Fürst Herbert v. Bismarck

Fürst Herbert Bismarck hat ein Alter von nur 55 Jahren erreicht, während sein großer Vater 83 Jahre alt wurde.

Ein Menschenalter hindurch konnte er dem Vater, aus dessen Nähe er sich nur selten entfernte, verständnisvoll seinen Arbeiten folgend, zur Seite sein, und niemand wußte darum über den Kanzler besser Bescheid, als sein Sohn, der auch sein Schüler war.


Der Vater hatte stets den Persönlichsten Anteil an der Erziehung der Söhne genommen*). Alle Samstage prüfte er die Hefte Herberts und Wilhelms, zwischen denen ein Altersunterschied von zwei Jahren bestand. Beide besuchten das Friedrich-Werdersche Gymnasium in Berlin, dessen Direktor der alte Bonnell war, unter dem noch Bismarck der Vater studiert hatte. Am 3. März 1869 bestanden die beiden Brüder das Abiturienten-Examen. Es gab im Hause des Bundeskanzlers ein Mahl zu Ehren der siegreich Geprüften, dem auch Direktor Bonnell anwohnte. Dieser toastierte auf die Familie des Kanzlers. Wilhelm stieß mit dem Direktor mit den Worten des Horaz an: „Portes creantur fortibus“ (die Starken werden durch Starke erzeugt), worauf Bonnell bemerkte: „Doctrina sed vim promovet insitam“ (aber Gelehrsamkeit fordert die angeborene Kraft). Darauf äußerte Vater Bismarck: „Mit der Doctrina wird es bei dem Wilhelm nicht viel werden, obgleich ich wünschte, dass er studierte. Wenigstens sollen beide ein Jahr die Universität besuchen und dann können sie sehen, was sie aus sich machen.“

*) Vgl. Poschinger, Bismarck-Portefeuille.

Herbert und Wilhelm nahmen beide an dem 1870er Kriege teil. So stand denn die ganze Familie Bismarck im Felde. Herbert verzeichnete seine Erlebnisse in sein Kriegstagebuch. Dem Vater, dem Kanzler, bangte es nicht wenig für das Leben seiner Söhne. Gab es doch gar einen Augenblick, in welchem er den einen tot glaubte. Am Morgen des 17. August hatte er hinter sich einen Offizier über die Verluste des früheren Tages, an dem die Schlacht bei Mars-la-Tour stattgefunden, sprechen gehört. Der Offizier sagte: „Von den Gardedragonern über die Hälfte aufgerieben. Fast alle Offiziere tot oder verwundet. Auch der eine Bismarck tot, der andere schwer verwundet.“ Der Kanzler erschrak, machte aber bald ausfindig, dass Wilhelm unversehrt geblieben und Herbert zwar verwundet worden, doch nicht in Lebensgefahr schwebte. Von Pont-à-Mousson aus machte sich der Kanzler auf die Suche nach dem verwundeten Sohne, der auf der Ferme Mariaville krank daniederlag. Dort hatte man den Verwundeten in einem kleinen, von lauter Kranken angefüllten Raume auf Stroh gebettet. Dicht neben ihm lag tödlich verwundet Oberst Auerswald. Leife (löhnte dieser, als er des Grafen Herbert ansichtig wurde: „Ach, Bismarck, Sie auch. Mein armes Regiment! Mit mir geht's zu Ende!“ Es war eine qualvolle Nacht. Graf Herbert phantasierte im Wundfieber. Rechts von ihm lag der Reserveleutnant Eckert, der sich bei der großen Kavallerie-Attacke ein Bein gebrochen hatte. Herbert schrieb dann in sein Tagebuch: „Bei Morgengrauen fand ich Eckerts kurzgeschorenen Kopf unter meiner rechten Hand, und es kam mir zum Bewußtsein, dass ich in meinen Fieberträumen vielfach über seine Haare hin- und hergefahren war. Er bestätigte dies mit freundlichem Lächeln und meinte auf meine Entschuldigung, dass es ihm die Eintönigkeit der Nacht vertrieben habe. Bald darauf erschien zu meiner Freude mein Bruder. Er versorgte uns reichlich mit Wasser, indem er selbst einige Eimer hinauftrug. Das Fieber ließ nach, und ich fühlte mich verhältnismäßig wohl, als mein Vater in unser kleines Zimmer trat . . . Mein Vater hatte mich kaum begrüßt, als der aufgeregte dirigierende Oberstabsarzt Diës sich ihm entgegenstürzte, ihn bei der Hand ergriff und in einen Schwall von Worten ausbrach, die Bismarck und die letzten Ereignisse preisen sollten. Mein Vater schüttelte sich den Mann mit Mühe ab, um mit mir zu reden, und versprach mir für den nächsten Tag einen Wagen, welcher mich nach Pont-à-Mousson in sein Haus bringen sollte. Er hatte noch einen Austritt mit dem aufgeregten Arzt. Die Verwundeten hatten ihm über Nahrungsmangel geklagt, worauf Diës bedauernd bemerkte, es wären keine Vorräte da. Als mein Vater auf das zahlreiche, den Hof füllende Geflügel hinwies, rief er aus: „Das ist fremdes Eigentum! Wir sind hier nur im Gastrecht, und aller fremde Besitz muss uns heilig sein.“ Mein Vater erwiderte: „Nun ist es doch einmal gut, dass ich General bin. Als solcher befehle ich Ihnen, sofort alles Gestügel schlachten zu lassen, das Verwendung finden kann.“ Mit einem tiefen Seufzer fügte Diës sich diesem Befehle.

Ruhmbeladen kehrte der Kanzler, mit ihm aber auch der Sohn, der tapfer gefochten, aus dem Kriege heim.

Bald sehen wir den Grafen Herbert in der politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes tätig. Er war der Amanuensis und Sekretär des Vaters und so der eigentliche Mitwisser und Mitverwalter der Geheimnisse des Kanzlers.

Mittlerweile war er Staatssekretär des Äußern geworden. Als Crispi im Oktober 1887 in Friedrichsruh weilte, äußerte er bei Tisch, es wäre wohl einzig in der Geschichte, dass Vater und Sohn an der Spitze der Diplomatie eines Staates stünden, wie in dem Falle des Fürsten Bismarck und des Grafen Herbert. „Keineswegs,“ erwiderte der Kanzler. „Exzellenz wollen nur an den älteren und den jüngeren Pitt denken.“ — „Ja, das war doch etwas anderes,“ meinte Crispi. — „Nun,“ wendete der Fürst ein, „eine Ähnlichkeit hatten sie doch in ihrem staatsmännischen Wirken mit uns. Sie mussten immer auf der Wacht gegen Frankreich sein.“

Der Kanzler dachte nicht gering über seinen Sohn. Davon zeugt folgendes Friedrichsruher Begebnis: Eben hatte man sich zu Tische gesetzt. Die Suppe stand bereit, als ein Telegramm aus Berlin anlangte. Der Fürst erhob sich, nachdem er es geöffnet hatte. Als einer der Gäste ihm zuredete, doch nicht die Suppe kalt werden zu lassen, entgegnete der Fürst halb ernst, halb scherzhaft: „Um Gottes willen nicht — das Telegramm ist von Herbert, und wenn ich den warten lasse, schickt er mir sofort ein zweites dringendes Telegramm. In seinen Arbeiten liebt er keine Verzögerung, und das ist gut so. Hätte ich in meiner Jugend nur halb so fleißig gearbeitet wie mein filius, dann wäre aus mir vielleicht noch etwas ganz anderes geworden.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Bismarck bis Bülow