Fünfzehntes Capitel. - Neben diesen Befürchtungen und Hoffnungen für die Monarchien und den Adel im Allgemeinen war es der Kirchenbau, welcher bald ein Gegenstand ...

Fünfzehntes Capitel. Neben diesen Befürchtungen und Hoffnungen für die Monarchien und den Adel im Allgemeinen war es der Kirchenbau, welcher bald ein Gegenstand gemeinsamer Berathungen wurde, und auch in Bezug auf diesen fehlte es an Sorgen und an Hoffnungen nicht. Denn wie schon die erste Absicht dieses Unternehmens in der Herrschaft nicht mit gutem Auge angesehen worden war, so war die Abneigung gegen dasselbe nur gestiegen, seit man die Vorkehrungen dafür zu treffen angefangen hatte.

Seit mehr als einem Menschenalter und darüber hinaus waren in Richten keine Bauten ausgeführt worden, zu denen man genöthigt gewesen wäre, Fremde herbeizurufen. Die protestantische Kirche in Neudorf stand fest gegründet und wohl gefügt seit mehr als hundertundfünfzig Jahren, der Schloßbau war, so wie er sich gegenwärtig darstellte, auch schon vor der Geburt seines jetzigen Besitzers vollendet worden, und was man sonst an Baulichkeiten für das Beamtenpersonal, an Wirthschaftsgebäuden und an gelegentlichen Reparaturen nöthig gehabt, das hatte der in Rothenfeld ansässige Maurer theils allein und nach eigener Einsicht mit den Gutsleuten, theils unter Anleitung und Aufsicht des Meisters aus der Kreisstadt mit dessen Arbeitern ausgeführt. Nun sollte endlich wieder einmal ein bedeutendes Bauwerk in Angriff genommen werden, und die Leute hatten sich, so wenig sie sich auch der Gründung einer katholischen Kirche erfreuten, doch der Hoffnung hingegeben, daß dabei ein Gewinn für sie nicht fehlen könne, wenn sie der Herrschaft auch zu bestimmten Tagesleistungen, deren Zahl nicht gering war, verpflichtet waren.


Aber gleich bei der Grundsteinlegung in Rothenfeld hatten sie die Erfahrung gemacht, daß es nicht bei dem guten Alten bleiben solle. Denn es waren Briefe nach auswärts geschrieben worden, und nach den Antworten, welche auf diese Briefe gekommen waren, hatte nicht der Maurer aus Rothenfeld, der das doch gewiß verstand, sondern der Meister aus der Kreisstadt die Arbeit verrichten müssen.

Die Mißstimmung war seitdem eine allgemeine gewesen. Sogar diejenigen, welche bei dem Baue selbst nichts zu leisten hatten, fanden eine angenehme Beschäftigung darin, die Betheiligten in dem Gedanken der Ehrenkränkung und in der Erbitterung über dieselbe zu bestärken und zu befestigen. Sie wollten doch wissen, wie die Betroffenen sich dabei benehmen würden, wenn ihnen so etwas geboten werde, denn in dem Aufstacheln und Hetzen, in dem eifrigen Zusprechen und in dem schlauen Besänftigen war eine Thätigkeit verborgen, durch die man sich unterhielt und in welcher man für seine Freunde und für die Gutsherrschaft zugleich, zu einer wichtigen Person wurde, ohne daß man selbst Kosten hatte oder Gefahr dabei lief; und sich ohne alle Gefahr zu einer wichtigen Person zu machen, ist den meisten Menschen ein Vergnügen.

Den Winter hindurch lag das Alles, wie die Saat in der Erde, still und verborgen. Als aber das Frühjahr heraufzog und man daran denken konnte, an den Bau zu gehen, dessen Beginn die Baronin kaum zu erwarten vermochte, änderte sich die Sache.

Es war im Anfang des Maimonats, als der fremde Baumeister in Schloß Richten erwartet wurde. Man hatte ihm einen Wagen bis in die nächste Stadt entgegengesendet, im Schlosse waren zwei Zimmer für ihn hergerichtet worden, und obschon man wußte, daß der Baron den Bau einem jungen Manne übertragen hatte, dessen Vater, einen tüchtigen Maler er zur Zeit seiner ersten Reisen in Italien kennen gelernt, und der dann später auch in Richten die Eltern und die Schwester des Barons gemalt hatte, so fand man dennoch, daß um eines bloßen Baumeisters, und noch dazu um eines so jungen Menschen willen, viel zu viel Aufhebens gemacht werde.

Als dann an dem festgesetzten Tage der Wagen, welcher den Architekten brachte, durch Neudorf fuhr, bemerkte die Pfarrerin, die den ganzen Nachmittag, als ob es Sonntag wäre, mit dem Strickzeug am Fenster gesessen hatte, daß der junge Herr sich das Verdeck der Kalesche habe zurückschlagen lassen.

Er macht’s wie der Herr Baron, wenn er von Reisen kommt, sagte sie spöttisch lächelnd. Er gönnt uns das Vergnügen, gleich sein Antlitz anzuschauen! Ach! und er ist so höflich, gleich zu grüßen! bemerkte sie in demselben Tone, während sie jedoch nicht unterließ, mit der freundlichsten Miene zu danken und dabei die rechte Hand, wie die gute Sitte es mit sich brachte, an die unterste Krampe des Fensters zu legen, als stehe sie auf dem Punkte, es zu öffnen und den Vorüberfahrenden zur Einkehr aufzufordern.

Der Pfarrer, der sich nicht leicht von seinem Stuhle vor dem Studirtische fortlocken ließ, hob sich doch von seinem Sitze empor und hatte offenbar die Absicht, auf die Bemerkung seiner Frau an das Fenster zu treten. Aber das Gefühl seiner Würde trug es über seine Neugier schnell davon, und ruhig sitzen bleibend sagte er: Was läßt sich denn Anderes als Selbstverblendung erwarten von einem jungen Manne, der durch die Gnade Gottes in einer rechtschaffenen protestantischen Familie geboren worden ist und sich dazu hergiebt, dem Ball Tempel zu erbauen! Ich hoffe, er wird nicht die Stirne haben, sich in ein ehrbares protestantisches Pfarrhaus einzuführen. Ich mag nichts zu schaffen haben mit solchen Abtrünnigen.

Man wird ihn aber doch im Schlosse treffen, wenn man an den Feiertagen zur Mittagstafel eingeladen wird! wendete die Pfarrerin ein, die stets überlegt und vorsichtig an die Zukunft dachte und dabei nicht abgeneigt war, von dem Architekten auch einmal etwas Neues aus der Welt zu vernehmen.

Dann wird man ihn nach Gebühr zu behandeln wissen, erwiderte der Pfarrer, und schlimm genug, daß er nicht der einzige Abtrünnige ist, dem man jetzt auf dem Schlosse zu begegnen hat!

Mann! Aber um Gottes willen, lieber Mann! rief die Pfarrerin, der solche Aeußerungen ihres gestrengen Eheherrn immer die Kälte durch alle Glieder jagten, und die sich vorsichtig umsah, ob nicht etwa die Thüre nach der Küche offen sei. Bedenke doch, daß unseres Gotthold’s ganze Zukunft von der Herrschaft abhängt, und daß ....

Mag er durch die Lande gehen, wie ich vielleicht es auch noch thun werde, und wie mancher Bessere als ich, wie ja auch der fromme Paul Gerhard es einst gethan hat. Besser Hunger und Durst und Frost und Hitze tragen, als abfallen von der heiligen reinen Lehre, auf die wir getauft sind und die zu verkünden wir geschworen haben!

Er stand bei diesen Worten endlich von seinem Platze auf, und ging in der Stube auf und nieder, in so ernste Gedanken versenkt, daß die gutmüthige und ängstliche Frau, die zu ihrem Gatten wie zu dem Urquell aller Weisheit emporschaute und zu ihm als zu einem Muster gewissenhafter Redlichkeit aufsehen durfte, ihn nicht mehr unterbrach, und schweigend überlegte, wie es hier noch werden, und was ihr und ihrem Manne und ihrem Sohne noch für Unglück beschieden sein könne.

Während dessen fuhr der junge Mann, welcher, ohne es zu wissen, den Anlaß zu dem Kummer der Pfarrerin gegeben hatte, in fröhlichster Stimmung durch das Dorf. Er freute sich des Sonnenscheins und der Wärme, er sah die weißen Wölkchen an dem hellen Himmel mit dem träumerischen Wohlgefallen eines Kindes über sich hingleiten, er warf, als er durch Rothenfeld kam, einen freundlichen Gruß nach dem Amtshause hinüber, aus dessen offenem Fenster die hübsche Schwester des jungen Amtmannes neugierig nach dem Fremden hinausguckte, und er gewahrte dann mit Behagen, wie das Schloß sich immer deutlicher vor seinen Augen entfaltete.

Seine Gedanken gewannen dadurch eine bestimmte Richtung, das hindämmernde Wohlgefühl machte ernsteren Ueberlegungen Platz. Er erkannte, nach den Zeichnungen, die man an ihm übersendet hatte, die Stelle, welche für den Kirchenbau bestimmt war, und die Ueberzeugung, die er schon brieflich mehrfach ausgesprochen, daß der geweihte Ort nicht der rechte Platz sei, daß die Kirche von dem Punkte aus lange nicht die Wirkung machen würde, die sie haben könnte, wenn man sie auf der kleinen Höhe aufrichtete, welche sich am Ende des Parkes, fast dem Schlosse gegenüber, erhob, stellte sich ihm jetzt als eine Gewißheit dar.

Dazu sah er, daß man ihm auch über das Terrain nicht mit der nöthigen Sachkenntniß berichtet habe. Der Boden in Rothenfeld war keineswegs so trocken, als man ihn geschildert hatte und wie er sich an der Oberfläche zeigte. Ueberall, selbst ganz in der Nähe des Bauplatzes, kamen Quellen zum Vorschein, und wenn man auch bei der Grundsteinlegung für die Kapelle nicht auf Wasser gestoßen war, so konnte es nicht fehlen, daß man jetzt, da man für den Kirchenbau ein ganz anderes Fundament zu legen und deßhalb viel tiefer zu graben hatte, nothwendig auf Wasser kommen mußte, das zu beseitigen jedenfalls Schwierigkeiten und unnöthige und bedeutende Kosten veranlassen konnte.

Wer es mit einer Arbeit, einem Gewerbe oder Geschäfte zu thun hat, das seiner Natur nach die beständige Anwendung des streng urtheilenden Verstandes erfordert und in dem sich das Abweichen von dem Gesetze und der Regel stets augenblicklich und ersichtlich rächt, der gewöhnt sich, die Unterordnung unter das Vernünftige und Zweckmäßige, deren er sich zu befleißigen hat, auch bei anderen Menschen vorauszusetzen. Er wird, wie groß sein Gemüthsleben und sein Schönheitssinn daneben auch sein mögen, vor allen Dingen ein praktischer Mensch, und kann es sich nicht erklären, daß Andere sich mit launenhafter persönlicher Willkür gegen das von der Vernunft und Nothwendigkeit Gebotene auflehnen mögen. So hatte denn Herbert das Schloß noch nicht erreicht, als es bei ihm feststand, daß man die Kirche nicht in Rothenfeld, sondern auf der Höhe in Richten erbauen müsse. Er erwog daher im Geiste nur die Aenderungen, welche sein Entwurf durch die ihm unerläßlich dünkende Verlegung der Kirche zu erleiden haben würde, und fuhr mit dem heiteren Bewußtsein, dem Baron zweckmäßige und darum willkommene Vorschläge machen zu können, in den Schloßhof ein.

Der Diener, welcher ihm sein Zimmer anwies, bemerkte ihm, daß man um ein Uhr speise, daß die Herrschaft ihn zur Tafel erwarte, und es blieb Herbert daher nur eben die Zeit, sich für sein erstes Erscheinen in der Familie des Freiherrn angemessen umzukleiden. Er war achtundzwanzig Jahre alt und ein schlanker braunäugiger Mann, voll heiterer Sicherheit im Betragen. Er war im Wohlstande aufgewachsen, hatte zu seiner künstlerischen Ausbildung Italien, England und Frankreich bereist und war, da er ein hübsches Vermögen durch seinen Vater für sich er worben wußte, durchaus darauf gestellt, seinen Platz in der Welt nach seinem Sinne auszufüllen und zu behaupten.

Verschiedene Bauten, die er trotz seiner Jugend in seiner Vaterstadt und in deren Umgebung bereits ausgeführt, hatten ihm einen guten Namen gemacht, so daß sein Vater ihn mit Fug und Recht dem Freiherrn hatte empfehlen können, als dieser bei dem alten Freunde um einen Architekten für seinen Kapellenbau nachgefragt. Man hatte sich dann schriftlich in Verbindung gesetzt, und Bauherr und Architekt waren mit dem gegenseitigen Verhalten so wohl zufrieden gewesen, daß Herbert sich der bevorstehenden persönlichen Bekanntschaft mit dem Freiherrn, von dem er, seit er denken konnte, hatte sprechen und Gutes sagen hören, lebhaft erfreute. Er war bereits selbstständig und Weltmann genug, um sich von der Begegnung mit vornehmen Leuten keine besondere Vorstellung zu machen, und doch noch in dem Alter, in welchem die Aussicht, mit einem gebildeten Edelmanne täglich zu verkehren und für eine längere Zeit der Hausgenosse der schönen Schloßherrin zu werden, ihn reizte und beschäftigte. So ging er denn nicht ohne Achtsamsamkeit daran, sich für die bevorstehende Zusammenkunft zu kleiden. Sein ungepudertes Haar wallte ihm frei um den Nacken, das erbsenfarbene Beinkleid und die niedrigen Klappstiefel zeigten, wie gut er gewachsen sei, der braune, weit vom Halse abfallende Frack ließ mit seinen langen schmalen Schößen den ganzen Vorderkörper frei, die Weste schlug in breiten, spitzen Rabatten auf der Brust zurück, das weiße Halstuch, das große Jabot, die dunkle Camee in demselben und die Uhrkette mit den vielen Berloques würden von jedem Incroyable in Paris als tadellos befunden worden sein. Auch gestand Herbert es sich mit unschuldiger Selbstgefälligkeit, daß er sich wohl sehen lassen dürfe.

Herzlich guten Muthes folgte er dem Diener, der ihn zur Tafel rufen kam, und es gefiel ihm, daß er auf diese Weise nicht erst jenes Examen des gesellschaftlichen Verkehrs zu bestehen haben sollte, welches vornehme Herren mit Jedem anzustellen sich für verpflichtet halten, dessen Kräfte sie irgendwie in ihrem Dienste verwenden, dessen Arbeit sie bezahlen.