Eisenberg

Wer Thüringen als Tourist bereist, begnügt sich gewöhnlich mit Glanzpunkten wie Schwarzburg, Elgersburg, Friedrichsrode, Eisenach. Aber auch diejenigen, welche nicht blos die breitgetretenen Pfade zu pilgern pflegen, werden Eisenberg kaum berühren. Die meisten, wenn sie aufrichtig sind, werden sogar bekennen, daß sie kaum davon gehört haben. Um von mir selber zu reden, so hörte ich den Namen zuerst in Jena, wo ich vor einer Reihe von Jahren studierte, und welches etwa drei Stunden von Eisenberg entfernt liegt. Eine Bahnverbindung zwischen beiden Städten besteht nicht. Dagegen führt von der Hauptlinie, der im Elsterthal sich hinziehenden Leipzig-Geraer Eisenbahn, eine 9 Klm. Lange Zweigbahn das Thal hinauf nach Eisenberg. Die Bahn steigt stark, denn Eisenberg liegt etwa 300 Mtr. hoch. Verschiedene hübsch gelegene Dörfer, wie Hartmannsdorf, Rauda, Kursdorf werden passiert; plötzlich erscheint auf hohem Bergkegel gelegen ein Teil des Städtchens, eine Anzahl villenartiger Gebäude, das Gymnasium und das Schloß. Ueberall begrenzen höhere Berge den Blick; Gärten umschließen die Häuser; rechts am Abhange dehnt sich der sogenannte „Nasse Wald“ mit vielen Promenaden aus. Vom höchsten Punkte desselben übersieht man mehr von der Stadt als wir, die wir unten mit der Bahn angekommen sind; sie erstreckt sich lang über den Bergrücken, der in die Hochebene übergeht. Eisenbergs Glanzpunkt ist das Schloß mit seiner Umgebung. Das Innere bietet außer der prächtigen, in etwas überladenem Rokoko gebauten Kapelle nichts Besonderes. Seine Gründung fällt in sagenhaftes Dunkel, jedenfalls war es 1215 schon bewohnt. Im letzten Viertel des 17. Jahrhundert diente das Schloß dem ersten und zugleich letzten Herzog zu Sachsen-Eisenberg als Residenz.

Am 7. März 1677 zog Christian in das Schloß ein, das ihm nebst dem Fürstentum in der Erbteilung seines Vaters, des bekannten Ernst des Frommen von Sachsen-Gotha, zugefallen war. Er nannte das Schloß „Christiansburg.“ Seine Hauptbeschäftigung bildete die Alchimie, und er ließ sich ein Laboratorium in dem hübschen, von ihm angelegten Schloßgarten bauen, von dem nur noch ein Stück Mauer steht, von den älteren Einwohnern der Stadt „‘s Läbbetoorchen“ genannt. Bei den deutschen und englischen Alchimisten war er unter dem Namen „Theophilus-Abt zu den heiligen Jungfern zu Lausnitz“ bekannt. In einem ausführlichen Tagebuche soll er seiner Begegnungen mit Geistern und Verdorbenen gedacht haben. Er errichtete 1698 die erste Postverbindung mit den Nachbarstädten Zeitz, Jena und Gera. Sein Hauptverdienst war jedoch die Gründung des Lyceums, späteren Gymnasiums, das der Stadt ihr Gepräge aufdrückte. Was für Jena die Universität, ist für Eisenberg in der That das Gymnasium. Der Herzog war zweimal vermählt; seine einzige Tochter aus erster Ehe, Christiane, heiratete einen Herzog von Holstein-Glücksburg. Im Jahre 1707 starb Herzog Christian, und mit ihm war die Selbständigkeit Eisenbergs vorbei. Es fiel an andere Thüringische Staaten und gehört jetzt zu Altenburg, von dessen getrennt liegendem Westkreise es die Hauptstadt ist. Der Herzog von Altenburg bewohnt das Schloß im Sommer zeitweise, ebenso wie andere Mitglieder des Hauses.


Bei Gelegenheit der 200jährigen Jubelfeier der Gründung des Christiansgymnasiums 1888 wurde beschlossen, dem Stifter desselben ein Denkmal zu setzen. Eines solchen erfreut sich bereits der Philosoph Krause, der aus Eisenberg stammt und dessen System, an Kant anschließend, besonders in Belgien und Spanien Anhänger gefunden hat. Der sehr unpraktische Mann ist, nachdem er in München vergeblich seine Existenz zu begründen versuchte, im Elend gestorben.

Der Schloßgarten hat bedeutenden Rosenflor und einen schönen Laubgang und bietet infolge seiner hohen Lage malerische Blicke in das sogenannte „Thälchen.“

Eisenberg liegt etwa in der Mitte zwischen Elsterthal und Saalthal. Von zwei Seiten umgeben ziemlich tiefe Thäler die Stadt; auf der dritten (West)-Seite hängt sie mit der Hochfläche zusammen. So liegt sie gewissermaßen auf einer Landzunge, einem vorspringenden Riff; man will Aehnlichkeit mit der Lage von Jerusalem finden. Die Umgebung von Eisenberg ist überreich an anziehenden Punkten. Ueberall Wald, meist aus prächtigen Rottannen bestehend. Der beliebteste Ausflugspunkt ist das Mühlthal, etwa eine halbe Stunde entfernt. Man geht über eine kahle Hochebene; plötzlich öffnet sich zu Füßen ein idyllisches Thal, durchflossen von einem klaren Bach; in der Thalsohle frischgrüne Wiesen und wenigstens ein halbes Dutzend Wassermühlen. Einige von diesen nehmen auch Fremde zur Sommerfrische auf, so besonders die Walkmühle. Am oberen Ende des etwa 2 Stunden langen Thales liegt auf der Lichtung ein größeres Dorf, Kloster-Lausnitz, mit einer restaurierten romanischen Kirche von wundervollen Verhältnissen. Nach der Richtung von Jena zu gelangt man in einer Stunde nach Hahnspitz, an einem kleinen See gelegen und an den Wald gelehnt. Noch eine gute Stunde weiter liegt Bürgel, bekannt durch Töpferfabrikation, und in der Nähe Thalbürgel, mit den Ruinen einer ungeheuren romanischen Kirche, eines Domes, in den hinein eine bescheidene Dorfkirche gebaut ist. Mitten im Buchenwalde, von Eisenberg etwa zwei Stunden, liegt Waldeck. Hier brachte Goethe einige Tage um die Weihnachtszeit 1785 zu; vom Rektor zu Bürgel borgte er sich den Homer und las hier in der Weltabgeschiedenheit wieder von dem Dulder Odysseus. Dabei dichtete er „die Geschwister“, in denen er sich sein Verhältnis zu Frau von Stein vom Herzen zu schreiben suchte; freilich vergebens. Noch manche reizende Partien, von Natur und Geschichte begünstigt, lassen sich von Eisenberg aus leicht erreichen. Allein das Angedeutete mag genügen, um die Aufmerksamkeit auf diesen östlichen Winkel des schönen Thüringerlandes zu lenken.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Haparanda bis San Francisco