Die Einschiffung auf dem Dampfschiff "Helgoland"

Das Dampfschiff Helgoland. — St. Pauli. — Altona.

Wenn der Mai in seiner geheimen Werkstätte an dem grünen Kleid der Natur gearbeitet und die Landschaft gleich einer geschmückten Braut dem Juni zugeführt hat; wenn dann auf dem Lande tausend und abertausend Sänger im wonnigen Blütenduft, in Wald und Wiesengrün ihre Lieder singen; wenn von den nordischen Meeren die Stürme fortgezogen, um sich in der andern Hemisphäre, dort wo am Kap Horn der alte Felsenriese steht, einen Tummelplatz zu suchen; wenn die rastlos gejagten Wogen ihre schäumende Stirn glätten und sich lang hingestreckt im warmen Sonnenschein auf der Düne lagern können, dann erfasst es uns mit gewaltiger, geheimnisvoller Macht gleich den Zugvögeln und zieht uns hinaus, weg von der Heimat, von Haus und Stadt. Der Strandbewohner wandert Flussauf, bis er verwundert den gewaltigen Strom zum Bach werden steht; der Binnenländer hinab, weiter und weiter bis sich das unendliche Meer mit seinen Wundern vor dem erstaunten Blick ausstreckt.


So auch Jene, die am sonnigen Junimorgen der Landungsbrücke für Dampfschiffe am Hamburger Hafen zueilen, wo der prachtvolle Dampfer Helgoland, aus den zwei Schornsteinen rauchend und pustend, ihrer harrt, um sie über das Meer zur Insel zu führen.

Die Brücke, deren äußerer Teil aus drei flachen Fahrzeugen besteht, die sich mit der Ebbe und Flut heben und senken, ist mit Menschen, Koffern, Kisten, Körben und Karren vollgestopft. Blumen, Früchte, Gemüse und andere Lebensmittel sind besonders überwiegend vorhanden und teilen den Raum, der ja noch übrig bleibt, mit Sonnen- und Regenschirmen, Hutschachteln und Reisetaschen, zwischen denen man sich den Weg zum Schiff suchen muss, auf das man über eine ausgelegte Brücke gelangt.

Was vom Gepäck nicht unter den Händen der Matrosen verschwinden soll, um erst in Helgoland wieder an den Tag zu kommen, muss man hartnäckig festhalten und in der Kajüte irgendwo unterbringen, ehe man sich auf das Hinterdeck begibt, von wo aus man im Schutz des ausgespannten Sonnenzeltes die Umgebung gemütlich beobachten kann.

Nachdem der erste Blick jener Gegend zugerichtet war, wo wir das Meer vermuten, fällt er unwillkürlich wieder in die nächste lebendige Umgebung, auf die Brücke selbst mit ihrem alten malerischen Pfahlwerk, den darüber hervorragenden baumreichen Stintfang, dem der Michaelsturm wie neugierig über die Schulter sieht, rückwärts den Hafen mit seinem undurchdringlichen Mastenwald, an dem die Flaggen aller Nationen wehen. — Zu unsern Füßen schwimmen hunderte von Jollen und Ewern, welche die Produkte aller Erdteile von und nach den Schiffen führen, und auf die Brücke stürzt sich wieder ein neuer Schwarm von Passagieren, um mit seinem Gepäck die Verwirrung auf den Gipfelpunkt zu treiben.

Plötzlich ertönt die Schiffsglocke so schrecklich in die Ohren einiger Säumigen, dass dieselben mit Hinterlassung aller irdischen Habe auf das Schiff stürzen und es den glücklicherweise ehrlichen Kofferträgern überlassen, nach eigenem Gutdünken mit den Reiseutensilien zu verfahren. Einige Nachzügler und Langschläfer kommen wohl dann noch in verzweifeltem Galopp angesprengt, während eine Masse von Leuten, die Neugier, Geschäfte oder Abschiednehmen nach dem Schiff brachte, das Land zu gewinnen suchen. Die Taue werden nun von der Brücke gelöst, die Räder beginnen zu schlagen und das Schiff setzt sich schneller und schneller in Bewegung.

Wehe nun jenem Unglücklichen, der jetzt noch etwa mit der Reisetasche in der Hand auf der Brücke erscheint. Grausamer, unbarmherziger Spott ist sein Loos, und ich werde jenen Mann nie vergessen, der einmal um zwei Minuten zu spät kommend, eine Reisetasche in der Hand und tiefe Wehmut im Gesicht dem Kapitän zurief: „Herr Kapitän, halten Sie an, ich bin aus Zwicke!“, was maßlose Heiterkeit erregte.

Das Dampfschiff Helgoland.
Salon im Dampfschiff Helgoland.


Das Dampfschiff Helgoland, welches jetzt mit uns der See zueilt, ließen die Rheder, Gebrüder Godefroy in Hamburg, zu Greenock in Schottland eigens für diese Fahrt erbauen. Es ist von Eisen und das schnellste Dampfschiff, welches die Elbe befahren hat, denn es läuft in der Stunde 15 Seemeilen, was etwa 4 deutsche Meilen ausmacht. Die Länge beträgt 195 Fuß englisch, die Breite 22 Fuß. Die Maschine hat 240 Pferdekraft und wird aus zwei Kesseln mit Dampf versehen, weshalb das Schiff auch zwei Schornsteine hat, die indes nicht wie auf den amerikanischen Dampfern zu beiden Seiten, sondern der Länge nach stehen.

Die Einrichtung der Kajüten ist einfach, aber sehr geschmackvoll. Der Salon, im hintern Teil gelegen, hat zu beiden Seiten fortlaufende Sophas, die mit dunkelm Sammet überzogen sind. Im Hintergrunde ist ein durch Vorhänge abgeschiedener Raum, dessen Dunkel gern von angehenden Seekranken, die sich gewöhnlich noch etwas genieren, aufgesucht wird. Rechts vor dem Salon ist die Damenkajüte und links eine Art Toilettenzimmer von der Größe eines mäßigen Schilderhauses.

Dem Salon gegenüber befindet sich ein kleineres Zimmer mit grünen Sammetmeubles, recht traulich gelegen für solche, die sich während der Fahrt etwa der stillen Betrachtung einer Weinflasche überlassen wollen oder sich bei ungünstigem Wetter die Zeit mit Leetüre zu vertreiben suchen. Der Speisesaal liegt nach vorn zu und nimmt ziemlich den größten Teil des Schiffes ein. Seine Ausstattung ist im Stil der andern Kajüten gehalten, nur sind die Meubles mit imitiertem Leder überzogen. Auf der rechten Seite thront der freundliche Wirt im Büffet, über dem ein plastischer Schiffskünstler eine Anspielung auf den Wein angebracht hat.

Vom Verdeck aus die Umgebung betrachtend, haben wir rechts die Vorstadt St.- Pauli vor uns, wo im Sommer eine ganze Flotte englischer Kohlenschiffe vor Anker liegt. Der obere Teil der Häuser, die wir hier sehen, begrenzt den Hamburger Berg mit seinen Matrosenwirtshäusern und Tanzsalons.

Links hinaus sehen wir in blauer Ferne die Ausgange der Lüneburger Heide bei Harburg sich nach der Elbe herabsenken, während einige Inseln teils zu Hamburg, teils zu Hannover gehörig, den Mittelgrund bilden. Auf ihnen wird bedeutende Viehzucht getrieben und die Umgegend von dort aus mit Milch versorgt.

Der Strand von St. Pauli bietet ein geschäftiges Hafenleben, die Kohlenschiffe, welche ihre Last hier ausladen, verschiedene Schiffswerften, Niederlagen von Tauwerk und Ankern, Bäckereien, ein großartiges Aktiengeschäft, die Dampfzuckersiederei, gleich daneben das im englischen Geschmack eingerichtete und den Hamburger Gourmands wohlbekannte Wirtshaus „London Tavern“, das Hanfmagazin, welches sich durch sein ungeheures Dach auszeichnet, eine Tranbrennerei, wo zum großen Nasenrümpfen der Nachbarschaft das Lieblingsgetränk der Eskimos bereitet wird, und verschiedene Speicher bilden die Wasserfront. Dann folgt eine Reihe von Schiffswerften, auf denen wir Schiffe von jeder Größe, Gestalt und Altersklasse sehen, denen die Zimmerleute unter den Bäuchen und auf dem Rücken herumkriechen, um daran herum zu sägen, hacken, pochen und hobeln. Hier liegen angefangene Schiffe, von Weitem ungeheueren, auf das Land gespülten Fischgerippen ähnlich, daneben alte weitgereiste Gesellen, die manches Meer und manchen Sturm gesehen haben und denen man Stücke

London Tavern und die Aktien-Dampfzuckersiederei in St. Pauli.

in die alterschwachen Seiten setzt. Das erste Werft gehört Lubau, der sich besonders in elegantem und zierlichem Schiffsbau auszeichnet. Die andern Werften gehören Marbs, der sich einst den Dank der deutschen Nation zu verdienen hoffte, indem er der seligen deutschen Flotte ein Kanonenboot schenkte, das seinen Namen führte; aber Undank ist der Welt Lohn, Hannibal Fischer verauktionierte das Kanonenboot, und Marbs musste so viel Spott und Hohn tragen, dass zehn Kanonenboote unter der Last derselben versunken wären. Den Schluss von St. Pauli bildet ein altes großes, vor langer Zeit auf das Land gezogenes

Der Schiffspavillon in St. Pauli.
Der Altonaer Hafen am Fischmarkt.


Schiff, das man zu einem Wirtshaus eingerichtet hat und das den Namen Schiffspavillon führt.

Hier fängt nun der Altonaer Hafen an, der besonders durch die kleine Schifffahrt sehr belebt wird und seine meiste Frequenz dem Umstande verdankt, dass Altona Freihafen ist.

Etwa der Mitte des Hafens gegenüber strömt der südliche Elbarm, „Kühlbrand“ genannt, in die nördliche Elbe. Er fließt bei Harburg vorbei und bespült die erwähnten Milchinseln, von denen aus alle Morgen eine Flotte kleiner Fahrzeuge mit rot angestrichenen Segeln nach Hamburg steuert, um die Stadt mit Kaffeemilch zu versorgen. Diese Fahrzeuge sind meistens ganz ausgezeichnete Segler, die gegen Wind und Wasser aufkreuzen, und deren Führer beim größten Sturm tollkühn darauf lossegeln, wodurch schon mancher zu Grunde gegangen ist.

Dieselben Fahrzeuge werden wegen ihres geringen Tiefganges sehr häufig zum Transport verschiedener Sachen benutzt; am hübschesten sehen sie aber aus, wenn sie mit einer Ladung frischen Grases, das mit Blumen durchwirkt ist, zwischen den Wiesen herauskommen.

Milchewer
Grasewer
Rainvilles Garten


Am Ende des Altonaer Hafens läuft ein Gleis der Kieler Eisenbahn den Berg herunter und verbindet hier die Elbe mit der Ostsee. Die beladenen Wagen werden durch eine Dampfmaschine an Drahtseilen den Berg herauf- und hinabgezogen, und die Güter direkt aus den Schiffen in die Transportwagen geladen. Hart neben der Eisenbahn liegt am Hügelabhang der bekannte Vergnügungsort Rainvilles Garten, von wo aus man eine reizende Aussicht über die Elbe hat. Von hier an beginnt die Zollgrenze für das Herzogtum Holstein, auch liegt hier mitten im Strome das dänische Wachtschiff, das früher dem Köhlbrand gegenüber lag.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Hamburg nach Helgoland