Abschnitt 4

Auf Seeland


Im Jahre 980 verlegte Harald Blauzahn die Residenz von Leire nach Roskilde und damit beginnt die 500jährige Blütezeit des Ortes; Roskilde soll 100.000 Einwohner gehabt haben. Von hier aus dehnten Knut der Große, Waldemar und Margarete ihre Herrschaft über den ganzen skandinavischen Norden aus; hier war auch der Sitz des Bischofs, der Mittelpunkt der geistlichen Regierung.


Im Jahre 1438 rief der dänische Reichstag den Sohn des Herzogs Johann von der Oberpfalz, Christopher von Bayern, ins Land, der 1440 auch von den Schweden als König anerkannt wurde. Er verlegte im Jahre 1443 die Residenz nach Kopenhagen, wozu ihn die ungleich günstigere Lage Kopenhagens, direkt an der See, gegenüber Schweden, bewogen haben mochte. Damit war Roskildes Rolle in der Geschichte ausgespielt; es sank schnell von seiner Höhe herab. Heute ist es ein kleines, stilles Städtchen mit 5.000-6.000 Einwohnern.

Die Lage ist anmutig: an der südlichsten Spitze einer tiefen Meereseinbuchtung, der Roskilder Föhrde, auf welcher Dampfschiffverbindung mit Frederikssund und anderen Punkten besteht. Herrlicher Buchenwald auf Anhöhen und im Thal und Wasser machen auch hier, wie überall auf Seeland, den Hauptreiz der Landschaft aus.

Der alte lustige „Graver“ (Küster) zeigte uns das Innere des mächtigen, in neuerer Zeit restaurierten Domes. Er ist ein großes Mausoleum: 31 Könige und Königinnen und 46 Prinzen und Prinzessinnen ruhen darin. Jene haben ihre Stätte meist über der Erde, in teilweise prächtig ausgestatteten Kapellen; diese müssen sich mit einfachen, unterirdischen Kammern begnügen, wo die schmucklosen Särge stehen. An jedem Pfeiler ist eine Königsstatue angebracht: den Anfang macht Harald Blauzahn ([Symbol: gestorben] 985) am nordwestlichen Pfeiler des Chores. Die späteren Könige haben ihre Denkmäler im Chor und in besonderen Anbauten. Hinter dem Altar steht der Sarkophag der gewaltigen Margarete, welche die drei nordischen Reiche beherrschte. Auf dem Marmorsarge liegt die Marmorstatue der Königin, ähnlich den Denkmälern Luisens und Friedrich Wilhelms III. in Charlottenburg. Neben ihr knieen Friedrich II. und Christian III. Die schönste Kapelle ist die Christians IV. mit dem Standbilde des Königs von Thorwaldsen und Frescogemälden von Marstrand. Die letztverstorbenen Glieder des Königshauses, Friedrich VII. und Caroline Amalie, geborene Prinzessin von Augustenburg, sind in der Kapelle Friedrichs V. beigesetzt.

Es ist für den Fremden schwer, sich durch die vielen Friedriche und Christiane durchzufinden, da diese beiden Namen fortwährend wiederkehren. Eine gewisse Erleichterung wird dadurch herbeigeführt, daß sie regelmäßig abwechseln, so daß auf einen Christian ein Friedrich folgt und auf einen Friedrich ein Christian. So wird auf den jetzigen Christian IX. der Kronprinz Friedrich folgen. Auch die Namen von Städten und Schlössern sind so häufig mit diesen Namen zusammengesetzt, daß Verwechslungen leicht vorkommen. Da giebt es Frederiksberg und Frederiksborg, Frederiksdal und Frederikssund, Frederiksvaerk und Frederikshald, Frederiksvand, Frederiksstad, Frederikshavn, Fredericia, und andererseits Kristiansborg, Kristianssund, Kristiansstad, Kristiansand und Kristiania. Auch die vielen Denkmäler in Kopenhagen, die meist Königen mit diesen beiden Namen gelten, sind schwer auseinander zu halten.

Als der Küster, der nur schlechtes Deutsch radebrechte, hörte, daß wir aus Flensburg seien, wurde er noch freundlicher. Man rechnet in Dänemark Flensburg (Flensborg) immer noch halb und halb zum Reiche und betrachtet die armen Flensburger als Märtyrer der guten dänischen Sache, die unter der preußischen Fuchtel seufzen. Bei uns traf das nun freilich gar nicht zu, allein der Küster ließ uns keine Zeit, ihn darüber aufzuklären, sondern winkte uns, indem er sagte: Wenn Sie aus Flensburg sind, dann wird Sie dies hier besonders interessieren. Damit zeigte er uns einen Kranz mit rotweißer Schleife samt Widmung, den vor einigen Jahren eine Schaar Flensburger Jungfrauen hier niedergelegt hatte. Ueberall waren sie freundlich, ja begeistert aufgenommen und bewirtet worden als unterdrückte Landsleute, und die Bande zwischen den dänisch denkenden und fühlenden Nordschleswigern und Dänemark waren dadurch wieder fester geworden. Uebrigens sind die dänisch Gesinnten gerade in der Stadt Flensburg in ganz erheblicher Minderheit; nur ein kleiner Bruchteil der Bevölkerung bedauert die Zugehörigkeit zum Deutschen Reiche.

Nachdem wir die Grabkapellen zum größten Teile besichtigt hatten, ließen wir noch einmal das majestätische Domgewölbe und den herrlichen Chor auf uns wirken. Zwanzig starke Pfeiler tragen das Mittelschiff, dessen Gewölbe 25 Meter hoch ist. Die Seitenschiffe haben eine höhe von 12-1/2 Meter. Die Länge der Kirche ist 76 Meter, die Breite 25 Meter. Die beiden Westtürme sind 76 Meter hoch, der dritte Thurm oberhalb des Chores 60 Meter. In dem nördlichen Turm der Façade befindet sich die große Glocke, welche 5-1/2 Meter im Umfange mißt.

Etwas abseits, unter einem einfachen Stein, ruht der Geschichtschreiber Saxo Grammaticus ([Symbol: gestorben] 1207), der die alten Sagen vom dänischen Tell aufgezeichnet hat.

An der Westseite des Hochthores befindet sich die Alabasterfigur des 1363 gestorbenen 19jährigen Sohnes des Königs Waldemar, des Bruders der berühmten Margarete: er fiel in einer Seeschlacht gegen die Hanseaten.

In der Sakristei sind die Portraits vieler Roskilder Bischöfe zu sehen, darunter auch das des 1884 verstorbenen Martensen, der durch seine Werke (Christliche Ethik) auch in Deutschland bekannt geworden ist. Bemerkenswert ist noch das künstliche Uhrwerk, welches aus dem 15. Jahrhundert stammt, das einzige in Dänemark, sowie die spätgothischen Chorstühle mit originellem Holzschnitzwerk, welches Scenen aus dem Alten und Neuen Testament darstellt.

Fährt man mit einem Dampfer den Roskilder Fjord hinauf, so kommt man nach dem Schlosse Jägerpris, wo in idyllischer Abgeschiedenheit König Frederik VII mit seiner Gemahlin, der Gräfin Danner, einer ehemaligen Buchmacherin, die Sommermonate zubrachte. Im Garten des Schlosses ruhen ihre Gebeine, denn als morganatische Gattin konnte sie nicht in dem ehrwürdigen Königsdom zu Roskilde beigesetzt werden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Haparanda bis San Francisco