Die Engländer

Die Engländer

In England waren die Sitten im zwölften Jahrhundert nicht besser als in dem übrigen Europa. Heinrich I und II und Richard I lebten gleich ihren übrigen fürstlichen Zeitgenossen in einer offenbaren Vielweiberei, und hatten mehr natürliche als rechtmäßige Söhne und Töchter. Der eben so schwache als bösartige Johann raubte dem Grafen de la Marche seine verlobte und schon übergebene Braut Isabella, und vermählte sich mit ihr, ungeachtet seine eigene Gemahlin noch lebte. Als Heinrich II verlangte, dass ein Geistlicher, der die Tochter eines Edelmanns geschändet und der Vater ermordet hatte, dem weltlichen Arm ausgeliefert werden sollte, so weigerte sich der Erzbischof Becket dieses zu tun, weil er den Verbrecher schon durch Entsetzung gestraft habe, und ein Schuldiger wegen desselben Verbrechens nicht zweimal gestraft werden könne. Eduard IV lebte in ununterbrochener Üppigkeit und auf die vertrauteste Art mit den Londoner Frauen und Jungfrauen, bei denen ihn schon seine Schönheit und Galanterie ohne die königliche Würde empfohlen haben würde.


Im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert war in ganz Europa das Sitten-Verderbnis am größten. Obgleich Ludwig der heilige keine Tugend höher schätzte als die Keuschheit, und seinen Kriegern und Dienern bei Verlust ihrer Stellen untersagte, Bordelle und Spielhäuser zu besuchen, und nicht gestatten wollte, öffentliche Weibspersonen in Privathäusern aufzunehmen, so mußte er doch auf seinem heiligen Kreuzzuge die Kränkung erfahren, dass mehrere seiner Hofleute nahe an dem königlichen Zelte Bordelle anlegten, und geringe und vornehme Weiber schändeten.

Im Jahre 1314 wurden die Gemahlinnen der drei Söhne Philipps des Schönen auf einmal Ehebruchs wegen angeklagt. Zwei derselben wurden öffentlich vor dem Parlamente ihres Verbrechens überführt, und zu einem ewigen Gefängnisse verdammt. Die dritte ward zwar von ihrem Gemahl für unschuldig erklärt, allein die Nation glaubte, dass Gnade dem Recht vorgegangen sei. Auch Karls VI Gemahlin lebte mit dem Herzoge von Orleans in einem öffentlichen Ehebruch, der um so schändlicher und empörender war, da die Königin die erpressten Schätze liederlich verschwendete, die Kinder ihres Gemahls darben, und ihren Gemahl selbst in dem ekelhaftesten Schmutze beinahe verfaulen ließ.

Zu Froissarts Zeiten herrschte die sonderbare Sitte, dass man die Bräute von Königinnen und anderer vornehmen Personen vor der Vermählung auf das genaueste besichtigte, um durch den Augenschein von Kellnerinnen zu erfahren, ob die Jungfrau auch fruchtbar und ohne Gebrechen sei. Wahrscheinlich war dies eine Nachahmung einer griechischen Sitte. Die Gesandten des griechischen Kaisers, welche um die Tochter des Grafen von Tripoli warben, fragten auf das genaueste über die Beschaffenheit der verborgenen Teile des Körpers. Wenn man das Gemälde liest, welches Aeneas Silvius von den deutschen Hafen und Städten der Vornehmen und Geringen, der Laien und Geistlichen im fünfzehnten Jahrhundert entwirft, so kann man es kaum für möglich halten, dass das Sittenverderben einen mich höheren Grad hätte erreichen können. Geizige Fürsten hatten Wohlgefallen an Personen, die ihnen Schätze zusammenscharren halfen; Wollüstige an solchen, die ihnen Mädchen und Frauen verkuppelten; Trunkenbolde an Saufgesellen und Grausame an blutgierigen Dienern, welche ihrer Grausamkeit stöhnten. Die Wohnungen der Könige und Fürsten er, schollen unaufhörlich von den schändlichen Re, den der lasterhaften Buben, die sich rühmten, Jungfrauen geschändet, Weiber entehrt, Widersacher beraubt, oder getötet zu haben. Unter allen Höfen war aber in diesem Jahrhundert keiner verdorbener, als der Hof des Kaisers Siegismund und seiner Gemahlin Barbara, die ohne Scheu alle Gesetze der Ehrbarkeit und des Wohlstandes übertraten. Siegismund buhlte mit allen schönen Mädchen und Weibern, die er antraf, und scheint auf eine gewisse Art das ganze heilige römische Reich als seinen Harem angesehen zu haben. Die Weiber behandelten ihn als einen lustigen Bruder, oder wie die Zeitgenossen sagten, als einen fröhlichen, schimpflichen Herrn. Als dieser Kaiser im Jahre 1414 nach Straßburg kam, besuchten ihn am Morgen nach seiner Ankunft einige lustige Weiber, um sich mit ihm zu erlustigen. Sigismund fand so vielen Gefallen an dem Mutwillen seiner schönen Freundinnen, dass er einen Mantel umwarf, und mit ihnen am hellen Tage durch die Straßen der Stadt tanzte. Als der tanzende Kaiser und die Straßburgischen Tänzerinnen in die Kürbergasse kamen, so kauften die letztem dem Beherrscher des deutschen Reichs ein paar Schuhe für sieben Kreuzer; und nachdem der Kaiser die ihm geschenkten Schuhe angezogen hatte, tanzte er so lange fort, bis er ganz ermüdet in seine Wohnung zurückkehrte. Sigismund erlaubte der Kaiserin Barbara, ihren unersättlichen Lüsten eben so ungehindert zu folgen, als er den seinigen nachhing. Er betraf sie sehr oft im Ehebruch, ohne den ihm angetanen Schimpf zu ahnden. Barbara erklärte, dass es gar kein anderes Gut für den Menschen gäbe, als sinnliches Vergnügen, und besonders das Vergnügen der tierischen Liebe; dass es höchst töricht sei, nach diesem Leben noch Vergnügungen oder Schmerzen zu erwarten, weil mit dem Tode des Leibes alles aus sei. Sie spottete der heiligen Jungfrauen, die freiwillig den Freuden entsagt hatten. Sie wartete nicht einmal, bis Jünglinge und Männer ihr Anträge machten, sondern sie lockte dieselben oder nötigte sie zu Befriedigung ihrer Wollust. Nach dem Tode ihres Gemahls zog sie nach Königsgrätz, wo sie sich bis in ihr hohes Alter einen männlichen Harem unterhielt und in den schändlichsten Lüsten ihr Leben beschloß. Durch die ausschweifende Sittenlosigkeit der Höfe verbreitete sich das Verderben unaufhaltsam unter die Bewohner der großen und kleinen Städte.