Riga

Wenn man sich Riga von Norden zu Schiff nähert, so sieht man zuerst einige Türme aus dem Wasser aufsteigen, darunter den Petriturm, den höchsten in Rußland. Von den Ufern gewahrt man zunächst nichts, denn sie sind flach. Allmählich treten sie hervor; man bemerkt jetzt, daß sie mit Kiefern bewachsen sind, zwischen denen hie und da gelber Sand hervorschimmert. Wo die Düna in den Rigaischen Meerbusen mündet, liegt die Festung Dünamünde mit Leuchtturm und Kirche; Riga selber erreicht man erst nach zweistündiger Dampferfahrt flußaufwärts.

Die Stadt hat etwa 300.000 Einwohner, von denen die Hälfte Deutsche, ein Viertel Letten und ein Viertel Russen sind. Die Umgangssprache ist durchaus deutsch; alle Gebildeten sind Deutsche, die ganze Kaufmannschaft, die Börse.[6] Die Straßen- und Firmenschilder müssen außer deutsch auch russisch abgefaßt sein. Die Stadt liegt fast ganz auf dem rechten Dünaufer, das mit der Mitauer Vorstadt durch mehrere Brücken verbunden ist. Um die Altstadt zieht sich im Halbkreise der Stadtkanal, mit schönen Anlagen versehen, in denen sich das Stadtheater erhebt. Aus der Zahl der berühmten Männer, die an demselben dauernd gewirkt haben, seien nur Richard Wagner und Karl Holtei genannt; ersterer war hier Kapellmeister in den 30er Jahren. An die Altstadt schließen sich die viel ausgedehnteren neuen Stadtteile an: der Moskauer und der Petersburger. Die Straßen ähneln denen aller neueren Städte, sind breit und schön, bieten aber nicht viel Bemerkenswertes. Erwähnt seien die prächtige griechisch-katholische Kathedrale mit sechs vergoldeten Kuppeln und die neue, zierliche Gertrudkirche in gotischem Stil. An der alten Kirche, die 1812 durch Feuer zerstört wurde, hat unser Herder in den Jahren 1764-69 als Prediger gewirkt. Er nennt selbst diese Jahre die glücklichsten seines Lebens. Ein Denkmal des Dichters befindet sich auf dem Domplatz.


Die Altstadt hat viele durch ihre altertümliche Bauart hervorragende Häuser. Das älteste derselben ist das Haus der schwarzen Häupter, 1330-34 erbaut. Die Gesellschaft der schwarzen Häupter, im Mittelalter gegründet, besteht jetzt noch und zählt eine Anzahl der reichsten Kaufleute unter ihren Mitgliedern. Der Name rührt daher, daß sie den schwarzen Kopf des heiligen Mauritius in ihrem Wappen führt. Sie besitzt einen kostbaren Silberschatz, der auch künstlerisch wertvolle Stücke enthält; Tafelaufsätze, Humpen, Prunkschüsseln vom 16. Jahrhundert an.

Das Ritterhaus gehört der livländischen Ritterschaft; die Große Gilde dient den Kaufleuten als Versammlungslokal, die St. Johannisgilde den Handwerkern. Alle diese Gebäude enthalten prächtige Säle und manche Erinnerungen aus alter Zeit und sie zeugen von der Bedeutung der drei Stände in Riga: des Adels, des Handelsstandes und des Handwerks.

Um die Zeit, als Kaiser Barbarossa seine Römerzüge unternahm und Heinrich der Löwe im Norden des Reiches schaltete, da trieb es die Deutschen sächsischen Stammes mächtig nach dem Osten. Ueber Wisby auf Gotland gelangten deutsche Kaufleute schon im 12. Jahrhundert in die Mündung der Düna, wo sie mit den Eingeborenen Tauschhandel trieben.

Ihren Spuren folgten missionierende Priester; einer von ihnen, Bischof Albert, kann als eigentlicher Gründer Rigas angesehen werden (1201). Zum Schutze der neuen Kolonie rief dieser die Schwertbrüderorden ins Leben.

Dank der günstigen Lage, der Fruchtbarkeit des Landes und der Zugehörigkeit der Stadt zum Hansabunde entwickelte sie sich schnell. Nachdem der Orden der Schwertbrüder mit dem der Deutschherren in Preußen vereinigt war, brachen Kämpfe aus zwischen den Rittern und den Bischöfen, in denen bald diese bald jene siegreich blieben. Unter dem Ordensmeister Wolter von Plettenberg wandte sich Riga als erste der livländischen Städte der Reformation zu; 1541 trat es dem Schmalkaldischen Bunde bei. Bald darauf kam Livland unter polnische Herrschaft und 1582 verlor auch Riga seine Reichsfreiheit. Die Russen versuchen jetzt alles, um die Stadt russisch zu machen; doch dürfte es noch lange dauern, bis die deutsche Sprache und deutsche Gesinnung der Rigaer ausgerottet sein wird.

Sehr wichtig ist Riga als Holzhandelsplatz. Viele deutsche, englische, dänische und andere Schiffe kommen alljährlich und holen hunderttausende von Stämmen, Balken und Planken, die meist nach dem holzarmen Holland gehen. Das Holz wird in den Gebieten der mittleren und oberen Düna geschlagen und hinunter geflößt. Der Strom ist von Riga bis zur Mündung zum großen Teil mit Holz bedeckt; bisweilen haben die Schiffe Mühe, sich hindurchzuwinden. Die Flöße werden durch kleine Dampfer an die Schiffsseite geschoben, mit einem sogen. „Schutzgarten“ umgeben, der aus Stämmen besteht, die mit Ketten verbunden sind. Aus dem Wasser wird das Holz durch Winden direkt in den Schiffsraum gehoben. Diese Arbeit besorgen nur Letten, die darin eine außerordentliche Gewandtheit besitzen. Sie arbeiten von früh bis spät; nachts legen sie sich zum Schlaf auf das nasse Holz nieder. Wenn ihre Arbeit beendigt ist, so stellen sie sich auf das Vorderdeck und rufen dreimal: hip, hip, hurra! weil sie glauben, daß sonst das Schiff seinen Bestimmungsort nicht glücklich erreicht. Dann passieren sie an der Küche vorbei, wo jeder vom Koch einen Schnaps erhält. Ihren Lohn, der gar nicht gering ist, vertrinken sie gewöhnlich in wenigen Tagen, um dann die Arbeit auf einem andern Schiff von neuem zu beginnen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Haparanda bis San Francisco