Abschnitt 2

Von Korsör nach Haparanda


Während der Kapitän seine Zollgeschäfte besorgte, schrieb ich in dem Zimmer der Post eine Anzahl Karten, und unser dänische Student kaufte sich Benzin in der Apotheke, um Fettflecke zu vertreiben. Er hatte aber Pech damit; denn als die Hose wieder sauber aussah, schüttete ihm nach einigen Stunden eine Kellnerin einen Topf voll Rahm darauf.


Schon nach 1-1/2 Stunden beschlossen wir, da gerade ein Passagierdampfer fuhr, nach unserm Ankerplatz zurückzufahren und Haparanda später noch einmal zu besuchen. Der Passagierdampfer, der an Wochentagen den Verkehr zwischen Haparanda und Lulea besorgt und an Sonntagen Extrafahrten zu machen scheint, war erst vor einem Monat aus einer Stockholmer Werft hervorgegangen und zeichnete sich durch eine etwas fadenscheinige Eleganz aus.

Um 10 Uhr wurde das Frühstück aufgetragen, das nach schwedischer Sitte mit den auf einem Seitentisch servirten „Smörgods“ begann. Ich zählte 16 verschiedene Sächelchen, darunter Renntierschinken. Eine merkwürdige Einrichtung traf ich hier, die mir noch nirgends begegnet war; der Appetit des männlichen Geschlechts wurde ohne Weiteres über den des weiblichen geschätzt und demgemäß höher besteuert. Also:

Frukost för Herre 1,25

„ „ Dam 1,--


So ging es auf der Speisekarte weiter mit Mittag- und Abendessen; immer mit Preisunterschied für Herren und Damen.

Um Mittag kamen wir wieder auf der Insel Seskarö, unserm Landungsplatz, an. Seskarö dient den Haparandaern als Ausflugsort, wie die stattliche Anzahl von Passagieren bewies, die, sonntäglich gekleidet, das Schiff füllten. Es sollen sich sogar 80 „Sommerfrischler“ auf der großen Insel aufhalten, die in ungestörtester Einsamkeit den kurzen Sommer genießen.

Einwohner zählt Seskarö 50, wenn wir recht berichtet sind, darunter mehr Finnen als Schweden. Diese Insel etwas kennen zu lernen, war unser nächstes Ziel, und wir begannen sie alsbald zu durchstreifen. Die Kreuz und Quer führen Wege durch den Wald, dessen hügeliger Boden durch zahlreiche große Steine und Felsblöcke noch unebener wir. Die Bäume - Nadelhölzer und Birken - sind meist niedrig; größere Exemplare trafen wir nicht. Darunter wuchern besonders Heidelbeeren, die gerade reif waren. Vögel sahen wir wenig. Das Läuten von Kuhglocken tönte bisweilen durch die Stille und erinnerte an schönere Gegenden, wie Thüringen und die Schweiz. Auch eine Anzahl zahmer Renntiere soll auf Seskarö leben, doch bekamen wir keine zu Gesicht. Dagegen gelang es uns, von einem Bauern eine Anzahl Geweihe zu kaufen, wovon die größeren 1 Krone das Stück kosteten, die ganz kleinen 1/2 Kr. Bei einem anderen

Bauern sahen wir prächtige Renntier- und Bärenfelle, doch verlangte der Mann einen zu hohen Preis (25-50 Kr.) Mit den Frauen konnten wir uns nicht immer verständigen, weil sie kein Schwedisch sprechen, sondern nur Finnisch.

Die Bauernhäuser der Insel sind natürlich alle von Holz; dabei befinden sich Ställe für das Vieh und Gerüste zum Trocknen des Getreides und Heues; auch viele Schlitten sahen wir. Die Ziehbrunnen hatten mächtig lange Querbalken; bei dem einen ging er über eine Scheune hinweg. Zwischen den Wäldern waren hie und da Strecken für den Feldbau gewonnen; die Gerste und der Hafer standen zwar niedrig, aber doch ganz gut. Die Gerste war meist reif, die Kartoffeln blühten.

Wundervoll sind die Nächte hier im Norden. Der Nordhimmel strahlte in Gold, während im Osten die fast volle Mondscheibe aufstieg. Als wir einst, auf der Kommandobrücke skatspielend, nach der Uhr sahen, war es gegen 12, und dabei so hell wie um 8. Die Mannschaft lag in Ruhe, die deutschen Lieder waren verklungen; der Haparandaer Dampfer hatte längst die Ausflügler zurückgebracht. Völlige Stille lag über der eigenartigen Landschaft; nur das Meer plätscherte leise gegen die Schiffsseite; die dunklen Wogen waren ganz wie in Gold getaucht.

Schiffe kommen nur in geringer Zahl in diese Gegend. Wir bemerkten einige Briggs und eine Bark, zwischen den Scheeren mit Holzladen beschäftigt; ein italienischer Schoner war, wie uns der Lotse erzählte, gezwungen, nach Umea in Quarantäne zu gehen, weil er aus einem cholera-infizierten Hafen (Petersburg) gekommen war. In der Seskaröer Bucht hatte noch nie ein Schiff geladen; die „Mira“ war das erste, das überhaupt diese Stelle befuhr; deshalb kannte der Lotse auch das Fahrwasser nicht genau und fuhr sehr vorsichtig. Eigentliche Wirtshäuser giebt's nicht auf Seskarö, nur zwei Speisehäuser, in denen auch Bier verschänkt wird. In eins derselben kehrten wir ein. Wir fanden ein

mächtig großes Zimmer, in dessen vier Ecken Fichtenbäume gestellt waren,die bis an die Decke reichten. Ein riesiger Ofen prangte außerdem in der einen Ecke, auch ein Bett fehlte nicht in dem merkwürdigen „Salon“. Das Bier, das hier wie überall verschänkt wird, nennt sich Pilsener, ist aber in Schweden gebraut.

Von unserm Ankerplatze aus sahen wir einige Häuser und eine Sägemühle. Ein Teil der Bucht war mit Balken bedeckt, die allmählich zu uns heran geschoben und dann mit Dampfwinden in den Raum gehoben wurden. Leute mit langen Stangen, die mit eiserner Spitze beschlagen sind, stehen auf den schwimmenden Balken und stoßen sie ans Schiff heran. Es sind im Ganzen etwa 4.000 Balken, eigentlich Stämme, die nur der Rinde beraubt sind und zwischen 15 und 30' Länge haben; ein Stamm kostet durchschnittlich 6 Mk., im Ganzen also 24.000 Mk. Die Fracht dafür beträgt etwa 12.000 Mk. An Kohlen faßt das Schiff ungefähr für 12.000 Mk., deren Beförderung etwa 6.000 Mk. kostet. Bei diesen Waren beträgt die Fracht also etwa 50 Prozent des Wertes.

Die Balken waren diesmal außerordentlich schwer, so daß das Schiff besonders tief ging, ohne daß die Deckslast über das Mittelmaß hinausgegangen wäre. Es wird nämlich nicht nur der eigentliche Schiffsraum verwendet, sondern auch das Vorder- und Hinterdeck, und zwar erhalten diese etwa 1/3 der Gesamtladung. Da die Schiffe nach dem Kubikinhalt ihres Laderaumes Abgaben zahlen müssen, das Deck aber nicht als zum „Raum“ gehörig angesehen wird, so wird, auf diese Weise Geld gespart.

Unser zweiter Ausflug nach Haparanda geschah hauptsächlich, um das Schiff auszuklariren, d.h. die Papiere beim Zollamt zu erlangen, die zum Verlassen von Seskarö nötig waren. Zugleich wurde telephonisch ein Lotse für Mittwoch Mittag bestellt; die Abreise verzögerte sich jedoch bis zum Abend. Ferner wurden Brot und Eier gekauft und die Sehenswürdigkeiten von Haparanda noch einmal in Augenschein genommen. Auf den Straßen zeigte sich nicht mehr Leben, als am Sonntag.

Auf einer sehr langen, primitiven Holzbrücke wanderten wir nun über die Torneelf hinüber nach der finnischer Grenzstadt. Sie liegt auf einer Insel, beginnt jedoch nach der schwedischen Seite landfest zu werden, so daß die Brücke mehr über Sumpf und Wiese als über Wasser führt. Die Ueberschreitung kostete uns je 5 Oere beim Hin- und Zurückgehen. Im Aussehen ähnelt Tornea ganz Haparanda: Holzhäuser und mit Sand bedeckte Straßen. Eigentlich hat Tornea nur eine lange Straße, in der sich einige Läden befinden. Die Inschriften sind hier meist dreisprachig: russisch, finnisch, schwedisch. In einer Buchhandlung, die wir zu unserm Erstaunen sahen und in der schwedische, finnische und deutsche Litteratur vorrätig war, fanden wir als Verkäuferin ein junges Mädchen, eine Finnin, die fließend deutsch sprach. Auf Befragen erklärte sie uns, daß sie ein Jahr in Deutschland in Pension gewesen (in Wolfenbüttel), daß sie aber nicht ohne Vorkenntnisse des Deutschen dort hingegangen sei, da in den finnischen Schulen Deutsch gelehrt werde.

Etwas nördlich von Tornea liegt ein Hügel, Aavasaksa genannt, von dessen Spitze man 14 Tage lang (8 Tage vor und 8 Tage nach dem 24. Juni) die Mitternachtssonne sehen kann. Ein Pavillon kr?nt den Gipfel des Hügels.

Außer einer russischen Kirche mit den bekannten Zwiebelkuppeln giebt es noch eine evangelische, deren Kirchhof wir besuchten. Er trägt Denkmäler mit schwedischen und finnischen Inschriften und ist mit Birken und Eschen bepflanzt. Die Kirche hat einen sehr spitzen Thurm; in der Nähe steht ein plumper Thurm, der die Glocke enthält.

Der Boden um Tornea schien fruchtbar, die Wege waren mit Sand bestreut, um bei nassem Wetter passierbar zu bleiben. Daß die Kultur auch diesen hohen Norden beleckt, davon zeugte ein Radfahrer, der uns in der Hauptstraße begegnete.

Am Mittwoch, den 25. Juli, Abends 9 Uhr, lichteten wir den Anker und befanden uns nach einigen Stunden außerhalb der Scheeren, wo uns der Lotse verließ. Die Reise ging bei schönstem Wetter schnell von Statten.

Bei Sundsvall wurden die Schweden ausgeschifft. Später bekamen wir etwas Seegang, doch nicht so arg, daß jemand seekrank geworden wäre. Auf meinen Wunsch steuerte der Kapitän ziemlich nahe an der Insel Gotland vorbei, so daß ich die altberühmte Hansastadt Wisby mit ihren vielen Türmen und halbverfallenen Befestigungen sehen konnte.

Sonntag Abend liefen wir in den Sund ein, passierten um 2 Uhr nachts Kopenhagen und lagen Montag früh 4 Uhr vor Helsingör. Hier ließ ich mich, da meine Zeit abgelaufen war, an Land setzen und fuhr über Kopenhagen nach Flensburg, wo ich Montag Abend eintraf.

Die vom schönsten Wetter begünstigte Reise hatte 14 Tage gedauert und umfaßte im Ganzen etwa 4.000 Kilometer.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Haparanda bis San Francisco