Erste Fortsetzung
Wie unsere Leser schon oben gesehen, musste zur Herstellung des Gleichgewichts ein Betrag von 46 ½ Mill. in außerordentlicher Weise durch innere und äußere Anleihe beschafft werden. Von den 401 Mill. der Gesamtausgabe nehmen die Staatsschulden etwas mehr als den siebenten Teil, nämlich 59 2/3 Mill. (2 1/5 Mill. mehr als im Vorjahre) in Beschlag, allerdings ein günstiger Sachverhalt im Verhältnis zu anderen Staaten (Österreich, England und Frankreich), wo die Rente ungefähr ein Drittel des Gesamtbudgets verzehrt; leider wird dieser günstige Umstand nur zu sehr durch das Vorhandensein einer unverzinslichen aber desto lästigeren Schuld von nahezu 700 Mill. Assignaten aufgewogen. Unser Militärbudget hingegen hält mit jenen andern Staaten bedauernswerten Gleichschritt und ist ihnen auch darin ähnlich, dass zu einem schon hochhinaufgetriebenen ordinären Etat auch ein extraordinärer kommt; wie denn überhaupt zu bemerken ist, dass in ihren Ausgaben die größeren Staaten sozusagen von einander abhängen und sich sogar einer gewissen Rivalität befleißen. So ist denn auch unser Militärbudget von 115 ½ Mill. im Vorjahre auf 120 Mill. im Jahre 1864 angewachsen, ebenso das Marinebudget von 18 Mill. auf 21 2/3 Mill.; wozu noch an außerordentlichen Ausgaben 32 1/2 Mill. für die Armee und 4 9/10 Mill. für die Flotte kommen, so dass im Ganzen 179 Mill. d. h. über die Hälfte der gewöhnlichen Einnahmen für unproduktive Zwecke verausgabt wurden. Es ist nicht meine Absicht, hier auf das politische Terrain hinüber zu schweifen, gleichwohl muss gesagt werden, dass es der russischen Regierung während mehrerer Jahre (1856—1862), wo andere Staaten ihre Militärausgaben in die Höhe trieben, gegönnt war, ihrerseits Armee und Marine fortwährend nicht nur zu reformieren, sondern auch zu reduzieren. Erst der Polenaufstand 1863 und die auswärtigen Drohungen, die sich daran knüpften, veranlassten eine Abschweifung von diesem System. Drei Rekrutierungen in einem Jahre und die Einberufung von 300.000 Mann aus der Reserve mussten natürlich auch dem Finanzgleichgewicht einen harten Stoß versetzen, und wie schon oben ersichtlich, ist das Defizit von 46 ½ Mill. ausschließlich durch die Mehrausgaben im Militärwesen verursacht. Es zeigt wirklich von einer gesunden und nichts weniger als erschöpften Steuerkraft des Landes, wenn die vorjährigen Wirren und Besorgnisse sich nur durch Zunahme der Ausgaben und nicht auch durch Verminderung der Einnahmen manifestierten. Indes spricht auch der Herr Finanzminister am Schlusse seines Berichtes die Erwartung aus, dass es bald möglich sein dürfte, jene Mehrausgaben verschwinden zu lassen und die Finanzkräfte des Landes der Entwicklung friedlicher Zwecke zuzuwenden. Diese friedlichen Zwecke — wer kennt sie nicht? — sind in der Tat, wie in den meisten Budgets, so auch in dem russischen äußerst spärlich bedacht. Fügt man zu den bereits oben angeführten Ausgaben im Gesamtbetrage von nahezu 240 Mill. noch jene des Finanzministeriums (58 ½ Mill.) und der Domänen (9 1/10 Mill.) hinzu, so lässt sich leicht addieren, was noch für die Ministerien des Äußeren, des Innern, der Justiz, der Volksaufklärung, der öffentlichen Bauten, kurz für die sogenannten produktiven Ausgaben erübrigt. Und man wird dann nur zu sehr wünschen, die Hoffnung des Herrn Finanzministers möge sich gar bald realisieren lassen.
Nichtsdestoweniger zeigt das jüngste Budget und der Bericht des Herrn v. Reutern die Finanzlage Russlands in einem verhältnismäßig recht günstigen Lichte, und dies war auch allgemein der Eindruck, den jene Dokumente im Lande hervorbrachten. Nur Ein schwarzer Fleck haftet leider dieser ganzen Situation an: so lange wir Staatskreditbillete mit Zwangscours als Umlaufsmittel haben und so das Metallgeld aus dem Lande und jedenfalls aus der Zirkulation verdrängen, kann weder von einem geregelten Kreditwesen, noch von einer gesunden Finanzlage die Rede sein. Auf das, was in dieser Beziehung schon geschehen, und auf das, was nun getan werden muss, kann ich für heute wegen Mangel an Raum und Zeit nicht eingehen. Wir werden bald darauf zurückkommen, eben so wie auf die verschiedenen Projekte, die in dieser Angelegenheit vom In- und Auslande vorgebracht werden. Nur so viel sei gesagt, dass die Verständigeren über das Ziel nahezu einig sind, und dass die Utopisten sowohl, welche das Heil des Staates in der ununterbrochenen Ausgabe des Papiergeldes sehen, als auch die Pessimisten, die nur noch einen offenen oder verstellten Staatsbankerott durch definitive Verweigerung der Banknoteneinlösung gegen Metall für möglich halten, dass all Diese nunmehr in den Hintergrund treten, und die Erkenntnis sich mehr und mehr Bahn bricht, dass nicht nur die Ehre, sondern auch das Interesse des Staats eine Lösung der Bankfrage erheische, mittels deren der Staat all seinen Verpflichtungen bis ins Kleinste nachkomme, und dass diese Lösung auch die verhältnismäßig geringsten Opfer erfordere. Es soll dies demnächst ausführlich nachgewiesen werden.
Für heute möchte ich noch in Kürze einer liberalen Maßregel unserer Regierung gedenken, deren Erwähnung hier umsomehr am Platze ist, als jene Maßregel aller Wahrscheinlichkeit nach der Ausgangspunkt wichtigerer anderer Reformen auf ähnlichem Gebiete werden dürfte. Ich meine die Abschaffung der Ausfuhrzölle für die meisten bis jetzt damit belasteten Artikel. Das gänzliche Aufgeben derselben wäre freilich wünschenswerter gewesen, indes ist es bekanntlich ein Verdienst der volkswirtschaftlichen Schule, zu deren bescheidensten Jüngern auch Schreiber dieses zählt, dass sie jede Reform, auch die unvollständige, mit Dank hinnimmt und auf die Zeit und den Fortschritt der allgemeinen Erkenntnis rechnet, um die stehengebliebenen Missbräuche ohne Erschütterungen fallen zu sehen. Sie weiß ferner, dass den vorhandenen Interessen, selbst den missbräuchlich vorhandenen, eine gewisse Berücksichtigung, einige Schonung gebührt, und so absolut sie in der Theorie ist, indem sie das Beste und Vorzüglichste anstrebt, indem sie die Beseitigung aller Schranken wünscht, welche den inneren und den internationalen Handel hemmen, verkennt sie doch nicht die schwierige Lage der Regierungen, welche mit vorhandenen Interessen und Vorurteilen rechnen müssen. Mit diesen Beschränkungen, die wir allerdings lieber als nicht vorhanden ansehen wollten, wird wohl auch in russischen amtlichen Kreisen die „Denkschrift" aufgenommen werden, welche vor Kurzem der bleibende Ausschuss des deutschen Handelstages (Berlin, 1864), betreffend „den Abschluss eines Handels- und Zollvertrages zwischen dem deutschen Zollverein und Russland", veröffentlicht hat. Dieses hochwichtige Dokument fängt eben erst an, seinen Weg in Russland zu machen, nnd die Blätter beeilen sich, Auszüge aus demselben mitzuteilen.*) Wie nicht anders zu erwarten steht von einem Werke, an dem Deutschlands beste Ökonomisten und die meisten Handelskammern mitgearbeitet, erschöpft es die ganze Frage, welche der Titel andeutet, und gelangt schließlich zu dem unwiderleglichen Nachweise, dass nicht nur Deutschlands Interesse, sondern auch Russlands Wohl dringend eine Zollreform in letzterem Staate erheische und dass der vorgeschlagene Modus des Handelsvertrages mit dem Auslande nur darum gewählt wird, weil nach den Erfahrungen der letzten Jahre diese Prozedur bequemer und sicherer als jene der einseitigen Tarifänderungen ist. Mit diesen wenigen Worten wollte ich natürlich nicht ein so wichtiges Dokument wie die „Denkschrift" abgetan haben. Täuscht nicht Alles, so dürfte die Zollfrage bald eine der wichtigsten Tagesfragen werden, und dann werden wir wohl öfter Gelegenheit haben, darauf zurückzukommen Ebenso auf eine andere Frage von hochwichtiger volkswirtschaftlicher Bedeutung, auf die Bodenkreditfrage, bezüglich welcher in diesem Momente dem Reichsrate zwei Projekte vorliegen; das eine, rein national, von einheimischen Theoretikern und Grundbesitzern gebildet, dem jedenfalls das Verdienst der — Ausdauer zuerkannt werden muss, denn es wird bereits seit nahezu vier Jahren unter wechselnden Statutenformen in den verschiedenen Staatskanzleien beherbergt; das andere, viel jünger an Alter, aber von kräftigeren und geschickteren Händen poussiert, geht von inländischen Unternehmern und ausländischen Kapitalisten aus; zu letzteren gehören die vorzüglichsten Banketablissements in London. Mein nächster Brief schon dürfte die Sanktionierung des einen dieser Etablissements melden; übrigens steht nichts einer Koexistenz Beider im Wege.
Ant. E. Horn.
*) Unsere „Russische Revue" machte bereits im September v. J, auf die Bedeutung eines russisch-deutschen Handelsvertrages mit folgenden Worten aufmerksam: „Was könnte den Verkehr beider Nationen mehr fördern, mehr heben, als ein solcher Vertrag, der von jedem Vorurteilsfreien, jedem, der nicht in dem Rost des ausdörrenden Perhibitivsystems, in der gedankenlosen Faulheit, die unter dem Schutzzoll sich ausbreitet, ganz und gar untergegangen ist, kurz, der von jedem liberalen Sinne mit Freuden begrüßt werden möchte!"
D. Red.
Nichtsdestoweniger zeigt das jüngste Budget und der Bericht des Herrn v. Reutern die Finanzlage Russlands in einem verhältnismäßig recht günstigen Lichte, und dies war auch allgemein der Eindruck, den jene Dokumente im Lande hervorbrachten. Nur Ein schwarzer Fleck haftet leider dieser ganzen Situation an: so lange wir Staatskreditbillete mit Zwangscours als Umlaufsmittel haben und so das Metallgeld aus dem Lande und jedenfalls aus der Zirkulation verdrängen, kann weder von einem geregelten Kreditwesen, noch von einer gesunden Finanzlage die Rede sein. Auf das, was in dieser Beziehung schon geschehen, und auf das, was nun getan werden muss, kann ich für heute wegen Mangel an Raum und Zeit nicht eingehen. Wir werden bald darauf zurückkommen, eben so wie auf die verschiedenen Projekte, die in dieser Angelegenheit vom In- und Auslande vorgebracht werden. Nur so viel sei gesagt, dass die Verständigeren über das Ziel nahezu einig sind, und dass die Utopisten sowohl, welche das Heil des Staates in der ununterbrochenen Ausgabe des Papiergeldes sehen, als auch die Pessimisten, die nur noch einen offenen oder verstellten Staatsbankerott durch definitive Verweigerung der Banknoteneinlösung gegen Metall für möglich halten, dass all Diese nunmehr in den Hintergrund treten, und die Erkenntnis sich mehr und mehr Bahn bricht, dass nicht nur die Ehre, sondern auch das Interesse des Staats eine Lösung der Bankfrage erheische, mittels deren der Staat all seinen Verpflichtungen bis ins Kleinste nachkomme, und dass diese Lösung auch die verhältnismäßig geringsten Opfer erfordere. Es soll dies demnächst ausführlich nachgewiesen werden.
Für heute möchte ich noch in Kürze einer liberalen Maßregel unserer Regierung gedenken, deren Erwähnung hier umsomehr am Platze ist, als jene Maßregel aller Wahrscheinlichkeit nach der Ausgangspunkt wichtigerer anderer Reformen auf ähnlichem Gebiete werden dürfte. Ich meine die Abschaffung der Ausfuhrzölle für die meisten bis jetzt damit belasteten Artikel. Das gänzliche Aufgeben derselben wäre freilich wünschenswerter gewesen, indes ist es bekanntlich ein Verdienst der volkswirtschaftlichen Schule, zu deren bescheidensten Jüngern auch Schreiber dieses zählt, dass sie jede Reform, auch die unvollständige, mit Dank hinnimmt und auf die Zeit und den Fortschritt der allgemeinen Erkenntnis rechnet, um die stehengebliebenen Missbräuche ohne Erschütterungen fallen zu sehen. Sie weiß ferner, dass den vorhandenen Interessen, selbst den missbräuchlich vorhandenen, eine gewisse Berücksichtigung, einige Schonung gebührt, und so absolut sie in der Theorie ist, indem sie das Beste und Vorzüglichste anstrebt, indem sie die Beseitigung aller Schranken wünscht, welche den inneren und den internationalen Handel hemmen, verkennt sie doch nicht die schwierige Lage der Regierungen, welche mit vorhandenen Interessen und Vorurteilen rechnen müssen. Mit diesen Beschränkungen, die wir allerdings lieber als nicht vorhanden ansehen wollten, wird wohl auch in russischen amtlichen Kreisen die „Denkschrift" aufgenommen werden, welche vor Kurzem der bleibende Ausschuss des deutschen Handelstages (Berlin, 1864), betreffend „den Abschluss eines Handels- und Zollvertrages zwischen dem deutschen Zollverein und Russland", veröffentlicht hat. Dieses hochwichtige Dokument fängt eben erst an, seinen Weg in Russland zu machen, nnd die Blätter beeilen sich, Auszüge aus demselben mitzuteilen.*) Wie nicht anders zu erwarten steht von einem Werke, an dem Deutschlands beste Ökonomisten und die meisten Handelskammern mitgearbeitet, erschöpft es die ganze Frage, welche der Titel andeutet, und gelangt schließlich zu dem unwiderleglichen Nachweise, dass nicht nur Deutschlands Interesse, sondern auch Russlands Wohl dringend eine Zollreform in letzterem Staate erheische und dass der vorgeschlagene Modus des Handelsvertrages mit dem Auslande nur darum gewählt wird, weil nach den Erfahrungen der letzten Jahre diese Prozedur bequemer und sicherer als jene der einseitigen Tarifänderungen ist. Mit diesen wenigen Worten wollte ich natürlich nicht ein so wichtiges Dokument wie die „Denkschrift" abgetan haben. Täuscht nicht Alles, so dürfte die Zollfrage bald eine der wichtigsten Tagesfragen werden, und dann werden wir wohl öfter Gelegenheit haben, darauf zurückzukommen Ebenso auf eine andere Frage von hochwichtiger volkswirtschaftlicher Bedeutung, auf die Bodenkreditfrage, bezüglich welcher in diesem Momente dem Reichsrate zwei Projekte vorliegen; das eine, rein national, von einheimischen Theoretikern und Grundbesitzern gebildet, dem jedenfalls das Verdienst der — Ausdauer zuerkannt werden muss, denn es wird bereits seit nahezu vier Jahren unter wechselnden Statutenformen in den verschiedenen Staatskanzleien beherbergt; das andere, viel jünger an Alter, aber von kräftigeren und geschickteren Händen poussiert, geht von inländischen Unternehmern und ausländischen Kapitalisten aus; zu letzteren gehören die vorzüglichsten Banketablissements in London. Mein nächster Brief schon dürfte die Sanktionierung des einen dieser Etablissements melden; übrigens steht nichts einer Koexistenz Beider im Wege.
Ant. E. Horn.
*) Unsere „Russische Revue" machte bereits im September v. J, auf die Bedeutung eines russisch-deutschen Handelsvertrages mit folgenden Worten aufmerksam: „Was könnte den Verkehr beider Nationen mehr fördern, mehr heben, als ein solcher Vertrag, der von jedem Vorurteilsfreien, jedem, der nicht in dem Rost des ausdörrenden Perhibitivsystems, in der gedankenlosen Faulheit, die unter dem Schutzzoll sich ausbreitet, ganz und gar untergegangen ist, kurz, der von jedem liberalen Sinne mit Freuden begrüßt werden möchte!"
D. Red.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Volkswirtschaftliche Briefe aus Russland. Waag-Neustadt, 26. Juni 1864.