Neuntes Capitel. - Der Winter entschwand auf diese Weise, ohne daß der Baron an die Rückkehr auf das Land gedachte. Er fand Behagen an der Residenz, ...

Neuntes Capitel. Der Winter entschwand auf diese Weise, ohne daß der Baron an die Rückkehr auf das Land gedachte. Er fand Behagen an der Residenz, an der Folge immer neuer Zerstreuungen, und Alles, was er sich noch vor wenig Monaten von seiner Ehe, von seiner Häuslichkeit auf Schloß Richten versprochen hatte, ja, Schloß Richten selbst trat davor so sehr in den Hintergrund, daß es Angelika oftmals bedünken wollte, als mache es ihn unmuthig, wenn man ihn daran erinnere. Ein Mann, der, wie der Baron sein Leben hindurch auf äußere augenblickliche Erfolge gestellt gewesen, findet sich auf die Länge nicht leicht durch die Ruhe in seiner Ehe und in seinem Hause befriedigt, auch wenn er nicht Zerstreuung bedarf, um Vergessenheit dadurch zu erlangen.

Endlich, als die Mehrzahl der adeligen Gesellschaft in der Residenz sich anschickte, aus ihrem städtischen Winteraufenthalte wieder auf die Landsitze zurückzukehren, wurden auch in dem freiherrlichen Hause die Anstalten zur Abreise getroffen. Indeß der Baron fand immer noch einen Grund, einen Tag und wieder einen Tag zu zögern, und die Ungeduld seiner Gattin, die sich in die Stille ihres Schlosses hinaussehnte, steigerte sich daran bis zu einem krankhaften Verlangen nach der freien Natur. Als dann aber die Stunde der Abreise herankam, bemerkte der Baron, daß seine Gattin sich mit Wehmuth von dem Hause trennte, in das sie mit Widerstreben eingetreten war. Sie fühlte nicht mehr die Zuversicht zum Leben, sie hatte nicht mehr die volle Hoffnung auf Glück, welche sie an ihrem Hochzeitstage beseelte; und seit sie dahin gekommen war, an ihren Brautstand und an ihre Jugend wie an eine glücklichere Vergangenheit zurück zu denken, flößte das ererbte Haus, in welchem Alles von einer Vergangenheit sprach, ihr keine sie befremdende Empfindung mehr ein. Zudem war ihr Gutes und Heilsames in dem Hause widerfahren. Sie hatte tiefer in ihr eigenes Innere blicken und sich an einen Helfer wenden lernen, der stärker war, als sie. Sie hatte in dem Caplan einen väterlichen Freund und Berather gefunden und den Glauben gewonnen, daß die verstorbenen Lieben den Lebenden verbunden und nahe bleiben. Das waren so viele Quellen neuen Hoffens, daß sie Muth für ihre Zukunft daraus schöpfte. Und als sie dann endlich sah, mit wie ungeheuchelter Betrübniß Mamsell Marianne von ihr Abschied nahm, als sie dieser immer noch einmal versprechen mußte, sie holen zu lassen, wenn die Baronin ihrer Pflege bedürfe, so schied sie endlich selbst nur mit Thränen und mit dem festen Vorsatze häufiger Wiederkehr von Tante Esther’s Haus und von den Bildern derselben, die so manchen stillen Seufzer von ihren Lippen gehört, so manche heimlich geweinte Thräne aus ihren Augen hatten fließen lassen.


Indeß die Frühlingssonne will im Freien genossen sein, und der Baronin, die von Kindheit an sich in Garten, Feld und Wald bewegt, ging das Herz auf, als die Thore der Residenz endlich hinter ihr lagen und ihr Auge, nicht mehr von den Häuserreihen beschränkt, sich in weiter Ferne ergehen konnte. Je näher sie auf ihrer Reise der Heimath ihres Gatten kamen, um so leichter wurde ihr zu Sinn, ja, sie empfand es in ihrer fröhlichen Erregung kaum, daß die Zufriedenheit ihres Mannes nur eine getheilte war und daß er sich ihrer beginnenden Heiterkeit zwar erfreute, daß die frische, offene Zärtlichkeit, welche sie ihm lange nicht zu zeigen vermocht hatte, ihm zwar Vergnügen bereitete, aber daß er sie im Grunde seines Herzens nicht mit ihr theilte, wie sie es erwartete. Er war nicht mehr derselbe, der er als Bräutigam gewesen war.

Gegen den Abend des sechsten Tages erreichten sie die Grenze der Herrschaft Richten. Der Baron machte Angelika darauf aufmerksam, und da sie ihn liebevoll und gerührt umarmte, bewegte es auch ihn.

Die Schulzen der Dörfer, die Schullehrer mit der ganzen Kinderschaar hatten sich unter einem für den Empfang der Gutsherrschaft errichteten Ehrenbogen aufgestellt, und der greise Pfarrer selbst war herbeigekommen, der jungen Gutsherrin mit ernster und freundlicher Ansprache an das Herz zu legen, was man von ihr für die Güter und ihre Bewohner erwarte und hoffe. Der Baron, obschon seinen Insassen und Untergebenen ein läßlicher Herr, hatte von jeher solche Akte und Feierlichkeiten als herkömmliche Huldigungen mit einer eben so herkömmlichen Herablassung hingenommen, und was sich etwa bei derlei Anlässen in seinem Gemüthe menschlich geregt, damit hatte er bisher leicht fertig zu werden gewußt. Heute war das anders. Er bemerkte die tiefe Bewegung seiner Frau, er sah ihre Freude darüber, daß sie in Richten war, wo sie weit sicherer heimisch zu werden hoffte als in der Residenz; es fiel ihm ein, daß diese Kinder um ihn her, die ihn und Angelika hier an der Grenze seiner Herrschaft willkommen hießen, einst den Sohn zum Herrn haben würden, den er von seiner Gemahlin erwartete, und heute hörte er mit anderem Ohr und anderem Herzen zu als sonst. Er war selbst gerührt, er hielt die Hand seines jungen Weibes fest und zärtlich gefaßt, er dachte seit langer Zeit zum ersten Male wieder daran, welch ein reines Herz, welch einen Schatz von Liebe und Güte er in Angelika besitze, ja, er begriff es kaum, weßhalb er alle diese Monate in einer Umgebung mit ihr zugebracht habe, die ihr nicht erwünscht gewesen und durch die sie ihm selbst entzogen worden war. Er fühlte Lust, ihr dies zu sagen, aber er stand davon ab, weil es geheißen hätte, ihr einen Irrthum einzugestehen. Indeß er versprach sich, diesen Irrthum gut zu machen; er war glücklich, daß dies noch in seiner Macht stand, und in die Zärtlichkeit, mit welcher er Angelika an seine Brust drückte, mischte sich ein stolzes Gefühl, als man bald darauf, nachdem der Wagen das geschmückte Dorf passirt hatte, Schloß Richten auf seiner Höhe vor sich liegen sah.

Die Tage waren schon wieder lang, die Sonne noch nicht untergegangen, und die blasse Sichel des Neumondes schimmerte, von ihr erhellt, silbern und leicht an dem blauen Himmel. Alles war klar und eintönig in der Natur, nichts stach besonders beleuchtet hervor. Das nackte Erdreich der Heide, die brach liegenden Felder, die kahlen Weiden am Bache und die lange Linie des großen, sich weithin erstreckenden Waldes hatten alle denselben röthlich-braunen Ton, über den der bläuliche Nebel sich zu verbreiten anfing, und doch zeichneten sich die Gegenstände in der leichten Luft noch so bestimmt und deutlich, daß das Auge seine Freude daran hatte, daß die sanfte Einförmigkeit der Landschaft den Sinn beruhigte und man es sich gern vorstellen mochte, wie der vorschreitende Frühling hier bald schalten und walten und Alles mit seiner reichen Fülle schmücken und verschönen werde.

Die Baronin war von dem Anblicke des Schlosses überrascht, als hätte sie es nicht zuvor gesehen. Es übertraf an Stattlichkeit noch bei Weitem das Bild, das sie in ihrer Vorstellung davon bewahrt hatte, und daß der Bau in seiner Unregelmäßigkeit die Spur des Bedürfnisses oder der Laune an sich trug, welche die Herren von Arten von Geschlecht zu Geschlecht bewogen hatten, ihn zusetzend umzugestalten, das gab ihm den Charakter des Historischen, gab ihm sein feudales Ansehen, indem es den Glauben an die Selbstherrlichkeit seiner Besitzer verstärkte.

Von der uralten, auf steiler Höhe rechts über dem Schlosse liegenden Stammburg, welche einst die Ebene und den Fluß beherrscht und reichen Zoll von der Schifffahrt auf demselben gezogen hatte, waren nur noch die Hälfte der Außenmauern und die beiden Thürme erhalten, die sich, breit und verbunden mit einer von vielen Fenstern durchbrochenen Zwischenmauer, unverkennbar als ein Bauwerk aus der Zeit der deutschen Ritter darstellten. Diese Burg war aber schon zur Zeit der Reformation verlassen worden, und man konnte es an der Architektur des jetzigen Schlosses noch deutlich wahrnehmen, daß die Herren von Arten, als sie aus ihrer Burg in das Thal hinabstiegen, weder die Macht jener Vorfahren gehabt hatten, welche einst die Burg gegründet, noch den Reichthum, mit welchem der Großvater des jetzigen Besitzers das Schloß im Style der Renaissance vergrößert und verschönert hatte. Die lange Hauptfronte desselben mit dem thurmartigen Aufsatze in der Mitte, den der Vater des Barons sich für seine astronomischen Liebhabereien hatte errichten lassen, daneben die beiden Seitenflügel, welche sich weitgreifend, wie vorgestreckte Arme, zur Rechten und zur Linken ausbreiteten und den großen, mit alten Bäumen umgebenen Rasenplatz umfaßten, machten einen schönen Eindruck.

Hier werde ich glücklich sein! rief die Baronin aus; hier, wo nichts mich von Dir trennt, wo nicht kalte gleichgültige und genußsüchtige Menschen sich zwischen uns stellen! Hier wirst Du mich lehren, was ich thun muß, Dir zu gefallen, Dir zu genügen und Dich zu beglücken! Hier, wo Du und Deine Vorfahren als Kinder spielten, hier ist unsere Heimath, hier gehören wir hin, und hier –

Sie verbarg ihr erglühendes Gesicht verschämt an ihres Gatten Brust, aber ihre Worte ergänzend, fügte er mit gehobener Stimmung hinzu: Hier sollen Deine Kinder, unsere Kinder und Kindeskinder ihre Heimath haben und das Geschlecht aufrecht erhalten, das nun schon über vierhundert Jahre seinen Wohnsitz auf diesem Grunde und Boden hat.

Das walte Gott! sprach Angelika aus vollem, gläubigem Herzen und bog im nächsten Augenblicke den Kopf zum Fenster hinaus, als sie in das zweite Dorf der Herrschaft einfuhren.

Das ist Rothenfeld, sagte der Baron, und wie ein Schleier zog es über seine Mienen.

Es war vorbei mit der frohen Erhebung, die ihn noch eben erfüllte. Er hätte die Augen schließen mögen, um nicht den Weg zu sehen, den er so oft gekommen war; er hätte es nicht sehen mögen, das kleine Haus am Ende des Dorfes, dessen schmuckes Ansehen der Baronin auffiel und dessen geschlossene Laden ihrem Manne das Blut aus den Wangen weichen machten, als Angelika die Frage aufwarf, wem das Haus gehöre und warum es nicht bewohnt sei.

Mein Amme hat darin gelebt! antwortete der Baron, und mit plötzlichem Entschlusse setzte er hinzu: Aber es ist baufällig; ich muß es niederreißen lassen.

Angelika war zu sehr beschäftigt, um dies auffallend zu finden, denn die einzelnen Theile des Schlosses traten immer deutlicher hervor. Der Baron wies ihr die Fenster der Zimmer, die für sie bestimmt waren; die Grenze des Parkes wurde erreicht, und man langte noch zeitig genug im Schlosse an, um die Reihe der Gemächer bei Tageslicht zu durchwandern, um die junge Herrin die Aussicht aus dem Wohnzimmer genießen zu lassen, das der Baron ihr mit den antiken Statuetten ausgeschmückt hatte, um ihr lebhafte Aeußerungen der Freude über ihre neue Heimath und über die Landschaft um sie her zu entlocken.