Die Hinrichtung Falieros

Die Lage Venedigs war keine günstige, ats Marino Faliero seine Regierung antrat. Seit vier Jahren war man mit Genua und Mailand im Kriege. Die Genuesen suchten mit einer Flotte von 35 Galeeren unter Paganino Doria die venezianische unter Ricolò Pisani bei Porto Longo an der Südspitze der Insel Sapienza an der messenischen Küste auf, schlugen sie am 4. November 1354, bemeisterten sich ihrer Schiffe uud machten 5.000 Gefangene. Die Widerstandskraft Venedigs war zwar nicht gebrochen, schon im Januar 1355 liefen neue Schiffe aus dem Golfe in die griechischen Gewässer und verursachten den genuesischen Faktoreien in Romania großen Schaden, aber man neigte sich aus seiten der Republik dem Gedanken eines Friedensschlusses zu, den Kaiser Karl IV., der eben zur Krönung nach Italien gekommen war, zu befördern sich befliss. Die Unterhandlungen wurden zuerst mit den Visconti von Mailand, dann mit den Genuesen geführt und näherten sich einem günstigen Ende, als die Katastrophe über den Dogen hereinbrach. Die innere Ursache derselben ist auch durch die neueste, auf den eingehendsten Aktenstudien beruhende Darstellung von Vittorio Lazzarini, die im ,,Archwio Veneto“ des Jahres 1897 veröffentlicht wurde, noch nicht aufgeklärt. Es sind immer noch rein persönliche Verstimmungen, Ärger und Unmut über nicht genügend gesühnte Beleidigungen, die als Veranlassnng für ein Unternehmen bezeichnet werden, das bei einem mindestens 70jährigen Manne von der Erfahrung, Einsicht und Klugheit Falieros unbegreiflich erscheinen muss. Einer oder mehrere junge Adelige, unter welchen Michel Steno, Haupt der Quarantie und später selbst noch mit der Dogenwürde bekleidet (Abb. 42), von den meisten Chronisten in den Vordergrund gestellt wird, sollen eine Dame aus der Umgebung Dogaressa, wahrscheinlich eine Verwandte des Hauses, durch unziemliches Benehmen gekränkt, der Doge soll sie aus dem Festsaale, wo dies vorfiel, gewiesen und Steno sich dafür durch eine die Dogaressa beleidigende Inschrift auf dem Sitze des Dogen gerächt haben. Die Strafe, die ihm dafür zuteil wurde, soll Marino als eine nicht entstehende angesehen und sich deshalb an seiner Ehre gekränkt gefunden haben. Die Dogaressa, Alvisa Grandenigo, war eine Frau von mehr als 40 Jahren, ihr Ruf war tadellos, das Bertrauen ihres Gatten auch nach diesem Ereignisse nicht erschüttert. Selbst ein jähzorniger Charakter des Dogen vermag uns noch nicht begreiflich zu machen, dass dieser infolge des Konfliktes mit Steno und dessen Richtern, den Avvogadoren, zum Feinde des Staatswesens geworden sein soll, dem er sein langes und ehrenvolles Leben hindurch mit größter Hingebung und Auszeichnung gedient hatte. Die Legende erzählt weiter von einem Streite zwischen Giovanni Dandolo und dem Seeoffizier Bertuccio Isarello, in welchem der letztere eine Ohrfeige von Dandolo erhalten habe; Isarello habe sich beim Dogen beklagt, und bei dieser Gelegenheit hätten sich die beiden zum Sturze der Adelsherrschaft verbunden. Durch Isarello wurden auch dessen Schwiegervater, der Steinmetzmeister und Bildhauer Filippo Calendario, und andere wohlhabende und im Volke angesehene Männer zu der Verschwörung zugezogen. Der Zweck derselben war die Beseitigung der Behörden und Räte, welche den Dogen in seiner Regierung beschränkten, also die Erhebung Marinos zum Fürsten von Venedig. Als sich die Verschworenen, zu welchen auch Bertuccio Faliero, ein Neffe des Dogen, gehörte, stark genug fühlten, bestimmten sie den 15. April zur Ausführung des Überfalles, der vielleicht hätte gelingen können, weil der Doge ihnen nicht nur keinen Widerstand entgegengesetzt, sondern sich ihnen angeschlossen hätte. Sie wurden aber verraten (durch den Pelzhändler Beltrame oder Vendrame), der Rat der Zehn nahm sofort den Prozess gegen sie auf, und durch denselben wurde die Mitschuld Falieros offenbar, der sich nach der Verurteilung und Hinrichtung der anderen Häupter selbst zu seinem Verbrechen bekannte. Die Zehn hatten sich mit den Räten des Dogen, den Häuptern der Avvogadori und einer ,,Zonta“ von 20 Vertrauensmännern umgeben, ihre Anhänger im Adel unter die Waffen gerufen und den Markusplatz sowie die nächstliegenden ,,Campi“ besetzen lassen. Tag und Nacht sollen Tausende auf dem Platze ausgeharrt haben, während die Untersuchung stattfand. Sie endete mit der Verurteilung des Calendario und Isarello, die sofort an den Säulen des Dogenpalastes aufgehängt wurden. Noch wusste man in der Stadt nichts von der Mitschuld des Dogen, der nach alter Sitte auf dem Balkone des Palastes erschien, um der ,,Cazza del toro“ zuzusehen. Sein Blick musste auf die Leichname der Gerichteten fallen, deren Schicksal sein Gewissen beschwerte. Schon am 11. April kam der Rat der Zehn mit dem Prozesse zu Ende; Faliero wurde von allen stimmberechtigten Mitgliedern, fünf Räten und neun der Dieci (ein Faliero hatte ausscheiden müssen) zum Tode verurteilt. Am 17. beschloss die Signoria die Einziehung aller Güter der Verschworenen, gestattete aber dem Dogen, über 2.000 Pfund Grossi zu verfügen. Gegen Sonnenuntergang führte man diesen, nachdem ihm die Beretta ducale (Abb. 12) vom Haupte genommen worden war, auf die große Marmorstiege (gegenüber der später erbauten Riesentreppe) und schlug ihm an derselben Stelle, wo er zuerst den Schwur auf die ,,Promissione“ geleistet, das Hanpt ab. Eine Nacht und einen Tag blieb der Leichnam, den Kopf zwischen den Füßen, in der Sala del Piovego ausgestellt, dann wurde er ohne Begleitung in einer Barke nach der Kirche SS. Giovanni e Paolo gebracht und in der Gruft der Faliero daselbst beigesetzt. Ihm folgten in den nächsten Tagen noch acht Verschworene, darunter ein Trivisan, ein Biando, ein Ugolino, außerdem wurden Verwandte und Anhänger des Dogen verbannt, dagegen die Angeber reichtich belohnt. Nur Vendrame, der unverschämte Forderungen stellte und infolge der Verweigerung derselben frech wurde, musste ebenfalls in die Verbannung ziehen und endete durch Meuchelmord. Die ,,Dieci“ und die Räte des Dogen, die Avoogadoren und die Zonta, die der Untersuchung gegen Marino beigewohnt hatten, erhielten die Bewilligung, bei Tage und bei Nacht Waffen zu tragen uud an allen Orten des Dogats von Grado bis Caverzere, wie die Formel lautete, zwei Bewaffnete bei sich zu haben. So sehr fürchtete man die Rache der zahlreichen Verwandtschaft der Verurteilten und vielleicht sogar die Aufnahme des Unternehmens durch Gleichgesinnte. Die Adelsherrschaft wurde zum Schreckensregiment. Ist es nicht anzunehmen, dass ein erleuchteter Kopf, wie Marino, die Regierung der Visconti zu Mailand, die er so genau kennen gelernt hatte, für eine bessere Einrichtung erkannt habe, als diese auf dem Misstrauen aller gegen alle beruhende Staatsform, in der seit Gradenigos Eingriffen die Freiheit der Seeveneter begraben war; und hat es nicht mehr Wahrscheinlichkeit für sich, dass diese Erwägung den greisen Dogen veranlasst habe, sein Leben für die Befreiung seiner Mitbürger zu wagen, als dass er aus Zorn und fast kindischem Trotze gegen die Genossen eines tatenreichen Lebens zum Verschwörer geworden sei, um dem persönlichem Rachegefühle zu genügen?

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Venedig als Weltmacht und Weltstadt