Die Fahrt nach Tunis ging glücklicherweise rasch von Statten, schon andern Morgens ankerten wir vor der Goletta. ...

Die Fahrt nach Tunis ging glücklicherweise rasch von Statten, schon andern Morgens ankerten wir vor der Goletta. Nach einem Augenblick kam der Canzler des preussischen Consulats an Bord, um mich in Empfang zu nehmen; denn um nicht die Unannehmlichkeiten der Tuniser Douane durchmachen zu müssen, hatte ich von Bone aus telegraphirt und um den Consulatskavassen gebeten. Nicht nur brachte der Canzler einen Kavassen mit, sondern auf Befehl des Bei von Tunis hatte der Admiral des Hafens von Goletta eine Barke zur Disposition stellen müssen, um uns an's Land zu rudern. Ohne weitere Formalitäten konnte also gleich das Ausbarkiren vor sich gehen, und die zehn Marine-Soldaten brachten uns rasch an's Land. Ich bemerkte hier, dass die tunisische Flage nicht die des Sultans der Türkei ist, während dieser nämlich einen weissen Halbmond und Stern im rothen Felde führt, hat der Bei von Tunis im rothen Felde eine weisse Kugel, und darin einen rothen Halbmond und einen rothen Stern.

Gelandet, mussten wir dann dem Admiral aufwarten, und machten da zugleich die Bekanntschaft des englischen Generalconsuls, Hrn. Wood, und des französischen Viceconsuls von Goletta. In Tunis ist man schon von der Sitte des Kaffee's und Tschibuks abgekommen, eine Visite verläuft dort bei den höheren Beamten oder bei dem Bei jetzt mit derselben Steifheit wie bei uns.


Bei den Türken und namentlich in den türkischen Provinzen herrscht aber noch die gute alte Sitte einer Tasse Kaffee, und ein Tschibuk oder eine Wasserpfeife fehlen nie. Es ist dies aber nicht die einzige Umwälzung, die in Tunis vor sich gegangen. Seit der Mission des Lords Exmouth nach Tunis, und seit dem Ultimatum, welches die Grossmächte von Aachen aus am 18. Novbr. 1818 an Tunis richteten, und das im folgenden Jahre am 21. Septbr. durch die englischen und französischen Admirale Freemantle und Jurien dem Bei notificirt wurde, schaffte man zuerst die Piraterie ab. Mahmud Bei gab nach, und seit der Zeit sehen wir gewaltige Veränderungen in der Regentschaft vor sich gehen.

Es ist wahr, dass mit dem Vorfahren der jetzigen Dynastie, Hussein ben Ali, welcher am 10. Juli 1705 auf den Thron kam, eine neue Epoche im Staatsleben der Regentschaft begann; denn vorher, und dies ist wichtig zu notiren, hatten alle Regenten von Tunisien den Titel Dei geführt, während Hussein ben Ali zuerst den Titel Bei annahm. Dei nun bedeutet den nicht vollkommen unabhängigen Herrscher, während Bei, welches ausserdem einen sehr weiten Begriff hat, als Regent mit Ausschluss eines jeden andern, die Vollheit der Autorität in sich begreift. Wenn nun auch in der Reihe der Regenten, welche von Hussein-ben-Ali (der, beiläufig gesagt, der Sohn eines griechischen Renegaten war) bis auf den jetzigen Bei, Namens Sadduk, bei Zwistigkeiten, früher mit der Regierung des Deis von Algier, später mit christlichen Mächten, manchmal die hohe Pforte um Intervention angegangen wurde, ja im Kriege gegen Russland das tunisische Gouvernement es sich nicht nehmen liess, der Türkei ein Hülfsheer zu senden, so sieht man immer doch, dass die Regierung in dem Sultan der Türken nur eine Art spirituelle Suprematie erkennen, keineswegs aber von ihm abhängig sein will.

Seit dem Anfang des 18ten Jahrhunderts ist denn auch gar kein Tribut mehr nach Konstantinopel bezahlt worden, und die Nachfolge in Tunis geht ganz ohne Einmischung der Pforte vor sich. Nach Eroberung von Algerien hat keine Macht die Unabhängigkeitsgelüste von Tunis so sehr unterstützt und befördert wie Frankreich, und keine Macht hat dieselben so viel wie möglich einzuschränken gesucht als England. Ersteres Land ging dabei von dem Grundsatz aus, dass ein kleines unabhängiges Land, noch dazu nächster Nachbar, im gegebenen Augenblick leichter zu nehmen sei, als wenn ein gewisses Abhängigkeitsverhältniss zu einem andern Staat, und hier zur Pforte, bestände. Und aus eben diesem Grunde hat England die Beziehungen von Tunis zur Türkei wieder enger zu machen versucht.

Tunis, das gerne vollkommen unabhängig sein möchte, zugleich aber auch das Gefährliche einer solchen Lage Frankreich gegenüber erkannt hat, schwankte in den letzten Jahren von einer Seite zur andern, dazu kam die schreckliche Finanznoth, welche freilich noch nicht beseitigt ist.

Es scheint aber, dass jetzt die Regierung von Norddeutschland im Verein mit England und Italien den französischen Planen gewachsen ist, ohne dass Tunis genöthigt wäre, sich wieder in die Arme der Türkei zu werfen. Wenigstens wurden die letzten Anschläge der französischen Regierung in Betreff der Schuldforderung von diesen drei Mächten hintertrieben; ohne die kräftige Intervention von England, Norddeutschland und Italien wäre Tunis heute eine französische Präfectur und zwar auf ganz friedlichem Wege geworden. Wenn man aber bedenkt, wie wichtig strategisch Tunis für das mittelländische Meer gelegen ist, und was Frankreich durch den Zuwachs einer solchen Provinz gewonnen hätte, dann kann man sicher nicht genug darauf bedacht sein, eine Vergrösserung Frankreichs nach dieser Seite hin zu verhindern.

Ob je Tunis seinem Schicksal entgehen wird, einer europäischen Macht anheim zu fallen, das bezweifle ich. Eigentliche Civilisation ist hier ebenso wenig wie in Aegypten und in der Türkei, und es wird von der Nachwelt gewiss als eines der grössten Wunder betrachtet werden, dass solche Staaten im 19ten Jahrhundert vor den Thoren Europa's haben existiren können.

Staunen wir nicht darüber, wenn wir lesen, dass im Jahr 1823 n. Chr. in Tunis es fast zum Bruch mit der englischen Regierung gekommen wäre, weil die Juden anfingen, sich europäisch zu kleiden und namentlich sich des Hutes bedienten, ja im selben Jahre für dasselbe Verbrechen, d.h. einen schwarzen Cylinder getragen zu haben, zwei Juden in Tunis die Bastonade bekamen und nur mit Mühe durch Hrn. Nylsen, dem holländischen Consul, welcher derzeit Toscana vertrat, ihre Freilassung erlangten. Aber solche Sachen passiren noch alle Tage, wenn auch nicht so eclatant und öffentlich.

Zwei Wagen, die Hr. Tulin, schwedischer General-Consul und preussischer Agent, herausgeschickt, brachten uns in anderthalb Stunden von der Goletta nach Tunis selbst. Der Weg war, da es seit Tagen geregnet hatte, entsetzlich, und je näher wir der Stadt kamen, desto bodenloser wurde er. In der Stadt selbst waren denn die Strassen auch ganz ein Schmutzmeer; es war, als hätte man sie mit Chocolade einen halben Fuss hoch begossen. Eine mohammedanische Stadt kann ich mir nun einmal nicht ohne Schmutz denken, und es würde mir selbst befremdend vorgekommen sein, wenn dem nicht so gewesen wäre; mich amüsirte nur mein Berliner Photograph, der fortwährend ausrief, dass es unter den Linden doch ganz anders sei. Damit man durch diese Schmutzüberschwemmung zu Fuss hindurchkommen kann, hat die europäische Colonie in Tunis ein eigenes Schuhwerk erfinden müssen, hohe Holzschuhe, welche auf noch höheren eisernen Ringen ruhen, und die man mit Lederriemen unter sein Schuhwerk bindet.

Leider sollte es mir nur vergönnt sein, in Tunis eine Nacht zu bleiben, denn die Fahrten der Dampfer waren der Art eingerichtet, dass ich ohne einen Verzug von zehn Tagen den am folgenden nach Malta abfahrenden nicht versäumen durfte. Ich machte indess hier die interessante Bekanntschaft des Herrn von Maltzan, welcher sich Studien halber für längere Zeit in Tunis aufhielt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Tripolis nach Alexandrien - 1. Band