Vertrauliche Briefe aus Kanada und NeuEngland vom Jahr 1777 und 1778

Aus Herrn Prof. Schlözers Briefwechsel, Heft XXIII und XXIV.
Autor: Schlözer, August Ludwig von (1735-1809) deutscher Historiker, Staatsrechtler, Schriftsteller, Publizist, Philologe, Pädagoge und Statistiker, Erscheinungsjahr: 1779
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Schlözer, Briefe, Reisebericht, Reisebeschreibung, Kanada, Sittenbild, Bräuche, Gesellschaftskritik
... Die nahen Beziehungen zu England hatten in Göttingen den nordamerikanischen Händeln von vornherein lebhafte Aufmerksamkeit zugewandt. Man hatte 1766 Franklin persönlich kennen gelernt. Schlözer war mit ihm an Münchhausens Tafel zusammen getroffen. Englische und hannoversche Offiziere, die nachher in Amerika kämpften, hatten in Göttingen studiert oder gelebt. Der Schlözer’sche Briefwechsel erhielt von ihnen Korrespondenzen, die ein unparteiischer Beurteiler amerikanischer Geschichte wie Fr. Kapp noch neuerdings als eine wahre Schatzkammer für die Kenntnis amerikanischer Zustände zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges bezeichnet hat (Histor. Zeitschrift XXXI, 242). Neben den referierenden Artikeln brachte der Briefwechsel zahlreiche raisonnierende Artikel über den Kampf. Schlözer bemüht, die Begriffe des deutschen Publikums über die amerikanische Sache aufzuhellen, untersuchte nach Rechtsgründen die Ansprüche der beiden Seiten. Unbeirrt durch den Vorwurf, er zeige die Auffassung des englischen Ministeriums als die Wahrheit, weist er die Anerkennung eines Rechts zur Rebellion zurück, wenn er auch die Berechtigung Englands, die Kolonien unbefragt zu beschatzen, bezweifelt. Dem Standpunkt, dass der Kleine, der groß geworden, sich der Subordination entziehen und auf eigene Füße stellen dürfe, gesteht er Berechtigung zu – im Naturzustande jenseits Kanadas. ...
Quelle: http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Schl%C3%B6zer,_August_Ludwig_von
            Brief aus Kanada
    St. Anne, 9 März — 20 Apr. 1777. Eingelaufen in Niedersachsen, 1 Aug. 1777.
            Erster Brief.


Ewr. Schreiben vom 3 Sept. habe ich den 18 Dezember 1776 mit wahrem Vergnügen erhalten. Nur sehr wenige sind so glücklich gewesen, um diese Zeit Briefe aus der alten Welt zu erhalten: sehr viele dieser Briefe, auf die man sich berufen hat, müssen noch an andern Orten liegen. Man weiß gewiss, dass der englische Obr. Lieut. Maclean, der zugleich Gen. Adjutant bei der Armee ist, ein ansehnliches Magazin von Briefen aus England mitgenommen hat; wo er aber mit seinem Schiffe geblieben, weiß man bis jetzt noch nicht. Vielleicht hat er es nicht mehr wagen dürfen, in dem Laurent-Fluss einzulaufen, sondern ist daher auf diesen Winter nach Hallifax gegangen. Ist dieses, so lesen wir bald wieder Briefe aus dem Lande. — Für die mir mitgeteilten europäischen Neuigkeiten bin ich gehorsamst verbunden. Das sind wahre Leckerbisschen, die man in den Quebecker Zeitungen (die sonst sehr nutzbare kanadische Intelligenzblätter sind), und besonders im Winter, vergebens sucht.

Sie haben die Güte gehabt, einen freundschaftlichen Anteil an unserm vermeintlichen Mangel an verschiedenen Bedürfnissen zu nehmen. Zum Trost unsrer im Lande hinterlassnen Freunde muss ich aber mit Wahrheit gestehen, dass solcher keineswegs wichtig oder reell gewesen ist; und dass wir noch bis jetzt Überfluss an sehr gutem Rindfleisch, Schweine und Schöpsenfleisch, seit dem 20 Febr. auch an Kalbfleisch, ferner an Hühnern, Kapaunen, Gänsen, Enten, Perdrix, und Hasen gehabt haben. An weißem Kohl, Rüben, roten und Kohlrüben, an guten trockenen Erbsen und Bohnen, hat es uns, gleichfalls noch nicht gemangelt. Auf braunen Kohl, Blumenkohl, Linsen, märkische und Bordfelder Rüben, auf Hirsch, Reh und wilde Schweins-Braten, haben wir freilich Verzicht tun müssen: aber Ihre Demlle - wird Ihnen sagen, dass von obbenannten reellen Sachen sich noch manche Abwechslungen in einer wohleingerichteten Küche machen lassen. Nehmen Sie dazu, dass wir zwischen durch manchen guten Fisch gehabt; und dass sich aus Weizen-Mel und guter Butter, manches gute Backwerk machen lässt; und dass man junge Bären, Castor-Schwänze, Caribous, und Orignal-Braten, gleichfalls essen kann, und mit solchen Gerichten wenigstens einer Tafel ein luxuriöses Ansehen gibt: so werden Sie überzeugt werden, dass Mund und Augen auch in Kanada befriedigt werden können. Meinen lieben niedersächsischen Landsleuten sei’s indes immer zum Ruhm nachgesagt, dass ihre geräucherte Fleisch-Sachen, ihre Sülzen und Würste, und ihr Einkochen von verschiedenem Fleische, stets originelle Produkte von ihnen bleiben werden, die ein Schwabe, ein Obersachse, und ein Rheinländer, eben so wenig wie ein Kanadier kennt. Aus wichtigen und natürlichen Gründen lassen sich dergleichen Sachen aber auch hier nicht fabrizieren.

Glauben Sie nicht, dass der gemeine Soldat von uns einen großen Rückstand in Ansehung der Offiziere allhier hat. Letztere und erstere müssen ihre Provision nehmen, wofür ihnen täglich 2 1/2 Pence abgezogen wird. Unserm General en Chef, zum Ruhme muss ich es bekannt machen, dass durch dessen Vorsorge vorzüglich der deutsche Soldat für diesen Abzug täglich 1 ½ Pfund Rindfleisch und 1 ½ Pfund Weizen-Mehl erhalten hat: eine Portion, die auch der gesündeste Magen schwerlich täglich wird verdauen können. Bekommt der Soldat nur l Pfund Fleisch und 1 Pfund Brot oder Mehl; so erhält er auch treffliche englische Erbsen, und sehr gute irländische Butter und Reis. Der König muss wenigstens 4 bis 5 Pence, ja mehr, zu dieser Portion täglich zulegen. Salzfleisch haben wir nur diesen Winter aus Not bekommen, wenn neuer Vorrat von frischem Fleische nicht so gleich hat wieder angeschafft werden können: im ganzen genommen aber haben unsre Leute solches kaum 3 Wochen essen müssen. Mit oberzählten Vorteilen ist es den Soldaten leicht gewesen, mit ihren Wirten in Menage zu treten, und von deren anderem Fleische, Federvieh und Zugemüse einen erlaubten und für beide Teile nutzbaren Gebrauch zu machen. — Überhaupt haben unsere Leute diesen Winter ganz gut in ihren Quartieren gelegen. Mehr wie 2, höchstens 3 Mann, sind in keinem Quartiere gewesen: und da haben sie in gesunden Zimmern gewohnt, und allerwenigstens auf guten Strohbetten geschlafen. Hat eine Compagnie gleich 6 Leuken oder 3 gute deutsche Meilen auseinander gelegen, und hat daher gute Wege zur Kirche, Löhnung, und zum wöchentlichen Exerzieren gehabt; so hat diese ihre Bewegung, bei einem stets heitern Himmel und einer reinen und trocknen Luft, die Stelle des besten Arztes bei ihnen vertreten; und außerdem haben sie nichts von Commandos und Piqueten gewusst. Ich glaube, dass 2 Regimenter glücklich genug sind, wenn sie nicht mehr als höchstens 6 bis 7 Mann ein jedes in einem Winter verlieren. Gefährliche Kranke haben wir Gottlob gar nicht.

Der Winter ist dieses Jahr von einer solchen Beschaffenheit gewesen, dass durchgängig alle Einwohner versichern, so einen Winter hätten sie noch nie erlebt. Wir selber haben keine merkliche Veränderung zwischen der hiesigen und der unsrigen Winter-Kälte verspürt; und dabei haben wir die stets egale Witterung bewundert. Seit dem 24 November vorigen Jahres, da es anfing ernsthaft zu schneien und zu frieren, haben wir weder Regen noch ein wirkliches Tauwetter gehabt: von dieser Zeit ist der erste Schnee und das erste Eis liegen geblieben. Es hat oft stark geschneit, aber selten über 12 Stunden; und aller Schnee ist trocken und klein gewesen. Man kann sich leicht vorstellen, dass in einem so anhaltenden und egalen Winter die Erde mit einer 4 bis 5 Fuß starken und kompakten Schnee- und Eisdecke belegt werden muss. Die natürliche eigene Schwere des Schnees, und die in Kanada gegen unser Land weit wärmere Sonne, wissen den Schnee nach und nach zu einem solchen festen Körper zusammen zu drücken, dass man darüber weggehen, und zur Not bei kalten Tagen wegfahren kann. Da Kanada einige Grade südlicher als unser Nieder-Sachsen liegt: so ist es natürlich, dass daselbst die Sonne an sich stärkere Kraft wie bei uns, auch im Winter, haben muss. Daher kommt es auch, dass der kürzeste Tag im Winter 1 Stunde mehr wie bei uns hält, und folglich der längste Sommertag auch um l Stunde kürzer ist. Den 21 Dezember hatten wir in diesem Jahr den kürzesten Tag, und der wahre Sonnen-Aufgang ist um 7 Uhr 45 Min., und ihr Untergang um 4 Uhr 14 Min. Den 22 Juni haben wir den längsten Tag, und der Sonnen-Aufgang ist um 4 Uhr 5 Min. 28 Sek., und ihr Untergang um 7 Uhr 54 Min. 32 Sek. Der Quebecker Kalender ist überhaupt ganz gut und mathematisch eingerichtet.

Der hohe Schnee, die vielen und dicken Wälder, die wenig bebauten Gegenden und flachen Felder, die vielen großen Flüsse und Seen, und die wirklich durchdringende kalte N- und NW-Winde, machen Kanada kälter, wie es nach seiner natürlichen Lage eigentlich sein müsste. Wenn ein solcher Wind es ernsthaft meint; so erstarrt gleich alles, und in gar wenig Minuten können unbedeckte Teile des Körpers erfrieren, ohne dass man es selbst merkt. Für Menschen, die keine gute Brust oder Lunge haben, sind diese Winde gefährlich; und es ist wahr, dass man alsdann kaum die Zimmer zu heizen vermögend ist. Den 2, 3, und 4ten Jan., und den 5 und 6 März, haben wir penetrant kalte Tage gehabt. Heftige Sturmwinde, die höchstens 12 Stunde dauern, sind gemeiniglich die Vorboten sehr kalter Tage; und von diesen sind ansehnliche Nordlichter wieder die Vorläufer. Die recht strengen Tage halten indes gleichfalls nicht viel über 72 Stunden an; und man findet Tage mitten im Winter, an welchen die Sonne eine recht erwärmende und erquickende Kraft zeigt, und die man Frühlings-Tage nennen könnte. — Die ganze Armee trägt des Winters noch eine besondre Winter-Mondierung: diese besteht in einer tuchenen Überhose, welche von den Füßen an bis unter den Nabel tritt, in ein par großen Fausthandschuhen, und in einer tuchenen Kappe, welche das Gesicht, den Hals und die Schultern bedeckt. Die englischen Regimenter tragen außerdem über ihre Mondierungen noch Capots Canadiens.

Der Laurent-Fluss, der in regula sonst alle Jahr gänzlich zufriert, hat vor dem Monat Februar nicht eine Eisbrücke angesetzt. Von Trois Rivieres bis Quebeck ist vor dem 16 Febr. gar keine Brücke gewesen. Weil durch die Flut oberhalb Trois Rivieres eine solche Brücke zersprengt ist, und die Eisschollen davon sich bei unsrer Paroisse St. Anne, und bei der nicht weit davon liegenden Paroisse les Grondines, stauten: so bekamen wir dadurch 2 Brücken den 17ten, welche den 19ten bereits befahren wurden. Es ist ein besonderer Anblick für den, der zum erstenmal über einen Fluss von 3/4 deutschen Meilen fährt, und an manchen Stellen, rechts und links von der Brücke, auf keine 3 Schritte weit, den offnen und heftigen Fluss sieht: wenn man über rudera andrer zerbrochnen Brücken fährt, welche allhier die Lücken glücklich zugestopft haben; wenn da Eis unter einem zu schwanken scheint, kracht, und an beiden Seiten hin und her Kentern schießt; oder wenn man über Handbreit offene Ritzen jagen muss. Zur Zeit der Flut fährt man bei diesen Gelegenheiten nicht gerne über einen Fluss, und noch weniger wenn der Wind heftig ist, und aus Osten weht. Hat das Eis nur eine Dicke von 4 guten Zollen erhalten: so wagt der Kanadier schon sicher mit Kariolen darüber zu fahren. Über die in den Laurent sich ergießende Flüsse sind wir dagegen schon mit dem Ende des vorigen Jahres gefahren; und auf gleiche Art gehen auch die meisten Wege an beiden Seilen des großen Flusses weg, als welcher nur hartnäckig ist, in der Mitte erst zuzufrieren. Er reißt seine Seiten auch wohl auf, und vorzüglich bei starker Flut; aber nach und nach muss er dafür zu seiner eignen Strafe 2 bis 3 Eis-Brücken über einander bauen.

Es ist unglaublich, welche Touren man in kurzer Zeit über Eis-Wege in einer Cariole (d. i. in einem niedrigen und unten mit Eisen beschlagenen Schlitten) machen kann. Von St. Anne nach Trois Rivieres, oder 7 starke deutsche Meilen, bin ich selbst 2te, den Fuhrmann exklusive, mit Einem Pferd in starkem Trabe in 4 kleinen Stunden gefahren. Pferde, die Leuken oder 6 gute deutsche Meilen in weniger wie 3 Stunden laufen, sind in Kanada nicht rar; und dennoch werden diese Tiere ohne besondre Pflege und Wartung 20, 24 bis 30 Jahre alt. Mit guter Relais reist man in 16 Stunden richtig 30 Meilen in Kanada.

Die Schnee-Wege will ich in einem anderen Brief beschreiben. Bleiben Sie mein Gönner und Freund, und empfehlen Sie ihren gehorsamsten Diener, so gut Sie können, Ihrer ...

Schlözer, August Ludwig von (1735-1809) deutscher Historiker, Staatsrechtler, Schriftsteller, Publizist, Philologe, Pädagoge und Statistiker

Schlözer, August Ludwig von (1735-1809) deutscher Historiker, Staatsrechtler, Schriftsteller, Publizist, Philologe, Pädagoge und Statistiker