Die Bewohner und ihre Beschäftigung

Die Abstammung der Bewohner von Helgoland ist Friesisch, wie die aller Bevölkerung der in der Nähe liegenden Inseln. Ein eigentlicher durchgehender Menschenschlag, der in Gesichtsbildung, Wuchs, Haar und Augen übereinstimmt, ist nicht vorhanden, und die jetzigen Helgoländer scheinen wie die heutigen Deutschen keine reine Abstammung mehr zu haben. Der reine friesische Stamm hat wie der alte deutsche noch blondes Haar, graue und blaue Augen und scharfe Gesichtszüge. Nun suche aber Einer unter uns Deutschen nach blonden Haaren, blauen Augen und geraden Nasen, er wird viel mehr braune, schwarze und Gott weiß noch was für Haare finden; mit den Augen wird es nicht besser gehen, und mit den Nasenformen kann er sich Jahre lang beschäftigen, bis er alle aufgezählt und in Ordnung gebracht hat. Ebenso ist es mit den Helgoländern, denen jedoch ihre Heimat und das Meer noch einen bestimmter Charakter erhalten hat.

Die Männer sind meist gesunde kräftige Leute, wie dies bei Menschen, die stets in frischer Seeluft leben, nicht anders sein kann. Die Weiber werden schnell alt, weil ihnen alle schwere Arbeit zu tun bleibt, um die sich der Mann am Land wenig kümmert, denn der steht lieber am Strand, steckt die Hände in die Hosentaschen und guckt auf die See, welches wichtige Geschäft höchstens von einem Gang ins Wirtshaus unterbrochen wird. In der letztern Zeit scheint sich das Arbeitsverhältnis indes etwas geändert zu haben, weil sich die Männer doch wohl vor den Badegästen schämen, wenn diese verwundert zusahen, wie die Frauen schwere Körbe, Holz und Torf mühsam nach dem Oberland schleppten. Ich habe wenigstens bemerkt, dass bedeutend mehr Männer mit zugriffen als früher, besonders beim Holztragen, welches zum Barackenbau verwendet wurde und wo für jeden Pfosten zwei Schillinge Trägerlohn abfiel.


Die drei Hauptbeschäftigungen der Helgoländer sind Fischerei, Lotsenwesen und Handel mit Austern und Hummern. Nebenbei sind sie beinahe alle Gastwirte und gute Rechenmeister. — Was sie von den Badegästen und Schiffbrüchigen, den zwei Hauptbesuchern der Insel, ohne Anwendung von Pistolen, kriegen können, das nehmen sie mit Dank an, weshalb sie auch stets und gern bereit sind, die Ladungen gestrandeter Schiffe zu „bergen“, wie sie es nennen. Bei solchen Bergungen werden nun freilich manchmal die geborgenen Sachen verlegt und später nicht wiedergefunden. So war in den dreißiger Jahren eine Ladung Twist, die doch an die Insel gekommen, verschwunden. Da der englische Konsul in Hamburg der Sache jedoch scharf auf den Grund ging, wurde durch Anschlag bekannt gemacht, dass sich der Twist finden müsse, zu welchem Zweck die Tür eines bezeichneten Hauses die ganze Nacht offen stehen sollte — und wunderbar, am andern Morgen hatten sich 1.700 Pack Twist und eine Menge anderer Waaren ganz von selbst eingefunden. So hatte sich 1852 eine ganze Ladung von Häuten auf der Insel verlaufen; da die Sache doch zu arg war, schickte die englische Regierung ein Kriegsschiff, um der Untersuchung etwas behilflich zu sein, und wenn man nicht Gnade für Recht hätte ergehen lassen, so würden wahrscheinlich sämtliche Helgoländer jetzt in Botany-Bai auf Austern und Hummern fischen.

Ebenso gewaltsam wurde Gustav Adolf, das heißt der metallene, der am 30. November 1851 mit dem Schwedischen Schiff Hoppet strandete, festgehalten und in einen alten Schuppen in der Bindfadenallee gesperrt. Die Figur war in München gegossen und nach Schweden bestimmt. Jetzt haben sie die Helgoländer für 6.000 Mark nach Bremen verkauft. In Helgoland wird dies Strandprivilegium und in einigen Gegenden Europas Raub genannt.

Als Handelsleute sind die Insulaner ausgezeichnet. Wenn sie mit Hummern nach Hamburg kommen, so müssen die dortigen Händler stets Jemand anstellen, der ihnen bloß auf die Hände sieht, damit die Hummern nicht mit Boskoscher Geschicklichkeit vertauscht werden. So besteht eine ihrer Kriegslisten darin, dass Einer mit einer Partie Hummern in einen Frühstückskeller geht, um dieselben zu verhandeln. Ein Anderer wartet in der nächsten Haustür mit kleinern oder schlechteren Hummern. Nach langem Handel tut der im Keller, als könnte er die Waren um den gebotenen Preis durchaus nicht lassen, obgleich er notwendig Geld brauche, er geht zögernd die Treppe hinauf, tritt mit einem Bein hinaus und vertauscht im Nu den Korb mit seinem Kollegen. Im selben Augenblick kehrt er um und lässt dem Wirt die Hummer, der, wenn er sie behält, „übers Ohr gehauen ist“.

Ich will durch Anführung dieser Beispiele den Helgoländern nicht zu nahe treten, denn sie sind in dieser Hinsicht immer noch Kinder gegen die Hamburger Kaufleute; aber mit der gerühmten Engelsunschuld, von der manche Reisende fabeln, ist es nichts und nie etwas gewesen. Diese Herren müssen ungeheure Geldbeutel gehabt und unter lauter Spitzbuben gelebt haben, um die Helgoländer ohne allen Falsch zu finden. Wer wie ich von den genügsamen, grundehrlichen bairischen Gebirgsbewohnern plötzlich unter die Helgoländer kommt, schlägt bei einem Vergleich die Hände über dem Kopf zusammen. Besonders sind die am Strand wartenden Lotsen, die in ihren Booten Fremde spazieren fahren, mitunter ganz unverschämt in ihren Forderungen, was besonders dazu beigetragen hat, den Aufenthalt in Helgoland als teuer zu verschreien. Einmal verlangte man für das Übersetzen nach der Südspitze, wo ich den Mönch zeichnen wollte, einen Thaler, was bei ruhigem Wetter und für eine Strecke von 6 — 700 Schritt gewiss eine grässliche Unverschämtheit ist, da besonders der Bootsführer sofort wieder umkehren konnte. Später fand ich einen vernünftigen Bootsführer mit Namen Bock, welcher für den ganzen Tag einen Thaler, und von Mittag bis Abend 20 Schillinge verlangte, und als ruhiger geschickter Mann sehr zu empfehlen ist.

Die Lotsen müssen, wenn sie als solche fahren wollen, ein Examen bestehen und 23 Jahr alt sein. Das Examen erstreckt sich auf die Einfahrt der Elbe und Weser und wird in bestimmten Fragen gehalten, deren Beantwortung der Kandidat hauptsächlich auf seinen Fahrten und aus einer Art Katechismus lernt.

Wenn ein Schiff in Not ist, so werden die Lotsen, die danach ausfahren sollen, durch das Loos gezogen. Ein Lotsenoffizier begleitet das Boot, seine Würde scheint sich aber nicht weiter als auf den Namen zu erstrecken, denn er muss öfter als Lotse mit auf das bedrängte Schiff, in welchem Fall ein Anderer das Kommando im Boot auf der Rückfahrt übernimmt.

Ob die Lotsengelder in eine gemeinschaftliche Kasse kommen oder verteilt werden, habe ich nie recht erfahren können — wie man überhaupt nur nach jahrelangem Aufenthalt hinter die Gesetze und Gebräuche der Insel kommen kann. Ebenso ist es mit der Sprache, die friesisch sein soll, in der man jedoch hier und da einige plattdeutsche Worte zu hören glaubt.

Die Volkstracht in Helgoland hat eigentlich bloß bei den Frauen etwas Originelles, und auch hier scheint letzteres sich nach und nach zu verlieren. Die Mädchen trugen früher ein Tuch um den Kopf gewunden, das wie eine Art Turban, mit herabhängenden Zipfeln, sehr kleidsam war, und welches ich 1842 noch mehrmals sah. Jetzt scheint es ganz verschwunden zu sein, so wie der Helgoländer Hut mit seinem im Rücken hängenden Zipfel auch schon der Mode weichen muss. Ebenso wird bald der rote Rock mit dem schwefelgelben Streif, an dem man die Helgoländerin erkennt, verschwinden und andern Farben Platz machen.

Die Männer kleiden sich wie die vom Festland und wie es ihre Kasse erlaubt, mehr oder minder modern. Nur wenn sie zur See gehen, wo ihnen die Notwendigkeit eine gewisse Kleidung vorschreibt, haben sie eine bestimmte Tracht, die so ziemlich mit der anderer Seeleute in nordischen Meeren übereinstimmt.

Helgoländer und Helgoländerrinnen.

Der Südwester, ein Hut von Leinwand, der mit Öl getränkt oder mit Farbe angestrichen ist, spielt dabei eine Hauptrolle. Es gibt auch wohl kein zweckmäßigeres Kleidungsstück gegen schlechtes Wetter; denn der breite Rand, der nach hinten gesetzt wird, schützt den Nacken, während das Futter, welches aus Barchent besteht, über die Ohren gebunden wird. Gewöhnlich werden bei nasser Witterung noch eine Öljacke und dergleichen Hosen beigefügt, so dass der ganze Mann wasserdicht ist.

Die Helgoländer packen sich, wenn sie bei kaltem Wetter in See gehen, so ein, dass sie wie Blei zu Grunde gehen müssen, wenn sie über Bord fallen. Über das dicke wollene Hemd, das jeder Seemann auf bloßem Leibe trägt, und welches besonders im Sommer ein herrliches Mittel gegen Erkältungen ist, weil es den Schweiß in sich zieht und bei schnellem Temperaturwechsel nicht die kalte Nässe eines Leinwandhemdes fühlen lässt, zieht er ein anderes darüber eine Jacke oder Weste und über diese den wollenen Lotsenrock. Über die Hosen werden ein paar meilenlange Strümpfe gezogen, darüber die großen Fischerstiefeln und nach Verhältnis über das Ganze das erwähnte Firnisfutteral, wozu man einen dicken wollenen Shawl nicht vergessen darf, so wie die den Seeleuten eigentümlichen Handschuhe, wovon jeder auf beiden Seiten einen Daumen hat, damit man ihn umdrehen kann, wenn eine Seite zerrissen ist. Ein Kleidungsstück zur Abhaltung des Seewassers sind kurze, weite Hosen von Segeltuch, die beinahe wie ein griechischer Rock aussehen und über Stiefeln und Hosen gezogen werden. Dass die Helgoländer bei einem solchen Anzug nicht zu Luftsprüngen geneigt sind, kann man sich denken und daraus ihr gemessenes Benehmen erklären, durch das sie sich auszeichnen. Man hat ihnen vielfach Feigheit vorgeworfen, weil sie sich untereinander fast nie schlagen und in Streitigkeiten mit Fremden und auf fremden Gebieten lieber nachgeben, als es auf einen Kampf ankommen lassen, ja sogar auf der Insel vor Fremden abziehen, wenn nichts dabei zu verdienen ist. Man soll aber nur versuchen, sie von einem Wrack, das in der See treibt, zu verjagen, oder auf ihrer Austernbank fischen, und man wird bald ihre Fäuste spüren. Es lässt sich auch gar nicht denken, dass Männer, die jeden Augenblick bereit sind, ihr Leben einzusetzen und mit dem wütenden Meer zu ringen, feig sein sollen, obgleich ein anderer Mut dazu gehört, gegen Menschen als gegen Elemente zu kämpfen. Das rechte Wort, um ihre Zurückhaltung zu bezeichnen, ist Vorsicht, denn sie hüten sich, der Gesetze wegen, umsonst Streit anzufangen.

Dass die Helgoländer in ihren Gebeten und sogar von der Kanzel den lieben Gott um Schiffbrüche, die an ihrer Insel recht zahlreich vorkommen möchten, bitten oder gebeten haben, ist wohl eine Erfindung, denn es findet sich bei den genauesten Erkundigungen nicht eine Spur davon. Ebenso unbegründet ist die Sage, dass die Insulaner samt den Pastoren aus der Kirche laufen, wenn die Schnepfen kommen, denn diese kommen nicht wie aus einer Kanone geschossen an, sondern in Abteilungen, zu deren Fang immer noch Zeit genug bleibt.

Dass jedoch Bewerber um Helgoländerinnen, die sich anders besonnen hatten und abreisen wollten, ohne sich mit ihrem Gegenstand trauen zu lassen, zurückbehalten oder vielmehr nicht „fortgeschafft“ wurden, ist Tatsache. Ob es jetzt noch im Gebrauch ist, dergleichen Schmetterlinge festzuhalten, weiß ich nicht, es scheint indes nicht mehr so genau genommen zu werden. Das Bürger- oder Heimatrecht erlangt man nach vieljährigem Aufenthalt oder durch Heirat, und kann dann fischen, jagen, Austern und Hummern fangen, so viel man will. Wer ein großer Liebhaber dieser Vergnügungen ist, dem wird deshalb eine Heirat mit einer Helgoländerin dringend empfohlen.

Eine rechte Gerichtsordnung scheint es in Helgoland nicht zu geben, denn wenn Jemand vor Gericht geladen wird und keine Lust hat zu erscheinen, so bleibt er eben weg und die Sache wird ohne ihn abgemacht. Wenn eine Strafe erkannt wird, so scheint es ganz im Belieben des Verurteilten zu stehen, ob er sie abbüßen will oder nicht. So ward mir ein höchst charakteristischer Fall erzählt, der sich 1845 zugetragen hat und sehr komisch ist. Ein Helgoländer ward von einem Andern verklagt und prügelte (ein seltener Fall) diesen dafür durch. Nun sollte er verhaftet werden, wozu drei als Polizeidiener ernannte abgeschickt wurden; da er aber mit unzählbaren Prügeln drohte und sich sogar dazu seiner Holzaxt zu bedienen nicht abgeneigt schien, zogen diese Drei wieder ab. Da verlangte der Gouverneur, dass die Ratsleute den Widerspenstigen selbst holen sollten, was diese jedoch vor der Hand mit dem Bescheid ablehnten, „sie wollten erst die zornigen Gemüter sich abkühlen lassen“. Nun ließ man von London einen Constabler mit seinem Stab kommen und erwartete, dass derselbe dem Hartnäckigen einen heilsamen Schreck einjagen sollte. Der Constabler ward aber samt seinem Stock grausam verhöhnt und ausgelacht, weshalb er wieder fortgeschafft wurde. Jetzt ist eine Art Polizeidiener vorhanden, der die Hunde prügelt und für die Fremden kleine Dienstleistungen besorgt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Hamburg nach Helgoland