Abschnitt 2

Allerlei Freunde.


So hatte der Graf erzählt. Die Erzählung selbst aber, wie schon angedeutet, besiegelte die Freundschaft, die von jenem Tage an unauflöslich zwischen dem Witwer-Grafen auf HohenZiesar und der Gräfin-Witwe auf Schloß Guse bestand.



Schloß Guse hatte jedoch nur einen Drosselstein; alles andere, was sich von »allerlei Freunden« daselbst versammelte, konnte so ziemlich als Revers des Grafen gelten.

Ihm im Range am nächsten stand Präsident von Krach, ein Mann von Gaben und Charakter. Er galt als ein bedeutender Jurist, hatte durch hartnäckige Opposition den Zorn des großen Königs herausgefordert und seinerseits, in tiefer Verstimmung über die bei dieser Gelegenheit erfahrene Unbill, sich nach Bingenwalde zurückgezogen. Er war hager, groß, scharf, wenig leidlich. Sein hervorstechender Zug war der Geiz. Er beanstandete jede Rechnung und bezahlte sie, nach dem Grundsatze: „Zeit gewonnen, Zins gewonnen“, immer erst nach eingeleitetem prozessualischem Verfahren. Die Betroffenen spotteten, daß es aus alter Anhänglichkeit an die Gerichte geschähe, zu denen sich sein juristisches Paragraphenherz doch immer wieder hingezogen fühle. Eines besonderen Rufes genossen auch seine Diners, die, wiewohl alljährlich nur einmal wiederkehrend, ein wahres Schrecknis der gesamten Oderbrucharistokratie bildeten. Einzig und allein der alte Bamme – den seine Trinkgelder und Kordialequivoken zum Liebling aller als Livreediener eingekleideten Kutscher und Gärtner machten – hatte sich bisher unter Anwendung von Flascheneskamotage diesem Schrecknis zu entziehen gewußt, so daß beispielsweise Baron Pehlemann auf das ernsthafteste versicherte: „Nie, während sämtlicher Krachschen Diners, sei seitens des ?Generals? ein Tropfen anderen Weines als aus seinem eignen, Bammeschen Keller getrunken worden.“ Bamme selbst, ohnehin von einer beinahe krankhaften Neigung erfüllt, sein Husarentum coûte que coûte zur Geltung zu bringen, ließ sich solche Huldigungen gern gefallen, ermangelte aber andererseits nie, natürlich nur zugunsten neuer Malicen gegen Krach, seinen Schlauheitstriumph über diesen entschieden in Abrede zu stellen. Krach, so schwur er, sei viel zu scharf, um getäuscht werden zu können; er habe den Kriminal- und Inquisitorialblick einer dreißigjährigen Praxis, er sehe alles, er wisse alles; aber freilich, er schweige auch, weil er bei kleinem Ärger die großen Vorteile der Situation sofort überblicke und in Wahrheit nur von einer Frage bestürmt werde: „Warum sind sie nicht alle Bammes?“

Die Gräfin, persönlich von großer Freigebigkeit, nahm wenig Anstoß an diesem Geiz. Sie hatte lange genug gelebt, um zu wissen, daß das gegen sich selbst und andere gleich erbarmungslose Sparen den Körper fest und zäh, den Geist scharf und schneidig mache, vor allem auch der Ausbildung von Originalen günstig sei, freilich keiner angenehmen. Aber darauf kam es ihr nicht an. Was schließlich den Ausschlag zugunsten Krachs gab, war, daß auch der Prinz einen starken Hang zum Ökonomisieren gehabt hatte.

Die dritte Figur des Kreises war der schon mehrgenannte Generalmajor von Bamme oder der „General“, wie er kurzweg in Schloß Guse genannt wurde, ein kleiner, sehr häßlicher Mann mit vorstehenden Backenknochen und Beinen wie ein Rokokotisch; die ganze Erscheinung husarenhaft, aber doch noch mehr Kalmück als Husar.

Er gehörte einem alten havelländischen Geschlechte an, Haus Bamme bei Rathenow, das mit ihm erlosch. Die Wahrheit zu gestehen, erlosch nicht viel damit. Seine eigene Jugend war hingewüstet worden; wunderbare Geschichten gingen davon um. Ein adliges Fräulein, das sich von ihm geliebt glaubte, Tochter eines Nachbars, hatte er in Unehre gebracht; den Bruder, der auf Eheschließung drang, jagte er vom Hofe. Das Mädchen selbst, übrigens im Hause der Eltern bleibend, wurde irrsinnig.

Ein Jahr später starb der alte Bamme; Vater und Sohn waren einander wert gewesen. Sie setzten des Alten Sarg auf eine Gruftversenkung, und neben den Sarg, eine Fackel in der Hand, stellte sich der Sohn. Er trug die rote Uniform des Husarenregiments Zieten; die kleine Kirche war schwarz ausgeschlagen. In dem Augenblicke, in dem der Sarg niederstieg, rief die Irrsinnige, die sich auf dem Orgelchor versteckt hatte: „Seht, nun fährt er in die Hölle.“ Alles entsetzte sich; nur der, an den sie die Worte gerichtet hatte, lächelte. Er war übrigens ein ausgezeichneter Soldat, das hielt ihn.

Als er nach dem Baseler Frieden, der ihn wurmte, seinen Abschied nahm, zog er aus dem Havellande ins Oderbruch und kaufte sich in der Nähe von Schloß Guse an. Die Groß-Quirlsdorfer hatten sich wenig über ihn zu beklagen. Er setzte zwar das alte Leben fort; aber die Oderbrücher, selber nicht diffizil, legten ihm durch Mißbilligung keinen Zwang auf. Sein Geschmack wurde immer wunderlicher. Starb wer Junges im Dorf, Bursch oder Mädchen, so ließ er ein großes Begräbnis anrichten, vorausgesetzt, daß die Leidtragenden ihre Zustimmung gaben, die Leiche zu schminken und in einem mit vielen Lichtern geschmückten Flur aufzubahren. Dann stellte er sich zu Füßen, rauchte aus einem Meerschaumkopf und sah, halb zugekniffenen Auges, die Leiche eine halbe Stunde lang an. Was dabei durch seine Seele ging, wußte niemand. Er galt für einen Tückebold, auch noch für Schlimmeres; indessen, er war General, märkisch und soldatisch vom Wirbel bis zur Zeh’ und von einem humoristisch verwegenen Mut. Erst vor drei Jahren hatte sein letztes Rencontre stattgefunden. Die Veranlassung war ganz in seiner Art. Eine Scheune auf einem Nachbargute brannte nieder; Bamme, der den Besitzer nicht leiden konnte, sagte bei offener Tafel: „Hochversicherte Scheunen brennen immer ab.“ Er sollte zurücknehmen. Statt dessen maß er seinen Gegner und krähte nur: „Jede Feuerassekuranz sagt dasselbe.“

Nun kam es zum Duell; Hauptmann von Rutze sekundierte. Der Beleidigte schoß Bammen den rechten Ohrzipfel samt dem kleinen goldenen Ohrring weg, den er „Rheumatismus halber“ trug. Er ließ sich nun einen neuen Ring durch die stehengebliebene Ohrhälfte ziehen und sah seitdem skurriler aus denn je.

Eine gewisse Schelmerei, wie zugestanden werden muß, söhnte manchen seiner Gegner mit ihm aus; dazu kam, daß er sich gab, wie er war, und sein eigenes Leben rückhaltlos in den pikantesten Anekdoten aufdeckte. Seine geistigen Bedürfnisse bestanden in Necken, Spotten und Mystifizieren, weshalb er, wie kein zweiter, von allen Sammlern und Altertumsforschern in Barnim und Lebus gefürchtet war. Um seine Tücke besser üben zu können, war er Mitglied der Gesellschaft für Altertumskunde geworden. Feuersteinwaffen, bronzene Götzenbilder und verräucherte Topfscherben ließ er aussetzen und verstecken, wie man Ostereier versteckt, und war über die Maßen froh, wenn nun die „großen Kinder“ zu suchen und die Perioden zu bestimmen anfingen. Turgany, wie sich denken läßt, zog den möglichsten Nutzen aus diesen Mystifikationen, und jedesmal, wenn Seidentopf etwas Urgermanisches aufgefunden haben und zum letzten Streiche gegen den zurückgedrängten Justizrat ausholen wollte, pflegte dieser wie von ungefähr hinzuwerfen: „Wenn nur nicht etwa Bamme...“, ein Satz, der nie beendet wurde, weil schon die Einleitung desselben zur vollständigen Verwirrung des Gegners ausreichte.

Alles in allem war der „General“ eine Lieblingsfigur auf Schloß Guse, auch der Hecht im Karpfenteich. Die Gefahren und Unbequemlichkeiten, die sich daraus ergaben, wurden durch das frische Leben, das er brachte, wieder aufgewogen. Es kam nicht in Betracht, daß er über Sittlichkeit seine eigenen Ansichten hatte. Man ließ dies gehen. Die Gräfin schlug jede Kritik darüber mit der Bemerkung nieder: „L’immoralité ouverte, c’est la seule garantie contre l’hypocrisie.“

Nur den Vitzewitzes, alt und jung, war mit solcher Bemerkung nicht beizukommen; sie verharrten, bei äußerlich leidlicher Stellung zu dem alten Schabernack, in ihrer Abneigung gegen ihn, und Berndt pflegte zu sagen: „Bamme und Hoppenmarieken, das hätt’ ein Paar gegeben!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Vor dem Sturm