Das Seebad Cuxhaven

Ritzebüttel. – Seebad und Leuchtturm. – Die Deiche. – Die Watten und Neuwerk. – Die Nordsee.

Das hölzerne Bollwerk, welches zum Anlegen der Dampfschiffe dient, vertritt hier ganz die Stelle der Dresdner Terrasse, denn von hier aus hat man sowohl über den Hafen als über die Elbe eine unbeschränkte Aussicht. Das Dampfschiff von und nach Helgoland wird hier erwartet, die Ankommenden gemustert, nach aufkommenden Fahrzeugen ausgeschaut und Wind und Wetter beobachtet. Unter dem Bollwerk, an der Treppe liegen Fährboote, womit von und an die Schiffe gesetzt wird, was 2 Person l Mark kostet.


Die alte Liebe, Landungsplatz in Cuxhaven.

Links zieht sich der Hafen hin, welcher von einigen ganz respektabeln Hotels begrenzt wird, die zur Aufnahme von Badegästen eingerichtet sind. Geradeaus führt der Weg nach der Stadt, Flecken oder Dorf (Gott weiß was es ist) Cuxhaven, welches eigentlich bloß aus einer Reihe Häuser besteht, von denen immer das dritte ein Wirtshaus ist. Rechts zieht sich ein langer Steindamm hin, welcher den Deich schützt, auf dem sich der Leuchtturm und das Badehaus befinden. Der Fußweg führt auf diesem Deich bis Ritzebüttel fort, während die Fahrstraße zwischen dem Deich und den Häusern hinläuft. Der Fußweg ist mit Ziegelsteinen belegt und bietet einen hübschen Spaziergang, da man von demselben aus in die grünen Niederungen, Gärten und Baumpartien sieht, worüber hinaus teilweise die See zu sehen ist. Am innern Hafen liegen zwei Schiffswerften, denen die Sandbänke der Elbmündung stets reichliche Arbeit schaffen. Auf dem Werft von Bufe werden oft Schiffe für Hamburger Kaufleute gebaut, weil der Baumeister einer der intelligentesten und besten Schiffsbauer an der Elbe ist und seine Schiffe alle vortrefflich segeln. Auf der Londoner Ausstellung erhielt er für ein eingesandtes Schiffsmodell die große Medaille. Eine recht hübsche Stelle findet sich gleich bei den vordersten Häusern, wo ein Gastwirt einen kleinen Hof in einen Kristallpalast verwandelt hat, der dicht mit Wein, Epheu und andern Pflanzen ausgewachsen ist und wo es sich beim Plätschern eines kleinen Springbrunnens recht gemütlich sitzt. Der Fremde wird aber stets wieder nach dem Wasser hingezogen, wo die unbegrenzte Aussicht und die ungemein schöne und reine Seeluft einen wohltuenden Einfluss ausüben. Das Badehaus ist deshalb auch immer der Versammlungsort der Naturfreunde und Badegäste, welche Letztere leider nicht so häufig sind, als es Cuxhaven schon wegen seiner vortrefflichen Luft und seinen reizenden ländlichen Umgebungen verdient. Die Ursache davon liegt wohl in der schlechten Anlage des Bades, welches man nach Duhnen an den freien Strand verlegen und für billige Fahrgelegenheit dahin sorgen sollte. Auch wird von den Cuxhavnern gar nichts für das Bekanntwerden und die Empfehlung ihres Bades getan, so dass die meisten Leute gar nicht wissen, ob hier ein Seebad existirt oder nicht. Der vordere Hafen ist klein, aber ziemlich tief, während der innere zur Ebbezeit ganz leer läuft. Hier liegt seit vielen Jahren ein Helgoländer Fahrzeug, dessen verschiedene Besitzer es gemeinschaftlich verfaulen lassen, weil keiner seine Ansprüche darauf aufgeben will.

Schiffswerft in Cuxhaven.
Das Schloss zu Ritzebüttel.


Geht man auf dem Deich fort, so kommt man nach Ritzebüttel, welches mit Cuxhaven beinahe zusammenhängt. Es ist ein kleiner Flecken mit jener Art Pflaster, dem ein frisch geackertes Feld unendlich vorzuziehen ist. Hat man den Flecken hinter sich und lassen die misshandelten Hühneraugen noch etwas Humor aufkommen, so macht man beim Eingange nach dem Schloss eine Entdeckung, die man nicht erwartet hätte: denn hier findet man die alten 1830 spurlos verschwundenen Leipziger Stadtsoldaten, wunderbar gut erhalten und ohne jegliche Veränderung, wieder.

Gerstäcker erzählt in seiner Reise um die Welt, dass er auf den Sandwichsinseln einen Leipziger Stadtsoldaten fand und noch dazu einen wahrscheinlichen Nachkommen, denn er war „etwas jünger“. Hier aber fand ich (denn ich beanspruche die Wiederauffindung dieses tapfern Corps) alle wieder und nicht etwa jünger, nein genau so wie sie waren, als ich, noch ein zarter Jüngling, ihnen Frösche und Schwärmer ins Schilderhaus legte, damit sie Pulver riechen sollten, gerade wie Jene, denen wir die Schilderhäuser mit Bindfaden umwickelten, wenn sie regnerisches Wetter darin festhielt, die sich in ihren Mußestunden mit architektonischen Arbeiten beschäftigten und im Aufbauen von Vogelbauern und der chemischen Bereitung des Vogelleims unübertroffen dastanden. Als ich am Eingange des Schlossgartens jene Gestalt erblickte, die nächst einer sehr unmilitärischen Eigentümlichkeit, die man im gemeinen Leben Buckel nennt, eine alte rostige Flinte trug, die jedoch wunderbarer Weise wirklich ein Schloss hatte und deren Uniform von einigen freundlichen Stecknadeln zusammengehalten wurde, da tauchten die glücklichen Tage meiner Jugend in sonnigen Bildern aus dem verflossenen Zeitstrome auf. Jene Tage, in die kein Schatten des Kummers und Unglücks fiel, wo Geld Chimäre und Hunger Tatsache war, wo ein ewiger Krieg mit Gläubigern und Stadtsoldaten geführt wurde und bei Studien und tollen Streichen kaum Zeit zum Schlafen blieb. Ich hätte den alten Krieger umarmen mögen für die Erinnerung an jene schöne Zeit. Da dies aber die Würde des Dienstes nicht erlaubte, unterhielt ich mich bloß mit ihm, wobei er jedoch das Unglück hatte, den Amtmann, der hier zugleich Generalfeldmarschall ist, zu übersehen und das schuldige Honneur nicht zu machen. Er geriet darüber in eine Höllenangst. Ich hoffe indes zur Ehre der Menschheit, dass ihn das Kriegsgericht nicht zum Tode verurteilt hat.

Wie aber nun diese Truppen hierher gekommen sind (denn eine so wichtige Sache muss gründlich besprochen werden), darüber gibt schon Gerstäcker bei seinem Stadtsoldaten eine Erklärung, der ich jedoch nicht ganz beistimmen kann. Wenn er behauptet, dass Leipzig an der Pleiße liegt, dass diese in die Saale und diese in die Elbe, die Letztere in die Nordsee fließt, und dass von hier aus der Weg nach den Sandwichsinseln breit genug ist, so hat er ganz recht. Wenn er aber die Vermutung aufstellt, dass ein Leipziger Stadtsoldat mit dem Schilderhaus desertiert und nach den Sandwichsinseln gesegelt sein soll, so hat er wohl nicht recht; denn ein so guter Seefahrer wie Gerstäcker sollte doch wissen, dass Schilderhäuser gewöhnlich keine seefähigen Fahrzeuge sind. Wenn man annimmt, dass diese Tapfern nach ihrer Vertreibung den missglückten Kriegszug Karls des Großen nach dem Lande Hadeln wieder aufnahmen, hier aber sitzen blieben, weil sie nicht in die See laufen wollten (denn gute Seetruppen waren sie niemals), dass dann der Sohn eines Stadtsoldaten als Schiffsjunge mit nach den Sandwichsinseln ging und dort das Geschäft seines Vaters fortsetzte, so wird dies wohl die richtigste Erklärung des sandwichsischen Stadtsoldaten sein.

Nächst der Bewachung des Schlosses scheinen diese Truppen über die Sicherheit eines Museums zu wachen, das am Eingange des Gartens einen Teil der Mauer einnimmt. Einige vorsündflutliche Knochen und ein paar grässlich schmutzige Vogelbälge sind hier aufgehangen, um die Bewunderung der Vorübergehenden zu erregen.

Das Schloss scheint bis auf den vorderen Anbau ziemlich alt zu sein und gehörte früher den Edeln von der Lappe. Als einige dieser Herren gerade nicht bei Kasse waren, versetzten sie ihr Schloss an die Hamburger und scheinen den Pfandschein verloren zu haben, denn sie erhielten es nicht wieder zurück. Dies war im Jahr 1372. Zehn Jahre später wollte der Herzog Erich II. von Sachsen-Lauenburg beim deutschen Kaiser (der damals noch existierte) deshalb klagen. Da er aber nebst andern liebenswürdigen Eigenschaften auch die besaß, allen Seeräubern, Stranddieben und Wegelagerern seinen Schutz angedeihen zu lassen, nahm Kaiser und Reich keine große Notiz von seiner Klage. Es scheint indes, dass die Hamburger ihres Pfandes nicht sehr froh wurden, denn sie mussten im Jahr 1393 Ritzebüttel im Verein mit den Wurstfriesen erstürmen, worauf sie es ruhig behielten.

Der hiesige Amtmann, welcher aus den Hamburger Senatoren alle 6 Jahre neu erwählt wird, hat eine einträgliche Stellung, und man nimmt bei ihrer Besetzung gewöhnlich Rücksicht auf Senatoren, die nicht zu den Millionären gehören.

Was die Seebäder betrifft, so kann man dieselben im Badehause, so wie am Deich nehmen, wo einige kleine Badehäuser errichtet sind. Das hiesige Wasser soll bei günstigen Umständen einen Salzgehalt von 216 Gran das Pfund enthalten.

Der Leuchtturm, welcher unweit des Badehauses steht, hat bloß ein halbes Licht, weil die nach dem Lande gekehrte Seite keiner Lampen bedarf.

Wer sich längere Zeit in Cuxhaven aufhält, sollte jedenfalls eine Tour nach der Insel Neuwerk unternehmen, denn obgleich diese Insel selbst, nächst dem Nordpol und der Wüste Sahara, der langweiligste Fleck auf Gottes Erdboden ist, so lernt man doch auf dem Weg durch die Watten eine Natur kennen, die etwas ganz Eigentümliches hat und mitunter wunderbare Schönheiten besitzt.

Will man nicht den Weg auf dem Deich nach der Kugelbacke einschlagen, so geht man auf der Fahrstraße nach Duhnen fort. Bei der Flutzeit hat man hier das eigentümliche Vergnügen sich einige Fuß unter der Meeresfläche zu befinden, und das Meer wird nur von den ringsum gezogenen Deichen abgehalten, in das Land zu dringen und den ihm in Jahrhunderten abgerungenen Boden wieder einzunehmen. Diese Deiche erscheinen als wahre Riesenarbeit, wenn man bedenkt, dass sie in einer ungefähren Höhe und Breite von 25 Fuß 15 — 20 Meilen lang fortlaufen, den immerwährenden Angriffen des Wassers ausgesetzt sind und einer steten Bewachung und Ausbesserung bedürfen.

Man geht auf dem Wege an hübschen Gärten, Häusern und fruchtbaren Feldern vorbei, bis man nach Döse kommt, wo eine alte kleine Kirche steht. Indem man sich nun Duhnen nähert, bemerkt man, dass der Boden immer sandiger wird, und dass die Vegetation endlich in Dünengras und Sandhafer übergeht. — Durch Duhnen führt ein naturwüchsiger Sandweg, der am Strande sein Ende findet, ohne eigentlich wohin zu führen. Vor sich hat man nun die unendlichen Wattenflächen, welche zur Ebbezeit trocken liegen. Der Fußgänger, welcher den Weg nach der Insel Neuwerk, längs den besenartigen Reisbündeln, die hier als Wegweiser dienen, einschlägt, macht zuerst Bekanntschaft mit einer Art Gummielasticumschlamm, der sich in großen Klumpen an die Füße hängt und dort alles Schlenkerns ungeachtet sitzen bleibt. Ist dieser Schlamm, den sie hier Schlick nennen, überwunden, so kommt man auf Sand, der halb trocken und so hart wie Eisen ist und aus dem die Wellen der letzten Flut deutlich abgedrückt sind. Ist man ein großes Stück vom Lande weg und der Sand noch nass genug, um die Wolken wiederzuspiegeln, so hat man einen wunderbaren Anblick, denn gegen Ost, Nord und West zeichnet sich bei heiteren Wetter der Horizont beinahe gar nicht ab, und die draußen segelnden Schiffe scheinen in der Luft zu schweben. Nur nach Süden zu teilt ein glänzender Streifen, der Nester der Sonne, das Wasser von der Luft. Die Wolken spiegeln sich bis zum Vordergrund ab, was die Wirkung hervorbringt, als ob man mitten in der Luft stände. Als Staffage dieses Luftbildes dienen tausende von Möwen aller Großen, und eine Art kleiner Taschenkrebse, die bei der Annäherung eines Menschen in eiliger Flucht das Weite suchen und zwar von der Seite laufend, weil sie wahrscheinlich aus Prinzip nicht vorwärts wollen und sich durch effektives Rückwärtsgehen mit den gemeinen Landkrebsen auf eine Stufe zu stellen fürchten. Sie werden deshalb hier Dwarsläufer genannt. Manche dieser Tiere schleppen eine Art Muscheln mit herum, die sich auf ihren Rücken festgesetzt haben, und auf einigen fand ich Seepflanzen von zwei Fuß Länge festgewachsen.

Seekrebse oder Dwarsläufer.
Eine Krabbe.
Krabbenfischer im Watt.


Eine andere Krebsart, welche diesen Watten eigentümlich ist, sind die Krabben, hier Knot und in der Wesergegend Kranat genannt. Sie werden zwei, höchstens drei Zoll lang und haben keine Scheren. Mit Pfeffer und Salz abgekocht schmecken sie sehr gut. — Man fängt sie mit Netzen millionenweise, und zur Ebbezeit sieht man die Krabbenfischer stundenweit in die Watten hineingehen, wo sie die Krabben aus den Vertiefungen holen, in denen das Wasser stehen bleibt. Auf dem Rücken haben sie einen Korb, in den der Fang getan wird. Einigemal muss man tiefere Stellen, die kleinen Flüssen gleichen und Baltjen genannt werden, passieren, dann steigt der Weg ganz unmerklich etwas aufwärts, bis man nach zwei und einhalbstündigem Marsch die Insel erreicht, die man vom Land aus für viel näher hielt, welche Täuschung der hohe Feuerturm und die durch gar nichts unterbrochene Ebene hervorbringen.

Die Insel selbst ist ein kleines Stück Land mit starken Deichen umgeben, die einige Felder, Wiesen und Gebäude gegen die Flut schützen. In Zeiten der Not, das heißt, wenn die Sturmfluten so hoch werden, dass sie die Deiche übersteigen, muss sich Alles auf den alten Feuerturm retten, dessen 18 Fuß dicke Grundmauern schon seit Jahrhunderten den Stürmen und Fluten widerstanden.

Dieser Turm wurde im Jahr 1290 von den Hamburgern zum Schutz der Schifffahrt gegen die Strandräuber erbaut, jetzt dient er als Signal für die Schiffe, nebst noch einem hölzernen Leuchtturm, der weiter nach der See zu steht.

Der Strandvogt von Neuwerk bewohnt den Turm, auf dem auch einige Zimmer zur Aufnahme von Fremden eingerichtet sind. In stürmischen Winternächten wird die erleuchtete Kuppel von Tausenden von Möwen und wilden Enten umschwärmt. Die Ersteren stoßen sich häufig die Köpfe an den starken Glasscheiben ein, während es schon oft vorgekommen ist, dass wilde Enten die halbzölligen Gläser und sich zugleich die Köpfe einschlugen.

Vom Turme aus übersieht man die Watten zwischen der Elbe und Weser, so wie das inmitten beider Flüsse liegende ferne blaue Land, das letzte Ende von Deutschland auf dieser Seite.

Die Umgebung des Turmes bilden einige Häuser, in denen die Wohnungen der Lampenwärter, die Schule und ein großes Rettungsboot auf einem Wagen sich befinden. Es ist dies das einzige Boot, welches mir auf dieser Insel zu Gesicht gekommen ist, außer einem, das halb in die Eide gegraben als Gartenlaube des Strandvogtes diente, so wie hier überhaupt alles zu Zäunen und dergleichen angewandte Holzwerk sehr verdächtige Ähnlichkeit mit Schiffsgegenständen hat.

Nach dem Lande zu steht eine Signalstange, an der durch aufgezogene Bälle Nachrichten über gestrandete Schiffe nach Duhnen telegraphiert werden; eine dabei befindliche Kanone dient wahrscheinlich dazu, den Strandvogt in Duhnen aufmerksam zu machen.

Da außer dem alten Turm auf Neuwerk auch gar nichts zu sehen ist, so tritt der Fremde seinen Rückweg durch die Watten sobald als möglich wieder an und zwar gewöhnlich auf dem rotangestrichenen Leiterwagen des Strandvogtes, von dem aus man die luft- und lichtreiche Szenerie nochmals mit Vergnügen ansieht. Die Möwen folgen dem Wagen haufenweise nach und setzen sich in die Spuren der Räder, wo sie leicht Würmer finden. Hier und da sieht man auch einige Eulen, die aus den Reisbündeln, welche den Weg anzeigen, auffliegen.

Schon oft ist es vorgekommen, dass Reisende von der Fluch überrascht wurden und ihre Rettung auf den Pferden suchen mussten, die man ausspannte. Der Wagen ward dann bei nächster Ebbe entweder tief in den Sand gewühlt oder gar nicht aufgefunden. So Mancher verlor auch bei dieser Gelegenheit das Leben.

Der alte Feuerturm auf Neuwerk.
Die Watten bei Neuwerk.


Im Winter und Frühjahr sind die Watten der Sammelplatz des Treibeises, das sich hier 20 — 30 Fuß hoch aufgetürmt und einen grausig öden Anblick gewährt. Den alten Römern jagten die Watten einen panischen Schrecken ein, als sie mit ihren Schiffen darauf sitzen blieben und sich in kurzer Zeit von trockenem Land umgeben sahen, das sich stundenweit hinausdehnte.

Hat man in Cuxhaven den seewärts gehenden Dampfer wieder betreten, so entschwindet das Land bald den Blicken. An der Insel Neuwerk, der Baake auf Schaarhörn und der Lootsgaliot vorbeisteuernd, erreicht man die Nordsee, die sich durch ihr grünes Wasser auffallend vom Flussrevier unterscheidet.

Bei der Schaarhörnbaake ist die Grenze des braunen und grünen Wassers wie abgeschnitten zu sehen. Der Schaum auf den Wellen wird hier kompakter und weißer und hält sich bedeutend länger als auf dem Flusswasser, und die Luft hat seewärts etwas Zarteres und Duftigeres als landwärts. Rechts und links, wo die Sandbänke Vogelsand und Schaarhörn die Einfahrt in die Elbe so gefährlich machen, steht man die weißen Brandungen laufen, die, wenn der Sturm hinter ihnen ist, alles zertrümmern, was in ihrem Bereich auf den Grund gerät.

Da die Wellen hier eine größere Gewalt bekommen und höher und länger werden, so fängt das Schiff an zu arbeiten, was der Seemann Stampfen (die Bewegung von vorn nach hinten) und Schlingern (von einer Seite zur andern) nennt, und was den Passagieren im Anfang viel Spaß macht. Die Mutigsten setzen und stellen sich dann gewöhnlich ganz vorn hin, ohne jedoch einen sichern Anhaltspunkt außer Acht zu lassen, und sehen der Ankunft einer Welle so ruhig entgegen, als waren sie dies längst gewöhnt. Werden sie vom Salzwasser etwas bespritzt, so machen sie sehr gleichgültige Gesichter oder gehen ganz langsam nach hinten und suchen sich einen bequemen Platz, von dem sie meistens nicht eher aufstehen, als bis sie die Matrosen bei den Beinen wegziehen, um ihnen begreiflich zu machen, dass sie in Helgoland angekommen sind.

Das immerwährende Schwanken lässt endlich den Wunsch nach einer festen Stelle in dem Reisenden aufkommen, er sucht eine solche im ganzen Schiff vergebens und stellt sich, ärgerlich darüber, an die Schiffsseite, wo der Wind nicht herkommt, was der Seemann „im Lee“ nennt, während die Seite, wo der Wind herkommt, „Luvseite“ heißt.

So sehr der Anblick recht großer Wellen früher herbeigewünscht wurde, so bald steigt der Wunsch nach glattem Wasser in dem Reisenden auf, denn von dem Hin- und Herschwanken des Schiffes und der Erschütterung der Maschine wird endlich der Magen rebellisch und die Gemütlichkeit hört auf, wo die Seekrankheit anfängt. Wir wollen indes den traurigen Zustand unberührt lassen, in den nach und nach der größte Teil der Passagiere gerät, ohne bei den Gesunden Mitleid, ja im Gegenteil noch Spott und Hohn zu finden. Etwas Komisches hat es für den Unbeteiligten allerdings, wenn ein baumlanger straffer Lieutenant plötzlich wie ein Taschenmesser zusammenklappt und anfängt wie ein Kind zu jammern, oder wenn ein zärtlicher Gatte, dem sonst der leiseste Wunsch der Gemahlin Befehl war, diese jetzt mit empörender Gleichgültigkeit nach einem Glas Wasser jammern hört und nicht einmal den Kopf nach ihr umdreht, oder wenn jener Pastor, der früher behauptete, durch „festen Willen“ die Seekrankheit bezwingen zu können, endlich den festen Willen fahren und den Geist vom Fleisch beherrschen lässt.

Der Kapitän Otten, dem für solche Leiden kein Fünkchen Mitleid mehr geblieben ist, setzt ruhig seinen Weg fort oder isst gar, den Magen sämtlicher Passagiere zum Hohn, ein Beefsteak mit Eiern; denn jetzt kann er das Schiff ruhig dem Mann am Steuer überlassen, der es auf dem ihn angegebenen Kurs hält.

Erster Anblick von Helgoland.

Endlich taucht am Horizont ein Punkt aus dem Wasser auf, der höher und höher steigend, bald die Insel und die Gebäude darauf erkennen lässt. Rechts davon erhebt sich nach und nach ein kleiner heller Punkt, die Düne mit den Banken, die für die Schiffer als Signale dienen.

Das Schiff steuert zwischen Insel und Düne hinein, wo es den Anker fallen lässt; ein Kanonenschuss begrüßt die Ankommenden von der Insel, die Fährboote kommen heran und Alles verlässt eilig das Schiff, um an das feste Land zu gelangen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Hamburg nach Helgoland