Abschnitt 2

Neun mal 24 Stunden auf der Eisenbahn


So viele Sprachen wie hier kommen wohl selten zusammen: da heißen drei Stationen hinter einander: Sulzbacher (deutsch), Las Vegas (spanisch), Shoemaker (englisch), dazu kommen noch griechische, lateinische, französische, holländische, mexicanische und indianische Namen.


In Las Vegas - wo übrigens grade die Pocken hausten, woran ich nichts dachte - benutzte ich die zwei Stunden Aufenthalt, um eine Cousine aussuchen, die dort wohnt. Die Stadt ist teils spanisch, teils indianisch und englisch, sehr hübsch gelegen; nicht weit davon das alte Santa Fe.

Ab und zu ein kleiner Ort von Adobe-(Lehm-)hütten, von Indianern und Silbergräbern bewohnt. Dutzende von ersteren kommen an den Zug, fahren auch streckenweise mit, da sie freie Fahrt haben; schwarzes Haar hängt ihnen wirr in die Stirn; ein grobes buntes Tuch und eine Decke verhüllt ein wenig den Körper; bunte Binden auf dem Kopf, Glasperlen um den Hals. Sie bieten selbstgebranntes Geschirr zum Verkauf, und ich erstand ein kleines Thongefäß, welches allerdings von der Kunst des Verfertigers kein glänzendes Zeugnis ablegt. Eine Verständigung ist kaum möglich, da die Leute einen Mischmasch von indianisch, spanisch und englisch radebrechen; man nimmt ihnen weg, was man haben will, und drückt ihnen dafür ein beliebiges Geldstück in die Hand.

Noch schmutziger als die Erwachsenen sind die Kinder, die nackt überall herumlaufen. - Einmal hatten wir Gelegenheit, einen Indianer als Reiter zu bewundern. Wohl fünf Minuten ritt er in gestrecktem Galopp neben dem Zuge her; wir drängten uns auf die Plattform, und laute Hurrahs ertönten dem Braven zur Belohnung, was ihn jedoch nicht zu rühren schien, denn er wandte nicht einmal den Kopf nach uns.

Wir fahren am Rio Grande del Norte entlang, immer nach Süden; der Fluß verdient hier das Beiwort „groß“ noch nicht. Das Land rings herum muß künstlich bewässert werden.

In Deming endigt die Atchison-Topeka- und Santa Fe-Eisenbahn und wir stiegen um, von jetzt ab bis San Francisco die Südliche Pacific-Bahn benutzend. Die beiden Yankees verließen uns, um mit der Post nach den Silbergruben weiter zu fahren; blieben noch der Tischler aus Bielefeld, der Gastwirt nebst Frau und der Italiener als meine engere Gesellschaft. Bei einem biedern Pommern verproviantierten wir uns mit Wurst, Brot, Obst und Californierwein. Viele Kleinhändler sind Deutsche, ebenso sehr viele Gastwirte. Deming liegt auf der Hochebene, im Hintergrund ragt die zur Sierra Madre gehörige Berggruppe Floridas und Tres Hermanas (drei Schwestern) hervor.

Das Terrain senkt sich bedeutend, wir kommen hinab in das fruchtbare Thal des Gila in Arizona, nachdem wir, leider nachts, die Ruinen der Aztekenstadt Casa Grande passiert. Die Vegetation nimmt zu; Palmen, Cacteen, Blumen aller Art. Wir fahren von Deming aus mit einem schnelleren Zug; das Wetter ist herrlich, munter balancieren wir, der Restaurateur, der Cafetiere und ich auf den offenen niedrigen Güterwagen umher, in dem frohen Gefühl, dem goldenen Staat immer näher zu kommen. Mittwoch früh in Yuma, am unteren Coloradofluß gelegen, wo, in Stadt und Umgegend, etwa 10.000 Yuma-, Pima- und Apache-Indianer wohnen. Sie sind fast nackt und zum Teil tätowiert; eine Photographie einer Squaw nahm ich zum Andenken mit. Wir überfuhren den Colorado und waren in Californien, dessen südlicher Teil, meist wüst und leer, unsere Stimmung zunächst etwas herabdrückte; den schönsten Gegensatz dazu bildet die Gegend von Los Angeles, wo wir am Donnerstag anlangten. Die zwei Stunden Aufenthalt spazierten wir in Stadt und Umgegend umher, herrlich mit Wein und Orangen bepflanzt; nicht weit vom Stillen Meere, unter dem 34° gelegen, die Heilstätte für die Lungenkranken Amerikas. Noch 48 Stunden fuhren wir, rechts die schneebedeckte Kette der Sierra Nevada und die Bernardino-Berge, Sonnabend früh sahen wir den Golf von San Francisco und fuhren mit dem Dampfer bei strömendem Regen hinüber nach der Stadt des ewigen Frühlings.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Haparanda bis San Francisco