Volkmann, Richard von (1830-1889) deutscher Chirurg und Literat. Biographie

Allgemeine Deutsche Biographie Band 40
Autor: Ernst Friedrich Gurlt Dr. (1794-1882) deutsch. Veterinäranatom, Apotheker, Arzt, Erscheinungsjahr: 1896
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Richard von Volkmann, geboren am 17. August 1830 zu Leipzig als Sohn des Anatomen und Physiologen Alfred Wilhelm Volkmann, ging sieben Jahre später mit seinem nach Dorpat berufenen Vater dorthin und kehrte mit demselben 1843 in das Vaterland zurück. Er besuchte darauf sechs Jahre lang die Fürstenschule in Grimma, widmete sich von 1850 - 1854 dem Studium der Medizin auf den Universitäten Halle, Gießen und Berlin und hatte sich an letzterem Orte der besonderen Förderung von Seite Traube's und Langenbeck's zu erfreuen. Nachdem er am 26. August 1854 mit der Dissertation „De gangraena pulmonum“ in Berlin zum Doktor promoviert worden war und im folgenden Winter in Halle das Staatsexamen zurückgelegt hatte, trat er im Sommer darauf als Assistenzarzt in die chirurgische Klinik von Blasius, wo er im nächstfolgenden Sommer den wegen eines schweren Augenleidens beurlaubten Direktor vier Monate lang in der Leitung der Klinik zu vertreten und alle Operationen selbständig auszuführen hatte. Im Juni 1857 habilitierte er sich mit der Arbeit „Observationes anatomicae et chirurgicae quatuor“ in Halle als Privatdozent der Chirurgie und schied als Assistent aus der chirurgischen Klinik aus, indem das Verhältnis des jungen, aufstrebenden, seine Zuhörer mehr als sein Lehrer fesselnden Dozenten zu diesem ein Unfreundliches geworden war. Da ihm jede Beziehung zur chirurgischen Klinik versagt war, mußte er zu der Tätigkeit eines praktischen Arztes greifen, war bald der gesuchteste Arzt in Halle und blieb in dieser anstrengenden und zeitraubenden Wirksamkeit bis zu seiner im März 1867 erfolgten Ernennung zum ordentlichen Professor und Direktor der chirurgischen Klinik, nachdem er im Februar 1863 zum Prof. extraordin. ernannt worden war.

Inzwischen war er bei aller ermüdenden praktischen Tätigkeit, sowohl in Vorträgen und Kursen, darunter solchen über pathologische Anatomie, als in wissenschaftlichen, mit eigenhändigen vortrefflichen Zeichnungen ausgestatteten Arbeiten überaus fleißig gewesen. Es sind von denselben zu nennen: „Bemerkungen über einige vom Krebs zu trennende Geschwülste“ (Halle 1858); „Über Neubildung Haversischer Canäle im harten Knochengewebe (vasculöse Ostitis)“ und die vorzügliche Monographie „Die Krankheiten der Knochen und Gelenke“ (in Pitha - Billroth's Handbuch der Chirurgie, 1865). Im Jahre 1866 leitete er vom Juli bis Oktober als Chefarzt, ohne militärische Charge, unter schwierigen Verhältnissen die großen Lazarethe auf dem böhmischen Kriegsschauplatz in Trautenau.

Mit seiner Ernennung zum Leiter der Halleschen chirurgischen Klinik begann jene glänzende chirurgische Tätigkeit, welche ihn bald in die erste Weihe seiner Fachgenossen stellte. Jede neue Errungenschaft fand daselbst Eingang; zahlreich sind die von ihm für die chirurgische Behandlung gemachten Erfindungen und Verbesserungen. Alsbald hatte er die offene Wundbehandlung eingeführt, die ihm schon im Feldzuge 1866 gute Resultate geliefert hatte, während früher zeitweise die Mortalität in der Halleschen Klinik eine furchtbare gewesen war. Er blieb dieser Behandlungsweise bis zur Ära der Antiseptik treu. Im April 1870 begann er, in Verbindung mit hervorragenden Fachgenossen die Herausgabe einer Sammlung klinischer Vorträge aus allen Zweigen der praktischen Medizin, eine Publikation, die seinen Namen bald in aller Welt bekannt machte. Während des deutsch-französischen Krieges war er in der Eigenschaft eines konsultierenden Generalarztes anfänglich als Chefarzt der Lazarethe in Mannheim, dann bei Sedan, von Ende September an aber vor Paris und nachdem er bereits nach Hause zurückgekehrt gewesen war, von Anfang Februar bis Mitte März bei der Südarmee in Dijon tätig. Während der einförmigen Belagerung von Paris entstand sein bedeutendstes, unter dem Pseudonym „Richard Leander“ berühmt gewordenes dichterisches Werk „Träumereien an französischen Kaminen“, die er für Frau und Kinder in der Heimat niedergeschrieben und in Feldpostbriefen in die Heimat gesandt hatte, nachdem die reiche dichterische Tätigkeit aus seiner Studenten- und Verlobungszeit durch eine anstrengende fachwissenschaftliche Beschäftigung eine lange Unterbrechung erfahren hatte.

Aus dem Felde zurückgekehrt, fand Volkmann seine Klinik in einer überaus traurigen hygienischen, während der Jahre 1871, 1872 fast ganz andauernden Verfassung. Da entschloss er sich im November 1872 zu einer Probe mit der von Joseph Lister [1. Baron Lister, 1827-1912, britischer Mediziner] erfundenen und empfohlenen antiseptischen Behandlung, die trotz der damaligen Umständlichkeit der Methode, in seinen Händen bald so günstige Resultate lieferte, daß er ein begeisterter Anhänger und Apostel derselben wurde und in seinen 1875 erschienenen „Beiträgen zur Chirurgie“ von der antiseptischen Methode rühmen konnte, sie habe die Chirurgie zum Range der jüngsten Experimentalwissenschaft emporgehoben, und dass er auf dem Internationalen medizinischen Kongress in London 1881 von ihr sagen konnte, daß die durch sie herbeigeführten Wandlungen ohne gleichen in der Geschichte der Medizin seien. Es ist daher das unbestrittene Verdienst Volkmann's, durch Wort und Schrift tatkräftig für die Antiseptik gewirkt und unermüdlich an der Vereinfachung, Verbesserung und Verbreitung derselben gearbeitet zu haben, so dass sie in Deutschland so schnell und so allgemein, wie in keinem andern Kulturlande, festen Fuß fasste und zum Gemeingut Aller wurde. Inzwischen war auf seinen und Gustav Simons [1824-1876, deutsch. Chirurg und Hochschullehrer] Antrieb, in Gemeinschaft mit B. v. Langenbeck die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie gegründet worden, deren erste Sitzung am 10. April 1872 mit seinem Vortrage „Zur vergleichenden Mortalitäts-Statistik analoger Kriegs- und Friedensverletzungen“ eröffnet wurde. Bis zu seinem Tode war Volkmann auf den Kongressen der Gesellschaft eines der tätigsten und anregendsten Mitglieder, und als Langenbeck nach 14jähriger Leitung derselben im Jahre 1886 sein Amt niederlegte, wurde Volkmann an seiner Stelle zum Vorsitzenden erwählt und verblieb in dieser Stellung zwei Jahre lang. — 1877 wurde er zum Geh. Medizinalrat ernannt, 1878 - 1879 bekleidete er das Rektorat der Universität Halle; 1879 ging endlich sein Lieblingswunsch in Erfüllung, in eine andere, nach seinen Angaben erbaute Klinik einziehen zu können, die sich bald als eine Musteranstalt erwies. — Von seinen wissenschaftlichen, meistens auf den Chirurgenkongressen zur allgemeinen Kenntnis gebrachten Arbeiten führen wir noch an seine Bestrebungen, die verbesserte Technik der Exstirpation der krebsig entarteten Brustdrüse zugleich mit ihren Lymphdrüsen einzuführen, seine Mitteilungen über Paraffin- und Rußkrebs, Psoriasis linguae oder buccalis, seine Totalexstirpation der Gelenke ohne Knochenresektion, seine Behandlung der Leberechinococcen und seine „Chirurgischen Erfahrungen über die Tuberculose“ (1885). — An Ehrungen, die ihm zu Teil geworden waren, finden wir die Verleihung des Ehrenbürgerrechtes der Stadt Halle und die 1885 erfolgte Erhebung in den erblichen Adelstand.

Die letzten Lebensjahre Volkmann's waren vielfach durch Krankheit getrübt; ein schleichend verlaufendes Rückenmarksleiden verursachte Schmerzen von großer Heftigkeit, die ihn öfter an der Ausübung seiner Berufspflichten hinderten und ihn zur Erholung zwangen, die er, wie früher in der Schweiz, so in der späteren Zeit meistens in Italien und dessen Kunstsammlungen suchte, deren Anschauung und Bewunderung ihm große Befriedigung gewährte. Durch einen 17maligen Aufenthalt in Rom war er mit den dortigen Kunstschätzen vollständig vertraut. Überhaupt besaß er auf manchen anderen Gebieten, als seiner Fachwissenschaft eingehende Kenntnisse, wie sich dies z. B. in den auf einem sehr fleißigen Studium der provencalischen Dichtungen des frühen Mittelalters beruhenden Troubadourliedern, der leisten, wenige Monate vor seinem Tode erschienenen poetischen Gabe des Dichters, äußerte. — Nachdem es ihm, im Mai 1889 gestärkt aus Italien zurückkehrend, noch einmal möglich gewesen war, im Sommerhalbjahre mit seltenen Unterbrechungen seine Klinik zu halten, auch eine Monographie „Über den Krebs“ wesentlich zu fördern, hielt er sich zur Erholung in Jena auf, kam am 17. November nach Halle zurück, um an Beratungen über die Vorbereitungen des im folgenden Jahre in Berlin abzuhaltenden internationalen medizinischen Kongresses teilzunehmen, zog sich aber auf der Rückkehr nach Jena eine Lungenentzündung zu, der er am 28. November erlag.

Volkmann war seinem Äußeren nach eine vornehme Persönlichkeit und konnte, wenn er wollte, von bezaubernder Liebenswürdigkeit sein; er war aber auch von bewunderungswürdiger Energie, ja selbst Zähigkeit, und wenn es ihm nötig schien, konnte er sogar rücksichtslos sein. Allen seinen Kranken erweckte sein liebevolles Wesen Zuversicht und Hoffnung auf Heilung, wie Tausende, die solche von seiner Hand empfingen, bezeugen können. Als Lehrer war er unübertrefflich. Ein Meister der Form und der Rede, von hinreißender Lebhaftigkeit im Vortrage, vermochte er seinen Schülern die schwierigsten Verhältnisse klar zu legen und durch Zeichnungen zu erläutern, den scheinbar unbedeutendsten Gegenstand anziehend zu machen, einem gegebenen Stoffe immer neue Seiten abzugewinnen. Auf wissenschaftlichen Versammlungen griff er mit Schlagfertigkeit in die Diskussion ein und war vermöge seiner hohen geistigen Begabung und seines schnellen Fassungsvermögens eines der hervorragendsten Mitglieder solcher. Seine dankbaren Mitbürger, Freunde und Schüler errichteten ihm vor der chirurgischen Klinik, der Stätte seiner vieljährigen Wirksamkeit, ein Denkmal, das am 1. August 1894 eingeweiht wurde.

Fedor Krause in Berliner klinische Wochenschrift, 1889, S. 1089, 1119 (mit einem vollständigen Verzeichnis seiner wissenschaftlichen u. belletristischen Arbeiten und Schriften). — E. v. Bergmann in Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, 19. Congreß. 1890, I, S. 3.