Ein gewisser Abd el Djelil, Kaid der uled Sliman, empörte sich offen 1831, marschirte auf Fesan los, und bemächtigte sich dieses Landes. ...

Ein gewisser Abd el Djelil, Kaid der uled Sliman, empörte sich offen 1831, marschirte auf Fesan los, und bemächtigte sich dieses Landes. Jussuf schickte seine Söhne Ali und Ibrahim ab, um ihn zu verfolgen, als sie aber den Djebel Ghorian passirten, empörten sich die Bergvölker, und zwangen sie zu einer eiligen Umkehr nach Tripolis. Um das Unglück des Pascha's voll zu machen, präsentirte sich 1832 eine englische Flotte unter Dundas, und verlangte für rückständige Schulden an britische Unterthanen die Summe von 200,000 spanischen Piastern. Dem Pascha waren nur 48 Stunden Zeit gegeben. Da es ihm unmöglich war, diese Summe so schnell zusammen zu bringen, denn seine Geldnoth war so gross geworden, dass er sogar schon die bronzenen Kanonen des Forts an die christlichen Kaufleute verkauft hatte, so zog der englische Generalconsul Warrington seine Flagge ein und begab sich an Bord des Kriegsschiffes. In dieser argen Klemme liess sich Jussuf verleiten, die Bewohner der Mschia mit einer Kriegssteuer zu belegen. Diese, die von Alters her immer von allen Steuern frei gewesen waren und es auch noch sind, wofür sie jedoch kriegpflichtig waren, antworteten sogleich mit offener Empörung; aber dabei blieben sie nicht stehen, sie erklärten Jussuf Pascha für abgesetzt, und zu seinem Nachfolger Mohammed Caramanli! Zu spät war es jetzt, die Ordre für die Mschia zurückzunehmen, zu spät, dass er seine Söhne nach Sauya schickte, um sich an die Spitze der Araber im Sahel, welche sich für ihn erklärt hatten, zu setzen. Nichts half mehr. Die Mschia blieb in Revolte, und seine Söhne flüchteten sich zu Schiff nach Tripolis zurück. Obgleich er in dieser Stadt nun noch 1200 treugebliebene Soldaten hatte, sah er doch ein, dass er den Umständen weichen müsse, und dankte zu Gunsten seines Sohnes Ali Caramanli ab.

Die Consulate von Europa setzten sich gleich mit Ali in Verbindung, und auch Major Warrington, der englische Generalconsul, kehrte nach Tripolis zurück, sobald er die Abdankung Jussuf's erfahren hatte. Statt aber wie thunlich, seine Residenz in Tripolis (die Stadt war noch immer belagert) zu nehmen, bezog er sein in der Mschia gelegenes Landhaus, befand sich also inmitten der Rebellen. Es ist wohl zu natürlich, anzunehmen, dass dies absichtlich geschah, jedenfalls schöpften die Rebellen dadurch Hoffnung für ihre Sache, da sie mit Recht glaubten, England unterstütze ihre Sache. Durch einen gewissen Mohammed bit el mel, der früher Uisir von Jussuf Pascha gewesen war, und sich in Malta befand, wurden sie überdies von dieser Insel aus mit Nachdruck unterstützt. Mohammed bit el mel rüstete sogar ein kleines Geschwader von drei Schiffen aus, man braucht wohl kaum zu fragen mit wessem Gelde, indess obschon die Schiffe vor Tripolis erschienen, konnten sie doch nichts Ernstliches ausrichten.


Während so einerseits durch England unterstützt, die Rebellen der Mschia den Muth nicht verloren und fortwährend die Stadt cernirt hielten, gewann anderer Seits Ali Pascha Terrain. Abd el Djelil hatte Verhandlungen mit ihm angeknüpft, ihm sogar einige Soldaten zur Unterstützung nach Tripolis gesandt, und ein gewisser Rhuma, der im Djebel sich unabhängig erklärt hatte, bot ebenfalls unter Bedingungen seine Unterwerfung und Hülfe an. In Bengasi hatte man sich vollkommen dem neuen Pascha unterworfen und Ali der Stadt seinen Bruder Otman als Gouverneur geschickt. Um die Unterwerfung der Provinz noch mehr zu beschleunigen, schickte Ali seinen Bruder Ibrahim zu Rhuma, und vereint brachen diese gegen Sauya auf, wo sich Mohammed Caramanli, der Rebellen-Pascha aufhielt. Dieser wurde auch geschlagen, und wenn jetzt die vereinigten Consulate zu Ali Pascha gehalten hätten, wäre sicher bald die ganze Provinz wieder dem rechtmassigen Nachfolger von Jussuf Pascha unterworfen worden.

Aber England hat von jeher eine eigene Politik im Orient verfolgt; wobei die Hauptsache die war, die Türkei soviel wie möglich zu kräftigen, und gewiss war der Plan, Tripolitanien in die Hände der Pforte zu spielen, schon längst vorbereitet. Dass es sich dabei hauptsächlich darum handelte, den Einfluss Frankreichs auf der Nordküste von Afrika zu schwächen, liegt auf der Hand, denn Frankreich hatte eben erst Algerien erobert, früher schon mal Aegypten besessen, war also mehr als irgend eine andere Macht von den Bewohnern Nordafrika's gefürchtet.

Tripolis Stadt wurde den Türken ohne Blutvergiessen in die Hände gespielt. Eine geistige Suprematie der Pforte, hatten auch die Caramanli immer noch anerkannt, und obgleich sie unabhängig regierten, sie jährlich durch Absendung von Geschenken nach Constantinopel bethätigt. Jetzt hiess es auf einmal, es sei Zeit, dass die Pforte intervenire, um dem Streite der Parteien ein Ende zu machen. Der Sultan kam nur zu gerne dieser Aufforderung nach und schickte 1834 einen Gesandten, Schekir Bei, nach Tripolis, um Aufklärung über die Sachlage zu bekommen. Schekir Bei kehrte nach Constantinopel zurück, und auf seinen Bericht, wurde Ali Caramanli als Pascha von Tripolis bestätigt, mittelst eines grossherrlichen Firmans, und die Insurgenten zugleich aufgefordert, sich ihm zu unterwerfen. Diese aber waren, durch die Anwesenheit des englischen Generalconsulates in ihrem Hauptquartiere zuversichtlich gemacht, nichts weniger als entmuthigt, hatten sogar die Kühnheit, gleich nach dem Abgange von Schekir Bei, die Stadt zu bombardiren.

Auf dieses hin liess nun die türkische Regierung eine Flotte von Constantinopel mit 6000 Soldaten nach Tripolis abgehen. Den europäischen Mächten wurde einfach mitgetheilt, es handle sich nur darum, Ali Caramanli in Tripolis Achtung und Gehorsam zu verschaffen. Die Flotte, von Nedjib Pascha commandirt, kam vor Tripolis an und der türkische Befehlshaber setzte sich gleich mit Ali Caramanli in Verbindung. Dieser, mit allen seinem Range zukommenden Ehren von den Türken behandelt, gab zu, dass die Soldaten debarquiren und das Fort besetzen durften, und als er dann sich selbst, um Nedjib Pascha einen Besuch abzustatten, auf's Admiralschiff begab, am 26. Mai 1835, wurde ihm einfach seine Absetzung vorgelesen und ihm gesagt, er würde nach Constantinopel transportirt werden. Am selben Tage noch verlas Nedjib Pascha den Firman, der ihn zum Gouverneur von Tripolitanien ernannte, liess die Thore der Stadt öffnen, und die Rebellion der Mschia war wie ausgelöscht, da Mohammed, der Prätendent, gleich nach Mesurata floh, und sich dort entleibte.

Aber obschon nun die Türken Herren der Stadt und der nächsten Umgebung derselben waren, hatten sie damit noch keineswegs die ganze Regentschaft unterworfen. Angesichts der Eroberung Algiers durch eine christliche Macht, fühlten jedoch alle Mohammedaner der Nordküste Afrikas instinktartig, dass allein ein Anschluss an die nach ihrem Glauben allmächtige Dynastie der Osmanli, sie vor einem ähnlichen Schicksale bewahren könne. Wir können deshalb auch gleiche Phänomene in Tunis wahrnehmen, wo Unabhängigkeitsgelüste der Furcht vor einer christlichen Eroberung die Waage halten. Nur in Marokko sehen wir bei dem Volke das Bewusstsein seiner Kraft unerschüttert, vermehrt durch den festen Glauben an das Kalifat seiner Sultane. Und selbst die Niederlage von Isly konnte im marokkanischen Volke niemals den Gedanken aufkommen lassen, sich Constantinopel in die Arme zu werfen. In Aegypten hingegen war das Volk durch Unterdrückung und Sklaverei seit Jahren ganz unzurechnungsfähig geworden; was aber die Herrscher des Landes anbetrifft, so constatiren wir hier, schon lange vor 1835, in welchem Jahre sich die Pforte Tripolitaniens bemächtigte, ein allmäliges Fortschreiten auf der Bahn gänzlicher Unabhängigkeit.

Und so müssen wir denn, wenn wir die grosse Geschwindigkeit bewundern, mit der die Türken Tripolitanien zu einer der ruhigsten und sichersten Provinz des ganzen Reiches gemacht haben, auch nie aus den Augen verlieren, dass die um ihre Religion besorgten Mohammedaner, so sehr sie auch immer türkische Raublust und Grausamkeit hassten und fürchteten, andererseits wenigstens, was den grossen Haufen anbetrifft, von der Nothwendigkeit der türkischen Herrschaft überzeugt waren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Tripolis nach Alexandrien - 1. Band