Die Griechen

Die Griechen

Im alten Griechenland erwähnt schon Hesiod eines glattzüngigen Buhlengeschlechts, und sagt, wer einem Weibe vertraut, der vertraut Betrügern. Die Geschlechtsliebe war in den Augen der Griechen weiter nichts als physisches Bedürfnis. Die Ehe hielten sie für ein nochwendiges Übel, dem sie sich aus patriotischer Pflicht unterzogen, dem Vaterlande statt ihrer, künftige Verteidiger zu hinterlassen. Schon in Solons Zeitalter hatte die Üppigkeit beider Geschlechter in allen Ständen um sich gegriffen. Um die Tugend der Eheweiber zu sichern, verordnete er, dass sie bei Tage nicht anders als geputzt und des Abends nicht anders als mit Fackeln ausgehen oder ausfahren durften. Und um der Verführung der Jungfrauen vorzubeugen, erhob er den öffentlichen Dienst der Venus Pandemos zu einer Staats, anstatt. Er ließ ihr im Ceramikus einen prachtvollen Tempel bauen, wählte schöne Frauen zu Priesterinnen der Göttin und erlaubte diesen, den Genuss ihrer Reize einem Jeden feil zu bieten. Das Zeitalter fand diese Politik sehr lobenswürdig. „Du bist, sprach der Philosoph Philemon, zu diesem Gesetzgeber, gegen alle Menschen wohltätig; denn unter allen Sterblichen hast du zuerst wahrgenommen, was dem Staate heilsam war, und es ist billig, o Solon, dass ich es sage. Als du die Stadt mit Jünglingen angefüllt sahest, die den unwiderstehlichen Trieben der Natur folgten, und unanständige Ausschweifungen begingen, stelltest du an gewisse Orte erkaufte Frauen hin, die allen gemein und bereit waren.“ Damit aber den Ehefrauen bei dieser gesetzlichen Duldung der Buhlerinnen und Beischläferinnen oder Sklavinnen der eheliche Genuss nicht entzogen werde, befahl Solon den Männern, ihren Gattinnen des Monats wenigstens dreimal beizuwohnen.


In den ersten Zeitaltern nach Solon waren die Buhlerinnen den Sitten nicht sehr gefährlich. Es wurde lange für schimpflich gehalten, die Wohnungen der öffentlichen Mädchen zu besuchen. In Athen herrschte noch ein freier, unverdorbener Sinn. Die Nation hatte nicht ohne Anstrengung und Mühe den Glanz eines bessern Wohlstandes errungen. Durch Tapferkeit, Mut und Klugheit erfochte sie entscheidende Siege über die Perser. Der Tribut der besiegten Völker und der Bundesgenossen floss in Athen zusammen. Man verschwendete Millionen, um die Wohnungen der Götter, die öffentlichen Plätze, die Theater und Gymnasien zu schmücken, und jeder Bürger Athens fühlte sich glücklich und groß in dieser Betrachtung der Werke der Kunst. Dies war das Zeitalter, wo sich ein hoher Schwung des Luxus und der Liebe zum Vaterlande aufs innigste verband, von welchem Plato sagt, dass es die Zeit der Herrschaft der Gesetze gewesen, dass die Athener zu der Zeit, als sie ihren Feinden am furchtbarsten gewesen, sich vor ihren eigenen Gesetzen am meisten gefürchtet, und als sie über andere Völker am weitesten geherrscht, ihren väterlichen Satzungen am willigsten Gehorsam geleistet hätten. So bereiteten die Heldengenies, Themistokles, Aristides, Cimon u. a. das üppige Zeitalter des Perikles vor. Mit dem glorreichen Cimonschen Frieden schwang sich Athen auf den höchsten Gipfel seines Glanzes. Die Kunst machte reißende Fortschritte, und schuf nicht etwa den Despotismus verewigende Denkmale, wie in Ägypten, sondern jene erhabenen Ideale der Schönheit, welche die Bewunderung aller Nationen und aller Jahrhunderte geworden. Ein Talent weckte das andere; der Philosoph bildete den Redner; von beiden lernte der Dichter; dem Dichter arbeitete der Künstler nach, und nie war zwischen Einbildungskraft und Verstand ein schönerer Bund geschlossen, als in dieser Zeit.

Indes war es bei dem schnellen und starken Zuflusse der Reichtümer unvermeidlich. dass nicht einzelne mächtige und herrschende Häuser, z. D. Klinias, ungeheure Schätze sammelten. Im Umgang mit den Persern, verschwand die Einfalt der Sitten immer mehr. Der verfeinerte Athener lernte die Kunst, asiatische Schwelgerei mit attischem Sülze zu würzen. Wer den grenzenlosen Hang der griechischen Damen zum Putze und zur Gefallsucht kennen lernen will, lese Lucians Weiberhasser.

So schädlich die Ausschweifungen der Geschlechter für den Staat waren, so vorteilhaft für die Kunst war die weibliche Schamlosigkeit. Es war die erwünschteste Gelegenheit für eine griechische Schöne, zu den Idealen der Maler und Bildhauer ihre unverhüllten Reize darzustellen. Sie leisteten nicht nur dem Künstler, sondern sich selbst einen großen Dienst, denn der Ruhm ihrer Schönheit konnte auf keine bessere Weise über ganz Griechenland verbreitet werden. Verband sie Geist mit Schönheit, so lächelte ihr von allen Seiten glänzendes Glück entgegen: die schönsten Jünglinge wetteiferten um ihre Zärtlichkeit, der Dichter besang sie in seinen Oden, der Künstler verewigte sie durch seinen Meisel oder Pinsel, und der reiche Wollüstling legte sein Gold zu ihren Füßen. So stand eben die reizende Theodota, als sie von Sokrates und einigen seinen Schülern einen Besuch erhielt, einem Maler, ohne sich durch die Ankunft der Fremden im geringsten stören zu lassen.

Unter allen griechischen Schönheiten erhob sich keine auf die hohe Stufe des Ruhmes, auf welcher Aspasia glänzte. Sie verband mit den Reizen des Körpers die seltensten Talente des Geistes. Die Bildung, die Griechenland ihr geben konnte, war bald vollendet. Sie selbst gab sie sich, indem sie ihren Umgang nur Männern gewährte, die in der Beredsamkeit und Staatskunst Meister waren. In diesen Wissenschaften brachte sie es bald so weit, dass sie ihren Lehrern selbst ein Orakel ward. Die vornehmsten Athener scheuten sich nicht, dieser berühmten Meisterin in der weiblichen Bildungskunst ihre Frauen und Töchter zuzuführen. Von jetzt an verschwanden immer mehr und mehr Riegel, Sklaven und Hunde vor den Türen der Synäceen. Sokrates besuchte oft diese Zauber ein und lernte von ihr, seine Moral mit jener feinen Sitte zu schmücken, die ihm den Ruhm des größten Weisen seiner Zeit erwarb. Obgleich die Geschichte ihres Frühlings nur die Geschichte einer Buhlerin war, so war nie Eigennutz der Preis ihrer Begünstigungen. Sie hatte Liebhaber, um sich Freunde zu machen, ergab sich Männern, um über sie zu herrschen. Unter diesen befand sich Perikles. Der Glanz dieses Mannes blendete ihre stolze Seele, und bald vereinigte beide das engste Band der Liebe. Von diesem Augenblicke an war ihr Leben mit der politischen Geschichte ihrer Zeit verwebt. In ihren Armen wurden die Entwürfe ersonnen und beschlossen, denen Athen einen Teil seiner Größe und seines Verderbens verdankt.

Seit Aspasiens Zeiten war der Geschmack der Buhlerinnen auf den Ton der Philosophie gestimmt. Sie besuchten die öffentlichen Hörsäle der Philosophen und widmeten sich der Mathematik, Beredsamkeit, Philosophie und andern Wissenschaften. Die Griechen gaben ihnen den zartsinnigen Namen Hetären, Freundinnen; ob es gleich mehre Klassen solcher Freundinnen gab, so können wir sie doch nicht mit den Buhlerinnen unserer Zeit vergleichen. Sie entwarfen nach Art der Welt, weisen Gesetzbücher, in welchen sie das Be, tragen ihrer Liebhaber besonders bei der Tafel bestimmten. Sie erwarben sich als Schriftstellerinnen und witzige Köpfe gefeierte Namen. Sie wurden Gegenstände der Geschichte und ihre Abenteuer und lustigen Einfälle gehörten zur Toilettenlektüre der feinen Welt.

Leontia war die Schülerin und Geliebte des Epikurs. Sie philosophierte am Morgen einer wollüstigen Nacht über die Natur der Liebe; sie wusste zu gleicher Zeit Vergnügen zu geben, zu genießen und zu analisieren; durch ihre Reize unterjochte sie die ganze Schule des Epikurs. Sie schrieb gegen den Theophrast ein philosophisches Werk, das Cicero seines Atticismus wegen lobt, und worin sie das System ihres Geliebten mit allem Scharfsinn verteidigte.

Nikarete teilte ihre Stunden zwischen Mathematik und Liebe. Es war schwerer durch Gold als durch Auflösung einer algebraischen Formel ihre Gunst zu gewinnen. [b]Der Philosoph Stilpo genoss ihre Zärtlichkeit und weihte sie dafür in alle Geheimnisse der Dialektik. Eine Hetäre zur Schülerin und Geliebten zu haben, war damals das sicherste Mittel, seinem System Glanz und Anhang zu verschaffen.

In Korinth standen die Hetären auf einer Stufe des Ruhmes, worauf sie sich in keiner andern Stadt Griechenlandes erhoben hatten. Sie wurden als Priesterinnen der Venus verehrt, beteten ihre eignen Gottheiten an, feierten ihre eigenen Feste und hatten ihre eigenen Tempel. Die Begriffe von der Allgewalt der Göttin der Liebe über die Herzen der Sterblichen hatten das Herkommen geheiligt, derselben Dienerinnen zu weihen, welche sie um ihre Huld anrufen mussten, wenn ein feindliches Schicksal ihre Republik bedrohte. Von welcher höhern Macht hätte auch wohl der, an zarten, blühenden Bildern der Phantasie so reiche Grieche mehre Unterstützung erwarten können, als von der Herzenslenkerin Aphrodite, der alle Wesen, Götter und Menschen huldigten, die des waffenschmiedenden Vulkans Gemahlin und des rauen Mars geheime Freundin war? — Als Xerres in Griechenland einbrach, versammelten sich alle Hetären in dem Tempel ihrer Göttin auf dringendes Verlangen der erschrocknen Korinther; hier, um ihren feurigen Patriotismus im höchsten Glanze zu beweisen, gelobten sie, allen siegreich zurückkehrenden Kriegern ihre zärtlichsten Umarmungen zu weihen. Die erfolgte Rettung des Vaterlandes ward durch ein meisterhaftes Gemälde verherrlichet, auf welchem man die ihre Göttin um Hülfe flehenden Priesterinnen sah, und darunter des Simonides Verse las, die den Ruhm dieser Retterinnen dankbar aussprachen. Ein solcher Triumph musste dem in den mythischen Kultus so innig verwebten Orden der Hetären sehr günstig sein und ihn zu einem desto höhern Glanze erheben. Selbst einzelne Bürger taten das Gelübde, bei dem glücklichen Ausgange ihrer Unternehmungen, der Göttin eine gewisse Zahl von Dienerinnen zu weihen, und es kostete wenig Mühe, sie in Samos, Cypern und Jonien für diesen geheiligten Dienst zu erkaufen. Ungeachtet im reichen Korinth über tausend Hetären gezählt wurden, so waren sie hier doch nichts weniger als freigebig mit ihrer Gunst. Daher das Sprichwort: „nicht jedem glückt die Reise nach Korinth.“ *)

Lais in Korinth verdunkelte durch ihre idealische Schönheit alle ihre Nebenbuhlerinnen. Fürsten, Priester, Philosophen und Athleten huldigten ihrer Schönheit. Ganz Griechenland, sagt Properz, lag vor den Türen der korinthischen Lais. Selbst Demosthenes reiste insgeheim nach Korinth, um eine von Lais Nächten zu genießen. Aber der Preis, 10,000 Drachmen (2250 Thlr.), war ihm zu hoch; nein, sagte er, das hieße seine Reue zu teuer erkaufen, (pönitere tanti non emo). Doch bestimmte niedriger Eigennutz nicht immer ihre Neigung: sie hatte eine rasende Liebe zu dem Cyniker Diogenes, der, außer seiner Laterne und Tonne, nichts in der Welt besaß. Weniger glücklich war Aristipp, der unermessliche Summen verschwendete, um ihre Launen zu befriedigen.

*) Non cuivis oder non oinnibus licet adire Corinthum, oder wie Horaz in seinen Briefen sagt: non culvis homini contingit adire Corinthum. Man deutet dieses gewöhnlich auf die Lais, die nur um Talente feil war; andere wollen darunter die Fahrt nach Korinth verstehen, die wegen der vielen verborgenen Klippen im Meere gefährlich war.

Lais hatte eine so hohe Meinung von der Gewalt ihrer Reize, dass sie bei dem kaltesten Manne das Feuer der Liebe zu erregen glaubte. Sie wettete sogar über die Enthaltsamkeit des strengen Xenokrates zu siegen. Unter dem Vorwand, von Mördern verfolgt, flüchtete sie in die Wohnung dieses Philosophen und flehte um Aufnahme. Sie brachte die Nacht bei ihm zu, und Xenokrates blieb unbewegt bei seinen Büchern. Als sie die Wette bezahlen sollte, antwortete sie: „sie habe bloß gewettet, über einen Menschen, aber nicht über eine Statue zu triumphieren.“ Es fehlte nicht an Spöttern, die sich über die gedemütigte Lais lustig machten; sie richte sich dafür an dem siebenzigjährigen Miron. Vergeblich hatte dieser um ihre Gunst alles aufgeboten. Er schob die Schuld auf sein Alter, und erschien eines Tages in dem jugendlichsten Schmucke, mit braungefärbten Haaren im Tempel dieser Göttin. „Unsinniger“, rief Lais ihm entgegen, „wie kannst du heute etwas von mir fordern, das ich gestern deinem Vater abschlug.“— Am Flusse Peneus wurde ihr ein prachtvolles Grab, mal errichtet.

Fast in demselben Zeitalter lebte Phryne. Jung und arm kam sie nach Athen, wo sie anfangs mit Kapern handelte. Bald entwickelte sie aber so viel körperliche Reize und geistige Talente, dass sie von ganz Athen be, wundert wurde. Sie verstand die Kunst, den Anblick ihrer Reize nicht zur Unzeit zu entweihen. Am Feste des Neptuns bei Fleusis machte sie ganz Griechenland zum Zeugen ihrer idealischen Schönheit. Sie stieg nackt und mit aufgelösten Haaren in das Gewässer des saronischen Meerbusens. Als sie sich an das Ufer erhob, schrieen alle: „Seht, die Venus steigt aus dem Meere.“ Apelles und Praxiteles waren unter der Zahl der staunenden Bewunderer; beide beschlossen, nach diesem Muster die Geburt der Venus darzustellen. Der erste malte nach ihr die Venus Anadyomene (die Hervorgehende), der andere arbeitete ihre Statue aus Marmor, die der gnidischen Göttin geweiht wurde. Sie war mit lächelndem Antlitz, oder wie Wieland sagt:

— —halb abgewandt,
Und deckt mit einer Hand,
Erröthend in sich selbst geschmiegt.
Die holde Brust, die kaum zu decken ist.
Und mit der andern — was ihr wißt.


Man glaubte zu sehen, wie sich der Marmor dargestellt an dieser Statue bewegte. Die Anmut und Fülle des Lebens war so täuschend, dass, nach Lucian, der Beschauer zuletzt seine Lippen auf die Lippen der Göttin drückte. Von diesem Augenblicke an war der Sieg der Bildnern über die Malerkunst entschieden.

Phryne opferte alle ihre Liebhaber dem Praxiteles auf, nicht weil er ein schöner Mann war, sondern weil er Praxiteles war. Er liebte sie bis zur Schwärmerei und gestand, nie eine vollkommnere Schönheit gefunden zu haben. Zum Beweise seiner Liebe verlangte sie einst das vorzüglichste Werk seiner Kunst. Praxiteles gab ihrem Wunsch nach, unter der Bedingung, sich es selbst zu wählen. Bei dem Anblick so vieler Meisterstücke unschlüssig sinnt sie auf eine List. Sie gewinnt einen Sklaven und in dem Augenblick, da Praxiteles sie sucht, kommt jener mit der schrecklichen Nachricht, dass in seiner Werkstatt Feuer ausgebrochen und bereits den größten Teil seiner Kunstwerke zerstört hatte. „Ich bin verloren“, ruft Praxiteles, „wenn man den Amor und Satyr nicht rettet!“ „Fasse dich“, sprach Phryne, lächelnd zu dem bestürzten Künstler, „eine falsche Nachricht hat dich getäuscht, und du selbst hast nun meine Wahl entschieden.“ Sie nahm die Statue des Amors, und ließ sie, nicht etwa in ihrem Schlafgemache, sondern in einem Tempel ihrer Vaterstadt aufstellen.

Auf gleicher Stufe des Ruhmes standen Thais, Hiparchia, Leana, Lamia und viele andere Hetären. Ihre Zahl hatte sich schon bald nach dem Zeitalter Solons so stark vermehrt. dass sie die Aufmerksamkeit der Republik erregten. Ein griechischer Finanzier machte den Vorschlag, die Hetären einer Kopfsteuer zu unterwerfen und diese zu verpachten. Der Areopag wollte sich eben diese ergiebige Finanzquelle eröffnen, als ein Philosoph vor denselben trat und bewies, dass diese Abgabe nicht denen, die sie zahlten, schimpflich, sondern dem, der sie einnehme, ein ewiger Schandfleck sei. „Man sieht“, sagte er, „eure Schatzräte kennen die ersten Regeln der Staatsrechenkunst nicht; denn die Taxe, die ihr auf diese Weiber legen wollt, ist im Grunde eine Taxe, die auf die Athener selbst fällt. Man wird euch mit euerm eigenen Gelde bezahlen. Am Tage werdet ihr euch für reich dünken, und des Nachts werdet ihr weit ärmer sein. Überhaupt, fuhr er fort, ist es unsinnig, Handelsleuten, sie mögen sein, welche sie wollen, eine Kopfsteuer aufzulegen, denn sie erhöhen sogleich den Preis ihrer Waren, und am Ende findet sich, dass es eigentlich der Käufer ist, der die Steuer des Verkäufers bezahlt.

Diese Gründe fanden jedoch keinen Eingang. Die athenischen Geldschaffer konnten einer so bedeutenden Auflage nicht entsagen. Sie war noch zu Demosthenes Zeiten in voller Kraft. Unstreitig veranlasste diese Kopfsteuer die athenischen Buhlerinnen, sich selbst zu tarieren, und am Eingange ihrer Zimmer die Dauer der Zeit und die Art des Genusses ihrer Reizungen tarifmäßig zu bestimmen.

In keinem Zeitalter, bei keinem einzigen Volke der Erde finden wir das Gepräge von Größe und Ruhm, welches sich die Buhlerinnen von Athen, Korinth, Theben usw. zu geben wussten. Ihre Wohnungen waren die Tempel der Künste, der Talente, der feinsten Sitte, waren Sammelplätze der berühmtesten und geistreichsten Männer. Wer nennt einen zweiten Apelles, Praxiteles, der bei einer zweiten Phryne die Darstellung idealischer Schönheit, einen Epikur, der bei einer Leontium das Wesen der Glückseligkeit bestimmen, einen Sokrates, der bei einer Diotime über die Natur der Liebe philosophieren, einen Perikles, der in den Armen einer Aspasia, die Kunst zu regieren, lernt? — Wir werden weiterhin nur einer einzigen ähnlichen, der Aspasia der Franzosen, der Ninon de l' Enclos, erwähnen.

Woher diese Erscheinung in Griechenland? Ausgang natürlicher Ursachen. In den altern Zeiten war das Leben der griechischen Frauen und Jungfrauen mit ihren Mägden auf ihre Gunäceen beschränkt, von aller Erziehung, allem Unterricht, allem Umgange mit Männern ausgeschlossen. Kein Wunder, dass der lebensfrohe, von Stufe zu Stufe höherer Bildung zueilende Grieche um so unwiderstehlicher in die Arme jener Grazien hingezogen wurde, da er bei den frei gebornen, aber geistlos erzogenen ehrbaren Griechinnen den höhern Genuß in der Liebe nicht finden konnte, wäre ihm nicht schon ohnehin der freiere Umgang mit ihnen versagt gewesen. Die Denkungsart des damaligen Zeitalters bezeichnet folgende Stelle beim Demosthenes: eine Freundin für den Umgang, eine Beischläferin für den Genuß, eine Frau zur Erzeugung freigeborner Kinder und für das Hauswesen. *) Der milde Himmelsstrich, der vaterländische Boden, der alle Reize in sich vereinigte, der alles belebende Schönheitssinn, der religiöse Cultus vollendeten das Gepräge hellenischer Bildung. Griechenlands Götter waren nicht wie in Asien in ein heiliges Dunkel gestellt; sie waren in ihren Fehlern und Tugenden menschlich, standen aber höher als die Menschen. Und endlich befahl kein Gesetz die Keuschheit. Verlorne Unschuld wurde zwar streng bestraft, aber der Verführer freute sich seines Siegs ohne das Gefühl eines begangenen Unrechts, und brachte den Göttern Opfer und Geschenke, als ob er die rühmlichste Handlung begangen hätte.

*) Daß dieser Geschmack unfern Zeitgenossen nicht ganz fremd ist, bezeugt das Beispiel eines geistreichen Mannes, der eine solche Freundin hatte und nach dem Tode seiner Gattin von einem Vertrauten aufgefordert wurde, sie zu heiraten. Er antwortete: wo sollte ich aber dann meine müßigen Stunden zubringen?

Athen vergaß seiner Ahnen hohen Sinn über den Ruhm, das liebenswürdigste Volk der Erde zu sein. Pracht und Verschwendung in Wohnungen und Geräten, Schmuck in Gewändern. Schwelgerei in den Gastmalen entnervten den Körper und weckten unaufhörlich neue Begierden nach Sinnengenuss. Asiatische Laster mit allen ihren Greueln herrschten in allen Ständen. Alles was Natur und Kunst in Sizilien und Italien, in Cypern und Ägypten, in Lydien, in Pontus, Peloponnes u. hervorbrachte, floß in Athen zusammen. Man begeisterte sich nicht nur durch das Feuer griechischer Weine, sondern genoss häufig Speisen, welche den Geschlechtstrieb reizten. Buhlerinnen und Spaßmacher erschienen bei den Tafeln, um die Sinne zu berauschen und den Tischgenossen Gegenstände des Witzes oder viel, mehr der frechen Zunge darzubieten. Auch wurde die Sinnlichkeit und Reizbarkeit durch die üppigsten Gruppen entflammt, welche die Maler öffentlich darzustellen sich nicht scheuten. Unter Parhasius im Zeitalter des Sokrates arteten die wollüstigsten Situationen in schmutzige ekelhafte Szenen aus: er stellte die Atalanta vor, sich den scheußlichen Ausschweifungen lesbischer Weiber überlassend.

Gehäufte Privatschätze zeugen in allen Staaten stolze Egoisten und niedrige Sklaven. Sie sind die Grabhügel der entflohenen Vaterlandsliebe. Athens kriegerischer Geist war dahin, als ein Dekret, bei Todesstrafe der Widersetzung, den Kriegsfond zur Unterhaltung der Schauspiele bestimmte. Philipps schlauer Politik gelang es, feile Griechen zur Zwietracht zu erkaufen, und die Schlacht bei Chäronea vollendete den Sturz der Nation von ihrer glänzenden Höhe; ein Rest von Freiheit ließ der Nation noch so viel Kraft, um sich selbst aufzureiben. Phrynen und Aspasien waren nun verschwunden; und die Zahl gemeiner und rachsüchtiger Buhlerinnen hatte in dem Maße zugenommen, als niedriger Sklavensinn und Despotismus von Makedonien aus über Griechenlands Fluren wehte.

Lykurg, der spartische Gesetzgeber, bildete einen Staat, dem er alle Gesetze der Natur unterordnete. Er wollte den Mut und die Tapferkeit seiner Bürger zu einem Grade steigern, der sie unüberwindlich machte. Die Geschlechtsliebe war in seinen Augen ein bloßes Mittel, dem Staate kraftvolle Bürger zu geben. In Folge dieses ward das Heiligtum der Ehe aufgeopfert und jedem kraftvollen, schönen und tapfern Sparter erlaubt, sich eines Andern Gattin für einige Nächte auszubitten, um die Familie mit seinem Blute zu veredeln. Selbst alte, kraftlose Männer führten wohlgebildete Jünglinge in die Arme ihrer Weiber, und diesen fiel es leicht ein, ihnen einen Korb zu geben. Die Körper der Jungfrauen wurden wie die der Jünglinge durch gymnastische Übungen, Tanzen und Ringen abgehärtet, um starke und gesunde Kinder leicht zu gebären. Zu dem Ende war ihre leichte, schmucklose Kleidung auf beiden Seiten unter dem Gürtel offen. Es stand in ihrer Gewalt, bei der geringsten Bewegung die reizendsten Formen zu enthüllen, wenn bei dieser Erziehung der spartischen Schönen Eroberungssucht vermutet werden könnte. Bei gewissen Spielen kämpften Jünglinge und Mädchen nackt miteinander und es scheint nicht bedeutungslos, dass als Zuschauer die Hagestolzen ausgeschlossen waren. Vor dem dreißigsten Jahr durfte der Mann, vor dem zwanzigsten die Jungfrau nicht heiraten. Die mannbaren Mädchen wurden in einem finstern Orte zusammengebracht und die Jünglinge mußten ihre Bräute nehmen, wie sie ihnen das Glück in die Hände spielte. Die jungen Männer durften ihre Frauen nur des Nachts, und nur verstohlen besuchen. Dadurch wurde ihre Liebe neu und lebendig erhalten. So war Alles auf eine gesunde, kräftige Nachkommenschaft berechnet. Alle Schwelgerei war von den Tafeln der Sparter verbannt, woran alle öffentlich speisten und zum Hauptgerichte die schwarze Suppe hatten. Die Heloten mußten das Feld bauen, und der spartische Bürger, im Kriege oder daheim, kannte kein anderes Interesse als seine Unabhängigkeit. Eine solche Lebensweise mußte den entschiedensten Einfluß auf gleiche Stimmung der Gemüter hervorbringen. Vier hundert Jahre blieb Sparta bei dieser Verfassung, bei seiner Armut, Einfalt der Sitten und Gemeinschaft der Güter, glücklich. *) Aber die Zeit müsste kommen, wo das politische Phantom verschwand. Lykurgs Verfassung war nicht auf die Natur, nicht auf die unveräußerlichen Rechte des Menschen gebaut. Der Mensch war ihm Mittel zum Zweck, nicht Zweck selbst. Darum musste der menschliche Geist die Fesseln zerbrechen, unter denen alle sittliche Freiheit erstorben war; und darum musste sich die hochgerühmte Freiheit und Sittenreinheit der Sparter und Sparterinnen in zügellose Frechheit verwandeln, schon lange vorher, ehe sie ihren Nacken unter das römische Joch beugen mußten.

*) Als Lykurg seine Gesetzgebung vollendet hatte, ließ er alle Bürger den feierlichen Eid schwören, dass sie vor seiner Zurückkunft nichts an den eingeführten Gesetzen ändern wollten. Er begab sich nach Delphi und vernahm von dem Orakel: „Sparta wird der blühendste Staat bleiben, solange es seine Gesetzt beobachten wird.“ Diesen Ausspruch sandte er nach Lacedämon und begab sich freiwillig in die Verbannung, starb zu Elis eines freiwilligen Hungertodes, und befahl seinen Leichnam zu verbrennen, die Asche ins Meer zu streuen, damit sie nicht nach Sparta zurückgebracht und das Volk sich seines geleisteten Eides für entbunden halten könnte.

Unter den Veranlassungen zu den Ausschweifungen der Weiber war die lange Abwesenheit der Männer keine der unbedeutendsten. Als die Lacedämonier die Messener bekriegten, hatten sie einen eidlichen Bund geschlossen, nicht eher in ihr Vaterland zurückzukehren, als bis sie den Tod ihres Königs gerächt hätten, welcher, als er zu Messena opferte, erschlagen wurde. Die spartischen Damen, die nur Kinder und Greise in ihrer Mitte hatten, der langen Abwesenheit ihrer Männer überdrüssig, sandten Abgeordnete an die Armee, mit der Vorstellung, die Männer möchten die Sorge für ihre Nachkommenschaft nicht ganz und gar vergessen, und sobald als möglich nach Hause kommen. Nach gehaltener Beratschlagung über diese Aufforderung wurde beschlossen, fünfzig junge rüstige Männer mit dem Auftrage abzuschicken, das Fort, Pflanzungsgeschäft mit allen Weibern und Jungfrauen in Sparta auf das fleißigste zu betreiben, welches, wie Strabo und Justin bemerken, pünktlich ausgeübt wurde.

In unaufhörliche Kriege mit den verdorbenen Griechen, Persern und Barbaren verwickelt, und also von dem Wirkungskreise der vaterländischen Gesetze und ihrer Aufseher entfernt, mußte die Reinheit und Einfalt der spartischen Sitten verschwinden. Der edle, kriegerische Charakter verkehrte sich in unersättliche Eroberungs- und Raubsucht. An die Stelle der Armut, Genügsamkeit und Nüchternheit, die einzigen Stützen ihrer Verfassung, trat Habsucht und Schwelgerei, und ihre politische Größe neigte sich zum Untergange.

Der ehrbegierige Lysander hatte zuerst die raue Strenge der lacedämonischen Sitten zu den feinen Künsteleien des Luxus geformt. Er erfocht glänzende Siege in Attika und Kleinasien, und dieses war genug, dem schwachen Handhaber der spartischen Gesetze die Augen zuzudrücken. Er hatte in kurzer Zeit, siegreich von Athen zurückkehrend, eine Summe von zweitausend Talenten an Gold und Silber in Sparta zusammengehäuft. Das Tribunal der Ephoren widersetzte sich zwar den gefährlichen Reichtümern, aber Lysander sagte, ich habe sie nicht für die Bedürfnisse der Bürger, sondern für das gemeine Beste bestimmt, und das Tribunal schwieg.

Die Keime der Verderbnis, die durch Lysanders Gesetze in die Herzen der Weiber gepflanzt wurden und bisher geschlummert hatten, brachen nun mit unwiderstehlicher Gewalt hervor. Die vornehmsten Witwen sah man auf dem Theater in Mienen und Gebärdenspiel und Sprache den verworfensten Pöbel nachahmen. Selbst die Königinnen von Sparta errichteten, der Wachsamkeit der Ephoren ungeachtet, in der Stadt des Mars unzählige Altäre zur Ehre der Venus.

Eine spartische Königin entbrannte von der heftigsten Leidenschaft gegen Alcibiades, und dieser verbannte herumirrende Abenteurer, der nichts besaß, als seinen Kopf und seine Schönheit, bestieg das Ehebett der Herakliden.

Obgleich den Ephoren die strenge Pflicht aufgelegt war, die Königinnen nie aus den Augen zu lassen, damit das Geblüt ihrer Regenten sich nicht mit dem eines Sklaven oder eines Priesters, oder eines Eseltreibers vermische, so sagten doch zwei Könige eidlich aus, dass sie nicht Väter der Kinder wären, die ihre Gemahlinnen geboren hätten.

Im Zeitalter des Aristoteles war Ehebruch so allgemein, dass fast eine völlige Gemeinschaft der Weiber entstand, und Ehebruch war so wenig entehrend, dass alle Sparterinnen ein ehebrecherisches Weib und einen schönen tapfern Ehebrecher beneideten, ja bei ihnen die allgemeine Aufmunterung fand, seine Verbindung nur fortzusetzen, um dem Staate gleiche Söhne zu schenken.

Die ungebildeten Seelen der spartischen Weiber waren von wollüstigen Leidenschaften so tyrannisch beherrscht, dass keine Scham ihnen Zurückhaltung einflößte. Frauen und Jungfrauen entehrten sich selbst und ihre Männer und Väter verdarben Jünglinge und Mitbürger. Ich kann vor der ganzen Welt gestehen, sagt der berühmte griechische Arzt Galen, dass ich gegen meine eigene Mutter einen unaussprechlichen Hass gefasst hatte, denn sie war in ihren Anfällen von Wut so fürchterlich, dass sie ihre eigenen Sklavinnen wie ein wildes Tier biss, und das Blut stromweise aus ihrem Munde floss. Galens Mutter war aus einer vornehmen Familie; die Mannswut (Andromanie oder Nymphomanie) war also auch unter den Weibern der höhern Stände eingerissen.

Die Dichterin Sappho, geboren auf der Insel Lesbos, ward nicht weniger berühmt durch ihre unnatürliche Liebe zu ihrem Geschlecht, als durch ihr poetisches Talent. Nach dem Tode ihres Gatten entsagte sie der Ehe, aber nicht der Liebe. Selbst in ihren zärtlich schmachtenden Versen verrät sich die Leidenschaft einer Tribade, dessen ungeachtet entbrannte sie von der heftigsten Leidenschaft zu Phaon, einem der schönsten Jünglinge. Aber die schöne Dichterin war nie ein schönes Weih gewesen. Sie war jetzt Witwe und auf der Rückkehr ihres Lebens. Während ihrer Witwenschaft war sie Übel berüchtigt worden, und die Liebe verliert bei dem Manne ihren Reiz, wenn sie aufgedrungen wird. Es sei nun aus Entkräftung oder aus Gleichgültigkeit, ihr geliebter Phaon ward ihrer überdrüssig und verließ sie. Verzweiflungsvoll, weder mit ihm noch ohne ihn glücklich zu sein, unterlag sie dem doppelten Gewichte einer Seele und Körper zerrüttenden Leidenschaft. Sie nahm ihre Zuflucht zum laukadischen Sprunge und fand in den albanischen Wellen das Ende ihrer Qual.