Verrufene Spinnen

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1929
Autor: Dr. Johannes Bergner, Erscheinungsjahr: 1929

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Spinnentiere, Spinnen, Skorpione, Tarantel, Spinnengift, Spinnenbiss, Spinnennetz, Insekten, Kreuzspinnen, Fliegen, Mücken, Aberglaube, Wasserspinne,
Besonderer Beliebtheit erfreuen sich die Spinnen nicht. Das Volk nennt sie hässlich und giftig und meidet oder tötet sie, wo es nur kann. Der Kenner aber sieht in ihnen treue Bundesgenossen im Kampfe wider schädliche Insekten. Und noch mehr als das, er bewundert die Kunst der Netzestellerin, die im ersten Morgengrauen, wenn nichts sie stört, in dreiviertelstündiger Arbeit ihr glitzerndes Gewebe fertigt, Falle und Leimrute zugleich, dank der klebrigen Tröpfchen, die sich an den Spiralfäden des radförmigen Netzes finden. Schon die Feinheit des Fadens ist staunenswert, ist er doch achtmal dünner als der einer Seidenraupe und hundertmal zarter als Frauenhaar. Gleichwohl wurden schon Handschuhe und Strümpfe, ja selbst ein Brautkleid aus der wunderbar feinen und dennoch haltbaren Spinnenseide hergestellt, von der ein Kilogramm freilich auch über 1.500 Mark alter Währung kostete. Was aber vollends mit den auf ihren acht Beinen gespenstig forthuschenden Gliedertieren aussöhnt, ist die große Mutterliebe der sonst grausamen Geschöpfe.

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Unser Bild S. 19 unten zeigt eines der merkwürdigsten Beispiele, mit erhobenen Vorderfüßen hält eine sorgliche Spinnenmutter ihren Seidenball, der zahlreiche Eilein umschließt, der wärmenden Sonne entgegen. An Regentagen aber lässt sie diese Kugel in ihrer weichgepolsterten Niströhre, die von Steinchen und einem Reisigaufbau überdeckt wird. So schleppt sie ihre Kinderwiege zwei Monate lang mit sich herum und lässt sie auch dann nicht im Stich, wenn sie ihr eigenes Leben dadurch retten könnte. Die ausschlüpfenden Jungen, gegen dreihundert an Zahl, kriechen der Mutter auf den Rücken, um sich dort an dem weichen Flaume wie an Schürzenbändern festzuhalten. Wahrlich keine geringe Last.

Giftig sind die Spinnen meist nur für die kleinen Beutetiere, in die sie die von einem Giftkanal durchbohrten Klauen ihrer Kieferfühler schlagen und die sie dadurch lähmen, um sie in Ruhe auszusaugen oder als Vorrat für die nächsten Tage aufzuheben. Dem Menschen können unter den einige tausend Arten zählenden Spinnen nur wenige schaden. Dennoch ist vielen schon unsere Kreuzspinne verrufen ob ihrer Giftigkeit, weil sie das Todeszeichen, das zu gewissen Zeiten im Finstern leuchtet, auf ihrem Rücken trägt. Tatsächlich hat sie auch ein schlimmes Gift, das nach sorgfältigen Versuchen des um die Erforschung der Giftspinnen verdienten Staatsrates Prof. Dr. Kobert Hunde und Katzen oft schon nach wenigen Minuten tötet, wenn ihnen einige Milligramm in die Adern eingespritzt werden. Auf diese Weise angewandt, würde bereits das Gift eines einzigen kräftigen Kreuzspinnenweibchens genügen, um etwa tausend halbwüchsige Katzen umzubringen. Glücklicherweise aber ist die Wirklichkeit doch anders, denn einmal ist die Kreuzspinne mit ihrem Gift äußerst sparsam, und dann kann sie nicht einmal die Haut Erwachsener durchbeißen. Dennoch ist es gewagt, wenn kleine Kinder solche Spinnen in die Hand nehmen, weil die zarte Kinderhaut leichter durchbissen werden kann. Den germanischen Vorfahren war die Kreuzspinne ein willkommener Hausgenosse, der nicht nur Haus und Hof von lästigen Fliegen und Mücken säuberte, sondern nach ihrem Glauben auch das Anwesen vor Blitzschlag schützte, weil sie als Freibrief Donars Rune trug, den Hammer, den der Gott im Ungewitter schleuderte.



Viel kleiner als die Kreuzspinne ist die Wasserspinne, die sich wie ein Schwimmkäfer in pflanzenbestandenen klaren Teichen und Weihern tummelt, sie durchbeißt sogar die harte Haut der Hand, doch ohne schlimme Folgen, obwohl der Biss wie ein Bienenstich brennt. Mancher Aquarienfreund, der diese Spinne ihres interessanten Nestes wegen hält, erfuhr das schon bei ihrem Fang. Sie schafft manche frohe Stunde, wenn sie im Silberglanze ihres luftumhüllten Hinterleibes durch das Wasser schwimmt oder ihr Netz spinnt, das sie mit Luft füllt. Zu diesem Zwecke steigt sie wiederholt zur Oberfläche auf, um dort mit einem Ruck ihres samtartigen Hinterleibes ein Luftbläschen zu haschen, das sie zu ihrem Wasserschloss bringt und dort wie einen Fußball abstößt, bis sich schließlich der ganze Bau wie eine Glocke wölbt. Ihren Eikokon hängt sie darin hoch an der Decke auf, so dass die ausschlüpfenden Jungen ungefährdet in diesem Urbilde der Taucherglocke aufwachsen, die diese einzigartigen Wasserfreunde schon lange vor dem Menschen kannten. Eine Spinne, deren Biss dem Menschen wirklich schadet, kommt indessen auch in Deutschland vor. Sie wurde schon vor über hundert Jahren im Odenwald und 1891 auch auf dem Rochusberg bei Bingen gefunden, an dessen Südabhang der weitberühmte Scharlachberger wächst. Die in der Schweiz, in Frankreich und Italien ziemlich häufige Spinne erhielt den Namen Dornfinger, wohl der gezähnten Kieferfühler wegen, die ihre Waffe bilden. Es sind vorwiegend gelb und braun gefärbte, ziemlich kleine Tiere, denn dass viel größere Weibchen misst nur eineinhalb Zentimeter. Es wohnt in einem aus dürren Blättern zusammengewebten taubeneigroßen Gehäuse und wacht dort über seinem Eigelege. Wird dieses Netz geöffnet, so setzt die wackere Spinnenmutter sich mit erhobenem Vorderkörper und drohend ausgebreiteten Beißzangen, aus denen ein Tröpfchen wasserhellen Giftes quillt, mutig zur Wehr. Will man sie aber fangen, so beißt sie derart in den Finger, dass der brennende Schmerz rasch über den Arm zur Brust hin ausstrahlt. Als weitere Folge stellen sich Schüttelfrost und große Mattigkeit ein, und wenn auch alles Unwohlsein nach zwei bis drei Tagen wieder vergeht, so ist die winzige eiternde Wunde doch lange Zeit noch sichtbar. Selbst die apulische Tarantel (Abbildung S. 18), von der das Mittelalter glaubte, dass der von ihr Gebissene in Raserei gerate und bis zur völligen Erschöpfung tanze, ist keineswegs so schlimm wie ihr Ruf. Ihr Biss ist nicht schlimmer für den Menschen als ein Wespenstich. Der leicht erregbare Südländer aber befürchtete das Schlimmste und bemühte sich daher, das vermutlich tödliche Gift durch heftige Körperbewegungen wieder auszuschwitzen. Daraus mag wohl der Tarantellatanz entstanden sein. Die rehbraune, am Hinterleib mit schwarzen, rötlichweiß gesäumten Binden geschmückte italienische Tarantel ist die harmloseste ihrer Sippe. Das fast vier Zentimeter lange Tier lebt in selbstgegrabenen Erdröhren und jagt mit anbrechender Dämmerung Heuschrecken und andere Insekten, die es in seine Höhle schleppt. Mehr Vorsicht erfordert schon die schwarzbäuchige Tarantel (Abbildung S. 18), denn der Biss des in Spanien und Algier heimischen Insekts tötet einen Maulwurf. Viel schlimmer aber sind die Malmignatten des Mittelmeergebietes und der heißen Länder. Die bekannteste von diesen „marmorierten Spinnen“, wie sie nach ihrem rotpunktierten schwarzen Hinterleibe heißen, lebt in Italien. Dort legt sie ihre Fußangeln an viel begangenen Insektenstraßen. Zappelt darin ein Käfer oder eine Heuschrecke, die ihre Lieblingsnahrung bildet, so springt sie ihrem Opfer auf den Rücken, um es durch immer neue Haltetaue zu fesseln und dann durch einen Biss in die Nackennerven blitzschnell zu töten. Die Angaben über ihre Gefährlichkeit aber widersprechen sich, denn es ist begreiflich, dass die Wirkung je nach der Bissstelle und Jahreszeit verschieden sein kann und vor allem auch davon abhängt, ob der Betroffene ein starker Mann oder ein Kind ist. Eines geht aber aus den ärztlichen Berichten hervor, nämlich, dass dieses Lebewesen manches Menschenleben auf dem Gewissen hat. — Unbestritten schädlich ist ihre russische Verwandle, der Karakurt, der schwarze Wolf der Steppen des Schwarzen und Kaspischen Meeres. Sie ist viel kleiner als unsere Kreuzspinne, kann aber doch die Haut des Menschen und die noch viel dickere des Kamels durchbeißen. In manchen Jahren ging fast ein Drittel dieser sonst so zähen Tiere zugrunde, wenn sie beim Weiden in Zunge oder Nüstern gebissen wurden. An der unteren Wolga wurden in einem Jahr über siebentausend Rinder durch diese Giftspinne gelötet. Deshalb verlassen die Kirgisen mit ihren Herden schleunigst solche Weidegründe, in denen Heuschrecken und damit auch die von ihnen lebenden Karakurten auftreten. Glücklicherweise ist der Mensch nicht in demselben Maß gefährdet, doch sterben immerhin noch vier Prozent der von dieser Spinne Gebissenen, obwohl die Bissstelle kaum sichtbar ist. Sofortige Behandlung ist in jedem Fall geboten, da dieses Blutgift außer qualvollen Nervenzuständen und der durch Schwäche und Gelenkstarre bewirkten Unfähigkeit zum Gehen auch noch krampfartige Erscheinungen hervorruft, die bei Vernachlässigung dauernde Lähmung zur Folge haben. Wie beim Tarantel-Biss ist Schwitzen eines der Hauptheilmittel, das die sonst vierzehn Tage lang bestehenden Beschwerden auf drei bis vier Tage abkürzt.

Wenn schon eine kleine Spinne so gefährlich ist, wie muss da erst die riesige Vogelspinne wirken, deren zottig behaarter Leib mit seinen bleistiftdicken Beinen die Fläche einer Männerhand bedeckt. Indes der Name schon weckt irrige Vorstellungen, denn wenn das Tier auch einen kleinen Vogel mit seinem Gift töten kann, so lebt es doch hauptsächlich von großen Insekten. Ab und zu packt sie freilich auch junge schlafende Vögel, eine Eidechse oder einen Frosch, den sie zerkaut und ganz verschlingt. Für den Menschen ist ihr Biss zwar außerordentlich schmerzhaft und die stark entzündete Wunde erfordert sorgfältige Behandlung, aber schlimmere Folgen hat er nicht. Unheimlich bleibt die Riesin immerhin, besonders wenn die Regenzeit sie aus ihren Schlupfwinkeln unter Steinen oder den selbstgegrabenen, seidig austapezierten Röhren treibt und sie nun ihre Zuflucht in die Häuser nimmt. Dort huscht sie nachts wie eine Maus herum oder richtet sich kampfbereit auf, wenn etwas sie erschreckt, wobei sie eigentümlich klingende Warnungslaute hören lässt, wie wenn ein Messer über die Zinken eines Kammes fährt. Auch ihren dichten Haare, die sie vor Verletzungen durch wehrhafte Beutetiere schützen, doch wie die Raupenhaare unseres Prozessionsspinners leicht abbrechen und auf der Haut stark jucken, sind eine üble Zugabe für die Hausbewohner. Nicht weniger unbeliebt ist die in Wüsten und Steppen der Alten und der Neuen Welt lebende Walzenspinne, ein merkwürdiges Tier, das anscheinend zehn Beine hat, weil seine Kieferfühler sich fußartig verlängerten. Wie schon die Gliederung des Körpers sowie das einzige Augenpaar verrät, ist dieses Tier ein Mittelding zwischen der Spinne und dem Skorpion. Das fahlgelbe behaarte Geschöpf wirkt abschreckend wenn es des Nachts am Lagerfeuer Insekten jagt oder sich drohend aufrichtet und mit den scherenartigen Kieferfühlern knirscht. Eine Giftblase hat die Walzenspinne zwar nicht, aber sie kann bis aufs Blut beißen wobei leicht Fäulnisstoffe in die Wunde dringen und sie entzünden. Selbst harte Käferpanzer werden von dieser Laufspinne durchbissen, die wie ein Tiger über alles herfällt, was sie nur irgendwie bezwingen kann. Die größeren tropischen Arten fressen in ihrem ständigen Heißhunger sogar Eidechsen, Kröten und kleine Säugetiere, und wenn zwei Artgenossen einander begegnen, stürzt sich der stärkere auf den schwächeren, so dass der Ausdruck „spinnefeind“ nur zu berechtigt ist. Sogar mit dem Skorpion kämpfen sie auf Tod und Leben (Abbildung S. 19) und besiegen ihn manchmal dank ihrer größeren Behändigkeit, obwohl ein Stich des Gegners sie sofort kampfunfähig machen würde. Auch dieser ist ein Spinnentier, und zwar das größte und gefährlichste, denn unter den zweihundert bekannten Arten gibt es, besonders in Nordafrika und in Südasien, Riesen von fast zwanzig Zentimeter Körperlänge. Diese haben zur heißen Sommerzeit, wo sie besonders giftig sind, schon manchen Menschen getötet, besonders Kinder und schwächliche Frauen, die unter Krämpfen starben. Den alten Ägyptern war der Skorpion deshalb Sinnbild des bösen Geistes. Die meisten der in allen Erdteilen sich findenden Arten sind jedoch viel kleiner und können deshalb auch nicht solchen Schaden stiften. Für Spinnen und Insekten aber, die ihre Beute bilden, wirkt ihr Gift stets tödlich, ja der Skorpion selbst ist nicht dagegen gefeit. Es stammt von einer Doppeldrüse, die in den Stachel des langen Schwanzes mündet. Der Skorpion trägt ihn deshalb nach vorn gekrümmt, so dass er über seinen Kopf hinweg das von den krebsartigen Scheren emporgehaltene Opfer stechen kann, wenn er es nicht anders bewältigt. Verdächtige Gestalten sind auch die vorwiegend in heißen Ländern lebenden Skorpionspinnen. Der gefährlich aussehende Schwanzanhang des Fadenskorpions (Abbildung S. 18 unten) ist jedoch harmlos. An seiner Spitze münden nur die Ausführgänge zweier Stinkdrüsen, die zur Abwehr das schwarzbraune Geschöpf in eine förmliche Dunstwolke von Ameisensäure hüllen. Ein anderer berüchtigter Vertreter ist der Geißelskorpion, wie er nach dem auffallend langen fühlerförmigen Fuß-Paar heißt (Abbildung S. 20). Die beinförmigen, scharfbedornten Kiefertaster dieser beiden Tiere lassen schon nichts Gutes ahnen. Der Biss der Skorpion-Spinnen ist denn auch so gefürchtet, dass das Vorhandensein von Giftdrüsen, die in die scharfen Klauen münden, wohl anzunehmen ist. Immerhin sind die Fälle, in denen Menschen durch Spinnenbiss getötet werden, nur Ausnahmen; vielmehr überwiegt der Nutzen, den diese von Insekten lebenden Räuber in Wald und Feld, in Hof und Garten stiften.

Die schwarzbäuchige Tarantel (Weibchen), von der Bauchseite gesehen.
Die apulische Tarantel (Weibchen). Ihr Biss tötet einen Maulwurf.
Der Fadenskorpion, der durch seinen Schwanzanhang eine Dunstvolke von Ameisensäure verbreiten kann.
Die schwarzbäuchige Tarantel (Weibchen), von der Bauchseite gesehen.
Angriff einer Walzenspinne auf einen Skorpion / Zeichnung von A. Specht.
Die treubesorgte Spinnenmutter hält die ihre Eier bergende Gespinstkugel der wärmenden Sonne entgegen.

Angriff einer Walzenspinne auf einen Skorpion, Zeichnung von A. Specht.

Angriff einer Walzenspinne auf einen Skorpion, Zeichnung von A. Specht.

Der Fadenskorpion, der durch seinen Schwanzanhang eine Dunstvolke von Ameisensäure verbreiten kann.

Der Fadenskorpion, der durch seinen Schwanzanhang eine Dunstvolke von Ameisensäure verbreiten kann.

Die apulische Tarantel (Weibchen). Ihr Biss tötet einen Maulwurf.

Die apulische Tarantel (Weibchen). Ihr Biss tötet einen Maulwurf.

Die schwarzbäuchige Tarantel (Weibchen), von der Bauchseite gesehen.

Die schwarzbäuchige Tarantel (Weibchen), von der Bauchseite gesehen.

Die schwarzbäuchige Tarantel (Weibchen)

Die schwarzbäuchige Tarantel (Weibchen)

Die treubesorgte Spinnenmutter hält die ihre Eier bergende Gespinstkugel der wärmenden Sonne entgegen.

Die treubesorgte Spinnenmutter hält die ihre Eier bergende Gespinstkugel der wärmenden Sonne entgegen.

Insekten, Spinnen, Eine gezähmte Spinne kriecht auf die Hand ihres Beschützers, um eine Küchenschabe in Empfang zu nehmen

Insekten, Spinnen, Eine gezähmte Spinne kriecht auf die Hand ihres Beschützers, um eine Küchenschabe in Empfang zu nehmen

Spinnen, Südamerikanischer Geißelskorpion

Spinnen, Südamerikanischer Geißelskorpion