Fürstin Johanna

Rottenburg hat die Fürstin Bismarck sehr hoch geschätzt. „Sie besaß,“ meinte er, „diejenigen Eigenschaften, welche die Frau eines großen Staatsmannes besitzen sollte. Durch ihren köstlichen Humor und ihr musikalisches Talent wusste sie die Gedanken ihres Gatten, wenn es Not tat, für einige Zeit von der Politik abzuwenden. Stark in ihrer Liebe, konnte sie aber auch energisch hassen. Gegnerschaft gegen den Fürsten war in ihren Augen eine Sünde, für die keine Vergebung existierte.“

Im Sommer 1875 hatte die „Kreuzzeitung“ Bismarcks, Camphausen und Delbrück vorgeworfen, sie hätten sich an Gründerspekulationen beteiligt. Am 9. Februar 1876 aufwerte denn Bismarck im Reichstag, er betrachte jeden, der die „Kreuz-Zeitung“ halte, indirekt an den Verleumdungen beteiligt, die dieses Blatt gegen die höchsten Beamten des Reiches gerichtet, worauf eine Anzahl streng konservativer Männer durch eine Erklärung in der „Kreuzzeitung“ gegen Bismarcks Ausspruch Protest einlegte. „Diese sogenannten Deklaranten“ („Kreuzzeitungs“-Deklaranten), erzählte Rottenburg, „waren der Fürstin aufs tiefste verhasst. Die Liste derselben führte sie immer bei sich, und jeden Besuch eines Deklaranten wies sie unbedingt ab.“


Bismarck hatte, als er um Johanna freite, richtig geahnt, welch eine Helferin sie ihm durchs Leben sein würde. Ihr scheint er auch ein Stück Überzeugung geopfert zu haben. „In seiner Jugend war er,“ erzählte Rottenburg, „was seine religiöse Gesinnung anbelangt, sehr freisinnig, und dies machte ihm auch sein Schwiegervater zum Vorwurfe, als Bismarck bei dem altgläubigen Herrn um dessen Tochter warb. Bismarck suchte sich damals dem alten Puttkamer gegenüber zu rechtfertigen, und wenn er in späteren Jahren darauf zurückkam, so meinte der Fürst, er hätte sich geändert, er wäre positiver geworden. Hat er doch auch in seiner Jugend eine Epoche durchgemacht, in der er, wie er sich ausdrückte, für Tyrannenmörder wie Harmochus und Aristogeiton schwärmte.“

„Der erste Anlass, der mich in eine andere Richtung brachte,“ bemerkte der Fürst Rottenburg gegenüber, „war ästhetischer Natur. Ich fand, dass die Freiheitsschwärmer meistens ihr Äußeres in einer mein Gefühl beleidigenden Weise vernachlässigten; sie hatten fast alle unsaubere Nägel und trugen Wäsche von zweifelhaftem Aussehen.“

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Der Fürst selbst war kein Dandy, hielt aber auf sein Äußeres. Rottenburg bemerkte darüber: „In Berlin trug er ausschließlich Uniform, auf dem Lande fast immer einen Zivilrock mit zwei Seitentaschen. Nur einmal sah ich ihn in Frack und Zylinder. Es war, als der Fürst 1885 in Gastein zu Tische bei Kaiser Franz Josef war. Aber Frack und Zylinder passten nicht recht zu der Reckengestalt.“

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„Irgend jemand,“ erzählte Rottenburg weiter, „hat mir einmal gesagt, König Ludwig II. von Bayern wäre, obwohl er Bismarck hoch verehrte, einem Zusammentreffen mit ihm stets aus dem Wege gegangen, aus Besorgnis, das Bild, das er sich von dem Fürsten gemacht hätte, das Bild eines Siegfried, könnte mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen.“

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Auf die Frage, ob Bismarck die deutsche Einheit wirklich für durchaus vollendet gehalten habe, als er das deutsche Kaisertum in Versailles errichtet sah, erwiderte Rottenburg: „Darin mögen Sie nicht den allergeringsten Zweifel setzen. Freilich beschlich ihn zuweilen die Furcht, das große Werk könnte in Trümmer gehen — durch die Schuld des deutschen Volkes. Aber an eine weitere Ausdehnung des Reiches hat er nie gedacht.“

„Und der Fürst soll es nie bereut haben, in Nikolsburg auf jeden Landerwerb in Österreich verzichtet und seine maßvollen Ansprüche dem König Wilhelm gegenüber durchgesetzt zu haben?“

Darauf entgegnete Rottenburg: „Ich wiederhole es: Bismarck hielt die deutsche Einheit räumlich für fertig. Als ihm in der feindlichen Presse Absichten auf Holland unterstellt wurden, lachte er nur über diese törichte Annahme, trotzdem ihm Holland mit Rücksicht auf den Zugang zum Meere noch immer viel wichtiger hätte erscheinen müssen, als irgendeine Abrundung deutschen Gebiets nach österreichischer Seite hin.“

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Im Zusammenhang mit der Mission, die Bismarck in Deutschland erfüllt hat, sprachen wir über die Rolle des Heros in der Geschichte, und Rottenburg meinte, es wäre schwer, genau zu bestimmen, zu welchem Prozentsatz einerseits das Genie und einzelne Persönlichkeiten und andererseits die Verhältnisse bei der Einigung Deutschlands mitgewirkt hätten. Jedenfalls aber wäre das Verdienst Bismarcks so groß, dass alle nachgeborenen Geschlechter den Dank nicht abzutragen vermöchten, den sie ihm schuldeten.

„Es mag sein,“ schloss Rottenburg, „dass die Frucht sich bereits im Stadium der Reife befand; aber sie hätte auch auf dem Baum verfaulen können, wenn sie nicht rechtzeitig gepflückt worden wäre.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Bismarck bis Bülow