Zehntes Capitel. - Zu einer Wirksamkeit auf ihre Umgebung gehört für eine Frau ein besonderer Sinn. Gaben des Geistes und Güte des Herzens thun es nicht allein. ...

Zehntes Capitel. Zu einer Wirksamkeit auf ihre Umgebung gehört für eine Frau ein besonderer Sinn. Gaben des Geistes und Güte des Herzens thun es nicht allein. Es ist dazu eine Beobachtung nöthig, welche das Bedürfen der Andern versteht und erräth, und jener selbstlose gute Wille, der das eigene Bedürfen im Verhältnisse zu dem fremden nicht überschätzt. Angelika war von einer Mutter erzogen, welche diese Eigenschaften in hohem Grade besaß und welche es verstand, ihren Gutsinsassen eine hülfreiche Herrin zu sein, wie sie ihren Kindern eine treffliche Mutter war. So hatte Angelika es früh gelernt, für Andere zu sorgen, und jetzt, da sich ihr in Richten ein eigener Wirkungskreis eröffnete, wie ihn ihre Mutter von je gehabt hatte, fing sie erst an, sich recht als Hausfrau und als Herrin zu empfinden.

Die alte Dienerschaft der Familie war ihr zusagender als die Lakaien, welche der Baron für die Dauer ihres Aufenthaltes in der Hauptstadt angenommen hatte; die großen, hellen Säle, die man theilweise in ihrer alterthümlichen Pracht belassen, die wohlerhaltenen, schweren und geschnitzten Eichenmöbeln derselben waren ihr noch lieber als die Zimmer, welche man modisch erneuert, und sie sprach es bald nach ihrer Ankunft in Richten zuversichtlich aus, daß sie sich hier nie einsam fühlen könne. Es sei ihr, als lebten alle die verehrten Vorfahren mit ihr, die hier in ununterbrochener Reihenfolge geschafft und gewaltet, um ihr den Wohnsitz zu bereiten, auf den sie stolz sei und den für die Zukunft zu erhalten und zu schmücken ihr wie ein Priesterdienst erscheine. Sie besaß jenen lebendigen, historischen Sinn, der eine große Stütze für den Menschen, und den ererbter Besitz in bevorzugten Naturen zu entwickeln geeignet ist.


Es verging daher nur kurze Zeit, bis sie die Lebensverhältnisse der Leute kannte, welche ihr dienten, bis sie wußte, was geschehen müsse, sie zufrieden zu stellen, und was im weiteren Kreise in der Herrschaft ihres Mannes für das Wohl ihrer Bewohner noch zu leisten und zu schaffen sei. Es war das nicht Folge neugieriger, gewaltsamer Fragen, nicht absichtliches Erforschen. Weil sie theilnehmend war, kam ihr überall das Vertrauen entgegen, und der Caplan stand ihr mit Rath und Aufschluß überall zur Seite. Die ersten Tage in Richten flogen ihr auf solche Weise wie Stunden schnell dahin, und das schöne Frühlingswetter erhöhte ihr Behagen.

Der Baron, der es seit dem Tode seiner Mutter entbehrt hatte, eine Hausfrau im Schlosse walten zu sehen, hatte Freude an der stillen Thätigkeit seiner jungen Gattin, ja, er gestand ihr, daß sie hier erst recht an ihrem Platze sei, daß sie ihm nie zuvor besser gefallen habe, als hier in seinem Schlosse. Er verließ sie auch wenig, sein Auge folgte ihr überall, aber es kam Angelika bisweilen vor, als ziehe oft plötzlich ein schwermüthiger Ernst durch sein Gesicht, wenn er sie betrachte, als sei es nicht nur seine Liebe für sie, welche ihn in ihrer Nähe festhalte, sondern als bewache er sie und die Personen, welche sie bedienten, mit einer ihr unerklärlichen Achtsamkeit. Sie neckte ihn damit, er ließ es gelten; indessen von Tag zu Tag fiel es der Baronin mehr und mehr auf, daß in dem Betragen ihres Mannes auch hier in Richten ein fortdauernder Wechsel herrschte, daß er oft sehr reizbar, oft noch schwermüthiger war, als in der Stadt, ja, daß er recht eigentlich launenhaft geworden und eine Unruhe über ihn gekommen sei, welche sie früher nicht an ihm wahrgenommen hatte.

Er machte im Hause Anordnungen, für welche sich kein Grund absehen ließ. Er fand die ganze Eintheilung der Zimmer, welche er vor seiner Verheirathung selbst veranlaßt hatte, unzweckmäßig. Bald wurde Dieses geändert, bald Jenes, und man war noch nicht vierzehn Tage im Schlosse, als der Baron seine nach der Terrasse und dem Flusse hinaussehenden Gemächer ein für alle Mal verließ und ein paar andere Zimmer für sich auswählte, welche nach der entgegengesetzten Seite gelegen waren.

Jede Frage, welche Angelika in diesem Betrachte an ihn richtete, verschlimmerte seine Stimmung, so daß sie sich in ihrer Sorge an den Caplan wendete, um von seiner Erfahrung sich Rath zu erholen. Der aber schob die Veränderung, welche mit dem Freiherrn vorgegangen sei, leichthin auf eine Hypochondrie, mit der man Nachsicht haben müsse, und ersuchte die Baronin, es ihren Gatten nicht merken zu lassen, daß man seine gesteigerte Reizbarkeit und seine Unruhe bemerke und beobachte. Geduld und Zeit würden Alles wieder heilen.

Angelika ließ sich die Trostgründe des Caplans gefallen, und der treue, herzenskundige Mann wußte sie so vielfach zu beschäftigen, so zuversichtlich auf bessere Tage hinzuweisen, daß seine Nähe ihr mehr und mehr zum Bedürfniß wurde. Auch der Freiherr schien die Gesellschaft seines alten Freundes jetzt in Richten nicht entbehren zu können. War er allein in seinem Zimmer, so forderte er fast immer die Anwesenheit des Caplans, und selbst wenn er sich bei der Baronin befand, zog er ihn meistens als Dritten hinzu.

Seine Lust an Geselligkeit, an Zerstreuungen schien er in der Residenz völlig gesättigt zu haben, denn er verließ das Schloß sehr selten, und selbst die nothwendigen Besuche in der Nachbarschaft, von denen häufig die Rede war, wurden immer noch hinausgeschoben. Der Baronin fiel es nicht auf, wie einsam und still man in dem sonst so gastlichen Schlosse lebte. Sie war hingenommen von den neuen Verhältnissen, in denen sie sich bewegte, von der Sorge um ihren Gatten, von der Hoffnung auf ihr Kind, und der Verkehr mit den beiden Männern gab ihrem Herzen und ihrem Geiste reiche Nahrung aller Art.

Es waren bald literarische, bald künstlerische Gegenstände, welche die Unterhaltung bildeten, aber vor Allem liebte der Freiherr es jetzt, die großen Grundsätze der sittlichen Weltordnung in den Bereich des Gespräches zu ziehen. Ethische und dogmatische Fragen, die angeborne Sündhaftigkeit des Menschen und die Nothwendigkeit seiner sittlichen Erhebung lagen ihm offenbar sehr am Herzen, während der Gedanke an den Tod, an die Unsterblichkeit und an die Art der Fortdauer, welche dem Menschen gegeben sei, ihn jetzt nicht minder lebhaft als in Berlin, wennschon in weniger phantastischer Weise beschäftigte. Aber auch das Nächstliegende wurde erwogen. Angelika und der Caplan fanden nach solchen Gesprächen den Gutsherrn meist geneigt, Verbesserungen in der Lage seiner Leute zu bewilligen und manchen vorhandenen Mißständen Abhülfe zu bereiten.

Es war seit Monaten festgesetzt worden, daß die gräfliche Familie von Berka zu dem Osterfeste, das diesmal spät im Jahre fiel, ihren ersten Besuch bei der Tochter machen sollte, und man fing bei Zeiten an, sich darauf vorzubereiten. Der Baron, dessen Stimmung sich nicht bessern wollte, ließ seiner Gattin in allen ihren Vorkehrungen freie Hand, ja, er willigte endlich sogar darein, die lange verschobenen Antrittsbesuche zu machen, damit es seinen Schwiegereltern bei ihrer Anwesenheit nicht an Gesellschaft fehlen möge. Indeß er ließ sich zu allen diesen Dingen nur bestimmen, er hatte, wie es schien, für den Augenblick alle Lust und Kraft zu irgend welchem selbstständigen Entschlusse verloren. Wo aber der Hausherr krank, wo das Oberhaupt der Familie selbst der Schonung bedürftig ist, muß die Hausfrau nothwendig an seine Stelle treten, und Angelika fand sich unter des Caplans Beistand schnell und leicht in diese Pflicht.

Je näher die Ankunft der Ihrigen herankam, um so freudiger sah sie ihr entgegen. Sie wünschte, vor ihrer Familie Ehre mit den Besitzungen ihres Mannes einzulegen, als deren Theilnehmerin sie sich jetzt fühlte, und sie hatte eben die lange Reihe der Zimmer mit Wohlgefallen an ihnen durchschritten, als sie sich zu ihrem Manne begab, um ihn zu einer gleichen Besichtigung aufzufordern. Bei dem Freiherrn eintretend, fand sie ihn aber mit dem Caplan in einem Gespräche, das plötzlich abgebrochen wurde. Der Caplan steckte einen Brief in seine Tasche, der Baron wendete sich flüchtig ab, Jener verließ das Zimmer, und voll Bestürzung fragte Angelika, ob etwas Unangenehmes gemeldet, etwas Schlimmes vorgefallen sei?

Der Freiherr versicherte, daß dies nicht der Fall sei; sie ersuchte ihn, ihr zu sagen, wovon er eben jetzt mit dem Caplan gesprochen habe, und dies zu thun, schlug er ihr ab. Weil sie aber grade heiter und guten Muthes war, wollte sie ihren Willen durchsetzen. Sie bat, sie schmeichelte, sie umarmte ihren Mann, es half ihr nicht, und wie man denn, eben wenn man in guter Laune ist, eine abschlägige Antwort oft um so schwerer fühlt, rief sie plötzlich betrübt und gegen ihre Gewohnheit heftig werdend, die Worte aus: Es ist aber wirklich, als sollte ich mich nie mehr recht von Herzen freuen!

Ihr Ton, ihre Mienen waren noch bezeichnender für ihre Traurigkeit, als ihre Worte. Der Freiherr wurde davon gerührt. Er ging an sie heran, nahm ihre beiden Hände, sah ihr lange und prüfend in die Augen, und fragte dann mit einem Ausdruck ernster Trauer: Siehst Du wohl, daß Deine Ahnung Dich nicht betrogen, daß Dein erstes Empfinden bei dem Begegnen mit mir Dich nicht getäuscht hat?

Sie war auf solche Frage nicht vorbereitet, und dieselbe fand sie daher fassungslos. Was mußte seither in dem Herzen des Freiherrn vorgegangen sein, daß er diese Frage an sie richten konnte? Sie hätte ihm mit einem Worte sagen mögen, was sie fühlte, aber das war mit einem Worte nicht auszusprechen. Hatte er denn nicht gesehen, wie sie ihn liebte, nicht gemerkt, wie sie sich um ihn sorgte? Beachtete er denn nur ihr äußeres Thun? Der Gedanke, daß er vielleicht seit langer Zeit zum ersten Male an ihr Empfinden denke, überwältigte sie, und verstummend lehnte sie den Kopf an seine Brust.

Er zog sie an sich und küßte ihre Stirne. Armes Weib! sagte er, ja! Du hättest ein heiteres Loos, einen anderen Mann verdient!

Angelika erschrak vor dieser Gedankenfolge des Barons, und beide Arme um seinen Hals schlingend, rief sie: Franz! Um Gotteswillen, das sage, das denke nicht! Was fehlt mir denn, als nur Dich wieder heiter zu sehen? Was peinigt mich denn, als die Sorge, Dich von einem Kummer beherrscht zu wissen, den Du mich nicht theilen läßt? Ich sehe, daß Dich etwas drückt, daß Du mir etwas verbirgst, daß auf Deinem Leben etwas lastet, und ich darf Niemanden fragen, was es ist, da Du es mir verschweigst. Oft ist es mir, als wisse es ein Jeder außer mir, als könne, als müsse ich es erfahren, es ablesen können von diesen Wänden, es geschrieben finden in den Mienen derer, die mir nahen, und ich verzage dann an mir selbst, an meinem Herzen, an meinem Verstande, an meiner Liebe zu Dir; denn ich meine, die Liebe müsse mich seherisch machen – aber es ist Alles umsonst! Du bist und bleibst unglücklich, seit wir hier sind, und ich ahne nicht, wodurch!

Die Thränen traten ihr in die Augen, der Baron sah finster aus und war sehr bleich geworden. Kaum bemerkte sie das, so fielen ihr die Rathschläge des Caplans ein. Sie nahm sich zusammen, warf scherzend den Kopf zurück, zerdrückte die Thränen in ihren Augen und sagte mit lächelndem Munde: Aber wie komme ich mir denn vor? Ich wollte Dir erzählen, wie glücklich und wie stolz ich bin, die Eltern übermorgen hier in unserem Schlosse zu empfangen, und ich weine, weil Du es mir verweigerst, mir einen Brief zu zeigen, der mich sicherlich nichts angeht. Vergieb mir, geliebter Mann, und sei wieder gut!

Sie reichte ihm ihren Mund zum Kusse, er drückte ihr ernst die Hand. Armes Weib, wiederholte er, Du duldest, was Du nicht verschuldet hast, und wir sprechen von einer himmlischen Gerechtigkeit!

Er wendete sich von ihr und entfernte sich schnell. Rathlos blickte sie ihm nach. Die Ahnung, daß irgend eine schwere Verschuldung das Gewissen ihres Mannes belaste, regte sich wieder in ihr. Aber was konnte es sein? Was war geschehen? Wann war es geschehen?

Sie wollte ihm nacheilen, ihn auf ihren Knieen beschwören, ihr zu vertrauen. Jung, wie sie war, fühlte sie die Kraft, Alles mit dem Manne zu tragen, den sie liebte; indeß die Gewohnheit der Achtung hielt sie ab, ihrem Gatten auszusprechen, daß sie ihm ein Schuldbewußtsein zuerkenne, und selbst dem Caplan wagte sie nicht zu entdecken, was sie beschäftigte und bekümmerte.

Die Nacht verging ihr ohne Ruhe, und da die Jugend vor langen, unausgesetzten Qualen zurückschreckt, fing sie am andern Morgen wieder an, die Gedanken auf die Ankunft der Ihrigen hinzuwenden. Das erschloß ihr das Herz. Sie suchte Gründe hervor, sich zu beweisen, daß sie zu schwarz gesehen habe, sie wollte selbst ihre Sorgen verscheuchen, um den Ihrigen ein heiteres Angesicht zu zeigen.

Am Mittage, als es warm und schön war, trat die Baronin aus dem großen Saale des Erdgeschosses auf die Terrasse hinaus und blieb eine Weile unter der Thüre stehen, sich des Anblicks zu erfreuen. Leer und weit, wie die Terrasse ohne den Schmuck der Orangenbäume sich ausnahm, hatte sie in ihrer Anlage doch etwas Großartiges, das auch in solchem Zustande gefallen und imponiren konnte. Die Hermen mit den Köpfen der griechischen und römischen Dichter standen feierlich auf der Höhe und sahen ernsthaft auf den Beschauer hin, aber rund um sie her waren die Bäume noch kahl, und der Blick schweifte, durch die Freiheit in die Ferne gelockt, bald von den Steingebilden zu dem Lebendigen hinüber, das sich in der Natur zu regen begann.

Während die Baronin die Treppe hinabstieg, hielt sie sich mehrmals damit auf, die Sträuche und Büsche zu beiden Seiten derselben zu betrachten, denn überall färbten die Stengel sich schon röthlich oder grün, überall waren die Knospen geschwellt, daß man meinte, gleich heute müsse der warme Sonnenstrahl sie zum Aufbrechen bringen, gleich heute müßten die Blätter sich entfalten und den ersten wunderbaren Duft des frischen Grüns durch die Lüfte strömen.

Unten an der Buchsbaum-Einfassung der sternförmig sich wie ein Teppich ausbreitenden Beete schimmerten weiße Köpfchen hervor. Die Schneeglöckchen hatten sich in der Frühe herausgemacht, und Angelika bückte sich, die halberblühten zu brechen, um sie zu schnellerem Erschließen in ihre Zimmer mitzunehmen, und sie dann ihrem Gatten zu bringen, wie sie seit ihrer ersten Kindheit alljährlich den kleinen Strauß von Schneeglöckchen der Mutter als Liebesgabe, als erstes Zeichen des Frühlings zu bringen gewohnt gewesen war. Das bewegte ihr im Innersten das Herz, das ohnehin von all dem quellenden Werden um sie her bei dem Gedanken an das junge Leben, das sie ihrem Manne nun bald selbst als Erstlingsgabe ihrer Ehe in die Arme legen werde, in schnelleren Schlägen pochte. Ihre ganze Seele war ein Gebet. Sie war voll Dank gegen den Schöpfer, der ihr Lebensloos bestimmt und geleitet, voll Liebe für die Eltern, voll Sorge und Zärtlichkeit für ihren Gatten und voll der seligsten Freude bei der Hoffnung auf ihr Kind.

Alles, was sie umgab, hatte jetzt dreifachen Werth für sie, Alles, was sie liebte, ward in ihrem Geiste neben einander nur noch enger verbunden durch das ersehnte Kind. Sie sah es schon wachsen und gedeihen und spielen auf diesen Plätzen, unter dem Schatten der Bäume, der hier Geschlecht nach Geschlecht beschirmt; es dünkte ihr unmöglich, daß der Sinn des Vaters sich nicht an seinem Kinde erheitern sollte. Hoffnung und Zuversicht reichten sich in ihrem Herzen die Hand, daß die Freude ihre Schritte beflügelte und sie weiter und weiter am Ufer des Flusses vorwärts ging, mit sich selbst beschäftigt und doch fortgelockt von jedem neuen Anreize, den der Frühling darbot.

Hart am Wasser, wo das dichte Gebüsch den Sonnenstrahlen wehrte, lag am Rande noch eine leichte Eisschicht als Zeichen, daß die Nacht noch kalt gewesen sei. Bedächtige Dohlen hüpften prüfend darüber hin, wendeten die Köpfe mit den klugen Augen vorsichtig nach allen Seiten, tranken kräftig schluckend ein wenig, und schwangen sich dann in die Höhe, um bald darauf an anderer Stelle niederzufallen und das gleiche Treiben zu wiederholen. Aber mitten in dem befreiten Wasser, da, wo die Sonne es erwärmte und vergoldete, schossen schon pfeilschnell die kleinen Fische aus der Tiefe herauf, sich zu sonnen und der neuen Wärme zu genießen, während die neuangekommenen Schwalben mit schnellem Flügelschlage sich bis tief auf die Fluth herabsinken ließen und im Streifzuge über das Wasser wieder die erste Jagd versuchten.

Angelika sah dem Naturleben lange sinnend zu. Mit einem Male schien es ihr, als hinge an der Wurzel einer Weide, die sich weithin in das Wasser erstreckte, etwas, das sich hin und her bewegte, ohne doch von der Stelle zu kommen. Sie betrachtete es genauer, es dünkte sie ein Stück Zeug zu sein, das sich von dem Wasser aufblähte, und bald kam es ihr vor, als sähe sie unter der Hülle und unter dem Wasser die Formen einer menschlichen Gestalt. Sie ging erschrocken vorwärts nach der Brücke, wo der Gärtner beschäftigt war, und machte ihn aufmerksam. Er blickte hin, erschrak gleichfalls, und sagte, es werde wohl irgend ein alter Lumpen sein, den man, Gott weiß wo, in das Wasser geworfen und den der aufgehende Strom bis hierher mit sich geführt habe. Dabei versuchte er aber, indem er sich nach der anderen Seite wendete, die Baronin zum Mitgehen und zum Verlassen des Platzes zu bewegen; indeß diese ließ sich so leicht nicht bestimmen, wo sie ihrem Auge trauen zu können glaubte. Sie hieß den Gärtner, ihr zu folgen; es waren inzwischen auch ein paar der Frauen, welche die Wege für die erwartete Ankunft der Gäste reinigten und harkten, bis an das Ufer angelangt, und als die Baronin mit dem Gärtner zum zweiten Male die Stelle am Flusse erreichte, hatten schon die Frauen sich hinabgebückt, und zogen mühsam den Leichnam eines Weibes aus dem Wasser, der kaum noch menschliche Züge verrieth.

Um Gottes willen, gnädige Frau Baronin, kommen Sie fort von hier, das ist nichts für Sie! rief der Gärtner dringend.

Aber Angelika, obschon sie vor Entsetzen schauderte, meinte sich überwinden zu müssen.

Ist hier denn Jemand ertrunken? fragte sie.

Der Gärtner verneinte es. Wer weiß, von wo die Leiche herabgekommen ist! sagte er, und auch die Frauen schwiegen vorsichtig. Aber ein kleines Mädchen, die Tochter eines Gartenarbeiters, das von der anderen Seite neugierig herbeigelaufen war, als es den ungewöhnlichen Vorgang bemerkte, sagte ganz verwundert: Kennt Er denn die Pauline nicht mehr, Herr Weißhold? Das ist ja die Pauline aus Rothenfeld, die sich ins Wasser gestürzt hat, den Morgen, wie der Herr Baron zur Hochzeit gefahren ist!

Unsinn, Unsinn! rief der Gärtner und schob das Kind mit heftigem Stoße auf die Seite.

Aber die Baronin, welche keine Sylbe von den Worten der Kleinen verloren hatte, hielt sie zurück, und bleich, mit erstarrenden Zügen fragte sie: Aus Rothenfeld ist diese Todte?

Ja wohl, aus dem Hause, das jetzt eingerissen wird, versetzte das Kind mit aller Bestimmtheit, welche Kinder in ihre Rede zu legen wissen, wenn man dieselbe bezweifelt. Ja wohl, es ist die Mamsell aus Rothenfeld.

Und Pauline heißt sie? wiederholte die Baronin, aber es waren die letzten Worte, welche sie sagen konnte. Sie griff mit der Hand nach dem Gärtner, als suche sie eine Stütze, und sank ohne Laut besinnungslos zusammen.

Man trug die Ohnmächtige in das Schloß; der Schrecken, die Aufregung waren allgemein. In wenigen Minuten wußte die ganze Dienerschaft, was vorgegangen war. Die Sorge um die junge Herrin, das Mitleid mit ihr ließen sich vernehmen, wo zwei Menschen beisammenstanden. Ein reitender Bote ward zum Arzte in die nächste Stadt geschickt, man spannte den Wagen an, der jenem folgen sollte. Die Kammerfrau und der Caplan waren um die Leidende beschäftigt, der Baron stand, ein Bild der Vernichtung, an ihrem Lager.

Es währte lange, ehe ein leiser Seufzer den Geängstigten verrieth, daß Angelika dem Leben wiedergegeben sei. Als sie erwachte, fielen ihre ersten Blicke auf den Baron. Er hatte sich zu ihr geneigt und küßte, niederknieend, leise ihre Hände. Sie wehrte es ihm nicht, aber ihr Auge ruhte mit einem Ausdruck der Trauer auf ihm, der ihm das Herz durchbohrte. Er wagte kaum zu fragen, wie sie sich fühle, denn ihre Klage wäre eine Anklage für ihn gewesen, und gleichsam um sie zu beruhigen, sagte er ihr, daß nach dem Arzte gesendet sei und daß er sicher nicht auf sich warten lassen werde.

Sie bewegte leise verneinend das Haupt: Ich bedarf des Arztes nicht, entgegnete sie. Das ist der Arzt, den wir brauchen, und er wird uns nicht verlassen! – Sie reichte dabei dem Caplan die Hand, er legte sie in die ihres Gatten, so blieben sie eine Weile schweigend beisammen. Es war ein Unabänderliches geschehen, man mußte versuchen, zu sich selber zu kommen, und die Baronin war es, welche sich zuerst ermannte. Sie hatte kein Urtheil über die Zeit, welche seit ihrer Ohnmacht verflossen war, und fragte danach. Man sagte ihr, daß es Mittag sei.

Morgen um diese Stunde werden sie kommen! meinte sie, ihrer Eltern gedenkend. Dann richtete sie sich auf und verlangte, sich zu erheben. Der Baron wünschte sie davon zurück zu halten, auch der Caplan und ihre Kammerfrau machten Einwendungen, sie wollte nicht darauf hören.

Ich muß wohl sein, wenn meine Eltern kommen, sagte sie, und ich habe auch keine Schmerzen. Laßt nicht mehr davon die Rede sein; aber ich habe Ruhe nöthig, ich möchte allein bleiben für einige Stunden.

Man fügte sich ihrem Wunsche. Als der Caplan und ihre Kammerfrau sich entfernt hatten, trat der Baron an sie heran, um ihr die Hand zu geben und ihr zuzusprechen, ehe er sie verließ; aber sie nahm die dargebotene Hand nicht an.

Es hat keinen Segen gebracht, sagte sie, daß wir uns die Hände reichten, und wenn es wieder geschieht, so muß es in einem anderen Sinne und in einem anderen Geiste sein. Auf dem alten Wege kann ich nicht weiter gehen ....

Höre mich, Angelika, bat der Baron.

Nein, jetzt nicht! versetzte sie mit großer Festigkeit. Ueberlege auch Du, was uns beiden frommt. Ich hatte mir geschworen, mich ganz und überall Deiner Führung zu überlassen, als ich Dir Treue gelobte. Den ersten Eid kann ich nicht mehr halten, den zweiten werde ich halten, und Gott wird mir helfen und mir sagen, auf welche Weise ich es thun, auf welche Weise ich Dir meine Treue bezeugen soll. Laß mich mit mir und meinem Gott allein! –

Der Baron blieb vor ihr stehen; es überkam ihn die Ahnung, daß in dieser jungen Frau eine Stärke des Willens und des Charakters verborgen liege, die er nicht in ihr vermuthet hatte, und in die widersprechenden Gefühle, die ihn erschütterten, in das Entsetzen, welches das Auftauchen der Leiche in ihm hervorgerufen, in den Schmerz und in die Sorge, welche die Ohnmacht seiner Gattin ihm verursacht hatte, in das Bangen vor der Zukunft seiner Ehe, in das Widerstreben endlich, mit dem er in diesem Augenblicke an das Eintreffen der gräflichen Familie gedachte, mischten sich eine Scheu und ein Widerwille gegen die Herrschaft, welche Angelika über ihn erlangen zu wollen schien.

Bedenke, was Du thust, sagte er nachdrücklich; bedenke, daß Verzeihen und Trösten die schönsten Vorrechte des Weibes sind, und daß man Geschehenes zum Guten wenden muß, da es unmöglich ist, es ungeschehen zu machen! Hilf mir in dem Zwiespalt, der mich bedrängt, und es wird mich glücklich machen, es Dir zu danken!

Er war bewegt, als er das aussprach; in Angelika’s Mienen regte sich kein Zug. Ja, Gott gebe, daß ich uns helfen kann, so Dir wie mir, sagte sie seufzend, ihre Augen mit dem Ausdrucke tiefer Traurigkeit auf ihn gerichtet, aber keine Thräne milderte ihren Ernst. Das peinigte den Baron. Er versuchte, sie zum Sprechen zu bringen, ihr Erklärungen zu geben – es war umsonst, sie wollte ihn nicht hören, ehe sie sich gesammelt hatte, und er mußte endlich darein willigen, von ihr zu gehen, so ungern er sie sich selber überließ. Er fürchtete Angelika, das konnte er sich nicht verbergen, und eine Frau, welche er auch nur einen Augenblick gefürchtet hat, die liebt ein Mann wie der Baron nicht mehr.

Als Angelika sich allein in ihrem Zimmer fand, rang sich ein Aufschrei der Verzweiflung und des Jammers aus ihrer Brust hervor. Sie hätte beten mögen, aber sie vermochte es nicht. Das Herz in der Brust war ihr wie gelähmt. Sie hing an dem Baron stärker, leidenschaftlicher, als es ihr gegeben war, dies äußern zu können. Sie war sein Weib geworden in der reinsten Hingebung, mit dem Gefühle des Glückes, und er hatte sie an sein Herz geschlossen, einer Anderen, Paulinen’s gedenkend, die eben in jenem Augenblicke, der Heirath des Barons fluchend, sich den Tod gegeben hatte!

Diese Vorstellung erdrückte die Baronin. Sie fühlte sich entwürdigt und mißhandelt, ihre Ehe wurde ihr dem eigenen Gatten gegenüber zu einer Schmach. Der Baron, zu dem sie einst mit verehrendem Vertrauen emporgesehen hatte, stand als ein Schuldbeladener vor ihr, und wie ihr Herz sie auch drängte und mahnte, sich dem Vater ihres Kindes zuzuwenden, wie es sie auch zog, Hülfe gegen all das Elend bei ihm selbst zu suchen, ein unüberwindliches Entsetzen hielt sie davon zurück. Wohin sie das Auge richtete, woran sie auch dachte, Paulinen’s Schatten stieg überall vor ihr empor. Jetzt begriff sie es, warum der Baron die Zim mer gewechselt hatte, warum er es nicht hatte ertragen können, auf den Fluß hinab zu schauen. Bangte es doch ihr selbst am hellen Tage in ihrem eigenen Zimmer, daß sie nicht wagte, an das Fenster zu treten, aus Furcht, zu sehen, was sie nicht glaubte ertragen zu können. Das Alleinsein ängstigte sie, aber sie konnte sich nicht entschließen, ihre Bedienung zurück zu rufen. Es wußte ja ein Jeder, was in diesem Hause vorgegangen, und auf welche Weise, über wessen Leiche sie als Herrin in dasselbe eingezogen war.

Beten, beten! rief sie immerfort, indeß das Gebet wollte ihrem Herzen nicht entströmen, sie vermochte ihren Geist nicht aus seiner Niedergeschlagenheit zu erheben. Sie kam sich selbst als eine schwere Sünderin vor, und doch wollte sie beten, nicht nur für sich, sondern auch für ihren Gatten und die Todte. Sie fühlte, als habe sie eine ihr unerreichbare Höhe zu erklimmen, sie sehnte sich nach einer hülfreichen Hand, sie empor zu führen, ihr das Thor des Himmels zu öffnen, in den sie ihre Gebete zu schicken wünschte; da fiel ihr Auge auf Amanda’s Betring, den sie am Finger trug, und wie ein Labsal ertönten die Worte: „Mein Freund in der Noth, der Stab, der mich hielt, da ich schwankte, die Stütze, an der ich mich erhob, das Licht, dessen Leuchten mir die lange Nacht erhellen wird!“ in ihrem Herzen plötzlich wieder.

Du sollst mein Beispiel sein; Du Heilige und Reine! rief sie aus. Selbstüberwindung und Entsagung! das ist’s. – Sie sank auf ihre Kniee nieder, und ein heißes Gebet um Hülfe und Erlösung befreite ihr das Herz.

Sie blieb lange allein in ihrem Zimmer. Als sie dann aus demselben hervorkam, begab sie sich graden Weges zu dem Baron. Er ging ihr schweren Herzens entgegen, weil er nicht wußte, was er von ihr zu erwarten habe, und weil er Mitleid mit ihr fühlte. Auf seine Frage nach ihrem Ergehen sagte sie: Trage keine Sorge um mich, es ist mir besser, als in den Tagen angstvoller Ungewißheit. Ich weiß jetzt, was mein Beruf ist, und so gewiß als ich Dich liebe, ich werde trachten, ihn nach besten Kräften zu erfüllen.

Sie reichte ihm die Hand zum Zeichen ihres Versprechens; und da sie nicht weniger gerührt war, als er selbst, schloß er sie in seine Arme. Sie wehrte ihm das nicht, ja, es wollte ihn bedünken, als sei ihre Hingebung weicher und freier als seit langer Zeit. Er leitete sie zu einem Sessel und knieete an ihrer Seite nieder, sie sanft umfassend. Sie legte ihre Hände auf seine Schultern, und da sie in sein ernstes Antlitz, in seine Augen blickte, die so fragend und schmerzlich auf sie gerichtet waren, fing sie noch einmal zu weinen an.

Siehst Du es wohl, daß Du ein besseres Loos, einen andern Mann verdient hättest, als eben mich? wiederholte er in der Erinnerung an ihr gestriges Gespräch.

Sie schüttelte leise das Haupt. Mir fehlte nichts als Dein Vertrauen, Dein volles, ganzes Vertrauen! betheuerte sie. O! wenn Du es gewußt hättest, wie bitter es mir oftmals ankam, mich als eine Fremde in Deinem Leben zu fühlen, während ich doch Dein Weib war! Wenn Du ahnen könntest – – Sie brach plötzlich ab und fragte leise: Wer war die Todte? wer war sie? das muß ich wissen.

Es kam dem Freiherrn hart an, das erste Wort zu sprechen, aber da er es gethan hatte, erleichterte es ihm das Herz. Er erzählte ihr Alles, Alles, was er einst dem geistlichen Freunde gestanden hatte. Angelika hörte schweigend zu. Die Dämmerung brach allmählig herein, des Freiherrn Mittheilungen wurden dadurch begünstigt. Er konnte nicht sehen, welche Wirkung sie auf seine Gattin übten. Mit lebhaften Worten schilderte er ihr den Zustand, den Zwiespalt, in welchem er sich in den Tagen vor seiner Hochzeit befunden hatte.

Was ich in jenen Augenblicken auch an Dir verschuldet, wie sehr meine Verirrung Dich auch gepeinigt haben mag, sagte er, mein Leiden war noch unerträglicher. Ich konnte meine Gedanken nicht sondern, ich war, ein Verzweifelnder, umhergerissen zwischen den widersprechendsten Empfindungen. Wenn ich Dich sah, in Deiner Liebe, in Deiner Unschuld und in Deinem Vertrauen, so rief es in mir: Du bist ein Mörder und verdienst sie nicht! Wenn der Schmerz um Pauline mir das Herz vergiftete, so lockte es mich in Deine Nähe, und ich dachte: ihre Liebe wird dich erlösen, bei ihr wohnt Friede, bei ihr werde ich vergessen, an ihr werde ich sühnen, was ich dort verschuldet habe. Ich war meiner selbst nicht mächtig! Nur daß ich unglücklich war und daß ich Dich glücklich zu machen wünschte, das stand fest in mir. – Da, an dem Abende vor unserer Hochzeit, als man im grauen Saale den Kaffee eingenommen hatte, kam man auf die körperliche Erscheinung der Verstorbenen zu sprechen. Man wußte nicht, was man mir that, als man meine Ansicht darüber zu hören verlangte. Ich vermochte mich nicht zu überwinden, nicht auf die Scherze Deines Bruders einzugehen, als er mich neckend anrief, aber unwillkürlich sah ich nach der Stelle, auf die er zeigte, und als man die Thüre öffnete, als das Licht in den Saal einströmte, da sah ich unwiderleglich und völlig klar Pauline auf dem Hintergrunde dieses Lichtes vor mir, das Auge finster und klagend auf mich gerichtet.

Er hielt inne, und mit leisem, melancholischem Tone fuhr er nach längerem Schweigen fort: So habe ich sie gesehen, fast alltäglich in der Einsamkeit meiner Zimmer, so hat sie sich oft emporgerichtet zwischen mir und Dir. Nur unter dem Menschengewühl, nur in der völligen Zerstreuung war ich sicher vor ihr. Keine innere Kraft schützte mich gegen sie. Das war es, was mich in der Residenz von Dir entfernte, was mich die Gesellschaft als eine Befreiung suchen ließ; das war es, was mich hier bestimmte, die Zimmer zu verlassen, die mich mit dem Blicke auf den Strom an ihren Untergang erinnerten; das ist es, was mich zur Verzweiflung bringt. Ich habe sie mehr geliebt, als ich es ahnte und wußte; ich liebe Dich, Angelika, Dich, Du reines, edles Weib! mehr, als Du es ermessen kannst. Ich kann sie nicht vergessen, Dich nicht entbehren; sie habe ich in den Tod getrieben, Dein Leben habe ich vergällt! – Ich hatte immer gemeint, einen starken Geist zu haben, ich habe mich über mich selbst getäuscht. Schwach, wie ich mich fühle, möchte ich mich im Glauben erheben und sühnen und büßen; aber der Glaube versagt sich mir. Was bleibt mir übrig? Sage selbst – was bleibt mir übrig?

Angelika hörte den Ton seiner tiefen, verzweifelnden Verzagtheit, sie sah in dem letzten Scheine des Dämmerlichtes, der durch die Fenster drang, die Versunkenheit, in der ihr Gatte das Haupt auf seine Hände fallen ließ, und Alles vergessend, außer dem Leiden des Mannes, dem sie Treue gelobt für gute und für böse Stunden, rief sie: Dir bleibt die Barmherzigkeit Gottes, die büßende und sühnende Reue, und die Liebe! – Ja, die Liebe! wiederholte sie, und schloß ihn an ihre Brust, die Liebe, die mit Dir leiden und büßen und sühnen will, was Du verschuldet hast, um ihretwillen. Komm, richte Dich auf! Ich bin bei Dir, Franz! ich will bei Dir sein in jedem Augenblicke, und mit Dir beten um Beruhigung und Frieden, und Gott wird uns helfen. Er hat mir den Weg gezeigt! Nicht umsonst ist die Mahnung Deiner Schwester an mich erklungen, nicht umsonst ist Amanda’s Angedenken in meine Hand gelegt worden. Ihr Wort hat mich heute aufgerichtet, es soll uns überall gegenwärtig sein. Wir haben einander! wir haben in dem Caplan einen treuen Freund und Führer, und unser Erlöser ist ja auch für uns gestorben. In seinem Namen reiche mir aufs Neue Deine Hand, in seinem Namen laß uns vorwärts gehen. Komm, komm, mein Freund! komm, und richte Dich auf!

Sie schlossen einander in die Arme, der Baron sah zu ihr wie zu einer Heiligen empor. Er knieete vor ihr nieder, er küßte ihre Hände voll inbrünstigen Dankes, er gelobte sich ihrer Führung für alle Zukunft an. So innig verbunden waren sie einander nie gewesen. Angelika erhob sich zuerst. Sie hing sich an ihres Gatten Arm, und ihn mit sich fortziehend, führte sie ihn in das erleuchtete Nebengemach, in welchem das helle Licht ihnen zu Hülfe kam, die Aufregung ihrer Herzen allmählich zu besiegen und sich äußerlich in das Geleise des alltäglichen Lebens zurückzufinden, während die Feier der verwichenen Stunde noch in ihrem Herzen nachzitterte.