Von Krokodilen, Menschenfressern und Jazzband - Ein Erlebnis an der Ostküste Sumatras 1927

Autor: Dr. Franz Dammert, Erscheinungsjahr: 1927

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sumatra, Insel, 1927, Aufstand,
Aus Sumatra kamen zu Anfang des Jahres 1927 Nachrichten von kommunistischen Aufstandsbewegungen, die zu blutigen Zusammenstößen und Kämpfen mit den holländischen Truppen führten. Eisenbahnstationen wurden überfallen, Telegraphenlinien unterbrochen und holländische Beamte mit Frauen und Kindern hingemordet. Es lag im Plan der Aufständischen, auch Java und mit ihm ganz Niederländisch-Ostindien zu revolutionieren, um die holländische Herrschaft abzuschütteln. Die trefflich ausgerüstete niederländisch-ostindische Armee wurde aber der Bewegung im Entstehen Herr, die Anstifter wurden teils zum Tod, teils zu lebenslangem Kerker verurteilt, aber das Feuer glimmt noch immer unter der Oberfläche. Einige Aufsätze aus Sumatra und Java, die der Feder eines Forschungsreisenden entstammen, sollen unseren Lesern von jenen gärenden Gebieten berichten.

************************************************************
Vor der Mündung des Kwala in der Malakkastraße liegt ein großes rotes Feuerschiff, das auf seinem hohen Eisengerüst in weißen Buchstaben weithin leuchtend den Namen Deli trägt. Dort warteten wir auf den Lotsen, der uns bei steigendem Wasserstand auf dem schmutzigbraunen Fluss nach Belawan, dem Hafen von Deli, hinaufbringen sollte. An der Westseite der Insel Belawan, die durch eine Eisenbahn mit dem Festlande verbunden ist, liegen die Hafenanlagen, an der Ostseite ein kleines Fischerdorf. Der breite Delifluss wimmelt von Krokodilen und Haien, welch letztere hungrig unser am Kai liegendes Schiff umschnuppern.

Belawan, in mit Mangroven bewachsene Sümpfe und Fieber eingebettet und bei Hochwasser größtenteils überschwemmt, ist ein sehr ungesunder Hafenplatz. In seinem stehenden Sumpfwasser legt die gefürchtete Anopheles mit Vorliebe ihre Larven. Die Europäer wohnen in Labocan-Deli oder in dem erheblich gesünderen und kühleren Medan und halten sich nur zur Erledigung ihrer Geschäfte in Belawan auf, wo die unempfindlicheren Chinesen und Malaien Hausen.

Medan erreicht man mit der Spoorweg-Maatschappij Deli, die ein technisches Wunderwerk darstellt, oder weit angenehmer, weil kühler, im Auto. Die Fahrt führt durch mehrere Dörfer; dazwischen liegen im Palmenhain versteckt einfache Pfahlhütten der Eingeborenen, eines exotischen Völkergemisches von Chinesen, Malaien, Javanern, Batakern und allen möglichen indischen Abkömmlingen; selbst Afrika sendet hierher Menschen. Pfahlbauten werden wegen des gesundheitsgefährlichen Sumpfgebietes und der während der Regenzeit oft sehr starken Überschwemmungen sowie zum Schutze gegen wilde Tiere und Schlangen allgemein bevorzugt. Alles wächst hier wild ins Gigantische ohne Zutun von Menschenhand, die die reichgespendeten Gaben einer verschwenderischen Natur nur zu ernten braucht. Mitten in Kokospalmen- und Pisangwäldern stehen immerblühende Muskatbäume, deren saftiges Grün von weitausladenden Waldriesen überschattet wird.

Medan, in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch ein elendes Dorf, ist heute eine große, schöne und moderne Stadt von internationalem Charakter mit einem Stich ins Morgenländische. Als Hauptstadt der Residenzschaft der Ostküste von Sumatra mit Sitz des
Residenten stellt Medan für die Provinz Deli das wichtigste Handelszentrum dar. Die Stadt verdankt ihr Dasein und ihren raschen Aufschwung der Tabak- und Rubberkultur Delis, daher ihr großer Wohlstand. Die Straßen und Plätze, sogar das Chinesenviertel, machen einen auffallend sauberen und gepflegten Eindruck. Der Trumpf der Erotik ist der Palastkomplex des Sultans mit seinem Harem sowie die vielkuppelige, nur Mohammedanern zugängliche Moschee mit dem ragenden Minarett; sehenswert ist auch der chinesische Tempel. Der Sultan von Deli soll einer der reichsten indischen Fürsten sein, da ihm die Holländer seinerzeit bei der Besitzergreifung des Landes seine großen Ländereien belassen haben, die er verpachtet und aus denen er ungeheure Einkünfte bezieht.

Im Straßenbild Medans herrscht der Chinese vor. Er kommt meist als armer Kuli ins Land, um nicht selten in wenigen Jahren zu großem Reichtum zu gelangen, weshalb es in Singapur, in Medan und vielen anderen wichtigen Handelsplätzen des Malaiischen Archipels eine auffallende Zahl chinesischer Millionäre gibt. In der Kesawan, der Hauptverkehrsstraße Medans, liegt solch ein chinesischer, im reichen Kantonstil erbauter Palast neben dem chinesischen Konsulat. Sein glücklicher Besitzer hatte als armer Kuli angefangen und soll nun über achtzig Millionen indische Gulden Vermögen verfügen. Durch seine hervorstechenden Vorzüge, wie Fleiß, Nüchternheit und angeborenes kaufmännisches Talent, stellt der Chinese heute für den europäischen Handel im fernen Osten eine schwere und gefürchtete Konkurrenz dar. Allerdings findet man unter ihnen auch leidenschaftliche Spieler und wilde Spekulanten, die es verstehen, in unglaublich kurzer Zeit große Vermögen zu gewinnen, um als Hasardeure oft über Nacht alles wieder zu verlieren. Doch was schadet‘s, sie fangen dann eben nochmals von vorne als Kuli an, bis sie eines Tages von neuem oben sind.

Mein Rikschakuli, der mich durch das bunte Straßengewirr führte, erzählte mir, dass die holländische Behörde aus Menschlichkeitsrücksichten vor einiger Zeit, ähnlich wie auf Java, den Versuch gemacht hat, die Rikschas abzuschaffen, jedoch hierbei auf den hartnäckigen Widerstand sämtlicher Kulis stieß, weil diese ihr allerdings sauer genug verdientes Brot als „Menschengaul“ nicht verlieren wollten. Und da mit dieser wohlmeinenden Verordnung Tausende dieser Ärmsten aller Menschen dem Hunger preisgegeben gewesen wären, blieb es beim alten.

Im bunten Wechsel ziehen die Bilder der Straße vorüber. Vornehme Autos, meist amerikanischer Herkunft, von Malaien gelenkt, sausen mit unglaublicher Sicherheit in wilder Fahrt durch das Menschengewühl. Malaiische Polizisten in ihrer dunkelblauen Uniform, den großen braunen Basthut auf dem Kopfe, stehen mit dem Gummiknüttel in der Hand an den Straßenkreuzungen wie bei uns in Europa und regeln mit großem Geschick und Verständnis den schwierigen Verkehr, so dass er sich reibungslos abspielt. Es wird links ausgewichen, und die Eingeborenen halten ihre Fahrseite besser ein und achten auf Autosignale prompter und williger als unsere heimatlichen, den Autoverkehr gerne sabotierenden Wagenlenker. Und wahrlich, es ist ein Kunststück, den Verkehr aller dieser sich in engen Straßen oft stauenden verschiedenartigen Fuhrwerke in Fluss zu halten. Ungeduldige Autos, von Buckelochsen gezogene Eingeborenenkarren mit dem tonnenartig überwölbten, bastgeflochtenen hohen Dach, Sados, die vom Führersitz aus mit einer Fußglocke ihren melodischen Warnungsruf
ertönen lassen, unzählige Rikschas und ein Schwarm von Fußvolk und Reitern drängen sich beängstigend in den Gassen. An der Ecke der Hindostraat und Moscheestraat steht ein wanderndes chinesisches Restaurant. Der runzlige Chinesenwirt schlägt zwei Messingplatten gegeneinander und schreit „Makan, Makan!“ (Essen, Essen!). Dann nimmt er sein an starker Bambusstange wippendes und in zwei Gestellen untergebrachtes Restaurant mit allen möglichen und unmöglichen verdächtig ausschauenden Leckerbissen auf die Schulter und eilt mit seinem zum Essen einladenden Lockruf trippelnden Ganges durch die Menge. Solche chinesischen oder javanischen Garküchen sind im Eingeborenenviertel allerorten anzutreffen. Ihr Geruch vermischt sich mit dem Duft von Menschenschweiß, von Durianfrüchten und den ganzen Ausdünstungen einer fremdartigen Welt; hier in der Hindostraat atmet man den Extrakt dieses Zweifelhaften Odeurs ein.

Ein Luxusauto mit einer Ladung weißgekleideter Pflanzer windet sich mit Anstrengung durch die Straße zum Delier Bioskop, dem Filmpalast. Ein knochiger, gelber, verschrumpfter Chinese, nur mit ein paar kurzen Hosen angetan, sonst nackt, trägt an einer Stange über der Schulter an ihrem einen Ende einige rostige Kneifzangen, am andern auf eine Schnur gereiht ein Bündel hohler Zähne und preist sich als Zahnarzt an. Ein Malaienmädchen im buntgebatikten Sarong, mit einem Kabayajäckchen aus Musselin und einem leichten Seidenschal auf dem Kopfe, um ihre feinen braunen Knöchel schwere, massive Goldreifen, schreitet stolzen Ganges anmutig an mir vorüber, ihre großen dunklen Augen locken geheimnisvoll und sinnlich herausfordernd.

Söhne des wilden Batakerstammes tauchen im Gewimmel der Straßen auf. Es sind Abkömmlinge von Menschenfressern, von untersetzter Gestalt mit blutroten, siritriefenden Lippen, im Gürtel ein langes Messer mit schön verzierter Scheide. Chinesenfrauen und -Mädchen, die Gesichter buntgeschminkt, in schwarzen seidenen Hosen und Jacken, trippeln auf kleinen, in perlengestickten Pantöffelchen steckenden Füßen, an denen dicke goldene Fußspangen klirren, eilig über den Weg, irgendeinem Laden zustrebend. Ihre mandelförmigen, geschlitzten Augen bergen alle Geheimnisse des Ostens, ihr pechschwarzes, nach hinten glattgescheiteltes und zu einem Knoten geschürztes Haar trägt reiches Geschmeide. Ihre graziöse kindliche Figur in Verbindung mit dem süßen Liebreiz ihres mongolischen Gesichtsschnittes erinnert mich an die Lieder eines Li-Tai-Po. Auf der großen freien Rasenfläche im Zentrum der Stadt hat die Opera-Gesellschaft Malakka ihr zirkusähnliches Zelt aufgeschlagen und kündigt in malaiischer Sprache für den Abend ihre Vorstellungen an, wobei dem Wayang-Orang-
Spiel und javanischen Tänzen die Hauptrolle zufällt. Aus dem Hotel de Boer dringen die erotischen Weisen einer Jazzband, der man im Schatten riesiger Waringinbäume zum Fünfuhrtee lauschen kann.

Das Europäer-Viertel macht den Eindruck von Reichtum und Vornehmheit. An breiten schattigen Alleen von Kanaribäumen liegen reizende, im Stil dem Charakter des heißen Klimas angepasste Europäer-Bungalows, von englisch gehaltenen Rasenplätzen, herrlichen Palmgruppen und farbenprächtigen Blumenbeeten umgeben. Sträucher und Gestrüpp werden hier ängstlich vermieden, um den Moskitos keine Brutstätte für ihre Larven zu bieten. Die soliden, oft mit großem Geschmack gebauten Villen stehen zum Schuhe gegen die Bodenfeuchtigkeit, Ungeziefer und Schlangen durchweg auf kurzen Steinsäulen. Sie sind daher nicht unterkellert und haben überdeckte Veranden. Geflochtene grüne Matten schützen vor der Sonnenglut; sie werden des Abends hochgezogen, und schöne bunte Lampen geben dann diesen europäischen Behausungen einen anheimelnden Reiz. Wohl die herrlichsten Besitzungen befinden sich in der Manggalaanstraat.

Die Wohnräume der Hotels und Pensionen sind meist in einem ein- oder zweistöckigen Bau um das Haupthaus mit seinen Gesellschafts- und Speiseräumen herumgeführt, oft sind sie in einzelne kleine Villen für je eine Familie abgetrennt. Jedes Wohnzimmer hat eine gedeckte, eingebaute, nach vorne offene Veranda, die Wohnzwecken dient. Dahinter liegt der Schlafraum mit anschließendem Badekabinett, das jedoch in ganz Niederländisch-Indien keine Badewanne besitzt, sondern nur ein kleines, meist quadratisches, mit Steinplatten ausgelegtes Becken für Fußbäder und eine Dusche nebst einer Schöpfkelle, mit der der Holländer sich übergießt. Der Bettraum im Schlafzimmer ist mittels eines feinmaschigen Drahtgitters oder Moskitonetzes gegen Stechmücken, Ungeziefer und Eidechsen geschützt, welch letztere man gerne zum Schuhe gegen das lästige Ungeziefer hält. Auch findet man in jedem der riesigen quadratischen Betten, in denen zur Not eine ganze Familie Platz finden könnte, stets das „Hollandweibchen“ — der Leser erschrecke nicht —, nämlich eine lange mit Kapok gefüllte, ziemlich harte Rolle, mit der man in Ermanglung von etwas Besserem ins Traumland versinkt.

Medan ist der Hauptort der Tabakausfuhr Sumatras. Durch die reichen Tabakpflanzer fließt natürlich viel Gold nach Medan, in dessen erstklassigen Hotels es bei den regelmäßigen allmonatlichen Zusammenkünften der Pflanzer oft hoch hergehen soll. So erzählte mir im Hotel Medan, wo ich im schattigen Garten beim eisgekühlten Gin-Sling den von einer ausgezeichneten Kapelle gespielten Klängen des Adagio aus der Sonate pathétique von Beethoven lauschte, der Mandur des Hotels allerhand Geschichten von gelegentlichen alkoholischen Exzessen, bei denen es vorkommt, dass die Herren Pflanzer in ihrem Übermut sogar mit ihren Rikschas ohne Rücksicht auf die gedeckten Tische bis in den Speisesaal hineinfahren, und wo im wüsten Zechgelage die großen Spiegelscheiben des Saales mit leeren Sektflaschen eingeworfen werden. Die reichen Pflanzer können sich offenbar derartige wenig schöne Scherze leisten.

Das Bild in einem solchen erstklassigen Hotel beim Diner, das aus zwölf Gängen zu bestehen pflegt, ist recht elegant. Die Herren alle im blendend-weißen Tropenanzug oder kurzen Abendjackett mit kleinem schwarzem Schlips, plissiertem weichem Hemd und schwarzen oder braunen, des Abends beileibe nicht weißen Schuhen. Die Damen, darunter auch Mischlinge, meist von wenig blühender, durch den Tropenaufenthalt gelblich blasser Gesichtsfarbe, in großer, stark dekolletierter Abendtoilette. Dazwischen unzählige eingeborene Jonges, in der landesüblichen Tracht auf nackten Sohlen lautlos bedienend. Eine moderne, vorzügliche Jazzmusik mit Saxophon und Banjo liefert die Tafel- und Tanzmusik in der kühlen, mit Steinfliesen belegten großen Veranda. Getanzt wird hier — trotz der schwülen Hitze — mit derselben Leidenschaft und Hingebung wie in der ganzen Welt.

Beinahe könnte man bei diesen europäischen Kulturgenüssen vergessen, dass in den nahen Bergen noch alle Arten von wilden Tieren Hausen und dass daselbst noch Menschen leben, unter denen der Kannibalismus kaum verschwunden ist. Welche Gegensätze! Die Wälder bergen noch Elefanten, Tiger, Nashörner, Bären, Orang-Utans, Moschushirsche, Bergantilopen, Wildschweine und viele andere Tierarten, die Flüsse sind bevölkert mit Krokodilen. Im schwer zugänglichen tiefsten Urwald lebt noch ein primitives Zwergvolk, die Kubus, baumbewohnende Waldmenschen. Und an dessen Grenzen tanzt der Kulturmensch zur Jazzmusik.

Sumatra - Eingeborenenmarkt in Medan, der Hauptstadt der Provinz Deli an der Ostküste

Sumatra - Eingeborenenmarkt in Medan, der Hauptstadt der Provinz Deli an der Ostküste

Sumatra - Pfahlhütten von Eingeborenen im Urwald bei Belawan an der Ostküste

Sumatra - Pfahlhütten von Eingeborenen im Urwald bei Belawan an der Ostküste

Wildschwein

Wildschwein

Tigerjagd

Tigerjagd

Jagd, auf Tiger mit Elefanten

Jagd, auf Tiger mit Elefanten