Vineta. Nach alten Chroniken

Aus: Die schönsten Sagen und Märchen der Insel Usedom und Wollin
Autor: Bearbeitet und herausgegeben von William Forster, Erscheinungsjahr: 1895

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sagen, Märchen, Überlieferungen, Chroniken, Dokumente, Naturereignisse, Sturmflut,
Vineta, die versunkene Stadt, deren Glocken zuweilen aus der Meerestiefe erklingen sollen, ist keine poetische Erfindung. Eine Geschichtsurkunde, die Jomsvikingasaga, berichtet, dass um 950 eine Wikingerburg Jumneta an der Odermündung erbaut worden sei. Aber sie und die Handelsstadt, die in ihrem Schutz sich gebildet hatte, sei von den Slawen 1098 zerstört und bei einer Sturmflut vom Meer verschlungen worden.

Was nun Vineta selbst betrifft, die berühmteste, in der ganzen Welt bekannte „versunkene Stadt“, so ist ihr tatsächliches Schicksal heute mit einiger Sicherheit festgestellt. Wenn an dieser Stelle die Beweise nicht alle erbracht werden können, so lässt sich doch in Kürze mitteilen, dass die wendische Seestadt Jumne, das zweifellose Urbild der Vinetasage, im elften Jahrhundert eine der größten und reichsten Städte Europas war. Unter dem Schutze der von dänischen Wikingern angelegten, sagenberühmten Jomsburg (zerstört 1042) emporgeblüht, war sie etwa ein halbes Jahrhundert lang die glänzende Königin der Ostsee. Sie war bestimmt nicht identisch mit dem heutigen Städtchen Wollin am Stettiner Haff, wie Virchow und andere Forscher vor einem halben Jahrhundert vermuteten, sondern lag im äußersten Nordwesten der Insel Usedom in der Mündung des Peenearms. Anscheinend wurde sie im Jahre 1028, wahrscheinlich aber etwa zwanzig Jahre später von den Dänen im Kriege bezwungen, zerstört und in der Folge nicht wiederaufgebaut. Ihre Ruinen und der ganze alte Nordwestzipfel von Usedom sind später, wahrscheinlich in der furchtbaren Allerheiligen-Ostseesturmflut im Anfang des vierzehnten Jahrhunderts, vom Meere verschlungen worden. Vermutlich ruhen ihre Trümmer, von Sand bedeckt, noch heute in den flachen Gewässern zwischen dem Peenemünder Haken und der kleinen Insel Rüden, die durch Gustav Adolfs Landung am 5. Juni 1630 geschichtlich berühmt geworden ist. Auch in diesem Falle wäre also nicht eine lebende Stadt, sondern nur ihr menschenleerer Überrest, nach Verfall aller schützenden Dämme, „in der Fluten Schoß hinabgesunken“, mehr als zweihundert Jahre nach der Zerstörung.

Sonst kennt die Geschichte der Ostsee, im Gegensatz zu der Nordsee, keinen einzigen Fall dauernder Vernichtung eines irgendwie größeren Ortes durch Sturmfluten. Kleinere Ansiedlungen können zerstört werden, wie das Vorwerk Damerow bei Koserow in der riesigen Sturmflut vom 13. November 1872.

Aus: Das Buch für alle https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bfa1930/0443

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Inhaltsverzeichnis
Wenn man an hellen Sommertagen, unterhalb des Streckelberges, zwischen Heringsdorf und Zinnowitz hinaus auf die Ostsee fährt, da sieht man bei ruhiger See, tief unter sich, die Überreste einer Stadt aus der Tiefe des Meeres herausschimmern.

Dies ist das sagenumwobene Vineta, welches alten Chroniken zufolge vor mehr als tausend Jahren eine mächtige, reiche, blühende Handelsstadt war, die auf dem nordöstlichen Ufer der Insel Usedom gelegen, an Wichtigkeit und Bedeutung keiner andern Stadt nachgab; sondern der Ruf und Ruhm Vinetas erstreckte sich über die ganze, damals bekannte Welt. Aus den entferntesten, entlegensten Ländern liefen Schiffe in ihren Hafen ein, reich beladen mit den Erzeugnissen und Kunstwerken anderer Nationen. Russen und Engländer. Griechen, Sachsen und andere Völkerschaften strömten herbei. — Sie alle fanden unter den reichen Einwohnern bereitwillige Käufer für ihre Produkte; denn die Bewohner Vinetas galten nicht nur für sehr reich, sondern sie liebten auch, sich das Dasein so angenehm als möglich zu gestalten, und dazu rechneten sie vor allem eine kostbare Ausschmückung ihrer Wohnräume.

Die Einwohner von Vineta waren Heiden. In aus kostbaren Steinen erbauten Tempeln und Kirchen beteten sie ihre Götter an und gestatteten ihren Gastfreunden, denen sie mit vollendeter Liebenswürdigkeit entgegentraten, die Anbetung ihrer Götter, nur den Sachsen, die schon damals zum Christenglauben bekehrt waren, war jede öffentliche Ausübung ihrer Religion verboten.

Je höher der Ruf Vinetas stieg, je reicher und mächtiger seine Einwohner, infolgedessen, wurden, desto höher stieg ihr Übermut und ihre Genusssucht.

Rings um die weit ausgedehnte Stadt zog sich eine feste Mauer, um eroberungssüchtige Nachbarvölker fernzuhalten. Diese Mauer ward auf allen vier Seiten von Wachttürmen überragt, in denen Tag und Nacht bewaffnete Bürger lagen, die Umschau nach einem heranziehenden, beutegierigen Feind hielten.

Zwei mächtige Tore führten in die Stadt. Diese Tore waren aus Edelmetall und edlen Erzen hergestellt. Die Glocken wurden nur aus Silber gemacht — überhaupt war Silber so gewöhnlich in Vineta, dass man, wie die Chronik erzählt, die Kinder auf der Straße mit Silberthalern spielen ließ. Ein altes Volkslied meldet:

„Mit Zentnern wägen sie dort das Gold
Und würfeln um Edelsteine,
Goldspindeln haben die Flauen hold
Und silberne Tröge die Schweine!“

Aber der sich von Tag zu Tag steigernde Reichtum der Bewohner Vinetas förderte auch mancherlei Unsitten und Laster zu Tage.

Zuerst gerieten die Einwohner in Zwist und Uneinigkeit. Jeder wollte herrschen, niemand mehr gehorchen, arbeiten oder dienen. Auch die verschiedenen Nationen, die sich im Weichbild der mächtigen Stadt angesiedelt, gerieten in Streit. Jede wollte bei der Verwaltung und im Rat die erste Stimme haben. Bald splitterten sich die Meinungen und zuletzt standen zwei Parteien im hell ausbrechenden Zorn einander gegenüber. Da sie einander an Stärke gleichkamen, so riefen die einen die Schweden, die andern die Dänen zu Hilfe.

Nun kam es zu harten Kämpfen. Von beiden Seilen, vom Wasser und vom Lande her wurden die Bewohner von Vineta bedrängt. Jedermann musste zu den Waffen greifen, denn die zur Hilfe herbeigerufenen Völkerschaften erschienen nicht als Bundesgenossen, sondern sie machten sich die Uneinigkeit in der Stadt zu Nutze und kamen als Eroberer.

************************ Fortsetzung ********************

Nordische Kriegerin

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