Abschnitt 2

Auf Seeland


Das Innere der Kronborg bietet wenig Interessantes. Der Führer zeigt das Zimmer, in welchem die Königin Karoline Mathilde, Gemahlin Christians VII., unerlaubten Umgangs mit Struensee angeklagt, eine Zeit lang gefangen saß, bis sie in die Verbannung nach Celle ging. Von dem flachen Dache des südwestlichen Turmes ist die Aussicht noch umfassender als von der Terrasse.


Ein offener Einspänner führte uns am Meeresstrande hin nach dem 6 Kilometer entfernten Seebade Hellebäk. Diese Tour gehört zu den lohnendsten, die man auf Seeland überhaupt machen kann. Zur Rechten hat man fortwährend die Aussicht auf das bewegte Kattegat und die gegenüberliegende schwedische Küste, auf welcher sich das reizende Lustschloß Sophiero, der Lieblingsaufenthalt des schwedischen Königspaares, von dem dunklen Waldgrunde abhebt. Was aber das Auge des Reisenden wahrhaft überrascht, ist das Kullengebirge, das mit seinen schroffen, unbewaldeten Felsen direkt ins Meer abfällt, von der schäumenden Brandung umbraust. Mit seinen regelmäßigen Formen, seinem Pyramidenaufbau, seiner vegetationslosen Nackheit erinnert es stark an südliche Gebirge; hier im Norden sucht man solche klassischen Konturen nicht.

Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt. Hatten wir uns in Kronborg Hamlets Leben und Thaten in die Erinnerung gerufen, so sollten wir in Marienlyst dafür - sein Grab sehen! Für 65 Oere kann es jeder besichtigen; mit vollem Ernst wird versichert, daß hier und nirgend anders der unglückliche Dänenprinz ruht. Eine Säule bezeichnet die Stätte. Wir schüttelten den Staub von unseren Füßen und suchten schleunigst das Weite, um die feierliche Stimmung, die sich der anwesenden Engländerinnen bemächtigt hatte, nicht durch ein unzeitiges Lachen zu vernichten. So gingen wir zugleich eines Aufenthalts in dem angenehmen Seebade Marienlyst („Marienlust“) verlustig, hatten dafür aber um so mehr Zeit für das Fischerdorf Hellebäk. Ein gutes Hotel mit allem Comfort der Gegenwart deutet darauf hin, daß auch hier die alte einfache Zeit bald verschwunden sein wird. Hellebäk, ein beliebter Aufenthalt der Kopenhagener Maler, liegt hart am Strande in romantischer Gegend und zeigt schon Nordsee-Charakter: Dünen, Sand und starken Wellenschlag. Lange, mit weißen Schaumkronen bedeckte Wogen treiben ununterbrochen dem Ufer zu, wo sie brandend anschlagen und zerschellen.

Stundenlang kann man dem ewigen Gesange des Meeres zuhören, der immer derselbe und bei aller Eintönigkeit doch immer neu und süß dem Ohre ist, das ihn versteht. Hier beschlossen wir, wenigstens eine Nacht zu bleiben und die Nordsee auch bei Mondschein zu genießen; denn von morgen ab – das wußten wir - würden wir sie nicht wiedersehen. Im Morgensonnenschein setzten wir unsere Wagenfahrt fort, vom Gestade des Meeres ins Innere der Insel. Fredensborg und Frederiksborg, die beiden inmitten der seeländischen Buchenwälder gelegenen Königsschlösser, waren für heute unser Ziel. Da ich wußte, welche Fülle von Werken der Architektur, Malerei und Bildhauerkunst mir in Frederiksborg beschieden sein würde, so suchte ich mich vorher durch die einfache Stille der ländlichen Natur zu stärken und zu erfrischen.

Die Fahrt durch das nordöstliche Seeland von Hällebek bis Gurre gleicht einer Fahrt durch einen Park: hügelige Gegend, hie und da Wald, Wiesen, Feld und Weideplätze, auf denen sich Kühe und Schafe und selbst Pferde tummeln; hier ein Häuschen, von mächtigen Buchen oder Fichten beschützt, mit einem Vorgärtchen, in welchem Rosen die Hauptzierde bilden, davor spielende Kinder und auf der Schwelle eine klug drein schauende Katze; dort ein Complex von Häusern, eine Art Dorf, aber überall zwischen den einzelnen Gebäuden noch Raum für Gärten, Feld und etwas Wald; denn der Germane liebt es, im Gegensatz zum Kelten, frei, unbehindert, für sich zu wohnen, wie Tacitus erzählt und wie man es in urgermanischen Ländern, Schleswig-Holstein, Westfalen, Dänemark noch jetzt als Regel beobachten kann.

Etwa auf halbem Wege nach Fredensborg, 7 Kilometer von Hellebäk, trafen wir ein größeres Dorf an: es ist Gurre, an einem dunkeln Waldsee gelegen; jetzt ein stiller Ort. Früher lebte hier König Waldemar III. mit seiner Geliebten Tovelille (= kleine Tove) auf einem Schloß, von welchem am Ufer Ruinen zu sehen sind: die Hauptmasse desselben soll aber mitten im See gestanden haben. Der König liebte diese Gegend so, daß er öfters sagte: „Wenn Gott mir Gurre ewig gönnen wollte, so würde ich alle Ansprüche auf sein Himmelreich aufgeben.“ Volkssagen leben noch im Munde der Bewohner von Gurre, wie die folgende: Der König hatte geschworen, seiner Gattin Hedwig nie wieder zu nahen. Ein altes Weib aus dem Walde kam zur Königin und prophezeite ihr, daß, wenn der König sich ihr in Liebe näherte, Schweden an Dänemark kommen solle. Da schlich sich Hedwig, als Tovelille verkleidet, zu Waldemar und gebar nachher Margarete, die Große genannt, welche durch die kalmarische Union die Prophezeiung verwirklichte.

Um Mitternacht soll der König, dem Rodensteiner gleich, noch oft mit Gefolge über Wälder und Seen jagen.

Hinter Gurre nahm die Pracht des Waldes uns auf, der fast bis Fredensborg uns umfing. Wie eine Mauer sperrt uns dieser Wald nach allen Seiten ab und läßt keinen Ausweg erblicken. „Dicht über uns“, so schildert ein Reisender eine Wanderung durch den seeländischen Wald, „zwitschert ein einsamer kleiner Vogel, der uns zu verfolgen scheint. Man kann das kleine Geschöpf nicht zu Gesichte bekommen, aber man hört es immer, bald hier, bald dort im Laube uns zu Häupten sich weiter bewegen und wiederholen: Sieh hier! Sieh hier! Weiter fort hört man das zärtliche Gurren einer Waldtaube, und wenn man stehen bleibt und lauscht, so kann man tief drinnen in den Wäldern eine versteckte Quelle plätschern hören. Mitten im Walde trifft man dann einen kleinen träumenden See. Seine Fläche ist glatt wie ein schwarzer Spiegel mit weißen Flecken von den Sonnenstrahlen, welche das ihn bedeckende Blätterdach durchdringen. Die schlanken Stämme, die gekrümmten Zweige, das grüne Blättergewimmel, der Hirsch, der raschelnd daherkommt, um zu trinken - alles spiegelt sich darin mit einer wunderbaren Reinheit und bezaubert durch seine unzerstörbare Ruhe.“

An einen solchen, aber weit größeren See kamen wir jetzt; der Wald hörte auf kurze Zeit auf, und vor uns that sich die weite, glatte Fläche des Esrom-Sees auf. Und dort, nach ein paar Minuten, glänzen die weißen Mauern von Fredensborg, der Sommerresidenz der dänischen Königsfamilie, wo vor einigen Jahren auch der Deutsche Kaiser zu Gaste weilte, und wo der Kaiser von Rußland, der König von Griechenland und andere Verwandte des Dänenkönigs oft und gern in stiller Zurückgezogenheit wohnen.

Welchem Stile das 1720 nach dem dänisch-schwedischen Frieden gebaute Schloß angehört, wäre schwer zu sagen; es ist ein ziemlich einfaches Landhaus mit einer Kuppel in der Mitte und zwei Seitenflügeln. Das Schönste am Schloß ist seine Lage in einem herrlichen Park. Dieser ist ursprünglich ein Stück eingehegten Waldes, mit mächtigen Buchen und Linden, welche Alleen von seltener Pracht bilden. Einige dieser Alleen gehen strahlenförmig vom Schlosse auf den Esrom-See, bis zu welchem sich der Park hinzieht, so daß man von dem Platze vor dem Schloß den See durchblitzen sieht. Eine Allee heißt „Sukkenes-Allee“ (Seufzerweg); in einer anderen, „Normandsdalen“ genannt, stehen 70 lebensgroße Figuren ohne eigentlich künstlerischen Wert, aber insofern von Interesse, als sie die Beschäftigungen und Nationaltrachten der Bewohner der verschiedensten Gegenden Norwegens, Island und der Fär-Oer, also gewissermaßen ein Ethnographisches Museum darstellen. Dicht neben dem Schlosse liegt der „Marmorgarten“, in italienischem Stil, voller Marmorstatuen, den stärksten Gegensatz zu dem freien, nicht künstlich beengten Waldparke bildend.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Haparanda bis San Francisco