Die alte Universitäts-Bibliothek vor der Reformation

Die erste Entstehung der Greifswalder Universitäts-Bibliothek fällt in das Gründungsjahr der Universität selbst, in welchem der Stifter und erste Rektor, der Greifswalder Bürgermeister Heinrich Rubenow, in seinem vom 11. November 1456 datierten Testamente der Juristen-Fakultät alle seine Bücher vermachte: hiir baven an, heißt es in der Urkunde*), gheve ik deme studio alle myne boke, textualia unde lecturen, summen unde sexternen, bunden unde unghebunden, watterleye se syn unde in wat kunst; de scholen denen to ener librarien der iuristen oa lüde mynes testamentes. Men oft ik vamme Gripeswolde wanen toghe, oft andere nôdsake my anville, dat ik myne boke gantz edder ên dêl voranderen edder vorkopen wolde, edder oft my welk unwille scheghe van den regenten in deme studio, so beholde ik my vulle macht, desse gift der boke wedder to ropende, unde myd mynen boken to varende wo ik wil. Men schut dyt nicht, so scholet se ewich by der iuristen faculteten bliven. Men an alle boke hinden unde vor schal me myd textscrift scriven laten, dat ik se gheven liebbe to ener dachtnisse. Dit schal dat Studium alle dôn laten unde beköstigten, er de boke vorantwerdet werden. Unde van dessen boken schal me nummer en vorkopen oft voranderen, sunder me kope ên beter wedder myd deme ghelde unde scrive mynen namen dar wedder in to myner ewigen dachtnisse. Ok schal me buten de stad dar nene af vorlênen nummer mer, men hîr bynnen wol, men doch nicht sunder gude pande io so gûd alze dat bôk.

*) Kosegarten, Geschichte der Universität Greifswald II, 40.


Den Wert seiner Bibliothek schätzte Rubenow auf über 1.000 (Gold)-gulden; in den Annalen der Universität hat er diese Schenkung selbst verzeichnet: Hinricus Rubenow utriusque iuris doctor et primus plantator . . . . dedit universitati nostre in dotem omnes solempnos libros suos in valore mille florenonim et ultra*) Über Umfang und Inhalt der Rubenow'schen Bibliothek sind wir nicht unterrichtet, selbstverständlich ist nur, dass sie ausschließlich aus Handschriften bestanden haben kann, da der Bücherdruck ja erst eben begonnen hatte. Die jetzige Universitäts-Bibliothek besitzt leider die Manuskripte Rubenows nicht mehr: einen kleinen Teil derselben, im Ganzen nur acht Bände, glaubte Karl Theodor Pyl im Jahre 1865 in der Bibliothek der Nicolai-Kirche in Greifswald nachweisen zu können, nachdem schon im vorigen Jahrhundert mehrfach die Vermutung ausgesprochen war, dass die Kirchenbibliothek jene Schenkung aufbewahre: erweisen lässt sich beim Fehlen aller Nachrichten dieser Übergang jedoch nicht, ja wir wissen nicht einmal, ob die Absicht Rubenows zur Ausführung gelangt ist: er hatte sich ausdrücklich den Widerruf und die freie Verfügung über seine Bücher vorbehalten, falls ihm Unrecht von einem kommenden Rektorate geschehe, schon 1457 aber wurde er am 22. September aus der Stadt vertrieben: er kehrte zwar im Dezember desselben Jahres zurück und wurde in seine Ämter, städtische wie akademische, wieder eingesetzt, aber bekannt ist, wie ihm seine Mitbürger schließlich mit der Ermordung für die Stiftung der Universität gedankt haben (31. Dez. 1462). Muss es somit ungewiss bleiben, ob Rubenows Büchersammlung überhaupt in den Besitz der Universität gekommen ist, so erfahren wir von einer anderen Bücherschenkung an die Juristen, welche der am 27. Juni 1475 verstorbene Professor Georg Walter (aus Preußen) in seinem Testament mit seiner ganzen Bibliothek machte: ein Kommentar über das erste und zweite Buch der Decretalen und consilia iuris canonici von ihm haben sich handschriftlich in der Nicolaikirchenbibliothek erhalten**) und werden wohl aus dieser Schenkung stammen.

*) Kosegarten 1. C. II, 159. Im Album der Universität erwähnt Rubenow ebenfalls die Schenkung seiner Bücher: . . . eciam com omnibus libris meis, quos tamen pro mille florenis nulli darem. Kosegarten II, 259.
**) Pyl, Rubenow-Bibliothek S. 40-47.


Etwas genauer sind wir über die Bibliothek der Artistenfakultät unterrichtet, welche 1459 unter Rubenows drittem Rektorat ihren Anfang nahm: er selbst hat in den Annalen Folgendes darüber aufgezeichnet*):

De erectione piime librarie in facultate arcium. Illo tempore fuit primo deputatus et eciam adaptatus locus in maiori collegio artistarum pro libraria et ordinati duo provisores pro eadem, et statim foerunt ad eandem dati diversi libri per eundem dominum rectorem et magistros Uderieum SteflGud et Johaimeni Parieberch ae edam magistmm Nicolaum Degantz medicine licentiatum, qui pro ista librariarum . . . Diese Artisten-Bibliothek erhielt in den nächsten zwanzig Jahren (1461—1482) verschiedene Geschenke: so vermachte ihr 1461 der Rektor Heinrich Nakke, der im Januar dieses Jahres starb, mehrere Bände **), 1469 schenkte ihr Magister Jacob Stake bei seinem Abgang einen Kommentar über Aristoteles' Physik), 1473 bekam sie von dem bereits bei der Stiftung beteiligten Johann Parleberch vier Bände Aristotelischer Schriften ***) und endlich 1482 hinterließ ihr Magister Johann Reberch von Lindenow zwei Bände ebenfalls Aristotelischer Bücher. Die Aufsicht über die Bücher der Artistenfakultät führte der Dekan, wie sich aus einem die Bibliothek betreffenden Fakultäts-Beschluss von 1463 ergibt:
In feria quarta ante festum pentecostes (Mai 25) conclusum fuit, . . .

*) Kosegarten, II, 170. —
**) Kosegarten II, 177. —
***) anam antiquam lecturam super phisicorum in papiro ib. II, 217


Vermutlich war der jedesmalige Dekan einer dar beiden provisores, welche Rubenow zu 1459 bei der Stiftung der Artisten-Bibliothek erwähnt: im collegium maius, der Wohnung von 6 Lehrern der Artistenfakultät (an der Stelle des jetzigen Universitäts-Gebäudes), befand sich wohl auch die Bibliothek nebst der cista facultatis mit den noch nicht angeketteten Büchern. Es hat sieh auch ein Katalog über diese Bibliothek erhalten, der von 7 verschiedenen Händen in 12 unterschiedlichen Aufzeichnungen 74 Bände anführt und allmählich zwischen 1460 bis 1517 angelegt ist: auch er wurde wohl vom Dekan geführt. Wir finden in diesem ältesten Katalog der Artistenbibliothek , welcher 1483 von dem Dekan Enwald Kleyne in das Dekanatsbuch der Artistenfakultät eingebunden wurde, 55 Aristotelische Schriften, 12 andere philosophischen Inhalts, 4 grammatische, 9 mathematische Traktate und einen Himmelsglobus, 13 theologische Bücher und 9 medizinische. Nur ein kleiner Teil derselben, die auch zum größten Teil aus Handschriften bestanden haben, hat sich auf der Nicolai-Kirchenbibliothek erhalten, nur 12 lassen sich daselbst noch mit Sicherheit nachweisen: die heutige Universitäts-Bibliothek besitzt von den Büchern der Artistenfakultät kein einziges mehr. Denn in den stürmischen Jahren der Reformation, als die Universität selbst verödete und mehr als 12 Jahre fast alle Vorlesungen aufgehört hatten, sind auch die Bücher der Artisten- und Juristenfakultät verloren gegangen. Nach einer Notiz Jacob Gerschows, Professors der Geschichte um 1640, wurden damals die Bücher der Universität im Rathaus untergebracht: die nicht weiter beglaubigte Nachricht gewinnt durch die Tatsache eine innere Wahrscheinlichkeit, dass ein kleiner Rest der beiden Bibliotheken sich bis zum heutigen Tage in der städtischen Nicolaikirche erhalten hat, wohin sie 1599 aus dem aufgehobenen Minoritenkloster gebracht worden sind: im Minoritenkloster wurden in Folge des Rezesses von 1558 alle noch brauchbaren Bücher aus Kirchen und Klöstern der Stadt vereinigt, die unbrauchbaren und überflüssigen Bücher aber sollten damals „bei einzelnen Zentnern" als Makulatur verkauft werden: davon ist vermutlich der größte Teil der beiden Fakultäts-Bibliotheken betroffen worden. Die 1539 neuerstandene evangelische Universität hat ihr Eigentum nicht reklamiert, die scholastische Philosophie, welche den größten Teil der Bibliothek der Artistenfakultät ausmachte, und das kanonische Recht, welches wahrscheinlich eben so stark in der Juristen-Bibliothek vertreten gewesen ist, hatten der neuen Lehre gegenüber ihre Bedeutung verloren; daher kümmerte man sich um jene papistischen Bücher nicht weiter und überließ sie ihrem Schicksal. Erst 64 Jahre später dachte die Universität an die Gründung einer Bibliothek, aber auch damals handelte es sich nicht um die Wiederbeschaffung der beiden alten Fakultäts-Bibliotheken, sondern man ging an die Errichtung einer neuen den modernen Studien dienenden Sammlung. Diese haben wir zunächst zu betrachten.
Perlebach, Max Dr. (1848-1921) Bibliothekar und Historiker

Perlebach, Max Dr. (1848-1921) Bibliothekar und Historiker

Norddeutschland 017 Greifswald, Hunnenstraße, Nikolaikirche

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Greifswald

Greifswald

Abb. 092 Luther, Martin (1483-1546) theologischer Urheber der Reformation

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Bugenhagen, Johannes (1485-1558) Bedeutender Reformator und Weggefährte Martin Luthers

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Greifswald, Dom, Rubenowdenkmal

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Greifswald, Eldena, Kirche des Zisterzienser-Klosters (2)

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Greifswald, Eldena, Kirche des Zisterzienser-Klosters

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Greifswald, Universität, Rubenowdenkmal auf dem Rubenowplatz

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Rubenow, Heinrich (1400-1462) Bürgermeister von Greifswald

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