Abschnitt.

Eisenbahndirection zu Berlin schrieb mir in liebenswürdigster Weise am 13. Februar 1888, dass auch sie ausser Stande wäre, mir die gewünschte Auskunft zu geben. Die Engländer geben nur die Zahl derjenigen Reisenden, die getödtet wurden durch Ursachen, die ausserhalb ihrer Macht belegen waren;*) in dieser Beschränkung liegt eine Willkürlichkeit und Fehlerquelle: die ungünstigste Zahl ist für das Jahr 1874, nämlich 86 zu 477 Millionen oder 1 zu 5.556.000. Für Amerika**) konnte ich nur erfahren, dass 1880 138 Millionen befördert und 363 getödtet wurden; das giebt das Verhältniss von 1 : 400.000, weicht also nicht so sehr erheblich von dem unsrigen ab. Ueber den Grad der Zuverlässigkeit dieser Zahlen konnte ich nichts ermitteln; ich möchte ihn nicht sehr hoch veranschlagen und muss die Lösung dieser Fragen Berufeneren überlassen, die gewiss auch noch die zurückgelegten Strecken und die verbrauchten Zeiten berücksichtigen werden.

Drei Punkte müssen schliesslich noch erledigt werden: die Kosten, die Geschwindigkeit, die Gepäckbeförderung. Bei der Berechnung der Fahrpreise muss man die höheren Allgemein-Preise Amerikas einerseits, andererseits die billigeren Herstellungskosten der amerikanischen Eisenbahnen berücksichtigen. Seltsamer Weise sind doch die Fahrpreise nicht so sehr von den unsrigen verschieden. Es kostet für die erste Classe in Deutschland der Kilometer 8 Pf., für Schnellzüge 9-l0 Pf. ***) Es kostet im Staate New York die Meile zu 1,6 km) 2 Cts. = 10 Pf.


Der Schnellzug von New York nach Chicago 912 Meilen = 1.459 km; kostet 25 Dollars, also 14,6 Pf. für den Kilometer. Durch Eisenbahn-Kriege wurde zeitweise der Preis auf 1/5 , d. h. auf 5 Dollars herabgesetzt. In neuester Zeit sind diese Tarifkriege gesetzlich beschränkt. Seit 25 Jahren haben sich die Gesellschaften concentrirt; statt der Hunderte von früher sind jetzt etwa 20, welche 9/10 der gesammten Schienenwege beherrschen und von 3.000 bis 8.000 englische Meilen umfassen. Hierbei kam es von selber zur Herabsetzung der Preise. Aber die Willkür der Eisenbahnkönige führte zu einer Volksbewegung, die auf gesetzliche Ordnung der Fahrpreise hinzielte, und schliesslich wurde 1887 ein Gesetz in Betreff des Handels zwischen den einzelnen Staaten der Union „Interstate commercial bill“ angenommen, wonach jede ungerechte und unbillige Gebühr verboten und Veröffentlichung der Tarife verlangt wird.

Hinsichtlich der Fahrgeschwindigkeit begegnet man in den Büchern den allergrössten Widersprüchen. In einem Buche vom Jahre 1884 heisst es: „Die Fahrgeschwindigkeit in den Vereinigten Staaten ist eine ganz enorme.“ Sollte hier nicht die Erinnerung an die überhitzten Kessel der Mississippi-Dampfer aus älteren Romanen mitwirken: Ganz entgegengesetzt heisst es in einem neueren Prachtwerke: „Zur Zeit erreicht kein regelmässiger Zug in den Vereinigten Staaten auch nur annähernd die Schnelligkeit wie in Deutschland der Zug von Berlin nach Cöln.“
Wir wollen die erfahrungsmässigen Zahlen sprechen lassen und mit Europa beginnen.
Bei uns sind für längere Strecken die grössten Geschwindigkeiten :
London-Edinburgh, 66 km in der Stunde,
Paris-Bordeaux, 61,6 km in der Stunde,
Beriin-Cöln, 58,8 km in der Stunde,
Für Theilstrecken:
Stendal-Lehrte, 77,1 km km in der Stunde, (Ueber 75 km in der Stunde ist im Allgemeinen nicht erlaubt.)

In Amerika fährt der Limited Expresszug New York-Chicago 60,8 km in der Stunde, also ebenso schnell wie die guten Schnellzüge in Europa. Aber die grossen Ueberlandzüge östlich vom Mississippi, wiewohl sie als Expresszüge bezeichnet werden, fahren ziemlich langsam; sie legen etwa 500 Meilen in 24 Stunden zurück, d. h. 21 Meilen oder 33,6 km in der Stunde; das ist nicht viel mehr als ein guter Schnelldampfer leistet, nämlich 400 Seemeilen in 24 Stunden.

Reisegepäck wird auf amerikanischen Eisenbahnen kostenfrei befördert. Zur Sicherheit erhält man nicht, wie bei uns, einen Gepäckschein, sondern eine Blechmarke Check . Durch eine der Handhaben des Koffers wird ein etwa 25 cm langer, mit einem Schlitze versehener Lederriemen durchgezogen, an dessen unterem Ende eine aus Messing gefertigte, mit dem Namen der Eisenbahngesellschaft, der Bahnlinie, dem Bestimmungsorte und einer bestimmten (meist sehr hohen Nummer versehene Blechmarke befestigt ist. Die identische Blechmarke, die vorher an jenem Lederriemen hing, erhält der Reisende und hat sie am Bestimmungsorte vorzuzeigen, um sein Gepäck wieder zu bekommen. Das Verfahren ist einfach und arbeitet sehr sicher. — Ehe man in die Station einfährt, kommt ein Beamter der Transportgesellschaft, kenntlich durch ein Mützenschild, in den Wagen, lässt sich die Marke einhändigen, Hotel oder Wohnhaus nennen und giebt dem Reisenden zur Sicherheit eine Marke seiner Gesellschaft. Man zahlt ¼-1/2 Dollar für den Koffer, der sicher eintrifft, in grossen Städten allerdings erst nach einigen Stunden (nicht etwa, wie es in einem Buche heisst, früher als der Reisende, und kann den billigen Omnibus oder Pferdebahnwagen besteigen. Droschken sind in Amerika theuer oder gar nicht zu haben. Die herumlungernden Facchini Italiens oder unsere geduldigen Dienstmänner und Gepäckträger wird man in den Vereinigten Staaten vergeblich suchen. Solche Geschäfte erscheinen dem amerikanischen Bürger zu unsicher und nicht würdig genug. Seine Handtasche trägt jeder Reisende in eigener Hand und findet nichts dabei.



*)Passengers killed front causes beyond their own control. (General Report to the board of trades upon the R. R, Acddents, London 1885, p. 3.)
**) Report on the agencies of transportation in the U. S. Washington 1883, p. 280.
***) Die Wohlthat der billigen Beförderung ärmerer Personen, zu 2 Pf. für den Kilometer in der vierten Classe, ist in Amerika unbekannt und zur Zeit unmöglich.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von NEW YORK nach SAN FRANCISCO.