Ausflug nach dem schottischen Hochland

So häßlich Grangemouth an sich ist, so verlockend grüßen aus der Ferne die blauen Berge des Hochlands herüber.

Dienstag früh um 7 Uhr fuhren wir ins Hochland und waren Abends 7 Uhr wieder zurück. Es giebt eine große Menge feststehender Rundreisekarten durchs Hochland; wir wählten die Tour, die durch Scotts Lady of the Lake berühmt geworden ist und auch landschaftlich mit zu dem Schönsten gehört, was Schottland bietet: die Gegend des Loch Katrine. Ein solches Billet, das zur Eisenbahn-, Omnibus- und Dampfschiffahrt berechtigt, kostet etwa 18 Mark. Der Steuermann prophezeite das schönste Wetter für den Tag, und frohgemut traten wir unsere Fahrt an. Während der zweistündigen Eisenbahnfahrt von Grangemouth bis Callander verdüsterte sich der Himmel immer mehr und ein regelrechter Regen entwickelte sich aus dem Nebel. Callander ist der Ausgangspunkt für die aus Edinburg und dem Osten überhaupt kommenden Touristen. Dort standen 2 mächtige Omnibusse, in deren Innern das Gepäck untergebracht wurde. Auf dem Verdeck waren 5 Bänke zu 4 Sitzen angebracht, und alles beeilte sich, auf den angesetzten Treppen hinaufzuklimmen. Als wir uns auf unseren luftigen Sitzen eingerichtet hatten, sammelte ein Mann zunächst das Fee (Trinkgeld) für den Kutscher ein (6 Pence pro Person). Etwas überrascht, blieb uns doch nichts übrig, als diese Kontribution zu zahlen, von der der Kutscher vielleicht nie etwas zu sehen bekommen hat. Dieser selbst, mit grauem Cotelettbart, grauem Zylinder, rotem Rocke, blau-gelbgestreifter weißer Weste und grün-blau karrierter Hose, Schwang sich, eine imposante Erscheinung, auf die erste Bank, und vorwärts trabte das Viergespann, dem in kurzer Entfernung das zweite folgte. Für die Einwohner Callanders muß der Anblick drollig gewesen sein; 15 Fuß über der Landstraße 20 aufgespannte Regenschirme dahinschwebend! Ich saß neben einem Norweger, der mit 2 Damen Schottland bereiste; außerdem befanden sich mehrere Deutsche, Amerikaner, Franzosen und Dänen auf dem Wagen, dazu noch zwei negerhaft aussehende Individuen, von denen der eine alsbald eine Zeitung hervorzog und sich darin vertiefte. Es war mir unklar, warum der Mann sich keinen bequemeren Platz zum Lesen ausgesucht hatte als gerade einen Deckplatz auf einer schottischen Mail-coach. Die Landschaft befriedigte mich anfangs nur mäßig; der langhingestreckte Loch Vennachar, den wir zur Linken hatten, zeichnete sich mehr durch Länge als Schönheit aus. Rechts ragte der schottische Olymp, der Ben Ledi (Götterberg) empor; der ganze obere Teil war jedoch in Nebel gehüllt; Wälder fehlen den meisten dieser Berge, und vergebens sucht man nach den prächtigen Waldszenerien, wie sie Thüringen; und der Harz bieten. Wenn man die Lady of the Lake in frischer Erinnerung hat, so gewinnt die Landschaft bedeutend an Reiz, wie andererseits die Lektüre des Gedichts eindrucksvoller wird, wenn man die Landschaft kennt, die es beschreibt. Da ist die Stelle, wo der Verzweiflungskampf zwischen Roderick Dhu und dem Könige stattfand; da ist die Wiese, wo durch das Herumsenden des Feuerkreuzes die Krieger von Clan Alpine sich versammelten und vor dem erschreckten König plötzlich aus der Erde herauswuchsen; wir passierten die berühmte Bridge of Turk (Eberbrücke) und fuhren an dem hübschen kleinen Loch Achray vorbei, an dem die Eröffnungsszene des Gedichtes spielt: „The western waves of ebbing day“ u.s.w. Wir befanden uns nun in dem Engpaß Trosachs, der dicht bewaldet ist. Am Ende desselben erhebt sich das in mittelalterlichem Burgstil erbaute „Hotel Trosachs“, von wo aus wir in wenigen Minuten die Ufer des Loch Katrine erreichten. Nur minutenweise hatte es bisweilen aufgehört zu regnen, und wenn düstre Beleuchtung, Nebel und dergl. zu den notwendigen Ingredienzien schottischer Gebirgslandschaft gehören, so hätten wir es nicht besser treffen können. Wir kletterten von unseren Thronen herunter, der Neger steckte seine Zeitung ein, und da lag also vor uns die Perle der schottischen Seen, auf den so viele Perlen herunter tröpfelten, daß wir lebhaft an Perleberg erinnert wurden. Ein winziger Dampfer, der Kleinheit des Sees angemessen, nahm uns auf; gerne hätte man bei der Kälte etwas Warmes gehabt, doch mußten wir uns mit einem Whisky begnügen. Die Mutigen blieben auf Deck, die anderen verzogen sich in die Kajüte. Wir gehörten zu den ersteren; ich hätte es mir nie verzeihen können, wenn ich den Ben Venue, den Ben An und vor allem das liebliche Ellen's Island mit seinen poetischen Erinnerungen nicht so lange wie möglich genossen hätte. Der See dient auch einem sehr prosaischen und nützlichen Zwecke: er versorgt die große Stadt Glasgowmit Trinkwasser. Die herrliche Smaragdfarbe der Alpenseen sucht man freilich vergeblich bei den schottischen Seen.


Nach etwa 1stündiger Fahrt langten wir am westlichen Zipfel des langhingestreckten Sees an, und zu unserem Erstaunen hörte der Regen auf; die Sonne machte einige Versuche durchzubrechen, und als wir nach abermaliger, etwa 1stündiger Omnibusfahrt uns dem Loch Lomond näherten, brach die Sonne durch und beleuchtete die Berge und den See. Man wurde warm und merkte wieder, daß man im Juli lebte. Unterwegs hatten wir überall auf den Wiesen und an den Bergabhängen Rinder mit mächtigen Hörnern, fast wie Büffel, und Schafe gesehen, die am Körper weiß, am Kopf und den Beinen dagegen schwarz waren und große krumme Hörner hatten. Sie nährten sich von dem dürftigen Grase, das die Felsen bekleidet.

Im „Hotel Inversnaid“ hatten wir ein Stündchen Aufenthalt, besichtigten den hübschen Wasserfall und frühstückten. Man ißt, was man will und so viel man will, und zahlt 3 Shilling.

Um 2 Uhr fuhren wir mit einem großen, sehr elegant eingerichteten Dampfer über den Loch Lomond in seiner ganzen Länge von Norden nach Süden. Anfangs ist er flußartig schmal, später wird er breit und enthält viele Inseln, scherenartig wie in Norwegen und Schweden; auf einer derselben standen die grauen Ruinen einer Burg. An den Ufern befinden sich noch mancherlei Sehenswürdigkeiten, z.B. Bruce's Rock, wo der Nationalheld sich verborgen hielt, Rob Roy's Cave, wo dieser Verbannte öfters Zuflucht suchte. Dicht an der Ostseite des Sees steigt der Ben Lomond empor, über 3000' hoch, wohl der höchste Berg der Gegend. Die Formen aller dieser Berge sind schroff und kühn und erinnern etwas an die Alpen, trotz ihrer geringen Höhe.

Am Südende des Sees angelangt, bestiegen wir die Bahn und kamen um 7 Uhr wieder auf der Mira an. Im Grangemouther Hafen herrscht gewöhnlich das regste Leben, die Eisenbahnen bringen unaufhörlich Kohlen und Eisen an die Schiffe, die allen Nationen angehören. Heute dagegen ist es ganz still, die Deckarbeiter haben einen Feiertag, die Läden sind meist geschlossen, und viele Hunderte von Ausflüglern sahen wir trotz des etwas regnerischen Wetters auf zwei Dampfern nach Vergnügungsorten des Meerbusens fahren.




[6] Geschrieben 1893.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Haparanda bis San Francisco