Die Düne

Überfahrt nach derselben. — Strand und Sandhügel. — Bäder. — Der Pavillon.

Die Düne, jener unbedeutende Sandstreifen, ist die eigentliche Lebensbedingung Helgolands als Bad. Der Untergang der Düne würde das sofortige Aufhören der Badesaison zur Folge haben und die Bewohner der Insel in ihren Urzustand, wo sie als Fischer und Lotsen lebten, zurückführen.

Der Eintritt des Jahres 1855 war für Helgoland durchaus nicht erfreulich; jagte er doch den Helgoländern einen doppelten Schreck ein. Die Sturmflut am Neujahrstage wütete so gewaltig gegen die Düne, dass man ihren Untergang fürchtete. Dazu kam die Nachricht, dass die Insel als Werbestation der Fremdenlegion dienen sollte, was den Helgoländern, von denen der jüngere Stamm kaum Soldaten gesehen hatte, und womit Helgoland seit 40 Jahren verschont war, noch schlimmer vorkam als zwei Sturmfluten. Denn fürchteten sie, dass die Sturmflut ihnen die Badeinsel wegtriebe, so bangte ihnen ebenso dafür, dass die Soldaten die Badegäste vertreiben würden. Beide Kalamitäten gingen indes besser vorüber, als man erwartet hatte.


Die Düne ist eine kahle Sandinsel, etwa eine Viertelstunde von der Felseninsel entfernt, mit der sie noch 1720 zusammengehangen haben soll. Ihre Länge beträgt etwa 3.500, die Breite 1.000 Fuß.

Die Mitte oder der Kern der Insel besteht aus Sandhügeln, die mit Sandhafer bewachsen und rundum von einem flachen Strand umgeben sind, auf dem sich fortwährend die Wellen brechen. Dieses seichte, weiche, steinlose Sandufer mit seinen Brandungen macht die Düne so sehr zum Baden geeignet; denn man braucht hier nicht wie anderswo die Flut abzuwarten und seine Badezeit täglich zu verändern, sondern kann regelmäßig von Morgens 6 bis Nachmittags gegen 2 Uhr baden.

Da die Düne nach allen Seiten hin große Meeresstrecken um sich hat, so ist stets ein starker Wellenschlag vorhanden, der Wind mag kommen, woher er will. Die Seebäder an den Küsten haben diesen Vorteil nicht, da der Wind von der Landseite wenig oder keine Wellen hervorbringt.
Die Überfahrt nach der Düne geschieht in großen, der Badeanstalt gehörigen Booten. Man steigt an demselben Platz ein, wo man vom Dampfschiff landete und auf dem schmalen Steg, der zum Boot führt, bildet sich alle Morgen ein Gänsemarsch, der beim Aussteigen auf der Düne fortgesetzt wird und am Pavillon endigt, wo die Damen links und die Herren rechts sich nach den Bädern wenden.

Nach den Herrenbädern führt der Weg entweder über die Sandhügel oder um dieselben auf Brettern, die hier gelegt sind, damit man nicht im Sande zu waten braucht. Bei den Badekarren befindet sich eine Handtuchniederlage, in welcher sich Diejenigen, die keine eigene Badewäsche führen, gegen das Honorar von 1 Schilling damit versehen können. Wenn die Wagen alle besetzt sind, so macht man es wie die Studenten im Theater zu Leipzig und belegt den nächsten Platz mit seinem Handtuch, was hier eben so heilig respektiert wird wie dort.

Wer zum ersten Male in der See badet, wird einigermaßen in Verwunderung gesetzt, wenn er in kaum fußtiefem Wasser, plötzlich von einer mannshohen Welle überfallen, unter günstigen Umständen zu Boden geworfen und mit den Beinen in der Luft an den Strand gespült wird. Glücklicherweise macht der weiche Sandgrund eine solche Fahrt weniger unangenehm als dies auf steinigem Boden der Fall sein würde. Man kriecht nun mit geschlossenen Augen und zur Belustigung der Anwesenden auf allen Vieren ein Stück landeinwärts, um erst wieder auf die Beine zu kommen und dann von neuem den Wellen entgegenzugehen. Die beste und bei den alten Praktikern beliebteste Stellung einer ankommenden Welle gegenüber ist die, dass man ihr den Rücken zukehrt, sich etwas bückt, die Hände auf die Knie stemmt und so den Schlag der Welle auf den Körperteil fallen lässt, der für Schläge einmal bestimmt zu sein scheint. Die Woge stürzt dann wie ein brausender Wasserfall über den Kopf weg und man kommt auf der andern Veite unversehrt wieder zum Vorschein.

Die Kälte des Wassers, das bloß 13 — 15 Grad hat, ist durch den starken Stoß, mit dem man von der Welle überfallen wird, weniger fühlbar, als dies in ruhigem Wasser sein würde, weshalb auch Leute, die sonst nicht gern kalt baden, hier mit Vergnügen ins Wasser gehen.

Die Herrenbäder auf der Düne.

Hat man das Bad verlassen, so geht man auf der Südspitze spazieren (denn die Nordspitze darf man der Frauenbäder wegen nicht betreten) oder erklettert die Sand-Hügel, auf deren Gipfel man sich mit Bekannten unterhält, liest oder durch das Fernrohr ferne Gegenden beobachtet, die man sich in die Nahe wünscht. — Nach einer so verbrachten halben Stunde macht gewöhnlich der Magen sich mit seinen Forderungen so ungestüm geltend, dass man den Weg zum Pavillon einschlägt, um dort zu frühstücken.

Hier findet man Vormittags stets große Gesellschaft und der Wirth muss den Sommer über seine gute Ernte machen, wenn man die Preise in Betracht zieht, auf die er hält. Man kann zwar im Allgemeinen nicht über übertriebene Forderungen klagen, denn wer Schweizerkäse essen will und sich dabei auf der Düne befindet, der muss bedenken, dass die Schweiz weit ist, und dass ein politischer Wirt das jüngste Erdbeben, von dem sie heimgesucht ward, beim Käse in Betracht ziehen muss, so wie, dass Schinken und Mettwurst nicht zu den Naturerzeugnissen Helgolands gehören. Wenn aber dieser unverdorbene Naturmensch von Dünenwirt für einen Taschenkrebs, den man in Hamburg stets für 1 — 2 Schilling kauft, 12 Schillinge, und für das Dutzend Austern, welches man bei Willens in Hamburg mit 12 Schillingen bezahlt, 14 Schillinge verlangt, so verdient er dafür den Winter über in seinen Pavillon oder auf die Galerie des Leuchtturms gesperrt zu werden.

Der Pavillon auf der Düne.

Wer sich zum Andenken an die Insel kleine Seepflanzen und dergleichen mitnehmen will, findet dieselben am besten zur Ebbezeit am Dünenstrand, wo sich die von der Flut zurückgelassenen Gegenstände auf dem glatten, feinen Sande zeigen. Pflanzen an kleine Steine festgewachsen, von Bohr-Muscheln durchlöcherte Steine und besonders kleine Seesterne, sind die am meisten gesuchten Gegenstände und lassen sich sehr hübsch in kleine Glaskästen zusammenstellen, wo sie auf Sand gelegt ein natürliches Strandbild geben. An den Seiten des Kastens kann man einige Büschel Dünengras oder Sandhafer anbringen und auf die Rückwand eine Ansicht von Helgoland kleben und sich so mit wenig Mühe eine hübsche Erinnerung an die Insel herstellen.

Eine dürftig eingezäunte Stelle der Düne dient als Kirchhof für schiffbrüchige Seeleute, die ihr Leben im Sturm verloren und deren Körper an der Düne auf den Strand treiben. Kein Merkmal oder Grabhügel bezeichnet diese Stellen, denn der Wind jagt die Hügel auseinander und ebnet den Boden in kurzer Zeit wieder. So nehmen die großen Dünenhügel, welche nicht dicht mit Sandhafer bewachsen sind, stets andere Gestalten an, und bei stürmischem Wetter gewährt das Fortlaufen des trockenen Sandes, den der Wind in kleinen Wolken vor sich herführt, einen eigentümlichen Anblick.

Stundenlang kann man bei der Brandung am Strand verweilen und die sich überstürzenden endlos daher rollenden Wogen betrachten, wie sie ihren weißen Schaum auf den Sand schleudern. Eine kommt immer größer als die Andere, bis der Größten wieder eine Kleine folgt und das alte Spiel sich erneuert. Eine bestimmte Zahl von der kleinsten bis zur größten Welle konnte ich nie herausbekommen. Einige behaupten die siebente bis neunte oder elfte Welle sei die größte.

Brandung.

Einen sehr interessanten Anblick gewährt es, wenn die Seeleute ein Boot durch die Brandung bringen, um auf die See zu kommen. Während sich zwei an die Riemen setzen und diese bereit halten, schieben die andern das Boot gegen die Wellen an und springen hinein, sobald es flott ist. Auf etwas mehr oder weniger Nasswerden kommt es dabei nicht an.

Ausfahrende Fischer.

Die Sandhügel mit ihrem dürftigen Dünengras und den kleinen versteckten Tälern sind der Versammlungsort kleiner Gesellschaften, die entweder von den Gipfeln das Meer betrachten oder sich mit heitern mutwilligen Spielen die Zeit vertreiben, indem sie sich eingraben, die Abhänge hinunterkollern oder eine kleine Erstürmung von Sebastopol aufführen.

Manchmal wird auch ein Bekannter, der sich auf einem steilen Sandhügel in ein Buch vertieft hat, in der größten Stille meuchlings abgegraben, so dass er plötzlich mit seinem ganzen Sitz abwärts rutscht.

Einzelne Menschenscheue verstecken sich gern in die kleinen Schluchten und verzehren da ihr einsames Frühstück. So hielt sich vor einiger Zeit ein Misanthrop in Helgoland auf, der mit einem so saueren Gesicht herumging, dass die Kuh des Gouverneurs stumpfe Zähne bekam, wenn er sie zufällig ansah. Dieser moralische Essigfabrikant brachte alle zwei Tage eine Flasche Rothwein mit nach der Düne, wovon er die Hälfte nebst einem in Papier gewickelten Frühstück vertilgte, worauf er die Flasche mit dem Rest im Sand vergrub, um sie am andern Morgen nach dem Bad zu holen. Ein Spaßvogel, der dies unbemerkt mit ansah, grub nach seiner Entfernung den Schatz aus, trank den größten Teil des Weines und goss im Pavillon Essig hinzu, worauf er die Flasche wieder an ihren Platz brachte. Als der Misanthrop am andern Morgen die unleugbaren Proben von der Schlechtigkeit seines Weines und seiner Nebenmenschen in den Händen hielt, hätte er die Erde gewiss wie einen alten Topf zertrümmert, wenn dies mit Sicherheit für seine werte Person möglich gewesen wäre. So zertrümmerte er bloß die Flasche und streute die Scherben im Sande umher, mit der freundlichen Absicht, den Stiefeln einiger Badegäste Löcher beizubringen.

Die Nordspitze der Düne.

Um die Abfahrt des Fährbootes nicht zu versäumen, muss man nach der beim Pavillon aufgezogenen Flagge sehen. Wenn diese niedergeholt wird, geht das letzte Fährboot ab, und man kann, wenn man dies versäumt, lange warten, bis sich Gelegenheit zum Übersetzen findet.

Helgoland von der Düne aus gesehen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Hamburg nach Helgoland