Viertes Capitel. - Schreib-Bureau, Briefschaften, Feuerflocken, Kirchhof - Mahnung an unsere Vergänglichkeit, Ruhestätte für manches Leiden, Lust am Leben, Zeugnisse der Vergangenheit, Bestreben der Selbstvollendung, Streben nach Wahrheit.

Viertes Capitel. Als der Geistliche in das Schloß zurückkehrte, sagte man ihm, daß der Baron nach ihm gefragt habe, und er verfügte sich nach dessen Zimmer.

Ein freundliches Licht, eine behagliche Wärme strömten ihm entgegen, als er in dasselbe eintrat. Im Kamine knisterte und flackerte das Feuer und warf seine Streiflichter nach den Genien von Marmor empor, die von der hochgegiebelten Spitze desselben Kränze und Palmenzweige herniederreichten. An dem großen Schreib-Bureau, oben, gegen das Fenster hin, saß der Baron. Bei dem klaren Lichte der Wachskerzen, die auf den silbernen Armleuchtern brannten, ordnete er verschiedene Briefschaften und Papiere, und die im Kamine auffliegenden leichten Feuerflocken verriethen, daß er auch Papiere verbrannt haben mußte.


Als er den Caplan gewahrte, stand er auf und ging ihm ein paar Schritte entgegen. Es ist gut, daß Sie da sind, Bester, sagte er dann; mir wurde allmählig bange vor diesem Schreibtische. Alte Papiere durchzusehen, ist mir beinahe noch quälender, als auf einem Kirchhofe umher zu wandeln. Der Kirchhof, so traurig seine Mahnung an unsere Vergänglichkeit ist, zeigt sich uns doch immer als die Ruhestätte für manches Leiden, und wir selber empfinden uns auf demselben mit Behagen als die Lebenden, wir sind für den Augenblick wenigstens noch die Bevorzugten. Aber vor solchen Papieren – er wies mit der Hand darauf hin – fühlen wir selbst uns schon in gewissem Sinne als Vergangene. Wir kennen uns selbst nicht in den durchlebten Zuständen wieder, wir belächeln das, was uns einst wichtig schien, wir sehen auf uns selbst wie auf etwas Fremdes zurück, und daneben wälzt sich uns die ganze Masse von Irrthümern und Verschuldungen auf, die man sich nicht ableugnen kann und mit denen man sich selbst und Andere leiden machte. Die vergangenen Freuden sind uns keine rechten Freuden mehr, die Menschen, die vor uns auftauchen, sind theils wirklich todt, theils todt für uns, und weil wir auf so viel Vergangenes blicken, verlieren wir das Zutrauen zu demjenigen, was wir jetzt wünschen und erstreben. Der grüne Rasen des Kirchhofes ist lange nicht so melancholisch, als solche Päcke vergilbter Papiere. Sie müßten uns alle Lust am Leben nehmen, wären wir nicht wie die Kinder geneigt, uns das Kommende, das Unbekannte, trotz aller unserer Erfahrungen, doch immer wieder schöner und verlässiger, als das Bekannte vorzustellen. Wer seines Lebens froh werden will, muß eigentlich gar keine Zeugnisse seiner Vergangenheit aufbewahren, denn damit allein gewinnt man die Möglichkeit, sich nur dessen zu erinnern, was man festzuhalten wünscht, und Alles zu vergessen, was man vergessen möchte.

Der Caplan widersprach dieser Ansicht. Wer das Bestreben der Selbstvollendung hat, meinte er, muß sich vor sich selbst als Einheit aufzurichten wünschen und hat als Grundlage für seinen eigenen Fortschritt den genauen, klaren Ueberblick über seine ganze Vergangenheit nöthig. Mich dünkt, sagte er, ein jeder Irrthum, aus dem wir belehrt hervorgegangen sind, wird uns zu einem Antriebe, weiter in dem Streben nach Wahrheit fortzuschreiten; jede Versuchung, jede üble Neigung, die wir besiegten, ist eine Ermuthigung für uns, jedes Unterliegen eine Mahnung zum Mißtrauen gegen uns selbst, und wenn ich auf meine ganze Vergangenheit zurückschaue, so möchte ich nicht eine Stunde derselben vermissen.

Der Baron war von der Aeußerung überrascht. Ich kenne Sie doch nun über ein Vierteljahrhundert, sagte er, aber für so glücklich hätte ich Sie nicht gehalten. Nach Ihren Aeußerungen müssen Sie von dem Leben, von den Menschen keine Enttäuschungen erlitten haben; dann freilich wären Sie zu beneiden, wären Sie glücklicher als ich gewesen bin; aber ich habe das nicht geglaubt.

Er brach damit plötzlich das Thema ab, als sei es völlig erschöpft, wenn er seine Ansicht darüber ausgesprochen habe, und der Caplan hatte keine Neigung und keinen Grund, es weiter fortzusetzen. Aber der Baron war aufgeregt und warf mit einer gewissen Heftigkeit noch einige Päcke Papiere in das Feuer, die hell aufflammten und bald als ein Häufchen Asche zwischen den großen Holzbränden versanken.

Das wäre abgethan! sagte er, und als sei mit diesen schriftlichen Zeichen entschwundener Jahre auch all dasjenige vernichtet, was der Baron nicht erlebt und gelebt zu haben wünschte, so erleichtert wandte er sich von dem Feuer ab. Er ging an sein Bureau, schloß eines der Fächer desselben auf, nahm einen Schmuckkasten von violettem Sammet heraus, der auf seinem Deckel das Wappen der Familie Arten trug, und zeigte, den Kasten öffnend, seinem Freunde den darin enthaltenen Schmuck.

Sehen Sie einmal, sagte er, was Fassung thut! Sie kennen ja unsern Familienschmuck; aber wie viel schöner sieht er in seiner jetzigen Fassung aus, als in der früheren, in welcher meine Mutter ihn trug! Er hielt ihn dabei gegen das Licht, daß die Flamme der Kerzen sich tausendfach in den schön facettirten Brillanten spiegelte, und schien große Freude an ihrem Glanze zu haben.

Mich dünkt, der Schmuck ist größer und reicher, als ich ihn früher gesehen habe, meinte der Caplan.

Das ist er auch. Sie wissen ja, daß es ein Uebereinkommen oder vielmehr eine Sitte unter uns ist, bei jeder neuen Uebertragung des Schmuckes auf eine neue Frau von Arten, den Schmuck zu vergrößern. Ich habe die fünf Solitaire, welche die Mitte des Colliers bilden, dazu gekauft, und die ganze Aigrette ist neu. Ich denke, daß sie Gräfin Angelika vortrefflich kleiden wird. Die fünf Steine, welche durch meinen Ankauf an der hinteren Seite des Halsbandes übrig geworden sind, habe ich als Pendeloques für die Brust-Agraffe fassen lassen, und so schön die Steine an und für sich sind, muß man es dem Juwelier, dem Jakob Flies, doch lassen, daß er ihnen durch die Art der Zusammenstellung einen ganz besonderen Glanz gegeben hat. Er ist fraglos einer der geschicktesten Juweliere und der honneteste Jude, der mir vorgekommen ist.

Er blieb mit der Betrachtung des Schmuckes beschäftigt, nahm die einzelnen Theile mit einer fast weiblichen Genugthuung aus dem Etui heraus, hielt sie gegen das Licht und rief endlich: Keine Königin dürfte sich dieses Schmuckes schämen! Dann legte er Alles in dem Etui zurecht, deckte das wattirte weiße Atlaskissen über die Brillanten und schloß das Kästchen mit dem goldenen Schlüssel wieder behutsam zu. Ehe er es aber in das Bureau setzte, ließ er den Caplan noch einmal die Arbeit des Etuis betrachten, welche sehr geschickt das alte, jetzt zu klein gewordene Schmuckkästchen nachahmte, und mit dem doppelten Behagen des Kenners und des Besitzers holte er noch vier, fünf ältere Schmuckkasten herbei, welche die Vorgänger des jetzigen gewesen waren.

Man hatte durch alle Generationen die Form und Zeichnung des ersten Schmuckkästchens festgehalten, das einst einer der Herren von Arten seiner Braut als Hochzeitsgabe dargebracht hatte. Es machte sich also von selbst, daß der Baron dabei seiner Mutter und Großmutter, seiner Vorfahren überhaupt gedachte, und er, der sich eben noch gegen alle und jede persönliche Rückerinnerungen ausgesprochen hatte, fand sich bald in das liebevollste Gedenken an seine Eltern, in den stolzesten Rückblick auf sein Geschlecht versenkt. Er sprach von seiner Mutter, von seinem Vater, er verglich die Eigenschaften und den Charakter seiner verstorbenen Schwester mit denen seiner Braut, er entwarf Lebensplane für die Zukunft und war, wie sanguinische Menschen bei einem neuen Abschnitte in ihrem Leben es pflegen, voll guten Glaubens und voll guter Vorsätze.

Er kam darauf noch einmal, als er dem Caplan die Trauringe zeigte, auf den jüdischen Juwelier zurück. Ich kenne ihn seit langen Jahren, mein Vater bediente sich seines Vaters schon, sagte er, aber ich habe mir niemals die Mühe genommen, mich weiter mit ihm einzulassen, als unser eigentliches Geschäft es nöthig machte. Jetzt, da ich ausführlicher mit ihm zu verhandeln hatte, habe ich ihn näher kennen lernen, und ich finde nun vollkommen bestätigt, was man mir von ihm gerühmt hat. Er ist ein anständiger Mann und von einer Bildung, die ich bei Leuten seines Gleichen in der That nicht vorausgesetzt haben würde.

Ich hatte Ihnen das immer gesagt, bemerkte der Caplan. Verwandte von mir, die vor Jahren in seinem Hause wohnten, hielten einen gewissen Verkehr mit ihm, und ich habe dadurch bei meinen früheren Besuchen in der Stadt die Gelegenheit gehabt, ihn und seine Frau kennen zu lernen. Es sind äußerst brave und recht gebildete Leute.

Mich freut es, diese Bestätigung Ihrer Ansicht durch meine eigene Erfahrung gewonnen zu haben, erklärte der Baron; denn ich hege nicht üble Lust, den Mann als meinen Agenten in der Stadt zu benutzen. Er hat Waarenkenntniß aller Art und viel Geschmack. Er ist daneben klug, umsichtig, ein sehr gewandter Geschäftsmann, und die Weise, in welcher er seine Frau und seine einzige, beiläufig sehr schöne Tochter behandelte, gefiel mir sehr. Discret scheint er mir auch zu sein.

Der Caplan hatte Anfangs nicht recht einsehen können, was den Baron bewogen, grade jetzt, wo seine Zeit beschränkt war, die nähere Bekanntschaft des Juweliers zu machen; noch weniger konnte er begreifen, wozu er eines Agenten in der Stadt bedürfe und weßhalb er sich zu einem solchen eben einen Juden ausersehe. Indeß die letzten Worte, welche der Verschwiegenheit des Herrn Flies gedachten, klärten für den Caplan den Vorgang alsbald auf. Die ganze Maßregel konnte sich nur auf Pauline oder auf den Knaben beziehen, den der Freiherr dem Schutze und Rathe des Juweliers anzuvertrauen beabsichtigen mochte, weil er mit demselben auf sehr leichte und unverfängliche Weise im Zusammenhange bleiben konnte. Da der Baron aber mit keinem Worte Paulinen’s gedachte, hielt der Caplan es für angemessen, ihrer ebenfalls nicht zu erwähnen, und der Abend ging mit ruhigen, meist heiteren Gesprächen hin, als säße nicht eine halbe Stunde von ihnen ein unglückliches, verlassenes Weib in all seinem Jammer da, die langsam dahingleitenden Minuten mit seinen Herzschlägen qualvoll durchmessend.

Am andern Morgen kam der künftige Schwager des Barons, ein junger Militär, nach Richten, um den Bräutigam seiner Schwester zur Hochzeit zu begleiten. Er diente in einem Cavallerie-Regimente, dessen eine Schwadron unfern in Garnison lag. Es war ein prächtiger Tag. Das Pferd des Cornets wieherte vor Freude, als es, dampfend von dem scharfen Ritte durch den kalten, klaren Morgen, das Schloß erreichte, dessen wohlversorgte Ställe ihm bekannt und lockend winkten. Die beiden ihn begleitenden langhaarigen Windhunde sprangen in großen Sätzen vor ihm her, als ahnten sie in der klaren Herbstluft die nahe Jagd.

Der Cornet war pünktlich gewesen, um keinen Aufenthalt in der Abreise zu verursachen, und kaum hatte ein Diener sein Pferd weggeführt, so trat gleich ein zweiter heran, dem Reitknechte des jungen Grafen das Gepäck abzunehmen, welches dieser für seinen Herrn auf dem Pferde hatte. Denn die Reisewagen waren bereits zum Anspannen fertig und man hatte nur noch die Mantelsäcke des jungen Grafen unterzubringen.

Der Baron hatte, am Fenster stehend, schon eine ganze Weile nach seinem Schwager ausgesehen. Er hatte vortrefflich geschlafen, war heiter erwacht und am Morgen unter verschiedenen Vorwänden durch das ganze Schloß gegangen, das ihm heute zum ersten Male so leer erschien, als habe die Gefährtin, die er zu holen beabsichtigte, es schon lange mit ihm bewohnt und ihn eben jetzt erst verlassen. Er sah daran, wie viel er in dieser Zeit an sie gedacht hatte, wie sehr er sich ihres nahen Besitzes freute und wie sehr er sie bereits in sein Leben aufgenommen habe. Er begrüßte und umarmte dann den Jüngling, der ihn mit den schönen Augen seiner Schwester anlachte, mit der größten Freude, aber er war so eilig, fortzukommen, daß er trotz seiner Gastlichkeit, noch während der Cornet beim Frühstück saß, den Befehl zum Anspannen der Wagen ertheilte.

Der Cornet wollte davon nichts hören. Er hatte sich vor Tagesanbruch auf den Weg gemacht, nun verlangte er Zeit, sich auszuruhen, denn er wollte sein Haar, das von dem mehrstündigen Ritte in Unordnung gerathen war, frisch frisiren und pudern lassen, um am Abende sich in seiner Familie gebührend präsentiren zu können. Er neckte daher den Baron mit aller kecken Laune eines jungen Militärs und mit allem Uebermuthe eines verwöhnten Günstlings über die große Eile, mit welcher derselbe zur Abreise trieb. Der Baron ließ sich das von dem Bruder seiner Braut mit Heiterkeit gefallen, ja, er willigte endlich darein, dem jungen Grafen noch die ganze neue Einrichtung des Schlosses zu zeigen, und es vergingen damit nahezu zwei Stunden, die man in der angenehmsten und behaglichsten Weise verbrachte.

Endlich fuhren die beiden Reisewagen vor das Schloß. Den einen sollten bei der Heimkehr die Vermählten, den anderen der Cornet und der Caplan benutzen. Die Dienerschaft stand vor der Thüre, der Haushofmeister sah dienstbeflissen noch einmal die Taschen des Wagens nach, sich zu überzeugen, daß die mitgegebenen Vorräthe wohl untergebracht wären, der Kammerdiener legte die Fußsäcke und Pelzdecken zur Vorsicht in den Wagen, und nahm dem Gärtner die Schachtel ab, in welcher das Bouquet von Orangenblüthen, das der Baron seiner Braut als Willkommsgabe aus seiner Orangerie mitzubringen wünschte, vorsichtig in Moos verpackt war.

In dem Augenblicke trat der Baron mit seinen beiden Begleitern aus dem Portal des Schlosses heraus, und der Cornet machte unwillkürlich die Bemerkung, wie schön sein Schwager in dem violetten, mit Goldschnüren besetzten Sammetüberrocke aussehe. Mit klarem Auge selbstzufrieden umherschauend, drückte der Baron den flachen, gleichfalls mit Goldschnüren verzierten dreieckigen Hut auf das Haupt und wollte eben den Wagen besteigen, als sich unten am Flusse eine unruhige Bewegung zeigte. Der Gärtner mit seinen Burschen und einige Arbeiter waren am Wasser beschäftigt, man holte Stangen herbei, und der Gärtner bestieg das Boot, mit dem man nach dem Schwanenhäuschen überzufahren pflegte.

Was giebt’s da unten? fragte der Freiherr.

Man wußte es in seiner Umgebung nicht und schickte hinunter, es zu erkunden.

Aber noch ehe der Bote zurückkam, brachte der Gärtnerbursche dem Caplan einen Brief.

Was geht da vor? wiederholte der Freiherr.

Gnädiger Herr, sagte der Bursche, es hat sich Einer in’s Wasser gestürzt!

Wer? Wann? rief der Freiherr mit einem Schrecken, der aus irgend einer furchtbaren Ahnung hervorgehen mußte.

Ich weiß nicht! antwortete der Gärtnerbursche auf ein Zeichen des Caplans, von dessen Wangen alles Blut gewichen war.

Der Freiherr wollte die Terrasse hinuntereilen, der Caplan hielt ihn zurück. Bleiben Sie, bleiben Sie! Es ist vergebens, es ist zu spät! sagte er eilig und selbst nach Fassung ringend.

Den Brief, den Brief! drängte darauf der Baron und entriß dem Widerstrebenden das Papier. Es enthielt die folgenden, kurzen Zeilen:

„Was ich von Dir erfahren soll, das theile dem Herrn Caplan mit! hat er mir geschrieben. – Sagen Sie ihm also, Hochwürden, daß ich nicht anders konnte. Ich habe fortgehen wollen, nun der Tag da ist, geht’s über meine Kräfte. Ich will ihn ja nicht stören in seinem Glücke, aber hier bleiben muß ich! Wenn er heruntersieht auf das Wasser, werde ich ihm wohl einfallen, und er wird dann auch wohl an den Paul denken, der nun keinen Menschen mehr auf der Welt hat, als ihn! Sagen Sie ihm das, Hochwürden! – Wenn’s Tag wird und Sie den Brief bekommen, dann ist’s lange mit mir vorbei!“

Das war Alles. Der Brief war kurz und ohne alle Weichheit, wie Paulinen’s Charakter in sich abgeschlossen, und ihr Entschluß schnell gewesen war. Sie hatte nicht einmal ihren Namen unterschrieben.

Während der Baron las, hatte seine ganze Dienerschaft erfahren, was geschehen war. Die Blicke seiner Leute waren auf ihn gerichtet, er beachtete es nicht. Seine Hand zitterte, seine Kniee versagten ihm den Dienst, er mußte sich auf einer der Bänke vor dem Schlosse niedersetzen, und im furchtbaren Schmerze schloß er die Augen. Es war eine vollkommene Unthätigkeit in seine Umgebung gekommen, Niemand schien zu wissen, was er thun solle.

Mit einem Mal richtete er sich auf. Abspannen! befahl er und wollte sich in das Schloß begeben. In dem Augenblick kam aber der Cornet zurück, welcher mit der Lebhaftigkeit seines Alters bei der ersten Kunde von dem Unfalle nach dem Wasser hinuntergegangen war.

Es hat sich ein Frauenzimmer aus dem Dorfe ertränkt! sagte er gleichgültig, und sie meinen, es müsse schon viele Stunden her sein, denn der Mantel und die Schuhe, die man auf dem Rasen gefunden hat, waren schon festgefroren, als Ihr Gärtner sie bemerkte. Unter den Schuhen soll ein Brief an den Herrn Caplan gelegen haben. – Ah, Sie haben den Brief schon! rief er, als er das Blatt in den Händen seines Schwagers und zugleich mit dessen Verstörung es bemerkte, daß der Kammerdiener die Pelzdecken wieder aus dem Wagen herausnahm.

Was haben Sie, Baron? Sie lassen ausspannen? fragte er verwundert. Fahren wir denn nicht?

Ja, bald, gleich! erwiederte der Baron, sich gewaltsam beherrschend. Ich muß nur erst sehen ....

Ob Sie Todte lebendig machen können? rief der Cornet. Wenn wir darauf warten sollen, wird Angelika heute eine schlaflose Nacht haben und sich Sorgen um uns machen, wobei Sie natürlich für zwei zählen und ich für Nichts! Vor Abend kommen wir jetzt ohnehin nicht mehr nach Berka, und der Caplan ist ja unten. Ueberlassen Sie ihm doch den Rettungsversuch, das ist sein Amt, und – fügte er übermüthig hinzu – wer weiß, ob der hochwürdige Herr, an den der Brief gerichtet war, nicht am Ende ohnehin mehr von der Sache weiß.

Er lachte über seinen Einfall; der Baron hatte nichts von diesen frechen Worten des jungen Mannes gehört; aber er kam allmählig aus seiner Versunkenheit zurück, fuhr sich mit der Hand mehrmals über die Stirn, und als er sich dann umsah, waren seine Mienen wieder ruhig geworden.

Sie haben Recht, sprach er; ich kann hier in der That Nichts helfen, und Ihre Schwester soll nicht ohne Grund beunruhigt werden. Kommen Sie, lieber Gerhard, lassen Sie uns einsteigen! – Während der junge Graf sich dem Wagen näherte, winkte der Baron den Haushofmeister heran und sagte: Ich lasse den Herrn Caplan ersuchen, alles Nöthige, verstehen Sie mich, alles Nöthige, zu besorgen und mir baldmöglichst nachzukommen! Und daß ich hier Alles finde, wie ich’s angeordnet habe!

Der Haushofmeister verneigte sich, die Dienerschaft, welche eben so bestürzt gewesen war, als ihr Gebieter, trat beflissen hinzu, und der Baron stieg ein. Als der Cornet sich zu ihm niedersetzte und der Kammerdiener ihnen die Decken von schwarzem Bärenpelz über die Kniee gebreitet hatte, lehnte der Baron sich in die Ecke zurück, wie einer, der zu schlafen beabsichtigt.

Sie werden heute keinen unterhaltenden Gesellschafter an mir haben, sprach er zu dem jungen Manne. Freude und Erregung haben mich die Nacht nicht schlafen lassen, und nun ist der Schrecken mir auf die Nerven gefallen, daß ich einen Ansatz von Migraine fühle, den ich mir wegschlafen möchte, um Ihre Schwester heiter und frei umarmen zu können.

Kannten Sie das Frauenzimmer, das sich ertränkt hat? fragte gleichgültig der junge Mann.

Ja, versetzte der Baron, und es überlief ihn eiskalt, daß er zusammenschauerte und sein Begleiter ihn, aufmerksam werdend, betrachtete. Dem Baron entging das nicht, und die Achtsamkeit seines Schwagers von dem rechten Pfade abzulenken, sagte er: Mit aller seiner Philosophie kann man sich des Aberglaubens in entscheidenden Momenten doch recht schwer er wehren. Daß solch ein Unglück vor meinen Augen geschah, grade als ich den Wagen besteigen wollte, um an das Ziel meiner Wünsche zu gelangen, hat mir einen äußerst peinlichen Eindruck gemacht, und ich möchte um Alles in der Welt nicht, daß Ihre Schwester Etwas davon erführe.

O, bewahre! Wozu auch? erwiederte der Bruder; aber daß Sie sich so Etwas derart zu Herzen nehmen könnten, hätte ich mir nicht gedacht! Mich läßt dergleichen völlig ruhig. Wer sich das Leben nimmt, thut es zu seinem eigenen Schaden.

Er machte dazu ein ganz ernsthaftes Gesicht, lehnte sich ebenfalls zurück, wickelte sich fest in seinen Reitermantel ein und war, da er mit Tagesanbruch ausgeritten, bald eingeschlafen, während der Baron, von Schmerz und Gewissensbissen gefoltert, von Sorgen und Unglücksahnungen gepeinigt, mit Schrecken daran dachte, daß er am Abend seine Braut begrüßen und sie bald als seine Gattin in sein Haus führen sollte, vor dessen Fenster das dahin fließende Wasser ihn ewig an den Untergang Paulinen’s mahnen mußte.