Zweites Capitel. - Im Flies'schen Hause erregten der bevorstehende Krieg gegen Frankreich und das Einrücken der Truppen, welche bestimmt waren, der revolutionären Bewegung ...

Im Flies'schen Hause erregten der bevorstehende Krieg gegen Frankreich und das Einrücken der Truppen, welche bestimmt waren, der revolutionären Bewegung in Frankreich wo möglich ein baldiges Ende zu machen, also keine Freude, denn man hatte allen Grund, der Sache den Sieg zu wünschen, die zu bekämpfen das Heer entsendet wurde, und es war dem Juwelier recht erwünscht, daß der Kriegsrath die Offiziere bei sich ins Quartier nahm. Brauchte Herr Flies es nun doch nicht mit anzuhören, wie verächtlich die jungen Edelleute von den Franzosen sprachen, wie sie die in Paris verkündigte Anerkennung der Menschenrechte verspotteten und mit welchen Schmähungen sie die Namen der großen Männer begleiteten, welche in Frankreich die Aufhebung aller Privilegien und Standesvorrechte ausgesprochen hatten!

Es waren aber schöne junge Männer, vornehme Offiziere, die oben bei der Kriegsräthin die großen Vorderstuben bewohnten. Sie gingen täglich vielmals durch das Haus und grüßten dabei Seba immer sehr verbindlich. Nur auf einige Tage hatte man die Einquartierung angemeldet, aber sie blieb und blieb, und wie man überall auch vom Kriege und von seinen Schrecken sprach, die Offiziere schienen ihn wie eine Vergnügung anzusehen. Das Leben, das man jetzt im Orte führte, war auch lustig genug. Die Offiziere stolzirten prächtig durch die Straßen, wurden gehegt und gepflegt, ritten und fuhren umher und saßen und scherzten mit den Frauen und Mädchen, die sich gar keine besseren Gesellschafter wünschen konnten, und sich schmückten, als wären es lauter Feiertage. Auch die Kriegsräthin trug jetzt immer ihre guten Kleider und war von früh bis spät in bester Laune, wenn die Offiziere, so nannte sie den Hauptmann und den Grafen, bei ihr im Zimmer waren. Abends gab es noch häufiger Besuch als sonst, man spielte oftmals, man tanzte auch bisweilen, und selbst der Kriegsrath schloß sich jetzt von der Gesellschaft selten aus, denn des Grafen Onkel war der Kriegs-Minister, von dessen Gunst und Meinung des Kriegsrathes ganze Zukunft abhing. Am Morgen fuhren die beiden jungen Edelleute die Kriegsräthin bisweilen spazieren, und nach einer solchen Ausfahrt war es, daß die schöne Laura eines Tages mit dem Grafen in den Laden des Juweliers hineinkam, als Seba dem Vater eben eine Schnur werthvoller Perlen wiederbrachte, die er ihr aufzureihen gegeben hatte.


Herr Flies fragte, womit er dienen könne, weil er annahm, der Graf wünsche irgend einen Kauf zu machen; aber die Kriegsräthin sagte, sie komme nur, um Paul zu suchen, der doch gewiß hier unten bei seiner Seba sein werde. Sie lächelte dabei sehr freundlich, und auch Seba lachte, denn der Knabe hatte wirklich wieder bei ihr unter den Wallnußbäumen im Garten gespielt, unter deren jungem Laube es am Mittage sehr schattig war.

Die Kriegsräthin ging über den Hof in den Garten hinaus, den Knaben zu holen, Seba begleitete sie und der Graf folgte ihnen nach. Madame Flies saß draußen und pflückte Rosenblätter und Lavendelblüthen zum Aufbewahren in einen Topf. Paul half ihr dabei, und obschon die Kriegsräthin ihm sagte, daß er hinaufkommen solle und daß sie gehen müsse, weil es bald Mittag sei, ließ sie sich doch auf der Bank unter den Bäumen nieder und schickte Paul ins Gartenhaus, für den Herrn Grafen einen Stuhl zu holen.

Der Graf fand den Garten äußerst angenehm. Er rühmte den Rasen und den Schatten und die Blumen, er sagte, daß es in seines Vaters Park nicht frischer sei, und er fragte die Kriegsräthin, weßhalb sie ihre Gäste bei diesem schönen Wetter nicht lieber in dem Gartenhause als oben in ihren Zimmern bewirthe?

Wir haben die Benutzung des Gartens nicht, Herr Graf, bedeutete die Kriegsräthin.

Er steht ja immer zu Ihrer Verfügung, verehrte Frau Kriegsräthin! versicherte dienstbeflissen und zuvorkommend die Hausfrau.

Die Eine dankte, die Andere meinte, es bedürfe des Dankes nicht, und dabei überhörten sie beide, was der Graf zu Seba sagte. Es mußte aber etwas Angenehmes und nichts Gewöhnliches sein, denn Seba ward roth, obschon sie lächelte, und blickte den Grafen an, nachdem sie sich hatte abwenden wollen. Es lohnte auch der Mühe ihn anzusehen, denn er war schön, der schlanke junge Mann mit seiner zuversichtlichen Miene und den stolz geschwellten Lippen.

Die Kriegsräthin und der Graf blieben nicht lange im Garten, und doch war es Seba, da Jene sich entfernten, als hätte sie viel erlebt, als sei etwas ganz Besonderes geschehen. Sie überlegte, was der Graf zu ihr gesprochen, was sie ihm geantwortet habe. Sie hätte wissen mögen, wie sie ihm erschienen sei und ob ihre Redeweise, ihr Betragen, ihre Haltung die richtigen gewesen wären. Sie war so unsicher über sich selbst, sie genügte sich plötzlich nicht. Das war ihr sonst niemals geschehen.

Am Nachmittage kam Paul herunter.

Seba, sagte er, sieh' mich doch einmal an!

Wozu das? fragte sie.

Ich will nur sehen, ob Du schön bist!

Wie kommst Du darauf? entgegnete sie.

Der Graf hat es gesagt! versetzte Paul, weit entfernt, zu ahnen, was er seiner Freundin damit that.

Sie hätte sich den Anschein geben mögen, als achte sie nicht auf des Knaben Worte, aber sie konnte das Wohlgefühl, das sie durchströmte, nicht verbergen. Sie umfaßte Paul, sie drückte ihn an ihr Herz, sie küßte ihn wieder und wieder. So lieb wie heute hatte sie ihn nie gehabt.

Sie sang und lachte, wo sie ging und stand. Nie zuvor war sie an einem Tage so oftmals an den Spiegel getreten, nie zuvor hatte ihre Schönheit sie so erfreut. Noch spät am Abend, ehe sie sich zur Ruhe legte, schlang sie bald dieses, bald jenes Band durch ihre Locken, hing sie bald dieses, bald jenes Geschmeide um Hals und Arme. Sie wollte erproben, was ihr am besten stände, um es morgen anzulegen, und sie dachte mit einer Wonne an den nächsten Morgen, an den nächsten Tag, daß sie den Schlaf darüber lange gar nicht finden konnte.

Morgen, sagte sie sich, als die Nebelgebilde des Traumes ihren Sinn zu umfangen begannen, morgen! Was wird morgen sein? – Und der Traum bemächtigte sich der heimlichen Gedanken und Hoffnungen, die sich in ihr regten, und spann sie aus und stellte sie ihr dar, und machte ihr deutlich, was sie fühlte; denn der Traum ist der verführerische Gefährte der aufdämmernden Liebe, der schneller und kühner als sie, ihr stets voraus ist und sie verlockt, ihm in Gebiete zu folgen, in die ihr Ahnen und Wünschen sich noch nicht gewagt hat, und von denen sie nicht mehr zurückkehrt, wenn sie sich erst darin verloren hat.

Und Seba hatte sich am folgenden Tage nicht vergebens geschmückt, und die Mutter hatte nicht vergebens der Kriegsräthin den Garten zur Verfügung gestellt, denn sie begann ihn fleißig mit ihren Gästen zu benutzen. Morgens spazierte sie mit dem Hauptmanne in den Alleen umher, Mittags suchte man unter seinen Bäumen den Schatten auf, Abends kam man noch hinunter, die Kühlung zu genießen, und der Graf war immer dabei.

Das ging Tag für Tag so fort. Die Kriegsräthin und Madame Flies wurden immer bessere Freundinnen, da sie sich näher kennen lernten, und Jene betheuerte, daß sie es sich gar nicht vergeben könne, so manche Jahre mit Madame Flies und mit der guten Seba unter einem Dache gelebt zu haben, ohne zu begreifen, welche Hausgenossen sie an ihnen besitze. Sie mochte sich von Seba kaum noch trennen. Sie versicherte, daß sie dieselbe wie eine jüngere Schwester, wie eine Tochter liebe; sie erzählte im Vertrauen, wie der Hauptmann und vor Allen der Graf die schöne Seba bewunderten, und es war im Grunde gar nicht nöthig, daß sie ihr das sagte, denn der Graf hatte es Seba oft genug ausgesprochen und wiederholt, und Seba dachte schon lange an nichts mehr, als an ihn.

Dem Vater kam das Alles nicht gelegen. Er kannte die Edelleute und er kannte auch die Kriegsräthin. Er glaubte nicht an die plötzlichen Wandlungen und war klug genug, wo eine solche sich vor seinen Augen vollzog, nach der Ursache des Wunders zu fragen. Hier aber reichten der Name des Grafen und die sichtliche Bewunderung, welche derselbe für Seba an den Tag legte, vollkommen hin, dem Juwelier die Gefälligkeit der Kriegsräthin zu erklären, und weder diese noch der Graf wurden ihm dadurch lieber. Er hätte der ganzen Sache gern ein Ende gemacht; indeß Seba hatte solche Freude an der Geselligkeit, in welche sie durch die Kriegsräthin gezogen ward, und sie war ja klug genug, die Kluft zu ermessen, welche die Tochter ihres Vaters von einem Grafen Berka trennte. Mochte sie also die kurze Freude genießen, sich von einem Grafen bewundert zu sehen, da es ja obenein möglich war, daß sich aus den gegenwärtigen Verhältnissen zu der Weißenbach'schen Familie für Seba ein Umgang entwickelte, wie sie ihn sich lange ersehnt hatte, wie sie und ihre Eltern ihn wohl auch beanspruchen durften.

Aber nicht Seba allein war befriedigt durch die Besuche, welche sie bei der Kriegsräthin machte, auch Paul, ihr kleiner Freund, hatte seine Lust daran, denn sie sah gar zu schön aus, wenn sie Abends in ihren weißen Kleidern zur Gesellschaft herauf kam.

Einmal, am Geburtstage der Kriegsräthin, hatte man noch mehr Gäste geladen als gewöhnlich, und zum ersten Male waren auch Herr Flies und seine Frau dabei. Seba hatte rothe Korallen durch ihr schwarzes Haar geschlungen, und man lachte und scherzte und tanzte, und unter all den schönen Mädchen und Frauen war Seba bei Weitem die Schönste. Das sah Paul ganz deutlich, das sagte auch Jedermann, und das sagte ihr auch der Graf, dem die Uniform so straff saß, dem die Lebenslust aus seinen blauen Augen lachte und der heute gar nicht von Seba's Seite wich.

Paul konnte das nicht leiden. Er konnte den Grafen überhaupt nicht leiden, denn Seba beachtete den Knaben nicht, wenn Jener in ihrer Nähe war, ja, sie schien Paul überhaupt beinahe vergessen zu haben. Nachdenklich stand der Kleine in der Ecke und sah dem Grafen nach, wie dieser Seba in seinem Arme hielt und wie die beiden sich leise und sanft in den weichen Schwingungen des Schleifers durch den Saal bewegten. Niemand kümmerte sich um Paul, und Niemand wußte, wie sonderbar fremd ihm heute der Saal erschien, den man mit Guirlanden und Kränzen aufgeputzt hatte und der wie nie zuvor voll Menschen war. Die Hitze, der Geruch der Blumen, das Blinken der Uniformen, das Drehen und Wenden der Tanzenden verwirrten ihm den Blick und den Sinn, und doch mußte er immerfort nach Seba und nach dem Grafen Berka hinsehen, mußte er immerfort den Namen Graf Berka, Graf Berka in sich wiederholen. Seit Monaten hatte er diesen Namen täglich nennen hören, und nun mit einem Male, wie er neben dem Gewühl der Tanzenden, unter dem Klange der Musik, unter all dem Sprechen und Tönen und Duften so in seiner Ecke stand, meinte er, den Namen Berka habe er schon lange gekannt. Indeß er wußte nicht, wo er ihn gehört hatte, und er wußte auch nicht, was ihm dabei einfiel. Aber es tauchte etwas vor ihm auf, es kam ihm vor, als habe er einmal etwas gewußt, als sei einmal etwas geschehen, woran er lange nicht mehr gedacht habe, und immer wieder kam er dabei auf den Namen Berka zurück, den er doch nicht liebte.

Er war froh, als der Tanz zu Ende war und das Drehen um ihn her ihn nicht mehr quälte. Er sah, wie Seba in das Cabinet ging, welches an den Saal anstieß, und er folgte ihr nach. Sie hatte auf einem Sessel neben dem Ecktische Platz genommen, die Kriegsräthin, die ganz entzückt von ihr zu sein schien, hielt sie bei der Hand und der Graf saß an ihrer Seite. Das Cabinet war voll Menschen, denn man hatte im Saale die Fenster geöffnet, weil die Nacht trotz der frühen Jahreszeit so heiß war. Wein wurde umhergegeben und mit den Gläsern angeklungen. Auf das Wohl der Kriegsräthin tranken sie, und auf das Wohl der schönen Frauen und auf Sieg und baldige Heimkehr für die Truppen, vor Allem aber auf ein frohes Wiedersehen.

Sie sprachen oft Alle durch einander, daß Paul gar nicht recht verstehen konnte, was sie meinten. Einer freute sich darauf, in Frankreich Ruhe zu schaffen, ein Anderer auf das unruhige Kriegsleben, das ihnen bevorstand und in jedem Augenblicke beginnen konnte, und Graf Berka erzählte lachend, wie man ihn von Hause nur mit Thränen habe scheiden lassen, als gäbe es aus dem Kriege keine Wiederkehr.

Ja, sagte der Hauptmann, auch bei uns gab es, als wir aus der Garnison aufbrachen, eine Rührung, die uns hätte eitel machen können!

Und dazu, meinte Graf Berka, haben Sie sich noch das Vergnügen gegönnt, vorher in der ganzen Provinz umher zu reisen, um die Abschiedsthränen Ihrer sämmtlichen Frau Tanten und Ihrer sämmtlichen Cousinen einzuernten, wobei Sie gewiß nicht zu kurz gekommen sind!

Paul wußte nicht, was das heißen sollte und weßhalb das Alle so komisch fanden, denn ihm gefiel die Rede nicht, weil Seba darüber nicht lachte, wie die Andern. Sie hatte ihre Augen auf den Grafen gerichtet, und ihre Augen waren so ernst und still. Der Knabe wurde traurig und immer trauriger. Er kam sich so vergessen, so verlassen vor, daß er's endlich nicht mehr ertragen konnte. Er trat hervor aus seiner Ecke, ging an Seba heran und lehnte sich mit seinen Armen auf ihren Schooß.

Und er hörte immerfort, wie sie sprachen und lachten und lachten und sprachen, immer schneller, immer lauter, Alle durch einander; und dabei mußte er immerfort nachsinnen und wußte noch nicht worüber, und immerfort an etwas denken, und wußte doch nicht woran. Er ward müde und betäubt von all dem Treiben. Nur bisweilen schlug ein einzelnes Wort, wie ein Ton aus der Ferne, stärker, vernehmlicher an sein Ohr, und mit einem Male hörte er, daß der Hauptmann sagte: Graf Berka, Sie sind doch gewiß auch noch bei Ihrem Schwager, bei dem Baron von Arten in Richten gewesen?

Da fuhr der Knabe auf, als falle ihm ein, was er bis dahin vergebens gesucht hatte, und sich emporrichtend, rief er laut und deutlich, daß Jedermann es hören mußte: Das ist Schloß Richten, das gehört dem Baron von Arten, der Baron von Arten ist mein Vater – und meine Mutter liegt im Teich! ....

Alles verstummte, Alles sah nach dem Knaben hin. Sein Aufschrei, der ganze Vorgang waren wie ein Blitzstrahl in die Gesellschaft gefahren. Paul hatte, erschreckt von seinem eignen Thun, seine Arme um Seba's Hals geschlungen, die, noch mehr verwirrt als die Uebrigen, ihn fortzuführen suchte. Seba's Mutter und die Kriegsräthin und der Kriegsrath folgten ihnen nach, die Betroffenheit war allgemein.

Man fragte, was es mit dem Kinde auf sich habe, das man bis dahin bereitwillig für eine Waise gehalten hatte. Man drang in den Juwelier, der inzwischen herbeigekommen war, um eine Erklärung, man wendete sich an den Grafen, neugierig, zu sehen, wie er den Vorfall aufgenommen habe; und obschon Herr Flies und der Kriegsrath, der bald zurückgekehrt war, die Sache so gut es gehen wollte in das Gleiche zu bringen suchten, war die Heiterkeit der Gesellschaft doch ins Stocken gerathen. Die Verstimmung des jungen Grafen war gar zu unverkennbar, und wie sehr er sich auch mühte, sie zu verbergen, es gelang ihm nicht; denn auch in ihm waren Erinnerungen aufgestiegen, Erinnerungen, die er gern gemieden hätte.

Er stand mit einem Male deutlich vor ihm, der klare Herbstmorgen, an welchem er sich vor Jahren mit dem Freiherrn auf der Terrasse von Schloß Richten befunden hatte, um zur Hochzeit nach Berka zu fahren. Er erinnerte sich ganz genau, wie man in jener Stunde unten am Flusse nach einer Ertrunkenen gesucht hatte. Eine Menge von kleinen Thatsachen, welche sich auf das damalige Verhalten seines Schwagers, auf die ersten Monate von Angelika's Ehe, auf manche ihrer brieflichen Aeußerungen in jener Zeit, auf ihren Uebertritt zum Katholicismus und auf das Zerwürfniß mit ihrer Familie bezogen und an die er bisher immer nur wie an unzusammenhängende Ereignisse gedacht hatte, fingen an, sich in seinem Geiste zu einem Ganzen zu gestalten, von dem er seinen Sinn nicht abwenden konnte. Er übersah dasselbe nicht vollständig, nicht ganz klar, aber es erfüllte ihn mit Mitleid für die Schwester, es weckte seine Sehnsucht nach ihr auf, und er dachte mit erhöhtem Zorn an ihren Gatten.

Jetzt wußte er es plötzlich, was ihn so bekannt und doch so befremdlich aus Paul's Augen angesehen hatte und weßhalb der Knabe ihm so unheimlich gewesen war. Er begriff nicht, daß ihm die Aehnlichkeit mit dem Freiherrn nicht gleich deutlich gewesen sei. Es waren seine Augen, seine hohe, gewölbte Stirn, sein festgeformter Mund. Selbst den Nacken und den Kopf trug der Knabe so stolz wie der Freiherr, und weil der Graf seinen Schwager in diesem Augenblicke haßte, so haßte er auch dessen Bastardsohn.

Indeß dem Grafen vor allen Anderen mußte daran gelegen sein, über den peinlichen Eindruck fortzukommen, die Scene vergessen zu machen, welche man eben erlebt hatte, und seine Keckheit und sein Leichtsinn kamen ihm dabei zu Hülfe. Er lachte über sein Erschrecken, über die Bestürzung der Gesellschaft, und wie er die Worte des Kindes verlachte und verspottete, so lachte er mit seinen Cameraden auch über die Familie des Kriegsraths, in welcher man den Knaben so geheimnißvoll erzog. Was war ihm denn auch diese ganze Gesellschaft? Was focht es ihn an, was man in derselben vermuthete und meinte? Er hatte oft genug mit seinen Cameraden Epigramme über diesen Kriegsrath gemacht, der in seiner rechtschaffenen Beschränktheit die ganze Welt für rechtschaffen und für eben so blind hielt, als er selber war. Es belustigte den Grafen in diesem Augenblicke, daß die Kriegsräthin ihm den Weg zu Seba gebahnt hatte, und daß sie so zufrieden und glücklich die Galanterien und Betheuerungen des Hauptmanns annahm, den er ihr als Lockspeise dargeboten hatte, um sich selber von ihr frei zu machen. Sie war ihm lächerlich, diese Kriegsräthin, und sie war ihm komisch, diese Madame Flies, die sich gar viel damit wußte, daß die vornehmen Cavaliere ihre Seba so schön fanden, daß ein Graf Berka mit ihrer Tochter, an deren Erziehung man nichts gespart hatte, die feinsten und erhabensten Unterhaltungen führte.

Auch über den klugen Kopf, über den Vater, mußte er lachen, der Allem und Jedem vorsichtig mißtraute, und dessen Vertrauen in die Tochter doch so groß war, als habe das schöne Kind nicht ein Weiberherz mit aller seiner mädchenhaften Sehnsucht und aller seiner thörichten Schwäche in der Brust.

Er hätte auch gern über Seba lachen mögen, die eben jetzt in das Zimmer zurückkehrte und deren Augen ihn suchten, ihn allein; aber über sie vermochte er niemals zu lachen – und sie war doch nichts als eine Jüdin und er war der Graf von Berka, der schöne Gerhard von Berka – eben er!

Er ging ihr entgegen, sie mit einem Scherze anzureden, doch konnte er das Wort nicht dazu finden. Sie sah ihn so fragend und so ängstlich an, daß er Mitleid mit ihr fühlte. Es war ihr gar so ernst mit ihrer Liebe, heiliger tiefer Ernst, das wußte er.

Süßes Herz, sagte er, von ihrem Blicke überwältigt, und nahm sie bei der Hand. Mehr bedurfte sie nicht. Sie meinte, er müsse verstehen, was eben jetzt in ihrer Seele vorging, und seine Zärtlichkeit wolle ihre Sorge beschwichtigen. Sie lächelte ihm freundlich zu, und leise den Druck seiner Hand erwiedernd, sprach sie: O, ich bin nicht traurig, sorge nicht!

Ihr Ton drang ihm zu Herzen; es war ihm lieb, daß man aufs Neue zum Tanzen rief, daß er sie in seine Arme schließen, sie nahe haben konnte. Er tanzte nur mit ihr; er hätte sie keinem Andern gegönnt.

Es war spät in der Nacht, als man sich trennte, aber schlafen konnte Seba nicht. Wort für Wort wiederholte sie sich die Liebesschwüre, welche der Graf ihr seit Wochen gethan und heute leidenschaftlicher als jemals wiederholt hatte. Jede Stunde, jede Minute, die sie mit ihm durchlebt, wußte sie sich vorzustellen. Sie erinnerte sich, daß er sich einmal im Vergleiche zu seinem ältesten Bruder, dem Erben seines reichen Stammbesitzes, einen Mittellosen genannt hatte, und sie freute sich ihres Reichthums um seinetwillen. Sie hielt sich alle die Schranken und die Hindernisse vor, welche sie von dem Grafen trennten, um sie im nächsten Augenblicke mit den Schwingen der Liebeshoffnung spielend zu überfliegen. Vom Wahrscheinlichen zum Unwahrscheinlichsten war für sie der Weg nicht weit, und zwischen Hoffen und Wünschen, Fürchten, Sorgen und Verzagen blieb nur Eines in ihr fest bestehen, ihre Liebe für den Grafen, ihr Vertrauen zu seinen Schwüren und zu seinem Versprechen, daß er um sie werben und sie heimführen wolle, aller Welt zum Trotze.

Mitten aus ihren wachen Träumen schreckte sie empor. Die Trommeln rasselten durch die Gassen und auf den Plätzen, an den verschiedenen Häusern wurden die Thürglocken heftig gezogen, Alles gerieth in Aufregung, der Generalmarsch wirbelte durch die graue Morgenfrühe, die Regimenter hatten die lang erwartete Marschordre erhalten.

In allen Häusern war man wach. Die Thüren und Portale wurden geöffnet, die Soldaten mußten zum Appel.

Damit hatte nun Seba freilich nichts zu thun, aber sie stand am Fenster und sah hinab auf die Straße, wie sie herauskamen, die Soldaten, hüben und drüben aus den Häusern, und wie sie fortzogen, eilig, eilig, mit Sack und Pack.

Auch in ihrem Hause rüsteten sie sich, und im Stalle sattelte man die Pferde. Der Hauptmann, welcher im Zwischenstocke wohnte, war schon fort. Nun kam es von oben die Treppe hinunter. Den Tritt kannte sie. Es mußte an ihrer Thüre vorüber.

Der Graf hatte nie ihr Zimmer betreten, indeß er wußte, wo es lag. Sie lauschte bange. Sie meinte, heute müsse er stehen bleiben, heute müsse er zaudern an ihrer Thüre; aber mit dem gleichmäßigen Schritt der Ruhe ging er vorüber, und sie eilte an das Fenster, um ihm nachzuschauen, um zu sehen wie er aufstieg und ob er nicht den Kopf hinwende nach der Stätte, an der sie weilte. Auch diese Hoffnung täuschte sie, und müde und traurig blickte sie nach dem Himmel empor, der zwischen den Reihen der Häuser, grau und kaum noch lichtdurchhaucht, herniedersah. Die Sterne waren untergegangen und die Sonne wollte noch nicht kommen. Wenn Gerhard mich vergessen könnte! seufzte sie.

Die Eltern hatten sich wieder zur Ruhe gelegt, Seba blieb am Fenster sitzen. Schlafen hätte sie doch nicht können; sie wollte seine Rückkehr abwarten, denn heute war er noch da, heute konnte sie ihn doch noch sehen.

Arglos wie ein Kind hatte sie sich dem Zauber hingegeben, den der Graf auf sie geübt. Seine Schönheit, sein fröhlich gebieterisches Wesen hatten sie entzückt. Er war ihr nicht genaht, wie mancher ihrer Glaubensgenossen, mit vorsichtiger Bewerbung, die ihr Zeit zum Ueberlegen ließ. Wie ein Göttersohn, wie die biblischen Könige der Magd aus ihrem Volke, so war er Seba erschienen, gebieterisch Liebe fordernd, weil er sie begehrte, und sie hatte ihm ihr Herz zu eigen und ihren Verstand gefangen gegeben und sich nicht gefragt: Wird er dir halten, was er dir gelobt, und wie kann das enden zwischen dir und ihm?

Aber jetzt, da die Trennungsstunde vor der Thüre stand, jetzt drängte sich mit dieser Frage der Zweifel an sie heran, und bange stand sie am Fenster und sah in die dunkle Nacht hinaus, nach der Seite hin, von wo die Sonne kommen mußte. Die Dunkelheit beängstigte sie.

Der Tag dämmerte bereits, als die Truppen vom Appel wiederkehrten. Seba zog den Vorhang am Fenster zu; es sollte Niemand sehen, daß sie wachte, daß sie nach ihm ausschaute. Nur verstohlen gönnte sie es sich, auf den Geliebten hinzusehen. Sein Brauner tanzte leicht die Straße hinab, leicht und gewandt schwang der Graf sich aus dem Sattel. Als der Reitknecht ihm den Zügel abnahm, hob der Graf den Kopf empor zu ihrem Fenster.

Ob er es ahnt, daß ich hier warte und nach ihm spähe? fragte sie sich. Sie trug das größte Verlangen, ihm irgend ein Zeichen zu geben, daß sie wache, seiner denke; sie hatte ihm so viel zu sagen, sie sehnte sich so sehr nach einem letzten vertrauten Worte mit ihm, aber sie konnte sich nicht entschließen, sie zögerte. Da pochte es leise und vorsichtig an ihr Zimmer. Erschreckt, erfreut, eilte sie nach der Thüre und blieb doch auf halbem Wege regungslos stehen.

Es klopfte noch einmal. Seba, öffne, ich bin's! flüsterte eine Stimme, die ihr das Herz bewegte.

Sie faltete die Hände über ihre Brust; sie hoffte er werde vorübergehen, und doch lauschte sie ängstlich und sehnsüchtig auf noch einen Ton, auf noch ein Wort von außen, und sie ließen nicht lange auf sich warten.

Seba, bat es noch einmal, Seba, ich bin es!

Sie konnte dem Tone nicht widerstehen. Sie trat an die Thüre, öffnete, und mit dem Ausrufe: Wie habe ich Dich erwartet und ersehnt! reichte sie ihm ihre Hände entgegen.

Aber er breitete nicht wie sonst, wenn sie sich im Garten oder bei der Kriegsräthin allein gesehen hatten, die Arme aus, sie zu umfangen, und fast spöttisch sagte er: Erwartung und Sehnsucht haben Dich, wie es scheint, doch ruhig schlafen lassen. Ich bin schon lange an Deiner Thüre.

Schlafen lassen? wiederholte sie schmerzlich; wie könnte ich schlafen in dieser Nacht! Ich stand am Fenster und wartete auf Dich; ich sah Dich kommen und, fügte sie leise hinzu, das Auge schüchtern senkend, ich hörte Dich gleich!

Du hörtest mich, und Du öffnetest mir nicht, da Du doch wußtest, daß wir scheiden müssen?

Seba war ihrer selbst nicht Herr. Die Kälte des Grafen und der sonderbare Ausdruck seiner Mienen verwirrten sie. Sie konnte es sich nicht deuten, weßhalb er gekommen war, wenn er ihr nicht wie sonst die zärtlichen Worte seiner Liebe aussprechen oder ihr sagen wollte, was er für sie auf dem Herzen hatte. Nur sein Blick ruhte auf ihr unverwandt, und es dünkte sie, als freue, als weide er sich an ihrer Verwirrung und an ihrer Pein. Es wurde ihr immer beklommener um das Herz; endlich konnte sie die Stille nicht ertragen, es nicht ertragen, daß Gerhard so gebieterisch ihr gegenüber stand.

Ach, rief sie, als müsse sie wider ihren Willen ihm die Wahrheit sagen, ich fürchtete mich, ich wagte es nicht!

Seba! rief er vorwurfsvoll, als kränke ihn das Wort, während doch ein Strahl unheimlicher Freude über sein Gesicht flog, daß es ihr trotz seiner Schönheit wie verwandelt erschien. Aber er faßte sich schnell, und mit dem kühlen spöttischen Lächeln, das ihr so quälend war, fügte er hinzu: Du bist sehr vorsichtig und klug, liebe Seba, das rechte Kind Deines Volkes! Aber Du hast Recht, und vielleicht habe grade ich Dir am meisten dafür zu danken, daß Du überlegen konntest, wo mich meine Liebe und mein Verlangen unbesonnen hinrissen! Ich will auch gehen!

Jedes seiner Worte fiel schwer auf sie hernieder. Sie wollte sprechen, sich vertheidigen, er ließ sie nicht dazu kommen. Lebe denn wohl, sagte er, die Zeit drängt, und mögest Du bald den Mann finden, dem Du mehr vertraust als mir! Nur von Liebe hättest Du nicht sprechen sollen, Kind, einem Manne nicht sprechen sollen, der bereit war, Dir Alles zu opfern, und dessen letztes Wort Dein Name sein wird! Deine Kälte, Dein ruhig überlegender Verstand bringen auch mich zum Ueberlegen! Lebe denn wohl – und laß uns scheiden! Du hast Recht!

Er wandte sich von ihr, sie warf sich ihm zu Füßen. Nicht über diese Schwelle, rief sie, indem sie seine Hände erfaßte, nicht über diese Schwelle, ehe Du mich nicht gehört, mir nicht verziehen hast! – Er that, als wolle er sich von ihr frei machen, sie hing sich nur fester an ihn. Nicht Dir mißtraute ich, rief sie, nicht Dir!

Sie war außer sich, sie konnte vor Weinen und vor Erregung nichts weiter sprechen. Reizender hatte er sie nie gesehen, solcher Leidenschaft hatte er das schöne junge Geschöpf nicht für fähig gehalten. Dieser Flamme, dieser hingebenden Liebe gegenüber bedurfte es seines berechneten Schürens nicht.

Er schwor sich ihr zu mit den heiligsten Eiden, er war nahe daran zu glauben, was er ihr sagte und gelobte und beschwor, und der Tag mit seinem Leben war schon emporgekommen, als sie endlich schieden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Geschlecht zu Geschlecht. Zweites Buch