Geschichte der Insel

Es existieren von Helgoland verschiedene Karten, auf denen seine frühere Größe (ums Jahr 800) weit über den Gesichtskreis hinausreicht, den man jetzt von der Insel hat.

Auf diesen Karten sind verschiedene Häfen, Dörfer und eine Menge römische Tempel und Kastelle angegeben, deren Gründer wohl zugleich der Verfertiger der Karte sein dürfte.


Dass Helgoland früher größer war, dafür liegen unzweifelhafte Beweise vor. So hat noch im vorigen Jahrhundert die Düne mit der Insel zusammengehangen. Bei der Düne war nach dem Bericht eines altern Schriftstellers ein weißer Fels, von dem Kalk gebrochen und als Handelsartikel weggeführt wurde und dessen letzter Rest erst 1711 verschwand. Auf demselben befand sich Quellwasser, und die Stelle führt noch jetzt den Namen der Weißklippe.

Auf der Düne waren damals noch Kaninchen zu finden, und man baute dort Flachs, was jedenfalls auf mehr als Sandboden schließen lässt.

Was man nun von heiligen Hainen und dergleichen fabelt, ist ohne Zweifel eben so wahr, als die Anwesenheit der elftausend Jungfrauen, welche in elf Schiffen, jedes tausend dieser unternehmenden Mädchen haltend, eine Vergnügungstour von England aus nach Helgoland machten, um von da nach Köln am Rhein zu fahren, die Schiffe dort zu lassen, nach Rom zu spazieren und sich auf dem Rückweg bei Abholung der Schiffe von den Hunnen erschlagen zu lassen, die gerade in Köln auf Besuch waren, wo man ihre (der Jungfrauen) Gebeine, als umstoßbare Beweise der Wahrheit dieser Geschichte, noch sehen kann.

Ob die holden Kinder selbst Matrosendienste verrichteten, und wie ihre Schiffe, die bei einer Tragkraft von 1.000 Personen, die, der Natur des Weibes nach zu urteilen, gewiss eine nicht zu verachtende Partie Hut- und andere Schachteln bei sich führten und mehr Platz brauchten als die doppelte Anzahl Männer, wenigstens Linienschiffe sein mussten, aufgetakelt waren, und dergleichen wichtige Sachen hat uns die Chronik nicht aufbewahrt. Es ist bloß eine unbezweifelte Sache, dass sie da waren, und dass die jüngern Helgoländer, den Ruhm ihrer guten Zucht ganz und gar vergessend, ihnen so arg mitspielten, dass zur Strafe dafür die halbe Insel zu Grunde ging.

Dann gibt ein Hamburger Erzbischof ums Jahr 1100 eine Beschreibung von der Insel, die er Farria nennt.

Diese Beschreibung passt beinahe auf den jetzigen Zustand derselben, die Badesaison abgerechnet. Die Einwohner unterhielten danach ihre Feuer von Schiffstrümmern und wohnten auf schroffen Felsen, die baumlos waren. Die Insel war eine Station für Seeräuber, die den Einwohnern ein Zehnteil ihrer Beute abgaben, ob aus Freundschaft oder für Lotsendienste, oder aus Aberglauben, weiß man nicht genau.

Nimmt man nun diese ältesten Nachrichten und eine gute Karte zusammen und beobachtet die Klippenumgebung der Insel bei Ostwind zur Ebbezeit, so kann man sich die frühere Gestalt der Insel recht deutlich vorstellen, und es lässt sich eine solche auf die entferntesten Klippen basierte eher annehmen, als eine über den Gesichtskreis hinausreichende, für die gar kein annehmbarer Grund vorhanden ist.

Später wurde die Insel mit dem Besuch einiger Herren beehrt, welche die Hamburger Kaufleute eben so gut der lästigen Arbeit des Schiffsausladens überhoben, wie Eppelein von Gailingen dies bei den Nürnbergern tat.

So brachte der berühmte Seeräuber und Trinkkumpan Claus Störtebeker im vierzehnten Jahrhundert einige Zeit auf der Insel zu, von wo er einen recht hübschen „Ausguck“ nach den Hamburger Schiffen hatte, welches Vergnügen ihm jedoch bald bitter versalzen wurde; denn als er eines schonen Tages einige Hamburger Kauffahrer anzugreifen vermeinte, verwandelten sich ihm dieselben unter der Hand in Kriegsschiffe, nahmen ihn samt seinen Freunden beim Kragen und schleppten ihn nach Hamburg, wo er hingerichtet wurde.

Später ward ein gewisser Herr Wiebenpeter im Anfang des sechszehnten Jahrhunderts in der Kirche von den Ditmarschen erschlagen, denen er viel Schaden zugefügt hatte und die ihn hier aufsuchten.

Im Jahr 1684 ließ Christian V. die Insel in Besitz nehmen. Der Dänische Admiral nahm die auf dem Fischfang ausgelaufenen Helgoländer gefangen und schickte eine Botschaft nach der Insel, wodurch er zur Übergabe aufforderte und drohte, im Weigerungsfalle die Helgoländer hängen zu lassen. Als die Weiber dies hörten, revoltierten sie gegen die Schleswigsche Besatzung, nahmen mit den anwesenden Männern den Kommandanten gefangen und übergaben die Insel an die Dänen. Nach dem kam sie wieder an die Herzogtümer und wurde 1714 nochmals von den Dänen belagert und sogar bombardiert. Nach der Einnahme machte man eine Art St. Helena daraus und schickte missliebige Leute in die Verbannung dahin. Die Besatzung kam aber mehr und mehr herunter, so dass im Jahr 1807 nur noch einige 40 Mann dort waren, die als alte Invaliden geschildert werden, welche sich von den Einwohnern Fische bettelten.

Am 5. September 1807 kamen die Engländer und erklärten die Insel für ihr Eigentum, wogegen die Vierzig nicht viel einwenden konnten.

Nun begann für die Helgoländer eine gute Zeit, denn als die Kontinentalsperre eintrat, ward Helgoland das Hamburger Lager für Kolonialwaren. Für den geringsten Raum wurden bedeutende Summen bezahlt, und Einige wohnten in leeren Fässern, weil sie ihre Häuser teuer vermietet hatten. Der Verdienst durch den Schmuggel war ungeheuer, und die Anwesenheit von Emigranten brachte viel Geld auf die Insel.

Einen berühmten Namen machte sich in dieser Zeit ein gewisser Claus Reimers, indem er verwegene Fahrten an die Küste unternahm, um Briefschaften und Depeschen dorthin zu bringen. Er trieb die Sache so kühn, dass die Franzosen einen Preis auf ihn setzten, wusste sich jedoch jedes Mal davon zu machen, wenn man ihn zu haben glaubte.

Auch der Herzog Wilhelm von Braunschweig-Oels kam in dieser Zeit nach der Insel, als er vom Festland flüchten musste, und ging von hier nach England.

Der erste englische Gouverneur der Insel hieß Hamilton. Ihm zu Ehren hat man die Nordspitze Hamiltonpoint genannt, welcher Namen jedoch wieder in Vergessenheit geriet.

Nach ihm kam Henry King, welcher sich durch die Anlage der Kartoffelallee und durch die Herstellung des Pflasters auf der Falm (das indes weniger für Hühneraugen und Podagristen, als für Holzpantoffeln berechnet zu sein scheint) ein Verdienst um die Insel erworben hat.

Der jetzige Gouverneur heißt John Hindmarsh und trat seine Stelle 1840 an. Er diente auf der Flotte und hat die berühmtesten Schlachten, wie Abukir, Trafalgar und viele andere mitgemacht. Er verwaltet sein Amt auf eine ruhige Weise und lässt die Helgoländer machen, was sie wollen, weshalb er bei ihnen sehr beliebt ist.

Nach der Schmuggelzeit gingen die Helgoländer wieder an ihren Schellfisch- und Hummerfang und gerieten nach einiger Zeit in Armut und gänzliche Vergessenheit. Nur wenn ein Lotse gebraucht wurde, kam ein Schiff in die Nähe der Insel, die sich der Steuermann überhaupt gern so weit als möglich aus dem Wege hält.

Endlich kam ein unternehmender Kopf, der Schiffbauer Siemens, 1823 auf die Idee, ein Seebad zu errichten. Er gründete einen Aktienverein und setzte trotz aller Hindernisse und Indifferenz, die ihm von den Helgoländern entgegengesetzt wurden, sein Projekt ins Leben, so dass 1826 das Seebad mit einigen Badekarren eröffnet ward. Der Erfolg dieses Unternehmens liegt jetzt klar zu Tage und die Aktien stehen über 100 Prozent. Zum Dank dafür spielten die Helgoländer Siemens derart mit, dass er nach England ging und dort 1849 in großer Armut starb.

Die Errichtung des Seebades ist für Helgoland ein großes Glück, da bei dem Verfall des Lotsenwesens, dessen Ertrag den Insulanern von den Hamburgern und Bremern gerade so vor der Nase weggefischt wird, wie die Schellfische von den Blankenesern, die Insel sonst in große Armut versunken wäre, denn der Helgoländer gehört zu denen, die an dem bekannten großen Spieß arbeiten, mit dem der, welcher ihn fertig macht, erstochen wird. Ebenso ungeschickt finden sie es, dass die Schnepfen nicht gebraten bei ihnen ankommen, und lassen im Übrigen gern den lieben Gott für sich sorgen. Dass die böhmische Bademusik jährlich eine große Summe Geld wegschleppt, ärgert sie ganz erschrecklich, dass sich aber zwölf oder sechszehn junge Helgoländer in der Musik unterrichten ließen und ein einheimisches Musikkorps bildeten, fällt ihnen nicht ein, dafür gucken sie lieber in die See und essen im Winter getrockneten Schellfisch.

Seit der Errichtung des Seebades hat nun der Wohlstand der Insel bedeutend zugenommen, obgleich die frühere biedere Einfachheit durch den leichten Verdienst und den Umgang mit den Badegästen mehr und mehr abnimmt.

Die Zahl der Badegäste hat sich von Jahr zu Jahr vermehrt; 1827 waren etwa hundert Badegäste dort; 1829 über zweihundert; 1830 über dreihundert und 1838 weit über tausend, welche Zahl immer noch zunimmt. Besonders groß ist in letzter Zeit die Zahl der flüchtigen Besucher, die gewöhnlich Sonnabends kommen und Montags wieder abreisen und den Sommer über bedeutende Summen dort sitzen lassen. So wird z. B. von der Fähre beim Besuch von 4.000 Personen allein die Summe von 6.000 Mark verdient, wenn man für das An- und Absetzen jeder Person 24 Schillinge rechnet. Ebenso müssen die Bäder, deren jedes 12 Schillinge kostet, den Aktionären schönes Geld bringen. Die Gastwirte sind nicht so schlimm wie ihr Ruf, denn man muss bedenken, dass Alles vom Festlande herübergebracht werden muss. Auch sie müssen jedoch eine gute Ernte machen.

Als Seebad hat die Insel einen großen Vorzug, weil sie mitten im Meer liegt und der Salzgehalt des Wassers größer ist, als der der Ostsee- und Küstenbäder. Ein Pfund Seewasser bei Helgoland soll 1 Loth Seesalz enthalten, während es bei Travemünde nur 1/2 Loth hat.

Dann kann der Fremde die See und das Seewesen der Fischer hier bester und bequemer studieren als irgendwo, so wie man auch die Seeluft nirgends an der deutschen Küste so rein haben kann.

Das Klima von Helgoland ist wegen der stets herrschenden Winde im Sommer ein sehr angenehmes. Besonders sind warme Abende und Nächte, welche beinahe die Temperatur des Tages behalten, sehr häufig, so dass die Sage geht, man könne sich gar nicht erkälten, was jedoch dahin gestellt sein mag.

Im Winter soll es sehr mild sein, so dass es selten hart friert und der Schnee oft nicht liegen bleibt.
Die Bewohner sind lutherischen Glaubens. Früher sollen sie arge Heiden gewesen sein und den Gott Fosite oder Forsete, der übrigens eine sehr unbekannte Gottheit ist und nirgends recht hingehört, angebetet haben. Einige wollen diesen Forsete für einen indischen Gott halten; da aber die Helgoländer zur Zeit ihres Heidentums nicht nach Indien fuhren, so lässt sich schwer bestimmen, wie sie zu der indischen Gottheit kommen konnten. Einige Philologen wollen aus Forsete Vesta machen und zwar in derselben Ableitung, wie sie aus Cannabis Hanf gemacht haben, und wollen dann die Römer, welche sicherlich keine Ahnung von Helgoland hatten, in ihren Tempeln auf der Insel den Vestadienst halten lassen.

Karl der Große, welcher das Heidenbekehren mit besonderer Liebhaberei trieb, musste auch Nachrichten von der Abgötterei der Helgoländer erhalten haben, denn er schickte im Jahr 785 den Bischof von Münster nach der Insel, um die Bewohner zu bekehren. Dieselben machten auch keine Umstände und wählten unter Totschlagen oder Taufen das Letztere.

Eine Art „Fischgott“ scheint man auch auf der Insel verehrt zu haben, der den Namen „Dietz“ oder einen ähnlichen führte. Zu seiner Verehrung gehörte das Austrinken einer Glocke, jedenfalls ein sehr angenehmer Cultus, wenn die Glocke nicht von der Größe der Erfurter war.

Über die Einführung der Reformation scheinen keine bestimmten Nachrichten vorhanden zu sein; ob dieselbe auf einmal oder nach und nach kam, konnte ich nirgends erfahren.

Ein regsames Leben brachte die Errichtung einer Werbestation im Frühjahr 1855 mit sich. Obgleich die Helgoländer im Anfang sehr schiefe Gesichter dazu machten und sowohl für ihre Mädchen als für die Badegäste in Angst gerieten, so vergaßen sie doch nicht, dass bei der Sache Geld zu verdienen war, denn es ward für jeden Rekruten, der vom Festland herübergebracht wurde, 1 Pfund Sterling bezahlt.

Dies war eine recht hübsche Sache und gab eine gute Rückfracht, wenn man Hummer oder Schellfische nach Hamburg gebracht hatte. Nur war die Hamburger und Altonaer Polizei nicht damit einverstanden und steckte manchmal einen Fischer ein, wenn er auf einer Werbung betroffen wurde. Da war's freilich mit dem Profit vorbei.

Eben so unzufrieden waren die Helgoländer, dass sie ihre Kartoffelfelder zum Bauplatz für die Baracken hergeben mussten. Man hat sie ihnen zwar bezahlt, aber keineswegs mit einer Summe, von deren Interessen man die sonst erbauten Kartoffeln ankaufen könnte, so dass sich ein fühlbarer Verlust herausstellen wird, wenn die Baracken lange stehen bleiben.

Diese Gebäude sind von dünnen, doppelten Brettwänden aufgeführt und mit wasserdichtem Filz gedeckt. Jede Baracke enthält zwei Öfen zum Kochen. Das Schönste darin sind die Betten, womit die Legionäre gewiss zufrieden sein können, da jedes derselben drei wollene Decken hat.

Die Befürchtung, dass die Legion die Badegäste vertreiben werde, hat sich als falsch erwiesen, da im Gegenteil damit noch eine interessante Unterhaltung gewonnen ward. Die Legionäre betrugen sich auch so anständig und musterhaft, dass nicht die mindeste Klage über dieselben eingelaufen ist, so wie das Corps auch in England seinen Landsleuten alle Ehre gemacht hat.

Im Anfang hatten die Leute keine Flinten und mussten mit Stöcken und Zaunpfählen Wache stehen, was komisch genug aussah und worüber sie selbst lachen mussten; später erhielten sie jedoch Gewehre.
Der Badearzt Dr. von Aschen hat sich unendliche Verdienste um Helgoland erworben. Er hat seit mehr als zwanzig Jahren die dortige Natur studiert und kennt die Einwirkung der See und Seeluft auf verschiedene Krankheiten und Körperkonstitutionen genau. Dabei verbindet er mit großer wissenschaftlicher Bildung ein höchst liebenswürdiges Benehmen und wird von den Badegästen allgemein verehrt.

Die Befürchtung, dass die Insel in der nächsten Zeit einmal von Stürmen und Wellen zu Grunde gerichtet und vollends weggeschwemmt werden könnte, ist wohl unbegründet. Es wird allerdings stets etwas abgerissen und nichts dazugetan, so dass es wohl damit einmal ein Ende nehmen muss. Es kann aber noch viele Jahrhunderte dauern, bis die Helgoländer gezwungen werden, sich einen andern Wohnsitz zu suchen und bis vielleicht ein einsamer Leuchtturm die Stelle bezeichnet, wo einst Helgoland stand.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Hamburg nach Helgoland