Achtes Capitel. - Es war eine eigenthümliche Lage, in welcher der Caplan sich jetzt gegenüber der freiherrlichen Familie befand. Er glich dem Manne, welchen man zu einem Gastmahle eingeladen hat, und der ...

Achtes Capitel. Es war eine eigenthümliche Lage, in welcher der Caplan sich jetzt gegenüber der freiherrlichen Familie befand. Er glich dem Manne, welchen man zu einem Gastmahle eingeladen hat, und der bei seinem Eintritte in das Zimmer an dem Qualm und Rauch, die ihm entgegenströmen, den nahen Ausbruch eines im Verborgenen glimmenden Brandes erkennt. Es galt hier, zu helfen, nicht zu genießen, und Hülfe zu leisten war ja sein Beruf.

Er fand Angelika unzufrieden mit sich selbst, beunruhigt durch die Stimmung ihres Gatten, durch den Einfluß, den Frau von Uttbrecht und ihr Mysticismus über ihn gewonnen hatten, und fand sie selbst auf das lebhafteste beschäftigt durch eine Menge von religiösen und mystischen Eindrücken, welche sie, eben um ihrer Fremdheit willen, bald anzogen, bald abstießen und ihr den Frieden raubten. Sie sehnte sich nach einem Menschen, dem sie ihr Herz erschließen, den sie zu Rathe ziehen konnte. Sich ihrer Mutter zu entdecken, hielt die Liebe für ihren Gatten sie ab. Die Gräfin würde ihre Tochter für unglücklich, ihren Schwiegersohn für schuldig gehalten haben, und unglücklich fühlte die Baronin sich nicht. Sie wußte nur nicht, was sie thun solle, um wieder zu der Ruhe zu gelangen, die sie bis zu ihrem Hochzeitstage stets beseelt, um sich wieder in dem Einklange mit dem Freiherrn zu befinden, von dem sie beide das Heil ihrer Ehe und ihrer Zukunft erhofft hatten. Sie konnte sich nicht recht klar machen, was eigentlich geschehen sei, was zwischen ihr und ihrem Gatten stehe, aber es war anders geworden, als sie es erwartet hatte; es war geworden, wie es nicht hätte sein sollen, wie sie nicht geglaubt hatte, daß es jemals werden könne,


Die Worte des alten, aufgefundenen Gebetbuches tönten immer in ihrem Herzen. Ihr fehlte ein Stab, der sie stützte, ein Licht, das ihr das Dunkel erhellte. Sie mußte oftmals an dasjenige denken, was der Baron, was der Caplan ihr von der befreienden Kraft des Wortes gesagt hatten. Es lag, so fern ihr die Vorstellung sonst gewesen war, jetzt für sie etwas Verlockendes in dem Vertrauen, in der Zurechtweisung und Belehrung, welche man in der Beichte gewährt und empfängt. Sie fühlte bisweilen ein wahrhaftes Verlangen danach, dem Caplan Alles zu sagen, was sie drückte, von ihm Rath zu begehren, und es hätte nur einer Ermuthigung von seiner Seite bedurft, ihr den Mund zu erschließen; aber er gewährte ihr diese nicht. Er wollte reifen lassen, was er emporkeimen sah, und die Frucht nicht vorzeitig brechen, so sehr er sich ihrer erfreute.

Es war nicht lange nach jenem Concert-Abende, als er in den Händen der Baronin ein Kästchen erblickte, das sie mit einer gewissen Hast verschloß und auf die Seite stellte, da er bei ihr erschien. Sie sah, daß er es bemerkt hatte, daß er darüber lächelte, und plötzlich zu einem Entschlusse gelangt, fragte sie ihn ganz unumwunden, ob er den Glauben theile, den sie im Hause der Frau von Uttbrecht häufig aussprechen hören, den Glauben, daß die Gottheit noch in unseren Tagen dem Menschen sichtbare Zeichen gebe, wenn er ihres Beistandes bedürfe oder sich sonst in ungewöhnlichen Lebenslagen befinde.

Gewiß! sagte der Caplan, davon bin ich überzeugt! Es ist kein Wandel in dem Unwandelbaren, und was Gott einst in seinem Erbarmen für die Menschheit gethan hat, das kann und muß sich bei dem gleichen Anlasse immer wiederholen.

Angelika sah ihn ernsthaft an. Sie glauben also an wunderbare Ereignisse, an wunderbare Zeichen? forschte sie weiter.

Unbedenklich! versicherte er ihr. Aber was bewegt Sie zu diesen Fragen, meine gnädige Frau?

Sie antwortete ihm nicht darauf; sie wollte jedoch wissen, ob er je etwas der Art erlebt, ob er irgend eine Erfahrung gemacht habe, welche seine Aussage bestätigen oder einen Beweis für die Lehren von dem geistigen Zusammenhange der Todten mit den Lebenden gewähren könne.

Er zögerte eine Weile, indeß er sah die Spannung, mit welcher sie an seinem Mund hing, und mit feierlichem Ernste sagte er: Es begegnet, des bin ich sicher, nicht eben oftmals, daß die Gottheit es für nöthig findet, dem Menschen durch ein sichtbares Zeichen ihrer Vorsehung und Allgegenwärtigkeit zu Hülfe zu kommen; wo es aber geschieht, da hat man es als die höchste Gnade anzusehen, und wem es begegnet, dem legt es die doppelte Pflicht der eigenen Heiligung und der Werkthätigkeit für Andere auf. Mir ist diese Gnade einst geworden, als ich auf dem Wege war, sie weniger denn jemals zu verdienen.

Die Gehobenheit, mit welcher er sprach, umleuchtete sein edles Antlitz und seine ganze würdige Gestalt, daß Angelika der Raum des Zimmers durch sein bloßes Dasein wie geweiht schien. Es wurde ihr feierlich zu Muthe, als befinde sie sich in der Kirche, und es war nicht Neugierde, sondern ein heißes Verlangen nach Wahrheit, daß sie zu der Bitte antrieb, der Caplan möge ihr, wenn er das könne, mittheilen, was ihm einst widerfahren sei.

Ja, versetzte er nach kurzem Schweigen, das will ich thun. Sie sollen vernehmen, was bisher Niemand von mir gehört hat, und wovon jetzt kein Lebender außer mir noch Zeugniß geben kann. Ich will es thun, so schwer es mir auch ankommt, von den Verirrungen meiner Jugend zu sprechen. Nur im büßenden Gebete hatte ich seit langen Jahren jener Zeiten noch gedacht, und ich hatte nicht gemeint, daß jemals wieder über meine Lippen kommen würde, was ich einst in bitterer Reue dem verschwiegenen Ohre meines Seelsorgers und Beichtvaters anvertraut, um durch ihn Vergebung für eine Sünde zu erlangen, welche für mich, für den geweihten Priester unseres Gottes schwerer als für einen Andern in die Wage des Gerichtes fiel. Aber es erscheint mir als eine Mahnung des Herrn, daß ich veranlaßt werde, noch einmal vor einem Andern mich meiner Schuld zu zeihen. Gott will, ich soll sie nicht begraben in meines Herzens stillem Schrein, ich soll mich zu meiner Schuld bekennen, vor denen, mit denen ich lebe, sie sollen mich kennen in meiner ganzen menschlichen Gebrechlichkeit, damit sie es immerdar empfinden, daß es der Herr ist und nicht ich, der in mir wirkt und schafft, wenn ich sie zu erheben trachte. Und – die Wege des Allweisen sind so unerforschlich! Wer will es sagen, zu welchem Zwecke er jene schmerzlichen Erinnerungen wieder so lebhaft in den Vorgrund meiner Seele drängt? Weshalb mir der Glaube so gebieterisch das Herz erfaßt, ich müsse eben zu Ihnen und eben zu dieser Stunde davon reden? – Er hielt inne, als bedürfe er der Sammlung, und fing dann mit unverkennbarer Selbstüberwindung seine Erzählung also an:

Ich hatte eben die priesterlichen Weihen erhalten, als ich in das freiherrliche Haus, in das Vaterhaus Ihres Herrn Gemahls eintrat. Aus der Abgeschiedenheit des Collegiums, aus der Stille und Zurückgezogenheit, an die ich gewohnt war, sah ich mich in einen viel bewegten, glänzenden Haushalt versetzt. Ich hatte bis dahin nur zu lernen und zu gehorchen gehabt; jetzt sollte ich Lehrer, Führer und Leiter eines lebhaften Jünglings werden, der mir an Jahren nur wenig untergeordnet, an Lebenserfahrungen aller Art mir weit vorauf war. Wollte ich leisten, was man von mir erwartete, so bedurfte es des festen Willens von meiner Seite und des festen Glaubens, daß wir von der Vorsehung an keinen Platz gestellt werden, den auszufüllen über unsere Macht geht. Der Wille und der Glaube fehlten mir nicht; ich arbeitete an mir selbst, ich erzog mich, um ein Erzieher zu werden, und die Familie, der ich diente, war mit mir zufrieden, zufrieden, wie ich selbst es mit mir war. Man bewies mir ein ehrenvolles Vertrauen, die Eltern meines Zöglings behandelten mich wie einen Anverwandten, seine Schwester war für mich selbst wie eine Schwester freundlich. – Er machte eine Pause, und die Baronin glaubte zu bemerken, daß eine Röthe das Antlitz des würdigen Mannes überflog, als er seine Erzählung wieder aufnahm.

Sie haben das Bild von Fräulein Amanda in Ihrem Zimmer, gnädige Frau. So wie der Maler sie dortge schildert hat, so sah sie aus, als ich sie zuerst erblickte, so edel und so ernst, so sanft und so mild. Sie war achtzehn Jahre alt. Man hatte sie den sämmtlichen Unterricht ihres nur um ein Jahr jüngeren Bruders theilen lassen, und man vergönnte mir, auch ihr Lehrer zu werden, aber mehr als das, wir wurden – oder wir glaubten, Freunde zu werden. Um ihr Neues zu bieten, um ihren Antheil zu gewinnen, wurde ich eifriger als je in meinen Studien. Ein leidenschaftliches Verlangen und ein Durst nach Wissen und nach Erkenntniß der Wahrheit bemächtigten sich meiner, ich wollte dem genügen, was Fräulein Amanda von sich selber verlangte, was sie in mir voraussetzte. Es giebt nichts Großes, nichts Heiliges, das uns nicht bewegte, nichts Edles, nach dem wir nicht strebten. Wir fühlten uns frei einander gegenüber, und wir trennten uns wie Freunde und Geschwister sich trennen, als der junge Freiherr seine Reisen antrat, auf denen ich ihn begleiten sollte.

Es war ausgemacht worden, daß ich dem Fräulein schreiben dürfe. Niemand hatte ein Arg daran, am wenigstens wir selber. Ich wußte, daß alle meine Briefe von der Mutter gelesen wurden, ich vermuthete, daß sie auch die Antworten ihrer Tochter an mich las, und doch blühten auf der offenen Heerstraße dieses Briefwechsels die Blumen auf, deren Duft uns den Sinn verwirrte, deren Ranken uns umstrickten.

Der junge Baron und ich, wir blieben zwei Jahre im Auslande. Voll Freude und Zuversicht kehrten wir in die Heimath zurück, aber es war vorüber mit dem friedensvollen Glücke, das ich vor der Reise in dem freiherrlichen Hause genossen. Ich hatte nicht mehr das Herz, dem Fräulein wie sonst zu begegnen, ihr fehlte der Muth, mir zu nahen; wir vermieden einander. Ich fragte mich nicht, was geschehen sei; jeder Athemzug sagte es mir. Die Trennung von ihr hatte eine wilde Leidenschaft in mir angeregt, eine Leidenschaft, die in doppeltem Sinne für mich eine Sünde in sich schloß. In heißen Kämpfen, in brünstigen Gebeten rang ich nach Frieden. Er wollte mir nicht kommen. Ich mußte die Ursache meiner Leiden fliehen. Ich forderte meine Entlassung. Baron Franz bedurfte meiner Begleitung auch ferner in der That nicht mehr.

In den Tagen fand sich ein Bewerber um des Fräuleins Hand. Amanda bewies sich demselben nicht geneigt. Ahnungslos, nur an das Zutrauen denkend, das die Tochter mir gewährte, wandten die Eltern, welche diese Verbindung wünschten, sich an mich. Ich sollte Amanda bestimmen, dem Verlangen ihrer Eltern nachzugeben, und ich beschloß, da ich selbst den Mann hoch schätzte, der das Fräulein zur Frau begehrte, die schwere Pflicht, die man mir auferlegte, als erste Buße über mich zu nehmen. Ich betete auf meinen Knieen um die Kraft der Selbstbeherrschung, und Gott schenkte sie mir. Ich bezwang mein Herz, ich konnte Amanda sagen, was man von ihr verlangte und was zu Gunsten ihres Bewerbers sprach. Ich rieth ihr, dem Wunsche ihrer Eltern nachzukommen; ich rieth ihr, den Weg zu gehen, auf den die Vorsehung sie führen zu wollen schien.

Sie hörte mich an, still aber entsetzt, als spräche ich eine Gotteslästerung aus. Ihre Augen füllten sich mit Thränen, und die Hände vor der Brust faltend, fragte sie mich mit strafendem Tone: Das verlangen Sie, grade Sie von mir? Das wagen Sie mir als Tugend, als Pflichterfüllung vorzuzeichnen? Und als ich verwirrt und sprachlos vor ihr stand, hob sie ihre gefalteten Hände gegen mich empor und fragte schluchzend: Giebt es denn keinen Ausweg aus dem unheilvollen Labyrinthe, keinen Ausweg als den Meineid, an dem der Mensch zeitlich und ewig zu Grunde gehen muß?

Und wieder schwieg der Caplan. Angelika reichte ihm die Hand; er drückte sie ihr leise und fuhr dann fort: Der Stunde folgte eine Zeit voll schwerer Verblendung, voll großer Noth, voll tiefer Verwirrung. Als Selbstüberwinder, wenn auch herzzerrissen, gingen wir beide daraus hervor. Ich verließ das Haus, Amanda verlangte in ein Kloster einzutreten. Die Zärtlichkeit der Eltern, die Vorsicht des Arztes wollten davon nicht hören, denn ihr Körper war dem Seelenleiden nicht gewachsen; sie verzehrte sich in ihrem Schmerze. – Niemand wußte, was ihr fehle; wir hatten einander ewige Trennung und ewiges Schweigen gelobt. Ich hörte nichts von ihr, als in den seltenen Fällen, in denen Baron Franz mir schrieb und ihrer Erwähnung that. Aber er lebte damals nicht im Vaterhause und hatte auch nur brieflich Nachricht von der Schwester.

Drei Jahre waren so hingegangen, fuhr der Caplan fort; ich kehrte von einer Missionsreise aus dem Innern von Südamerika zurück, als ich von Amanda’s Vater die Anfrage erhielt, ob ich mich entschließen könne, seine Frau und Tochter auf einer Reise zu begleiten. Ein furchtbarer Schrecken kam über mich. Ich wußte, wie es stand, da Amanda mich zu sich rief. Ich fuhr Tag und Nacht. Es war früher Morgen, als ich in dem Schlosse eintraf. Alles schlief. Ich befand mich wieder in ihrer Nähe; ich wagte nicht, nach ihr zu fragen. Als man sich im Hause erhoben hatte, ließ die Baronin mich rufen. Ihre ersten Worte bestätigten mir, was ich bereits wußte. Sie werden mein armes Kind verändert finden, sehr verändert, sagte die Baronin, indeß Gott ist ja allmächtig und kann Wunder thun! Die Aerzte vertrösten uns auf die Luft des Südens. Meine Tochter theilt unsere Hoffnungen für ihre Genesung nicht, aber sie wünschte Ihre belehrende Begleitung, und wir waren sicher, daß Sie uns nicht fehlen würden, da wir Ihrer nöthig hatten.

Eine Stunde später führte man mich zu Amanda. Welch ein Wiedersehen war das! – Die Reise wurde nach wenig Tagen angetreten. Noch vor dem Beginne des Herbstes erreichten wir Italien, ließen wir uns in Venedig nieder. Ich war immer bei ihr. Niemand wehrte es uns. Sie war freien Geistes, sie fing an, wieder Muth zu fassen, und es schien eine Weile, als kehre das schwindende Leben wirklich noch einmal in sie zurück, als könne das Leiden sich noch besiegen lassen. Aber diese Hoffnung, schwach wie sie war, stürzte meine Seele in den alten Kampf zurück. Die Angst, die Verzweiflung, welche mich bei dem Gedanken an ihren nahen Tod erfüllt hatten, die auftauchende Möglichkeit, sie gerettet zu sehen, die Frage, was dann aus uns werden solle, machten mich fast sinnlos. Meiner selbst nicht mächtig, brach ich das Gelöbniß des Schweigens, das ich ihr einst gegeben hatte, und bekannte ihr, daß es mir nicht möglich sei, in ihrer Nähe zu weilen, ohne zurückzufallen in die sündhafte Verwirrung, der ich mich einst kaum zu entziehen vermocht hatte.

Er fuhr sich mit den Händen über die Augen. Dann seufzte er und sagte: Sie hielt eine weiße Rose in ihrer Hand in jener Stunde. Die Rose sank entblättert zur Erde nieder, als ich, vernichtet von Amanden’s Thränen, um Vergebung flehend, ihre Hand ergriff. Amanda sah trauernd auf mich hin und schwieg, aber sie blieb ruhig und thränenlos. Sie hätten der Rose die paar armen Lebensstunden nicht zerstören sollen! sagte sie dann endlich. Denken Sie an diese Rose, wenn ich nicht mehr sein werde – und das wird nicht lange auf sich warten lassen!

Sie hatte in den letzten Wochen nicht mehr von ihrem Tode gesprochen, ich beschwor sie, diese düstern Vorstellungen zu verbannen; sie wollte nicht, daß ich dieselben düster nannte.

Der Tod ist für uns kein Leid, er ist ein Engel des Friedens für uns, der uns Erlösung bringt! sprach sie. Sie müssen mit mir den Himmel dafür danken, daß er mich bald abberufen wird. Wir haben schöne, schöne Tage hier miteinander gelebt, wir werden uns einst rein und geläutert wiedersehen, um unzertrennlich bei einander zu bleiben. Die Spanne Zeit, die noch dazwischen liegt, was ist sie neben der Ewigkeit, die uns erwartet?

Mein Sinn war verdüstert, meine Leidenschaft band mich an die Erde, ich konnte mich zu ihrer Entsagung nicht erheben. Ich konnte meinem Schmerze, meinen Thränen nicht gebieten, ich weinte bitterlich. Sie sah mich lange an. Weinen Sie nicht, sagte sie, ich werde Sie nicht verlassen, ich werde immer bei Ihnen sein, mein Freund!

Was hilft mir das, wenn ich Sie nicht sehe! rief ich in der Wildheit meines Herzens.

Oh! versetzte sie, und ihr Ton klang mild wie keines andern Menschen Stimme, Sie sollen mich auch sehen, wenn Gott es zuläßt, daß wir den Lebenden erscheinen. Heiligen Sie Ihr Leben! Leben Sie es im Dienste Gottes und vergessen Sie der weißen Rose nicht! Sie soll Ihnen ewig eine Mahnung an die menschliche Schwachheit und ein Zeichen meiner Nähe sein. Sind Sie das zufrieden?

Ich hatte keine Antwort, als meinen stummen Schmerz. Sie ließ mich versprechen, daß ich ihr die Augen schließen und täglich für sie beten, daß ich ihre Mutter nicht verlassen, daß ich über ihren Bruder wachen und ihm ein Bruder bleiben wolle. Sie trug mir auf, ihre Asche nach Richten zu schaffen und weiße Rosen pflanzen zu lassen vor der Thüre der Familien-Gruft.

Von der Stunde ab war ich Herr geworden über mich für alle Zeit, sagte der Erschütterte mit Ergebung.

Im Frühjahr neigte sich ihr Leben zur Ruhe. Der Mai war zu Ende, als sie starb. Ihr Wille geschah. Wir brachten ihr Sterbliches nach der Heimath, ich habe die Rosenbüsche selbst gepflanzt, ich habe auch ihrer Mutter das Auge geschlossen und bin ein Hüter des Grabes geworden, das sie deckt. All mein Wünschen war am Ende, und der Ehrgeiz, das Verlangen nach weltlichem Ansehen und nach weltlicher Macht, die mich sonst zuweilen beseelt, waren damit für immer in mir erloschen. An dem Orte zu weilen, wo sie gelebt hatte, zu wirken, wo ihre Milde gewaltet, das war Alles, was ich begehrte; und mit inbrünstigem Verlangen, mit täglichem Gebet erwartete ich es, ob sie mir kein Zeichen geben würde. – So kam der Jahrestag ihres Todes heran. Ich hatte an seinem Vorabende lange im Gebet gewacht; am Morgen eingeschlummert, weckt mich ein Klopfen an der Thüre. Ich rufe herein, ein Knabe aus dem Dorfe kommt in mein Zimmer, und das Erste, was ich erblicke, ist ein Strauß von weißen Rosen, der mir in seiner Hand entgegenwinkt.

Er schwieg, von seiner Empfindung überwältigt, und blieb lange in seinen Erinnerungen versunken. Dann richtete er sich empor und sagte mit sanfter Rührung: die weiße Rose hat mich seitdem durch mein ganzes Leben begleitet. Im Wachen und im Traume ist sie mir plötzlich entgegengebracht worden, wenn mein Sinn verdüstert war. Sie hat mich ermahnt und erhoben, und es wird sich ja wohl Jemand finden, sie auch mir einst auf den Sarg zu legen und sie auch auf mein Grab zu pflanzen.

Er erhob sich und trat an den Kamin, die Lichter zurecht zu rücken. Mit feuchtem Auge, unfähig, den Empfindungen, die sie bewegten, Worte zu leihen, sah Angelika ihm nach. Sie hatte in den ernsten, stillen Zügen des Caplans diese Vergangenheit nie gelesen; sie wußte jetzt, was ihn an der Arten’schen Familie festgehalten, was ihn bewogen hatte, in Richten zu bleiben, ihn, dem eine größere Wirksamkeit nicht hätte fehlen können, wäre er gegangen, sie auf weiterem Felde zu suchen.

Von einer Vorstellung zu der anderen, von einem Gedanken zu dem anderen schreitend, fragte sie nach langem Schweigen plötzlich: Und wer war der Knabe, woher brachte er Ihnen jene ersten weißen Rosen?

Er war der Sohn einer Witwe, den Fräulein Esther aus der Taufe gehoben hatte und den ich auf ihren Wunsch in einer gewissen Aufsicht hielt.

So war es Fräulein Esther, welche ihnen jene Rosen sendete?

Durchaus nicht! Die Mutter des Knaben, die ich in einer Krankheit hier und da besucht, schickte sie mir als Erstlinge des Jahres.

Und wieder schwieg die Baronin eine Weile; dann sagte sie: Sie erwähnten der Tante Esther, haben Sie dieselbe näher gekannt?

Ja, versetzte der Caplan. Sie hatte für ihre Nichte die größte Zärtlichkeit, und Amanda hing an ihr mehr noch als an der eigenen Mutter. Auch war sie die Einzige, welcher Amanda, ohne daß ich’s ahnte, in früher Zeit ihr Geheimniß anvertraut hatte, und fest und treu hat sie es ihr bewahrt.

So wußte Tante Esther also auch von der Verheißung der weißen Rose?

Sie hat nie davon gehört! versicherte der Caplan; ich selbst habe mich davon überzeugt.

Angelika war betroffen. Sie hatte noch während der Erzählung des Caplans mehrmals nach dem Kästchen geblickt, das sie bei seinem Eintreten in der Hand gehabt. Jetzt nahm sie es hervor, schloß es auf, und dem Caplan den Rosenkranz hinreichend, den sie in der Vase in Esther’s Zimmer gefunden hatte, fragte sie ihn, ob er denselben vielleicht jemals bei der Tante gesehen habe.

Gott im Himmel, und grade heute! Heute grade, da die Geschichte jener Tage zum ersten Mal über meine Lippen kommt! Heute muß ich dieses Pfand in meinen Händen halten! rief der Caplan und blickte mit Rührung auf die Perlen nieder.

Die Baronin wiederholte die Frage. Sie wollte wissen, von wem die Gegenstände stammten, sie zeigte das Crucifix und das Gebetbuch vor; der Caplan betrachtete beides lange und still.

Daß die Sachen uns so überleben! sagte er nach einer Weile. Amanda hatte das Gebetbuch mit Rosenkranz und Crucifix von einem der armenischen Mönche auf San Lazzaro bei Venedig zum Geschenk erhalten. Sie fand eine große Erhebung in dem Gedanken, daß schon seit Hunderten von Jahren gläubige Herzen ihr Gebet daran geknüpft, und sie starb mit diesem Rosenkranze in der Hand, mit diesem Crucifix auf ihrer Brust. Die Worte in dem Buche hat sie selbst geschrieben mit letzter Kraft und bebender Hand, als sie mir auftrug, Alles dies nach ihrem Tode ihrer Tante zu senden. Ich würde, hätte ich’s nicht mit angesehen, ihre klare, feine Schrift sonst nicht in diesen schwankenden Zügen wieder zu erkennen vermögen. – Er hielt das Buch lange in seiner Hand. Dann legte er es nieder und sagte gedankenvoll: Und grade Sie, Frau Baronin, mußten diese Heiligthümer finden! Grade heute mußte ich dieselben wiedersehen! – O, wie können Sie zweifeln, daß Gott denen, die er seiner Gnade würdigt, wundervolle Zeichen schickt?

Er sprach nicht weiter, die Baronin fragte nicht weiter. Aber sie löste den kleinen Ring von dem Rosenkranze ab und steckte ihn an ihre Hand, die sie dem Caplan reichte. Denken Sie, mein Freund, sagte sie, wenn Sie dieses Zeichen an meiner Hand erblicken, daß zwei edle Herzen, daß Amanda und Esther mir es zugewendet, daß sie mich Ihrer Gunst damit empfohlen haben, und stehen Sie mir bei, wenn ich einmal – sie sprach die Worte mit tiefer Erschütterung –, wie jene geprüften und bewährten Seelen, einen Stab brauche, mich darauf zu stützen, und ein Licht, mir zu leuchten durch das Dunkel!

Ja, das will ich, versetzte der Caplan; aber Sie bedürfen meiner nicht. Wer ihn suchet, den Erlöser, der findet ihn; wer nach seinem Lichte ruft, dem erhellt er den Pfad. Er hat Sie bereits zu sich gerufen; geben Sie sich ihm zu eigen, und sein Friede wird über Sie kommen hier und dort.

Er legte seine Hände segnend auf ihr Haupt und ließ sie zurück in stillem, eifrigem Gebet.