Die aristokratische Verfassung

Der Staat, der so große Kräfte in der Erwerbung auswärtiger Besitzungen, im Kampfe mit opferwilligen und tapferen Gegnern und in der Entfaltung einer weit ausgebreiteten Handelstätigkeit in Bewegung setzen konnte, musste auch in seiner inneren Entwicklung fortschreiten und eine Regierung schaffen, die den vielseitigen Ausgaben und Verpflichtungen einer Weltmacht nachzukommen vermochte. Das Dogat hatte nicht zur Gründung einer dynastischen Herrschaft geführt, obwohl es an Versuchen dazu selbst verständlich nicht gefehlt hatte. Sowohl die Partecipazii wie die Orseoli hatten die Erblichkeit ihrer Stellung dadurch einzuleiten gestrebt, dass sie bei Lebzeiten Söhne und Verwandte als Mitregenten annahmen. Das Volk war aber immer stärker geblieben als die Dogenfamilien und hatte die gefährlichen Mitglieder derselben durch Mord, Totschlag und Verbannung beseitigt. Obwohl die gewählten Dogen in der Ausübung der ihnen vom byzantinischen Reiche übertragenen Wirksamkeit unbeschränkte Beamte waren, konnten sie sich der überwachenden Aufsicht ihrer Mitbürger doch nicht entziehen. Es kann nicht bezweifelt werden, dass schon vor der ersten Dogenwahl auf den einzelnen Inseln Seevenetiens Gemeindeverwaltungen bestanden, deren Spitze im Tribunenamte auslief, in denen sich aber die durch Besitz und Unternehmungsgeist ausgezeichneten Bewohner bereits ihren Einfluss gesichert hatten. Seit 1143 ist der Bestand einer Bürgerschaft mit politischem Einfluss nachweisbar; sie bestand uns den Handelsleuten und Grundbesitzern des Rivo alto. Mit ihnen hatte der Doge zu rechnen, denn er wusste, dass seine Macht nur so lange dauern konnte, als diejenigen es zuließen, die sie ihm verliehen hatten. Sie waren kriegerisch genug, um auch der kroatischen Leibwachen Herr zu werden, mit denen sich einzelne Dogen, unter anderen Peter Trandonico aus Pola, umgeben hatten. Die Gesetze, die allgemeine Gültigkeit für ganz Seevenetien erhalten sollten, wurden Ratsversammlungen vorgelegt, in denen die Patriarchen von Grado mit ihren Suffraganen, dann auch viele aus dem Volke, sowohl Vornehme, als Mittlere und Geringe, Sitz und Stimme hatten. Die Vornehmen zahlten freiwillig den Zehent für die Ausgaben der gemeinsamen Regierung, der aber allmählich zur gebotenen Steuer wurde. Zu den Gesetzen für das allgemeine Wohl kamen schon im elften Jahrhundert auch solche, welche die Freiheit der Bürger gegen die ehrgeizigen Bestrebungen der Dogen sichern sollten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Venedig als Weltmacht und Weltstadt