Abschnitt 1

Von Korsör nach Haparanda


„Wer kein Schiff hat, hat keine Heimat“, pflegte unser Schiffskoch, der originelle Deutschrusse Gottlieb Künstler, zu sagen. Nun, ich hatte ein Schiff, und somit auch, nach dieser Ansicht, eine Heimat, der ich wenigstens für einige Wochen treu blieb. Es war dasselbe Schiff, das mich schon im vorigen Jahre in der Ost- und Nordsee herumgetragen hatte, und dessen Kapitän, mein liebenswürdiger Freund Brink, mich auch diesen Sommer wieder mitnahm. Die „Mira“, ein Dampfer von 210' Länge und 1.200t, hatte Kohlen von Newcastle nach Korsör gebracht und sollte nun nach dem nördlichsten Punkte der Ostsee hinaufdampfen, um von dort Balken nach Harlingen (Holland) zu bringen. Wider Erwarten früh, konnte das Schiff schon am 17. Juli klar zum Abfahren gemacht werden. Kurz vorher hatten der Kapitän und ich noch einen Passagier aus dem Kopenhagener Zuge abgeholt, einen jungen Studenten der Rechte, der die Reise, seine erste Seereise, mitmachen wollte.


Es wehte eine ziemlich starke Brise aus Südwest, und die Wogen schlugen, hoch aufspritzend, an das Bollwerk. Das Schiff stampfte jedoch nur mäßig, bis sich am Abend der Wind ganz legte und wir ruhig dahinglitten. Hinter uns verschwanden bald die roten Dächer von Korsör; rechts führen wir an der langen, hügeligen Insel Langeland hin, während links, etwas weiter, Laaland liegen blieb. Gegen Abend änderten wir den Kurs und fuhren nach Osten, in den nächsten Tagen dagegen im allgemeinen nach Nordosten. Das Leuchtfeuer von Gjedser erschien links vor uns; in weiter Ferne rechts konnten wir ein Feuer bei Wismar erblicken. Während wir auf dieser Strecke wenig Schiffen begegneten, waren wir am nächsten Tage ganz von Schonern, Briggs, Barks und auch einzelnen Dampfern umgeben. Rechts tauchten die hohen Felsufer von Bornholm auf, links dämmerte die schwedische Küste. Es war ein prächtiger Morgen; die leichten Schaumkronen leuchteten rosig in der Sonne, und im Südwesten spannte sich ein Regenbogen, allmälig immer stärker werdend und mit beiden Enden das Wasser berührend, aus. Besonders schön nahm sich eine Bark mit schwanweißen Segeln aus, die eine Zeit lang so unter dem Bogen schwamm, daß er sie wie ein Rahmen umschloß.

Wir fuhren an der langgestreckten Insel Oeland und während der Nacht an Gotland vorüber, das rechts liegen blieb. Am 19. Juli war dasselbe prächtige warme Wetter. Einige Stunden westlich lag Stockholm.

Bei der langgestreckten, sanft ansteigenden, bewaldeten Insel Bremö verminderten wir die Fahrgeschwindigkeit, um dreißig schwedische Arbeiter zu erwarten, die uns von Sundsvall aus zugeschickt werden und mit nach Haparanda zum Holzladen gehen sollten. Allein kein Dampfer ließ sich sehen. So beschloß denn der Kapitän nach Sundsvall hineinzufahren, in der Hoffnung den Leuten zu begegnen und sie dann aufzunehmen. Langsam ging es vorwärts, zwischen größeren und kleineren, meist ziemlich hohen Inseln hindurch, die sich koulissenartig neben- und hintereinander schoben. Wo einmal der Wald fehlte, trat grauer Granit zu Tage; an einer Stelle eine große Fläche, deren Vegetation durch einen Waldbrand zerstört worden war. Mehrere hübsche Ortschaften und Holzplätze blieben links und rechts liegen. Als wir wieder um eine Ecke bogen, lag Sundsvall vor uns, an und auf Hügeln halbkreisförmig hingelagert, rings von höheren Bergen umgeben - ein höchst anmutiger Anblick. Die Bucht erscheint hier von allen Seiten geschlossen, im Osten durch die große Insel Alnö. Zahlreiche einzeln liegende Häuser und Villen lugen aus dem Waldgrün hervor und bilden gewissermaßen langhingestreckte Vororte der eigentlichen Stadt. Mitten in dem Meerbusen ragt eine bewaldete Insel mit Aussichtsturm hervor; zahlreiche kleine Passagierdampfer beleben das reizende Bild. In weiterem Abstand von der Stadt überall massenhafte Holzlager, vor denen eine Anzahl Segelschiffe halten, mit Laden beschäftigt. Sundsvall ist der größte Holzausfuhrplatz Schwedens; das Holz wird die Indalself, die von Norden in die Bucht mündet, hinabgeflößt; unmittelbar bei Sundsvall mündet der Lungen.

Kann man die Stadt als eine der schönst gelegenen Ostseestädte bezeichnen, so muß sie zugleich auch eine der schönst gebauten genannt werden; ja man kann sagen, es giebt keine von ähnlicher Kleinheit, die annähernd so großartige Gebäude, Straßen und Plätze aufwiese. Im Jahre 1888 wurde das alte, ganz aus Holz gebaute Sundsvall ein Raub der Flammen; aus der Asche erhob sich das neue, in dem man sich nach Berlin oder Paris versetzt fühlen würde, wenn nicht von allen Seiten das prächtige Grün der Berge, Wälder und Wiesen hereinschaute.

Da wir durch die Zollrevision und die Ausnahme unserer dreißig Schweden einen mehrstündigen, unfreiwilligen Aufenthalt bekamen, so benutzten wir diesen, um uns an Land rudern zu lassen und einen, wenn auch nur flüchtigen Einblick in Sundsvalls Herrlichkeiten zu nehmen. Das Rathaus, das Gymnasium, die höhere Mädchenschule, mehrere Banken und eine Anzahl Privathäuser würden jeder Großstadt Ehre machen.

Wir besuchten mehrere Restaurants, die hübsch ausgestattet und mit Sprüchen versehen waren. Einer in altschwedischer Sprache lautete:

Den som sviker i dryckjom, sviker ock i androm styckjom.
(Wer im Trinken betrügt, betrügt auch in anderen Dingen).

Als wir an einem Barbierladen vorbeikamen, machte der Kapitän unserem dänischen Studenten den Vorschlag, sich rasieren zu lassen. Obgleich dessen Flaum des Messers kaum benötigte, willigte er sofort ein, als er hörte, daß dies Geschäft von zarter Damenhand besorgt würde, und wir begleiteten ihn, um das Schauspiel mit anzusehen. Zwei Grazien waren beschäftigt, den Männern ihren Mannesschmuck zu rauben, eine dicke, die Besitzerin, und eine dünne, die Beisitzerin. Letztere bemächtigte sich unseres Freundes; als er fertig war und bezahlt hatte, sagten wir ihm, er müsse der Dame zum Schluß einen Kuß geben. Dies geschah zu beiderseitiger Zufriedenheit; die Hausherrin gestattete aber nur einen Handkuß. Uebrigens wird die Rasierkunst in Schweden keineswegs allgemein von Damen betrieben.

Mit angenehmen Eindrücken schieden wir von dem prächtigen, sonnbeschienenen Sundsvall und seiner wundervollen Bucht, die beide in der Welt viel zu wenig bekannt sind.

Die Fahrt ging an der schwedischen Küste weiter, deren niedrige, blaue Berge schöne Formen zeigen. Die finnische Küste bleibt gänzlich versteckt; sie ist zu weit entfernt. Dem Nordpol so nahe, wird es während der Nacht gar nicht dunkel. Die Magnetnadel zeigt eine ziemlich starke Abweichung, was vielleicht den großen Eisenmassen in Schweden zuzuschreiben ist. Das Wasser ist in diesem Teile der Ostsee süß, was durch die vielen Flüsse bewirkt wird, die hier münden. Schiffen begegnet man fast gar nicht; einsam und verlassen liegt der mächtige Bottnische Meerbusen da, dessen nördlicher Teil vom Oktober bis Juni zugefroren ist. Einmal glaubten wir zwar andere Fahrzeuge zu bemerken, aber das war, wie sich später herausstellte, eine Täuschung. Da es charakteristisch dafür ist, wie leicht man sich auf See täuschen kann, will ich etwas näher darauf eingehen.

Der Steuermann machte mich auf ein paar Segler aufmerksam, die in weiter Ferne vor uns auftauchten. Ich nahm das Glas und zählte drei. Bald aber wurden es mehr, sodaß ich nahe bei einander neun Segler und einen Dampfer zu zählen glaubte. Als wir aber näher kamen, meinte der Steuermann, es wären wohl nur einige Schiffe; die übrigen Erhöhungen dagegen seien Land, das er in jener Richtung erwartete. Je näher wir kamen, um so deutlicher zeigte sich, daß kein einziges Schiff da war; was wir gesehen hatten, war vielmehr die Insel Malören, die südlichste der nach Hunderten zählenden Scheeren, die vor Haparanda liegen.

Allmälig erkannte man deutlich die kleine, flache, graugelbe Insel mit mehreren Gebäuden, unter denen eine plumpe Fischerkapelle und ein kegelförmiger Leuchtturm hervorragten; drei Bäume machten den schwachen Versuch, ihr Dasein zu fristen. Nachdem wir die Flagge gehißt hatten, zum Zeichen, daß wir einen Lotsen wünschten, löste sich ein Ruderboot vom Ufer und steuerte auf uns los. Bald darauf stand der Lotse auf der Kommandobrücke und führte unser Schiff durch die vielen, meist dichtbewaldeten Scheeren um die größere Insel Seskarö herum. In einer der nördlichen Buchten dieser Insel lag unser Holz bereits im Wasser; dort also rasselten unsere Anker nieder, und wir befinden uns nun zwischen den mit Birken und Fichten bewachsenen Inseln in einer ganz einsamen, idyllischen Gegend. In der Ferne sieht man einen blauen Streifen; das ist das Festland, wo Haparanda liegt und wohin wir morgen mit einem kleinen Dampfer fahren wollen. Die Reise von Korsör nach hier (gegen 1.900 Kilometer) haben wir in etwa 100 Stunden beendigt.

Um sofort mit dem Laden beginnen zu können, mußte der Kapitän so schnell als möglich nach Haparanda zum Zollamt. Da ein Passagierdampfer aber erst Abends um 7 fuhr, wurde ein Dampfer, der sonst zum Schleppen von Flößen dient, gemietet. Morgens um 1/2 7 Uhr fuhren wir mit diesem nach Haparanda, wo wir um 1/2 9 ankamen. Ein Fremder hätte den Weg durch die vielen Scheeren wohl kaum gefunden, besonders da seichte Stellen die Passage noch schwieriger machen. Die Landschaft erinnert an die des mittleren Mississippi; derselbe breite Wasserspiegel mit unzähligen, schwimmenden Wäldern; diesen Eindruck machen die meist flachen, ganz mit Wald bedeckten Inseln. - Schon von ferne fielen uns zwei Türme auf, zu denen sich bald ein dritter gesellte; es waren die Kirchen von Haparanda und dem gegenüber liegenden finnischen Städtchen Tornea; die Torneelf trennt beide. Haparanda besteht durchweg aus sauberen, einstöckigen, mit verschiedenen Farben gestrichenen Holzhäusern; ein zweistöckiges Gebäude sieht man selten. Die ziemlich breiten Straßen kreuzen sich rechtwinklig; sie sind ungepflastert, aber sauber und sandig; hier und da, namentlich zur Seite, wächst Gras. Hervorragende Gebäude sind nicht vorhanden; den Läden, die wegen des Sonntages geschlossen waren, sah man ihre Dürftigkeit doch an. Die Einwohnerzahl Haparandas beträgt etwa 1.500. Im Telegraphenamt befindet sich zugleich die meteorologische Station, durch die das Städtchen einigermaßen in der Welt bekannt ist.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Haparanda bis San Francisco