Einleitung.

Der aufmerksame Reisende welcher seine erste Fahrt von Europa nach Amerika unternimmt, pflegt seinem Dampfschiff ein genaues Studium zu widmen. Wenn er danach die ebenso weite Fahrt über das nordamerikanische Festland anschliesst, sollte er nicht unterlassen, über die Besonderheiten des amerikanischen Eisenbahnsystems sich zu unterrichten.
Vielleicht wäre es sogar nützlich, mit unseren Einrichtungen zu beginnen. Spurbahnen zur leichteren Fortschaffung der Förderungen, auch mit Verwendung von Eisen, werden aus deutschen Bergwerken in Chroniken des 16. Jahrhunderts zuerst erwähnt, und in englischen Kohlenbergwerken während des 17. und 18. Jahrhunderts in grossartigem Massstab angewendet. Aber erst 1814 liess G. Stephenson auf den Kohlenbergwerken bei Newcastle Dampfmaschinen mit glatten Rädern auf glatten Schienen laufen. Die erste Eisenbahn, welche dem öffentlichen Verkehr diente, wurde 1825 zwischen Stockton und Darlington eröffnet und mit einer Geschwindigkeit von 16 km in der Stunde befahren. Das Jahr 1835 sah auf deutschem Boden den ersten von Locomotiven bewegten Zug auf der Nürnberg-Fürther Eisenbahn. Im Jahre 1830 gab es nur 332 km Eisenbahn, im Jahre 1883 aber 443.000 km. Die Eisenbahn gehört zur Signatur des 19. Jahrhunderts. Die Gesammtlänge der Eisenbahnen in Grossbritannien betrug 1884 an 30.000 km mit einem Anlagecapital von 16.000 Millionen Mark. In demselben Jahre 1884 betrug die Gesammtlänge der Eisenbahnen in Deutschland bei 46 Millionen Einwohnern an 37.000 km mit einem Anlagecapital von fast 10.000 Millionen Mark. Auf jeden Einwohner in Deutschland kommt nahezu 1 m Eisenbahn mit einem Anlagecapital von 264 Mark.

Vergleichen wir hiermit die Entwicklung des Eisenbahnwesens in den Vereinigten Staaten von Amerika, so bekommen wir geradezu staunenswerthe Zahlen. Zu Anfang des Jahres 1884 belief sich das Schienennetz der Vereinigten Staaten auf 194.000 km; das ist das Fünffache von dem, was Deutschland, und etwas mehr, als ganz Europa derzeit besass. Nun kann man nicht den Einwand machen, dass die Vereinigten Staaten um soviel ausgedehnter seien, als Deutschland. Die Eisenbahnen wachsen doch nicht auf der ausgedehnten Prairie wie das Bündelgras, sondern sie werden gebaut von Menschenhand. Und an Einwohnerzahl waren die Vereinigten Staaten im Jahre 1884 mit etwa 50 Millionen dem Deutschen Reiche nur wenig überlegen, während die Einwohnerzahl von Europa das Sechsfache betrug, nämlich 330 Millionen.


Allerdings, die colossale Ausdehnung der Vereinigten Staaten diente als Hebel der Entwickelung. Während in der alten Welt der schon vorhandene Verkehr zwischen bedeutenden Städten den Bau von Eisenbahnen hervorrief und ganz allmählich weiter entfaltete; hat man in der neuen Welt die Schienenstrassen kühn durch die Wildniss geschlagen, um diese der Cultur zu erschliessen, um Handel und Ackerbau, die Gründung neuer Städte und Häfen erst zu ermöglichen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von NEW YORK nach SAN FRANCISCO.