90. Der weiße Mann und der Bauer.

An dem Berg, worauf die verfallene Burg Schenkenzell liegt, weideten einst zwei Bauern mit einander ihre Ziegen. Da kam ein ganz weißer Mann zu ihnen und sagte zu dem einen, der allein ihn sah und hörte, er solle mit ihm gehen. Als derselbe folgte, wurde er auf die Burg an eine eiserne Bogenthüre geführt, die er zuvor nie gesehen hatte, und die sein Begleiter mit einem großen Schlüssel öffnete. Sie gingen hinein und kamen durch einen langen Gang und zwei andere eiserne Thüren, welche der weiße Mann auch mit dem Schlüssel aufschloß, zuletzt in ein Gewölbe, worin eine große Kiste stand. Nachdem der Bauer, auf seines Führers Begehren, deren Deckel zurückgeschlagen, hieß ihn der weiße Mann so viel von den Goldmünzen, womit sie angefüllt war, nehmen, als er fortzubringen im Stande wäre. Er aber nahm weit weniger, und da ihn sein Begleiter, als sie wieder im Freien waren, deßhalb fragte, antwortete er, er wolle schon wieder holen, wenn das, was er mitgenommen, verbraucht sei. Da sagte jener, dies könne nicht geschehen, und weil er ihm es erst jetzt eröffnen dürfe, habe er ihn vorhin so viel mitnehmen heißen, als er fortzubringen vermöge. Hierauf verschwand der weiße Mann; die Thüre war ebenfalls nicht mehr zu sehen und ist auch bisher nicht wieder wahrgenommen worden. Von den Goldmünzen, die dünn und so groß wie Sechsbätzner sind, befinden sich noch heute elf Stück im Flecken Schenkenzell, woselbst auch der andere Bauer, der den weißen Mann nicht hat sehen und hören können, noch lebt und beinahe hundert Jahre alt ist.1)




1) So war es im Jahr 1836, wo diese Sage niedergeschrieben wurde.