Dritte Fortsetzung

Zwei wesentliche Übel brachte dieser Mangel dem Gelehrtenstande, er unterhielt dessen Ungeschick und begünstigte sein unselbstständiges Buhlen um die Gunst der Großen im In- oder Auslande. Während die Gelehrten Frankreichs und Englands schon in ihrer Muttersprache sich an ihre Landsleute wenden konnten, mussten die deutschen Gelehrten fortfahren Latein zu schreiben, weil im eigenen Lande die Teilnahme für ihre Studien zu gering war. Da ihr Wissen ihnen keine sorgenfreie Existenz schaffen konnte, mussten sie, falls sie ihre Wissenschaft nicht neben einträglicher Praxis als Liebhaberei treiben konnten, für den Unterhalt die Gunst der Großen zu erhaschen suchen. Das drückte ihrem Tun und Schreiben nicht selten den Stempel elenden Servilismus auf.

Unserer gesamten Volksbildung brachte dieser unerfreuliche Zustand den Schaden der französischen Ausländerei. Die geistige Öde und Kraftlosigkeit im Vaterlande lenkten unwillkürlich die Blicke nach dem Glanze, der von Frankreich herüber schien. Dort ward nicht nur das Wissen geehrt und gepflegt, auch die Kunst erlangte dort eine sonnige Höhe, und Beides diente dazu in Üppigkeit den Genuss des Lebens zu bereichern. Kein Wunder daher, dass die Vornehmen und Reichen von dem Schein dieser aufgegangenen Sonne angezogen wurden. Mit dem Firnis dieses scheinigen Franzosentums übertüncht kehrten sie dann in ihre dürftigere Heimat wieder heim, wünschend auch dieser möglichst Vieles von dem Flittergold anzuheften. Die Wahl französischer Hofmeister zur Erziehung der Kinder wurde bei Vornehmen und Wohlhabenden Sitte. Seinen Anspruch auf Bildung begründete man in der Welt durch Gewandtheit im Gebrauch der französischen Sprache und französischen Galanterie. Leibnitz hatte wohl mit Recht bemerkt, „dass einige Beimischung des Fremden den deutschen Ernst mildern und der Nation mehr Zierlichkeit geben konnte"; aber nur zu bald holte man von diesem ausländischen Überguss mehr als wünschenswert. Nach dieser Erfahrung sprach Leibnitz in einem an die Kurfürstin Charlotte gerichteten und doch französisch geschriebenen Projekt der Erziehung eines Prinzen lebhaft gegen den „Wahnsinn unserer Nation, die Weisheit jenseits des Rheins oder der Alpen holen zu wollen, und auf Kosten unserer Habe und Gesundheit Chimären zu kaufen, welche den Geist nur auf Bagatellen wenden". Vergeblich blieb einstweilen diese von den Verständigen aller Stände unterstützte Klage. Zu dem lateinischen Übel unserer Volksbildung war nun auch noch das französische Übel gekommen, zu der gelehrten Pedanterie noch die französische Galanterie. Die vornehmeren und gebildeteren Stände hatten dadurch ein neues Mittel zur Absonderung vom übrigen Volke erhalten. —


Unsere zu Anfang des 17. Jahrhunderts entstandenen deutsch übenden Gesellschaften und die Dichter der schleichen Schule bemühten sich zwar in diesem Strome die Pflege des Deutschen oben zu halten; aber der bildende Einfluss dieser poetisch inhaltsarmen Verskunst konnte unmöglich groß sein. Leibnitz hatte sicher Recht, wenn er in einer Denkschrift: „Ermahnung an die Deutschen, ihren Verstand und Sprache besser zu üben" sagte: „Das Übel ist so hoch gestiegen, dass es nicht mehr mit Reimen und Lustsprüchen zu übermeistern, sondern ander Zeug von mehr Gewicht und Nachdruck vonnöten. Woraus denn folgt, dass keine Verbesserung hierin zu hoffen, so lange wir nicht unsere Sprache in den Wissenschaften und Hauptmaterien selbst üben, welches das einzige Mittel ist, sie bei den Ausländern in hohen Werth zu bringen und die undeutsch gesinnten Deutschen endlich beschämt zu machen." —

Leibnitz selbst hat leider zur Behandlung solcher Materien in deutscher Sprache wenig beigetragen, aber für die Beschaffung ernsten Wissensmaterials und namentlich für die Gründung und Förderung von Anstalten zur Unterstützung dieser Bemühungen war Leibnitz unermüdlich und erfolgreich tätig. Aus seinen Anregungen ging noch zu seinen Lebzeiten die im Jahre 1700 eingeweihte Akademie zu Berlin hervor, deren lebenslänglicher Präsident er wurde. Aber mit welcher Mühe hatte Leibnitz für die Aufnahme seiner Ideen zu kämpfen! Wie sehr musste er versuchen, die Gründung der Akademie von der Seite der praktischen Nutzbarkeit zu empfehlen! Sie sollte das Kalenderwesen in die Hand nehmen, verbesserte Feuerspritzen einführen und von der Einnahme dafür sich selbst erhalten und ähnliche landesersprießliche Dinge veranstalten. Sie sollte zugleich der Kultur der Sitten dienen, indem sie hohem Adel und vornehmen Leuten statt Spiel und Debauchen und sonst wo nicht schädlichen, doch unnützen Zeitvertreib ein Objectum löblicher Kuriosität biete, so dass man die Welt und Werke Gottes und der Menschen anders als der gemeine Mann ansehe. Sie sollte nicht wie die Akademien in London und Paris auf bloße Wissensbegierde und unfruchtbare Experimente gerichtet sein, sondern auf den Nutzen des Landes. — Nutzen und Glückseligkeit waren in Deutschland das Idol der Zeit und der Prüfstein des Wissens geworden. Dass darin eine gewisse Notwendigkeit lag, welche die durch die vielen Kriege zerstörte Volkswohlfahrt erheischte, dürfen wir nicht vergessen; aber das Wissen ist ein sprödes Ding, fruchtbringende Erfindungen lässt es sich weniger abzwingen, als dass es sie bisweilen denjenigen Forschungen als unerwartete Beigabe zufügt, die zunächst nur aus reinem Trieb nach Erkenntnis unternommen werden. Leibnitz Dringen auf den Nutzen war sicherlich nur eine Konzession an den ungebildeten Zeitgeist, der diese Wahrheit noch nickt verstand.

Ohne Erfolg blieben Leibnitz Bemühungen nicht, aber zur wahrhaft durchgreifenden Wirkung bedurfte es noch anderer Kräfte, als diejenigen waren, die Leibnitz vorzugsweise aufrief. Leibnitz wandte sich in erster Linie an die Unterstützung der Fürsten und an die Großen. Wie wichtig diese Hilfe ist, zeigte damals gerade das Beispiel des Auslandes; aber nach deutscher Art haben die besten Triebkräfte geistiger Fortentwicklung stets aus den verschiedenen Kreisen des Volkes selbst empor wachsen müssen. Es galt daher auch jetzt vor Allem in diesen Kreisen das Bedürfnis nach fortschreitender Bildung zu erneuern. Dem vorigen Jahrhundert gebührt das Verdienst die schon vorhandene Anregung dazu im weitesten Umfange gehegt und neue gegeben zu haben; den Männern der Wissenschaft gereicht es zum Ruhme, dass sie keinen geringen Anteil an dieser Erweckung haben. Auf den Universitäten wurde ein neuer Geist des Forschens rege, seitdem Thomasius mit Wort und Tat sich gegen den alten Schlendrian erhob und die Pietisten dem starren theologischen Dogmatismus eine innerliche Auffassung der christlichen Wahrheit entgegenstellten, auf den Schulen wich unter ihrem Einfluss mehr und mehr die Alleinherrschaft der lateinischen Bildung vor dem Andrang der Realkenntnisse, und alle diese so wie andere Bemühungen um die Volksbildung erstarkten oder erstanden, seitdem Friedrich der Große ihrer freien Bewegung seine mächtige Stütze lieh. In immer weiteren Kreisen wurden Aufklärung und Volkswohlfahrt die Losungsworte des Jahrhunderts.