pflücken‹ konnte; eine einträgliche Versendung derselben an's Festland ließ die Entlegenheit der kleinen Hallig nicht zu, wenigstens war noch keiner ihrer Besitzer auf solchen Gedanken gerathen, und so machte die in der Großstadt nur Wohlhabenden zugängliche Gaumenkostbarkeit hier einen Bestandtheil der gewöhnlichen Nahrung aus. Doch auch sonst erwies sich alles, wenngleich in billigstem groben Geschirr aufgetragen, schmackhaft, zumal für den Hunger, den die lange Bootfahrt naturgemäß erwecken gemußt. Zwar hatte Arnold Lohmer am Mittag von dem mitgeführten Vorrath nur ein Geringes über die Lippen gebracht, aber seitdem auf dem Rückweg von den Raubseeschwalben plötzlich die Mißstimmung, die ihn in ihrem Bann gehalten, von ihm abgefallen, fühlte er rege, gesunde Eßlust in sich, und Age Terwisga erschien jetzt gleicherweise vom Nahrungsbedürfniß erfaßt. Gesprochen ward während des Essens kaum, das war nicht friesischer Brauch; eigenthümlich drängte sich dabei wieder ein Unterschied zwischen dem Behaben Anlofs und Mitjes Follrichs und dem Ages auf, die Gräten und Schalen in ein von ihr herbeigeholtes Gefäß legte, während jene ihren Abfall durcheinander neben sich auf den Tisch warfen. Nach der Mahlzeit begaben alle sich vor die Thür hinaus und nahmen hier auf den zwei Bänken an der Hauswand Platz. Banke Jaspers sagte zu ihrem Sohn: »Sett Du Di to Age, Ji hebbt lang nich mehr tosam snackt un wul wat to vertelln; as Kinners leept Ji jo geern tosam up't Watt.« Anlof Follrichs kam dem mütterlichen Geheiß nach, setzte sich an die Seite des Mädchens mit den Worten: »Jo, wenn Di dat rech is – nee, hüt Morgen harr' ick dat nich dacht.« Doch weiteres zu sagen wußte er nicht, nur nach einer geraumen Zeit kam ihm noch einmal vom Mund: »Glövst Du, dat Din Boot godt fast liggt, oder wullt Du sülbn mal nakieken?« Dazu stand er auf, doch Age antwortete: »Du hast's ja festgemacht, da liegt's gewiß sicher,« und er setzte sich stumm wieder hin. Allmählich mischte sich etwas Dämmerndes in die Abendhelle ein, kam leise durch die Luft, wie das erste, kaum sichtbare Hinhuschen rückkehrender Flutwellen über die Sande; die Purpurröthe im Westen ward blasser, dagegen stieg ostwärts der Mond jetzt mit silbernem Glanz höher auf. Ein weites feierliches Schweigen umgab die einsame Hallig, vom einzigen Laut des rauschenden Gemurmels der stärker zunehmenden Flut fast mehr erhöht, als unterbrochen. Arnold sah stumm in die verdämmernde Weite hinaus, allein mit Age Terwisga hätte er gern noch länger gesessen und gesprochen, doch ihre Umgebung hielt ihm die Lippen geschlossen, er fühlte sich von Müdigkeit überkommen und gab dies kund. Follrich Folkarts begriff's und sagte: »Jo, wenn een dat nich wennt is, tona sleit em sun Dag in't Boot uppe Oogen, un denn is slapen dat best.« Dem stimmte Age bei, ihr ginge es auch so, die Fahrt von Neuwerk hierher wäre doch lang. So begaben die beiden Gäste sich nach der allseitigen Gutnachtwünschung in ihre kleinen Kammern; solche enthielt jedes Hallighaus für Besucher, die durch den Eintritt der Ebbe fast immer zum Uebernachtbleiben genöthigt wurden. Follrich verharrte noch ein bischen mit Frau und Kindern auf der Bank; sie redeten einiges über Dinge, die morgen geschehen sollten, hin und her, aber nichts von dem, was der Tag unverhofft gebracht hatte; nur Banke Jaspers sagte einmal: »Jo, smuck is se un hett wat vun ehr Moder kregen; de heff ick blot eenmal sehn, kort vör se verdrunk. Awers Anlof kann sick ok sehn laten, dat gifft wat Rechts.« Offenbar waren alle von dem Verlauf des Nachmittags und Abends voll befriedigt, und alles war in Richtigkeit. Der alte Hadlef hatte seine jetzt mannbar großgewachsene Enkelin zur Anschau hergeschickt, ob sie dem, den er für sie zum Bräutigam ausgesucht, noch wie vordem zusage. Ein großes Glück war's für die Süderooger und damit die Sache in Ordnung gebracht, denn Anlof hatte erkennen lassen, er sei gewillt. Von Age durfte man natürlich nicht erwarten, daß sie das erste Wort gab, das kam ihr nicht zu, und ein Mädchen mußte sich ›schamig‹ gehaben. Ueberhaupt kam's brauchgemäß nicht gleich so beim erstenmal zu einer Versprechung, gut Ding wollte Weile haben, es gehörte noch zuvörderst ein hergebracht förmliches Einverständniß-Kundgeben von Seiten des Vaters und Sohnes auf Neuwerk, eine Werbung durch den letzteren dazu, danach machte sich dann auch das Einvernehmen zwischen den beiden füreinander Bestimmten bei einer passenden Gelegenheit.

So kennzeichnete sich die Sachlage auch den andern Morgen, als ungefähr um die neunte Stunde nach der Voraussicht die Flut so weit angestiegen, daß der Antritt der Rückfahrt ermöglicht ward. Die vier Halligbewohner begleiteten ihre Gäste zum Boot hinunter, wo unter kurzer Handreichung der Abschied stattfand, bei dem Arnold seinen Dank für die Aufnahme aussprach. Banke sagte als letztes zu Age: »Dank ok Vadder Hadlef un Moder Belke vör den Korf. Harrst Du mi vellich noch wat seggn wullt?« Das Mädchen schüttelte den Kopf: »Nein, ich weiß nichts,« und Banke Jaspers fiel ein: »Na, wenn wat vergeten is, Anlof kümmt wul bald mal to Jüm röwer.« Das bestätigte dieser mit den nämlichen Worten: »Jo, ick kam bald mal to Jüm röwer; ick harr güstern jo nich dacht, dat Du hierherkamen würrst.« Das Boot schaukelte bereits mit dem Kiel frei im Wasser und zog bei leichtem Ostwind jetzt gradaus über den Sand gegen Süden. Ein nochmaliges Zuwinken zwischen den Abfahrenden und den Zurückbleibenden fand nicht statt, das entsprach nicht friesischem Wesen; die letzteren wandten alsbald den Rücken und stiegen zu ihrem Tagesgeschäft wieder die Wurft hinauf.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Vor der Elbmündung. Reisebeschreibung