Abschnitt 2

Im Kruge.


„Er hieß Schultze. Aber alle Welt nannt’ ihn Tiegel-Schultze. Ich bin oft bei ihm gewesen, wenn ich ihm den Rübsen brachte. Immer bar Geld. Die Schwedter sagten: ?Der hat gut bezahlen.? Er stand dann hinterm Tisch, immer die Hände in den Hosen, und sah einen so verflixt an, daß man ganz irre wurde. Aber nie kein Handel. Scharwenka, das mußt du ja wissen.“


Scharwenka nickte wieder. Sahnepott fuhr fort: „Die Comptoirstube sah aus wie ein Gefängnis, hoch, weiß und Eisenstangen am Fenster. Nichts war drin als drei Wandbretter, und auf den Brettern standen viele hundert Tiegel, große und kleine, irdene und tönerne, darum hieß er Tiegel-Schultze. Ein paar sahen schwarz aus und waren aus Kohle geschnitten.“

„War er denn ein Schmelzer, ein Goldmacher?“

„Das war er, und für den Schwedter Markgrafen hat er manchen blanken Klumpen ausgeschmolzen. Als aber der Markgraf dachte, er könnt’ es nun selber und hätte Schultzen alles abgesehen, da wollt’ er ihn beiseite schaffen, lud ihn aufs Schloß, suchte Streit mit ihm und feuerte die beiden Läufe seines Suhler Doppelgewehrs auf ihn ab, die mit zwei goldenen Zwickeln geladen waren. Es waren solche, wie die polschen Edelleute an ihren Röcken tragen. Tiegel-Schultze aber lachte, fing die beiden Zwickel mit seiner Linken auf, denn er war eine Linkepoot, zeigte sie dem Markgrafen und sagte: ?Die trag’ ich nun zum Andenken an meinen gnädigen Herrn.?“

Es war ersichtlich, daß Kallies, der jetzt volles Fahrwasser unterm Kiel hatte, den Zeitpunkt für gekommen hielt, sich über das Geschlecht der Tiegel-Schultzen, über Raps, Goldmachen und die Undankbarkeit des Schwedter Markgrafen des weiteren verbreiten zu dürfen. Aber ehe es geschehen konnte, trat ein neuer Gast ein, der nun der Unterhaltung eine andere Wendung gab.

Der Neueintretende war der Müller Miekley, dem die Öl- und Schneidemühle am Südende des Dorfes zugehörte. Er war unter Mittelstatur, trug einen hellgrauen Rock und hatte in seinem Gesicht jenen eigentümlichen Ausdruck, den man bei fast allen Landleuten findet, die innerhalb der religiösen Kontroverse stehen, Sektierer sind oder es werden wollen. Wo geistige Arbeit von Jugend auf ihre Züge in das Antlitz schreibt, da ist der Sektiererzug nur ein Zug unter anderen Zügen, einer unter vielen, in deren Gesamtheit er wie verlorengehen oder doch übersehen werden kann; bei Landleuten aber tritt er ganz unverkennbar hervor, und um so mehr, je weniger er die Herrschaft zu teilen hat. Dieser Sektiererzug, in dem sich Sinnlichkeit und Entsagung, Hochmut und Demut mischen, lag auch in Müller Miekley ausgesprochen, der im übrigen ein gewissenhafter Mann war, auf Hausehre hielt und sich der besonderen Protektion Tante Schorlemmers zu erfreuen hatte. Es konnte dies geschehen, ohne nach irgendeiner Seite hin Anstoß zu geben, da Miekley nicht eigentlich aus der Landeskirche ausgetreten war, vielmehr regelmäßig die Predigten Seidentopfs hörte und nur alle Vierteljahr einmal aus dem „tieferen Quell“ des Kandidaten Uhlenhorst schöpfte, wenn dieser, das Bruch und die Neumark bereisend, in Hohen-Sathen alle Konventikler von diesseits und jenseits der Oder um sich versammelte. Das war denn freilich ein Fest- und Ehrentag. Alles ruhte, das beste Gespann kam aus dem Stall, und wenn die Wege grundlos gewesen wären, unser altlutherischer Müller hätte sich’s zur ewigen Sünde gerechnet, das Manna versäumt zu haben.

Miekley setzte sich links neben Kümmeritz. Dieser, wohl wissend, daß jetzt ein geistlicher Diskurs unvermeidlich geworden sei, kam ihm zuvor und fragte: „Nun, Miekley, wie hat Euch heute die Predigt gefallen?“

„Gut, Kümmeritz, von Herzen gut, trotzdem er nichts davon gesagt hat, daß uns an diesem Tage zu Bethlehem im judäischen Lande das Heil geboren wurde. Noch weniger hat er von dem ?eingeborenen Sohne Gottes? gesprochen. Uhlenhorst würde den Kopf geschüttelt haben. Aber er hat gesprochen wie ein braver Mann. Ich kenn’ ihn wohl, er hat ein preußisches Herz.“

„Und ein christliches dazu“, riefen die anderen alle wie aus einem Munde.

„Er zetert nicht“, nahm Kallies das Wort, „er verdammt nicht; er ist kein Pharisäer. Er hat die Demut, Miekley, und das ist die Hauptsache.“

„Sahnepott hat recht“, bekräftigte Kümmeritz. „Da ist kein zweiter hier herum, der sich mit unserm Seidentopf messen könnte. Er hat nur einen Fehler, er ist zu gut und zu leichtgläubig, und sieht alles, wie er es wünscht. Über der Ägypter Heer, so sagte er, seien die großen Wasser zusammengeschlagen. Aber König Pharao sitzt wieder in seiner Hauptstadt und spinnt die alten Fäden. Noch sind wir im Bündnis mit ihm, und der Himmel mag wissen, ob wir gnädig von ihm loskommen. Geb uns Gott einen ehrlichen Krieg.“

„Den wirst du haben, Kümmeritz“, warf hier Miekley ein, der sich trotz seines Luthertums einen starken Glauben an Spuk- und Gespenstergeschichten bewahrt hatte, „den wirst du haben und wir alle mit dir. Die Alt-Landsberger Mäher haben wieder gemäht, und jeder von euch weiß, was das bedeutet. Sie haben sieben Tage gemäht, ehe der alte Fritz in den Krieg zog, und die Stoppeln waren damals so rot, als ob es Blut geregnet hätte. In diesem November haben sie wieder gemäht auf kahlem Felde.“

„Und von Sonnenuntergang her“, rief Scharwenka dazwischen, „das will sagen, daß der Feind von Westen kommt. Wir werden die Franzosen wieder im Lande haben, neues, frisches Volk, mit all seinen alten Kniffen und Pfiffen, und wer eine Tochter im Hause hat, der mag sich vorsehen. Sie haben eine freche Art, und die Weiber laufen ihnen nach.“

„Das sollen sie nicht“, versicherte Miekley, „und wo sie’s tun, da falle die Schande auf uns. Wo böse Lust über Nacht in die Halme schießt, da lag von Anfang an eine schlechte Saat in den Herzen; wo aber Zucht ist und Sitte und Gebet, da hat der Böse keine Macht, auch wenn er sich in einen schlechten Franzosen verkleidet.“

Alle nickten zustimmend. „Aber“, fuhr Müller Miekley fort, „sie sind doch ein Greuel, nicht, weil sie leichtfertig sind, nein, weil sie ein unheiliges Volk sind. Sie haben sich vermessen, den ewigen Gott des Himmels und der Erde von Thron und Herrschaft abzusetzen, und beinahe schlimmer noch, sie haben sich vermessen, ihn wieder einzusetzen. Nun haben sie wieder einen Gott, aber er ist auch danach; es ist kein rechter Christengott, es ist bloß ein französischer Gott, ein ab- und eingesetzter. Sie kennen nur den Götzendienst ihres Kaisers, aber keinen Gottesdienst, und sooft ich all die Jahre über einen Franzosen in unseren Kirchen gesehen habe, so war es nur, um Unheil anzurichten.“

„Sie haben die Fransen von der Altardecke getrennt; sie haben die goldenen Stickereien ausgeschnitten; sie haben die Leuchter eingeschmolzen“, riefen mehrere dazwischen.

„Oh, sie haben Schlimmeres getan, nicht hier, aber in unserer Nachbarschaft. Den Görlsdorfer Pastor, der das Kirchengut versteckt hatte, haben sie bis unter die Achselhöhlen eingegraben und sind erst in sich gegangen, als er sie bat, ihn totzuschlagen, anstatt ihn zu martern. In Hohen-Finow haben sie den Abendmahlswein getrunken und schlechte Lieder gesungen; dann haben sie den Altartisch aus der Kirche auf den Kirchhof getragen, haben ihre Teufelsknöchel in den Abendmahlskelch getan und haben gewürfelt. In die Gruft sind sie hinabgestiegen und haben der jungverstorbenen Frau die seidenen Kleider abgerissen.“

„Das haben sie getan“, fiel jetzt Sahnepott mit Wichtigkeit ein, der wie alle schwachen Naturen eine Neigung zum Übertrumpfen hatte, „aber in Haselberg haben sie es büßen müssen, wenigstens einer. Die Haselberger Gruft ist, was sie eine Mumiengruft nennen, es soll ihrer mehrere auf dem Hohen-Barnim geben. Die Franzosen nun, als sie die Särge aufbrachen, da sahen sie, daß die Toten unverwest waren. Das gab ein Lachen. Da trugen sie den einen Sarg aus der Gruft in die Kirche, nahmen den Toten heraus, und da seine Arme beweglich waren, beschlossen sie, ihn zu kreuzigen. Sie stellten ihn an die Altarwand und schlugen zwei Nägel durch seine Hände. Die eine Hand aber löste sich wieder ab und gab im Niederfallen dem einen der Missetäter einen Backenstreich. Das entsetzte ihn, daß er tot zu Boden stürzte.“

„Den hat Gott gerichtet“, rief Miekley. „Und solch Schlag wird sie alle treffen, und müßten die Toten auferstehen.“

„Ehe aber Gott seine Wunder tut“, so schloß Kümmeritz das Gespräch, „sollen wir uns seiner Wunder würdig machen. Nicht wahr, Miekley? Wir sollen die Hände nicht in den Schoß legen. Die Alt-Landsberger Mäher haben gemäht; wenn der König ruft, wer von uns noch Kraft hat zu mähen, der mähe mit. Ich bin’s entschlossen. Das Letzte für Preußen und den König.“

Die Bauern standen auf und gingen nach entgegengesetzten Richtungen die Dorfgasse entlang. Nach Norden hin glühte ein roter Schein am Himmel auf.

„Ist das Feuer?“ fragte Krull.

„Nein«, sagte Miekley, „es ist ein Nordlicht, der Himmel gibt seine Zeichen.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Vor dem Sturm