Abschnitt 1

Friedrichsruh


Von Hamburg kommend, zogen wir es vor, statt direkt bis Friedrichsruh zu fahren, schon eine Station vorher auszusteigen und die halbe Stunde zu Fuß nach dem Ziel unserer Reise zu wandern. Wir hatten dadurch den Vorteil, ein gutes Stück des prachtvollen Sachsenwaldes, dessen Mittelpunkt Friedrichsruh ist, kennen zu lernen. Auf gut gepflegten Fußpfaden ging es durch das geheimnisvolle Waldesdunkel; hochragende Buchen, knorrige Eichen wiegen vor, dazwischen mächtige Farrenkräuter, hie und da Heidelbeerkraut. An vielen Bäumen sind Nistkästen für Vögel angebracht. Lautlose Stille; nur ein Bächlein, die Aue, murmelt unten und bildet ein helles, liebliches Wiesenthal, welches zwischen den Baumstämmen hindurchschimmert; wo sich das Wasser in breiteren Becken ansammelt, da ist es von gelben, nickenden Wasserrosen bedeckt, den sogenannten „Mummeln“.


Ab und zu ladet eine Bank zum Sitzen ein; allein wir lassen uns nicht aufhalten, sondern gehen schnell weiter; haben wir doch kein gutes Gewissen, denn an unserem Pfade steht das Wort “Verboten!“, welches hier, in des Fürsten eigenstem Spaziergebiet, öfters wiederkehrt.

Nach etwa 25 Minuten erscheint im Hintergrunde einer Wiese, zwischen einer Lichtung hoher, dunkler Bäume ein helles Gebäude: das Schloß. In welchem Stil es erbaut ist, wäre schwer zu sagen; es ist ein einfaches Privathaus. Wir gehen weiter. Im Walde versteckt liegen hie und da Häuschen, in welchen Beamte des Fürsten wohnen; auch einige Pensionen für Sommerfrischler sind da. Der eigentliche Park, der nicht umfangreich ist, verliert sich fast unmerklich in den Wald, der hier auch einen halb parkartigen Charakter trägt. Nur nach der Eisenbahn- und Landstraßenseite zu sind Schloß und engerer Park mit einer hohen, roten Mauer umgeben, die Staub, Lärm und allzu neugierige Augen abhalten soll.

Die Bemerkung in Griebens Reiseführer durch Hamburg und Umgebung, daß „die Wohnung des Fürsten unzugänglich“ sei (S. 130), ist dahin zu berichtigen, daß sich dies auf die Zeit der Anwesenheit Bismarcks beschränkt, und das ist immerhin der kleinere Teil des Jahres. Sonst wäre unser Ausflug vergeblich gewesen. Das war er nun glücklicherweise nicht, denn sobald wir den Schloßverwalter, wenn auch nicht mühelos, aufgetrieben hatten - obgleich er sich meist im Schloß aufhält, hat er seine Wohnung nicht dort - begann die Wanderung durch die 13 ebenerdigen Räume des Schlosses und eingehende Besichtigung derselben. Die Zimmer im ersten und zweiten Stock werden nicht gezeigt; es sind Logierzimmer, für den Fremden nicht sonderlich sehenswert. Auch Crispi wohnte bei seinem vorjährigen Besuche hier.

Die Führung begann. Da wir nur unser zwei waren, so konnten wir uns überall nach Belieben aufhalten und umschauen, und was uns zweifelhaft war, erklärte der Verwalter, ein früherer Schuhmacher, der seit einer langen Reihe von Jahren seine Stelle versieht.

Rechts vom Eingange tritt man durch ein Garderobezimmer in den Empfangssaal. Ein riesiger Eichentisch nimmt die Mitte ein, das Geschenk eines Tischlers. Von den Sprüchen, die denselben zieren, führe ich folgenden an:

Wenn einer kam und Ränke spann,
Dann setztest du den Hobel an,
Dann flogen auch die Spähne gleich;
Gott schütz' den Kaiser und das Reich!

In der Mitte das Familienwappen mit dem bekannten Wahlspruch:

Das Wegekraut sollt stehen lan;
Hüt dich, Jung', sind Nesseln dran!

Ein mächtiger Lorbeerkranz mit schwarzgelber Schleife, von der Göttinger Universität zum Ministerjubiläum dargebracht; ein aus Schmiedeeisen äußerst kunstvoll gearbeiteter Blumenstrauß und andere derartige Erinnerungen ziehen das Auge auf sich.

Es folgt das Rauchzimmer. Bismarcks Porträt, 1877 vom Engländer Heily gemalt, schaut ausdrucksvoll von der Wand herab. Auf dem Kamin ein Modell des Niederwalddenkmals, gegenüber ein Löwe in Bronze, von Braunschweiger Bürgern zum Gedächtnisse Heinrichs des Löwen gewidmet; ein großer, schön geschnitzter Eichenschrank, zur Aufbewahrung von Papieren bestimmt, auch ein Geschenk zum 1. April 1885.

Wir treten in das Treppenhaus, welches mit Hirschgeweihen und Büffelhörnern geschmückt ist. Da sieht man ein riesiges Geweih aus Winnipeg, eins aus San Francisco geschickt, einen ganzen Büffelkopf, ein Elengeweih aus Ostpreußen, Antilopengeweihe u.a. Auf einem Schrank das Modell eines transatlantischen Dampfers, in Kiel gearbeitet.

Der Speisesaal, einfach wie alle Zimmer ausgestattet, schließt sich an. Einige Landschaften hängen an der Wand: Chiemsee, Königssee, Wildbadgastein, ein Seestück; aber herrlicher als die Gemälde im Saal ist dasjenige, welches sich vor den Fenstern ausbreitet: eine smaragdgrüne Wiese, von der sich schlängelnden Aue durchströmt, eingerahmt von prachtvollen, dichten Eichen und Buchen; ein überaus liebliches, idyllisches Bild, von dem man sich ungern trennt!

Zwei Salons folgen, mit den Bildern der Ahnen der Familie geschmückt, 400 Jahre zurückreichend. Charakteristisch der Urgroßvater des Fürsten, ein Jägersmann mit der Flinte. Von Geschenken, die im ersten Salon Aufstellung gefunden haben, sei besonders erwähnt eine blaue Vase, kurz vor dem Tode Kaiser Wilhelms I. von diesem gespendet. Auf der Vorderseite trägt sie das Bild des Kaisers, auf der Rückseite das kaiserliche Palais in Berlin mit dem berühmten Eckfenster. Hier wie im nächsten Salon Ofenschirme, der eine von der japanischen Gesandtschaft, der andre vom Sultan herrührend. Im zweiten Salon Bismarck als junger Mann; im ersten Augenblick glaubten wir Herbert vor uns zu haben, so groß ist die Aehnlichkeit. Ein Schlachtstück: der Kampf bei Mars-la-Tour, mit den beiden Söhnen des Fürsten mitten im Gefecht. Ueber dem Klaviere Friedrich der Große, daneben friedlich Maria Theresia und Josef II. Hier wie in den meisten Zimmern wiederholt Bilder des Kaisers, bei verschiedenen Gelegenheiten seinem Kanzler gewidmet.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Haparanda bis San Francisco