Die Markuskirche

Diese entstand aus einer Kapelle, deren Errichtung Giustiniano in seinem Testamente angeordnet hatte, innerhalb der Gemarkung des herzoglichen Palastes. Man nimmt das Jahr 836 als Gründungsjahr an, glaubt aber nicht, dass der Grundriss des Domes, wie er sich seit seiner Vollendung darstellt, mit dem des ältesten Baues vollkommen übereinstimme. Letzterer wurde im italo-byzantinischen Stile, der vom achten bis zum elften Jahrhundert geblüht hat, nach dem Muster der Dome von Cattaro und Arbe hergestellt; zu seinen Vorläufern gehört auch S. Zeno in Verona, die Cripta rotonda in Brescia, S. Vicenzo in Prato, die Chiesa abaziale di SS. Ilario e Benedetto und S. Zaccaria in Venedig, die ebenfalls unter Giustiniano Partecipazio errichtet wurde. Die Ausstattung wurde von byzantinischen Künstlern besorgt, an deren wirken noch zahlreiche Denkmäler in Torcello und im Palazzo Bembo und dessen Nachbarn erinnern. Die erste Restauration und teilweise Vergrößerung wird in der Regierungszeit Orseolos I. an das Ende des zehnten Jahrhunderts verlegt, in ihr prägt sich bereits der neubyzantinische Stil aus, der sich in der Blütezeit der mazedonischen Dynastie in Konstantinopel entwickelte; der Ausbau in der gegenwärtigen Gestalt (Abb. 13-16), welche die Form des griechischen Kreuzes aufweist, begann unter Domencio Contarini 1063 und wurde 1094 vollendet, er gilt als der Ausgangspunkt des byzantinisch venezianischen Stiles, mit welchem die Verbreitung der Mosaikdekoration zusammenfällt. Achtzig Jahre hindurch wurden jährlich 8.000 Dukaten für den Bau von Staats wegen verwendet, außerdem widmete demselben die Dogen auch Beiträge aus ihrem Privatvermögen. Zur Verrechnung des ,,Vermögens des Heiligen“, wie man den Bau- und Erhaltungsschatz nannte, wurden die Prokuratoren von S. Maro bestellt, deren Amt als das höchste nach dem der Dogen galt. Für die Vermehrung des Schmuckes in Galerien (entstanden 1180), Kapelle und Seitenschiffen, für den Glanz der Haupthalle sorgten auch die kommenden Geschlechter, die ihre kostbarsten Beutestücke dem Nationalheiligen zu Füßen legten. Das Rituale, das in der Markuskirche eingeführt wurde, war nicht das alexandrinische und nicht das konstantinopolitanische, sondern das alte gradenische, das sich an den Ritus des heiligen Gregorius anlehnte. Choralbücher aus dem Trecento (vierzehnten Jahrhundert) finden wir noch heute in venezianischen Archiven, auch hat man Kenntnis von musikalischen Instrumenten, die zuerst zum Preis S. Marcos erklungen haben sollen. Noch vor der Einführung der Orgel, die erst im sechzehnten Jahrhundert allgemein wurde, kamen pneumatische Tonerzeuger in Verwendung. il Rigabello, Torsello, Ninfale, Regale. Die Organisten konstruierten sich selbst diese Instrumente, auf welchen sie die Klänge der Tiorbe, des Cornetto, Trombone, der Oboe, des Fagotto, der Violini, Violette und der Viole da brazzo (Bratsche) begleiteten.

Die Verehrung des heiligen Markus ward zur Staatsreligion, sie war Gemeingut aller Angehörigen der Republik, die ihren Patron auf allen Segeln und Bannern führte. Sein Attribut, der Löwe, wurde sehr bald als der Repräsentant des Heiligen anerkannt, dessen Züge er annahm. Der Doge war sein Vogt und genoss als solcher bei den großen kirchlichen Zeremonien die größte Auszeichnung. „Im Dome von S. Marco erstrahlte die Majestät des Dogen am hellsten“, hebt Molmenti hervor, während der Hymnen und Gesänge, inmitten des Weihrauchs und der Pracht der goldenen Stolen und Pluvialen, der von Edelsteinen funkelnden Mitren. Hier erschien der Doge im golddurchwirkten Gewande, mit der „Mozzella“ von Hermelin, den Purpurschuhen und dem vergoldeten, juwelenbesäten Horne so mächtig wie ein Souverän, hier versinnbildlichte er die Übereinstimmung von Glaube und Vaterlandsliebe, hier erinnerte er vor dem Altare an den höchsten Ruhm der Stadt.“ Wer die großartige Bedeutung beherzigt, welche die religiösen Gefühle im Mittelalter gewannen, der wird den Kultus von S. Marco für die Einheitsbewegung in Seevenetien nicht unterschätzen. So wichtig erschien den leitenden Persönlichkeiten der Besitz der Reliquie, und so groß war ihre Sorge darum, dass sie den Ort ihrer Aufbewahrung bald geheim zu halten notwendig fanden. Peter Candiano IV. ließ sie in eine Säule einmauern, die nach seinem Tode niemandem mehr bekannt war. Unter Vitalis Falieri (1084-1096) soll sie auf wunderbare Weise zum Vorschein gekommen sein, wurde jedoch bald wieder verborgen. Kaiser Heinrich IV., so heißt es, habe den Körper des Heiligen gesehen, als er von Treviso 1094 nach Venedig kam, dann wurde derselbe, nachdem er drei Monate ausgestellt gewesen war, unter den Hauptaltar versenkt, wo er erst 1811 wieder entdeckt werden konnte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Venedig als Weltmacht und Weltstadt