Bad Domburg

Ostende ist furchtbar schön, sagte der zweite Steuermann, ich bin an vielen Plätzen in der ganzen Welt gewesen, aber Ostende ist furchtbar schön. Leider erlaubte meine Zeit und die schlechte Verbindung es damals nicht, dieses großartigste aller Nordseebäder aufzusuchen, ich begnügte mich deßhalb, dem bescheideneren Domburg einen Besuch zu machen. Es gelang mir, auf dem Omnibus einen von den 3 Plätzen im Freien hinter dem Kutscher zu erobern; zwei Damen, eine ältere und eine jüngere, stiegen mit hinauf, und der Zufall setzte die jüngere, die fließend Deutsch sprach, neben mich. Aus der Stadt gings hinaus auf die Klinkerchaussee, die zu beiden Seiten von weidenbepflanzten Gräben eingefaßt ist. Das Land gleicht einem Garten, d.h. einem Gemüsegarten; überall die verschiedensten Gemüse, auch Getreide; kein Fleckchen ist unbebaut; hie und da auch Wiesenland mit grasenden Pferden und bunten Kühen. Das Land ist durchweg flach, und man würde wohl die ganze Insel überschauen können, hinderten nicht die vielen Hecken, Bäume und Büsche die Fernsicht. Wir passierten mehrere Dörfer, die alle einen netten, sauberen Eindruck machten, was sich in Holland von selbst versteht; die Leute, die uns begegneten, grüßten alle. Ein mächtiges steinernes Thor, das am Wege aufragte, erregte meine Aufmerksamkeit. Da war früher ein Schloß, belehrte mich meine Nachbarin, das hat man abgebrochen, weil die Leute jetzt nicht mehr so reich sind; nur die Einfahrt hat man stehen lassen. - Wir passierten noch mehrere solche Thore, doch auch einige Schlösser, in Parks gelegen und von breiten Gräben und undurchdringlichen Hecken umgeben; am Eingange standen die Namen, z.B. Ipenoord, Schoonoord.

Nach 1-1/2stündiger Fahrt näherten wir uns Domburg. Wir fuhren an einigen Villen vorbei, darunter auch der des Massagearztes Dr. Metzger, eine andere hieß nach Carmen Sylva, die hier einige Sommerwochen zugebracht hat. Vom Meere trennte uns noch die Düne; nur ein dumpfes Brausen verkündete seine Nähe. Ich stieg den Abhang hinauf zu dem Badepavillon und wandte den Blick absichtlich seitwärts, um ihn erst dann zu heben, wenn sich das Meer in seiner ganzen Pracht zeigte. Jetzt war ich oben; da lag sie vor mir, die gewaltige grüne Masse mit den weißen Schaumkämmen! Gegen den Strand rollten die langen Wogen, als wollten sie ihn verschlingen. Pallissadenreihen, in gleichmäßigen Abständen hineingebaut, schützen ihn. Draußen an der Kimme (zu deutsch Horizont) ging ein großer Dampfer hin, dem ich mit einem eigentümlichen Gefühle nachschaute; dort hatten wir vor wenigen Tagen in stürmischer Nacht auch geschaukelt, getanzt, getaumelt. Ich kletterte in den Dünen umher, die in beträchtlicher Höhe (wohl bis 100 Fuß) die Insel umkränzen. Von hier aus erweitert sich der Blick auf das Meer, zugleich aber übersieht man die Insel Walcheren mit ihren Wiesen und Feldern, aus denen Dörfer und Kirchtürme heraus schauen, bis nach Middelburg, Veere und dem Dorfe Westkapelle mit seinen beiden Leuchttürmen. Im Dünensande lagen behaglich Dorfkinder und Badegäste und genossen das Dolce far niente; einige Damen lasen in Goldschnittbüchern.


An der Mittagstafel saß ich neben einem Holländer aus Dordrecht, mit dem ich mich nur französisch unterhalten konnte, das Deutsche war ihm wenig geläufig, ein neuer Beweis (wenn es deren bedürfte), wie die Germanen vor dem Romanentum sich noch immer beugen. Wir machten nach Tische einen Spaziergang durch die s.g. Manteling, das ist eine Waldpromenade innerhalb der Dünen. Hier alles grün, mit lauschigen Plätzchen, bunten Blumen und zwitschernden Vögeln; nichts erinnert an die Nähe der Nordsee; ein paar Schritt hinauf, und das Auge sieht nur die Sand- und Wasserwüste.

Sehr befriedigt kehrte ich am Abend nach Middelburg zurück.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Haparanda bis San Francisco