Vorrede.

Seit längerer Zeit gewohnt, auf meinen Reisen jede Beobachtung sofort in Kurzschrift aufzuzeichnen und später zu einem vollständigen Tagebuch zu verarbeiten; hatte ich auch nach meiner im August und September vorigen Jahres unternommenen Durchquerung des nordamerikanischen Festlandes einzelne Theile meiner Aufzeichnungen theils im Freundeskreise mitgetheilt, theils öffentlich vorgetragen, und vielfache Aufforderung erhalten, das Ganze durch den Druck zu veröffentlichen. Ich komme dieser Aufforderung nach, da ich es für wünschenswerth erachte, richtige Kenntnisse über die Vereinigten Staaten in Europa und besonders in unserem Vaterlande, welches alljährlich so viele seiner Söhne hinüberschickt, zu verbreiten.

Wir besitzen ja deutschgeschriebene Bücher über Amerika, zum Theil von berufenerer Feder. Aber einige sind im Studierzimmer zusammengestellt und voll der wunderlichsten Fehler und Uebertreibungen. Von denen, welche auf eigener Anschauung beruhen, enthalten einige recht schiefe Urtheile, andere leiden an empfindlichen Lücken, da Schriftgelehrte nicht immer auch Naturkundige sind; gerade diejenigen, welche ich besonders hoch schätze, sind, wenn nicht veraltet, so doch durch die jenseits des Oceans so rasch fortschreitende Entwicklung bereits überholt.


Auch die amerikanischen Werke leiden an vielen, zum Theil noch erheblicheren Mängeln. Viele Schriften sind nur zum Vortheil einzelner Unternehmungen und Gesellschaften, z. B gewisser Eisenbahnlinien, abgefasst. Andere kranken an einer sehr lastigen Ueberschwänglichkeit: sie reden immer im Superlativ. Ich ziehe den Positiv, d. h. die Thatsachen, vor und erhebe mich nur selten zum Comparativ, d. h. zum Vergleich. Statt klarer Beschreibung der Dinge liest man unklare Empfindungen und die Versicherung, dass weder Pinsel noch Feder ein Bild liefern könne. Ich bin der Ansicht, dass alles Schöne klar ist, und alles Klare sich beschreiben lässt. Auch alles Grossartige.

Freilich bleibt die Beschreibung hinter der Anschauung zurück; denn wir besitzen vielleicht eine Million Sehnervenfasern und nur 25 Buchstaben.

Der Eindruck, den Amerika auf mich gemacht, ist ein günstiger. Es hat eine bedeutende Gegenwart und, wie auch ich überzeugt bin, eine noch bedeutendere Zukunft. Allerdings , sind die amerikanischen Zustände nicht frei von Schattenseiten. Ich habe hüben genug gesehen, um mich nicht drüben dem neuen Eindruck gleich gefangen zu geben. Aber ich gehöre nicht zu jenen lästigen Gesellen, die man in Amerika als Fehler-Finder bezeichnet. Meine Ueberzeugung ist, dass wir vieles von den Amerikanern lernen können, — gerade so wie sie von uns.

Wenn ein Theil dessen, was ich drüben beobachtet und gelernt habe, von meinen Lesern als nützliche oder angenehme Erweiterung ihrer Kenntnisse angesehen werden sollte, so würde ich für meine Mühe mich hinreichend belohnt halten.

Berlin, im März 1888.
J. Hirschberg.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von NEW YORK nach SAN FRANCISCO.