Die Zukunft des Fantentumes

Nachdem wir nun diese verschiedenen, gering und am niedrigsten auf der Stufenleiter der Zivilisation stehenden Bruchteile des, das norwegische Volk bildenden Konglomerats in ihren, unbedingt interessanten Lebensbedingungen und Erscheinungen betrachtet haben, ist es wohl gerechtfertigt einen Blick von ihrer Gegenwart ab auf ihre Zukunft zu wenden. Zum Heile des gesamten sesshaften Volkes, so wie selbstverständlich auch zu seinem eigenen, wahren Heile wird das Vagabundentum und Wanderleben auch hier in Norwegen allmählich mehr und mehr schwinden und geordneten Verhältnissen Platz machen, so dass es immer vereinzelter auftreten und, erst einmal des romantischen Mantels, der es jetzt noch umkleidet, beraubt, dann auch seine ekligen Schattenseiten so sichtlich hervortreten lassen wird, dass selbst die Fanten sich nicht mehr darüber werden tauschen können, und mit dem Sehnen nach anderen, besseren Zuständen, den ersten Schritt zu gänzlicher Änderung der Verhältnisse werden tun müssen. Es sind hier weniger die rodende Flamme und die lichtende Axt, welche die sicheren Schlupfwinkel der Wälder mindern, noch die, Moräste und Sümpfe trocknenden, Flüsse überbrückenden und Felsen sprengenden Arbeiten des Wegebauers, welche der Obrigkeit leichtere Kommunikation verschaffen, oder gar der, auch im äußersten Norden bereits seine eisernen Netzesfäden spinnende Telegraph, der die kennzeichnenden Steckbriefe voraussendet, um den bisher durch schnellen Ortswechsel gesicherten Verbrecher bereits entlarvt zu empfangen, ins Auge gefasst, als die Veränderungen, welche die fortschreitende Aufklärung des ganzen Volkes herbeiführt. Diese ist es, die dem Vagabundentum das Grab gräbt. Der Nimbus, mit dem der Aberglaube dasselbe umgab und noch zum Teil umgibt, erhielt das Volk der Fanten und fristet ihm noch das Dasein. Furcht sichert nicht nur der schwarzäugigen Taterhexe, sondern auch dem alten Sköierweibe die Erfüllung ihrer Bitte um des Lebens Notdurft, macht ihre Prophezeihungen gesucht und geglaubt und ihre Segnungen willkommen. Die in den letzteren versteckten Verwünschungen sind, nach der Überzeugung des allgemeinen bäuerlichen Aberglaubens, leicht durch Schutz und Sicherheitsmittel zu entkräften und in diejenigen wahren Segnungen zu verwandeln, die sie nach ihrem Wortlaute enthalten. Solcher schützenden Listen gibt es vorzugsweise zwei, die der Bauer gegen den gefürchteten bösen Geist anwendet, den er im Fremden verborgen wähnt. Es wird ein aus Schwämmen und Pilzen gekochter Leim, scheinbar zufällig übergegossen, auf die innere Seite der Schwelle geschüttet, neben ihm muss jede Hexe mit großer Vorsicht vorbeischlüpfen und kann ihn auf keinen Fall übersteigen; bei dem anderen Mittel aber muss irgend ein Hausgenosse, dem, mit Zuvorkommenheit und Freundlichkeit im Gesicht entgegengetretenen Fremden in demselben Augenblick, in welchem er die Tür hinter sich schließen will, einen, eiligst von dem Herd gerissenen Brand, noch ehe die Tür ganz verschlossen ist, rauchend nach und auf den Fußboden schleudern. Selbstverständlich erbittert dieses falsche Spiel den Fanten, das allgemein verständliche Anzeichen des unwürdigsten Vorurteils nährt den Haas desselben und stärkt die Scheidewand, welche die, auf das Empfindlichste Gekränkten von der Gesittung und dem ansässigen Volke trennt.

Eigentümlich ist die Erscheinung, dass gerade dort, wo die, mit dem Aberglauben geschwundene Furcht vor Zauberschäden der Erhaltung des Fantenlebens Abbruch tut, andererseits ein Zug des, bei den Norwegern so lebendig wirkenden, praktischen Christentums ihr wiederum Vorschub leistet. Es ist dies die, aus der katholischen Zeit übrig gebliebene Lehre: „Um Gottes Willen Gutes zu tun und von seinem Besitze mitzuteilen, wo und wie auch gebeten wird!" Und nicht allein der Wunsch und die Überzeugung, durch Werktätigkeit Gottes Wohlgefallen zu gewinnen, kommt dem bettelnden Landstreicher zu Gute, sondern auch noch eine Nationaleigenschaft, um nicht zu sagen, ein Nationalfehler. Es ist dies die Eitelkeit, die in einem gepriesenen und darum oft durch Übertreibungen aller Art zur Schau gestellten Wohlstand den Grundstein für das Ansehen eines Hauses sieht. Wo keine Art des Zornes und der Racheäußerung von der vorgeschrittenen Aufklärung mehr gefürchtet wird, herrscht dafür meist bei dem Bauer, wie bei der Hausfrau, die Angst und Sorge, dass der Landstreicher, dem das Almosen verweigert ist, in den benachbarten Häusern sich über die bewiesene Härte und den dadurch verratenen Geiz beklagen und dort vielleicht durch Neid willig gestimmte Ohren für seine wohlberechneten Äußerungen finden wird. Tatsächlich wusste auch planmäßig durchgeführte Rache in einzelnen konstatierten Fällen mit erstaunenswerter Geschwindigkeit und Sicherheit in ganzen Distrikten das Gerücht zu verbreiten, dass es in einem betreffenden Hause mit dem Wohlstande zurückginge; ein Gerücht welches hier weniger dem, nicht in Anspruch genommenen Kredit, als der vermeintlichen Ehre Schaden zufügt.


Ein weiterer Umstand, welcher das Vagabundentum eher begünstigt, als es mindert und hindert, ist die von der Zivilisation und dem Gesetze herbeigeführte Aufgabe der patriarchalischen Sitte, gegen das Eigentum und die persönliche Sicherheit begangene Vergehen und Verbrechen, im Falle der Macht, mit augenblicklicher Strafe abzufertigen. Die Lokalverhältnisse — von der Gestaltung des Landes ist die Zerstreuung der Bevölkerung in einzelne Gehöfte und weite Distrikte abhängig — machen eine jede Anrufung der Obrigkeit, zur Dazwischenkunft und zur Anwendung des Gesetzes, zu einer schwierigen und Zeit raubenden Aufgabe. So lässt man denn darum lieber diejenigen Gesetzesübertreter, die zu dem Geschlechte der Fanten gehören, selbst wenn sie auf frischer Tat ertappt werden, ziehen und beschränkt sich höchstens darauf, ihnen das gestohlene Gut wieder abzunehmen. Ja die Furcht vor den, mit einer Anzeige verbundenen Unbequemlichkeiten und Weiterungen, die dem Bauer oft drückender sind, wie dem Fant eine kurze Gefängnisstrafe, sind so groß, dass zuweilen ein kleiner Besitzer sein einziges Pferd und seine Karre anbietet und selbst den Skydsjungen macht, um nur den beim Verbrechen Betroffenen schleunigst weiter zu schaffen. Diese Gründe machen es ferner erklärlich, dass in den Fjorddistrikten häufig der Bauer und seine Söhne sich als Ruderer in das eigene Boot setzen, um die unwillkommenen Gäste vom heimgesuchten Hofe in einen benachbarten Distrikt zu führen. Unterstützt wird dies Verfahren durch das, in der dienenden Klasse allgemein herrschende Vorurteil gegen eine Beschäftigung mit dem Bettelvolke, und es ist kein zu seltener Fall, dass ein Dienstknecht lieber durch versagten Gehorsam seine Stelle verlor, als dem Befehle seines Herren nachzukommen, einen Fanten zum Lehnsmann zu führen, weil dies die Verrichtung eines Bettelvogts ist, zu welchem Amte, mit der völlig aufgenommen Spottbezeichnung König, der niedrigste und verachtetste, meist auch unlauterste und roheste Insasse des Bezirks genommen wird.

Wie jedes Ding aber seine zwei Seiten hat, so erzeugte die Abneigung des Bauernstandes gegen jede Inanspruchnahme der Behörde, als Reaktion der daraus hervorgehenden Begünstigung des Vagabundentums, ein nicht zu unterschätzendes, aber keinesweges gut zu erachtendes Gegenmittel. Der lange Druck und die vielfachen Unbilden, welche der Bauer vom Fanten zu erdulden hatte, häufte in einigen Distrikten eine solche Summe von Hass, dass sich die Erbitterung in nicht zu rechtfertigender Weise jetzt Luft macht. In Oerkedalen, wo in dem Kirchspiele Rennebo ein kräftiger Schlag Gebirgsbewohner seine Heimat hat, gedieh das Fantentum früher ebenso gut, als irgendwo anders; jetzt aber sind die Bewohner über das Unwesen so aufgebracht, dass sie sich, wenn und wo sich nur ein fremder Bettler in ihrem Bezirke zeigt, versammeln und ihn in einer Weise misshandeln, die selbst nur zu den ärgsten Exzessen gezählt werden kann; weshalb Rennebo ein so verrufenes Stück Landes, gerade für die echten Fanten, ist, dass diese lieber mit weiten Umwegen über steile Gebirgspfade dasselbe umgehen, als es durchstreifen. Auch im Stifte Akershuus haben sich einzelne Gegenden durch gemeinsame tätliche Abwehr der Besuche dieser schmarotzenden Gäste entledigt. Ein anderer, milderer Beweis dieses Hasses und der Verachtung ist die, bei dem oft eintretenden Falle der Geburt eines Fantenkindes in irgend einer Häuslerhütte, hervortretende Schwierigkeit, im Bauernstande oder der, bei ihm dienenden Klasse Paten zu finden, um das unglückliche und unschuldige Wesen aus der Taufe zu heben. Mehr als einmal wiederholte sich der Fall, dass die Mitglieder der Predigerfamilie die Gevatterschaft bei einem solchen Kinde übernehmen mussten. — Auch in überlegten Anklagen vor der Obrigkeit drückt sich oft ein so tiefer Hass gegen das übelberüchtigte Volk aus, dass er in diesen Äußerungen noch grausamer erscheint, als in einer augenblicklichen Erbitterung, die beispielsweise in einem nordenfjeldschen Distrikte einen, beim Diebstahl in einem, während des Fischfanges unbewacht gebliebenen Gehöft, ergriffenen Fant ohne Ruder in einem alten Boote bei Seewind in das offene Meer stieß und so dem sicheren Untergange weihte. Mit Kälte und anscheinender Seelenruhe sehen die Kläger dann von dem, mit eiserner Strenge ahndenden Gesetze, um weniger Schillinge Wert halber, mehr- und vieljährige harte Zuchthausstrafen über den Betroffenen verhängen.

Nach der Betrachtung des gegenseitigen Verhaltens der allgemeinen Bevölkerung und der, sich als mehr oder weniger außerhalb der übrigen Gesellschaft stehend ansehenden Fanten, erübrigt noch der Blick auf das Verhältnis der Obrigkeit zu denselben. Es gibt in ganz Norwegen kaum eine Klasse von Beamten, die nicht ihre Not und Beschwerde mit denselben hätte. Die Kriegskommission kann die in ihren Aushebungsrollen verzeichnete junge Mannschaft nicht herbeischaffen; die Distriktärzte haben große Mühe durch sie, als Quelle und Verbreiter ansteckender Krankheiten, denen ihr rastloses Umherstreichen den ungeheuersten Vorschub leistet, wie dasselbe, verbunden mit der vorzüglichsten Lokalkenntnis der wildesten Grenzgegenden, sie auch oft persönlich zum Schmuggeln verleitet, oder sie den professionellen Schmugglern treffliche Dienste als Spione gegen die Zollbeamten leisten lässt; die Diener der Justiz und der Kirche liegen aber natürlich vorzugsweise in steter Fehde mit ihnen. Am allerschlimmsten sind aber die Administrativbeamten daran, welche als Mitglieder der Armenkommissionen sich mit ihnen zu beschäftigen haben. Das ganze Land ist nämlich in Distrikte zerlegt, die ihre, durch Besteuerung der Besitzenden des Bezirkes aufgebrachte Armenkasse mit völliger Selbstverwaltung haben. Fast nie wendet sich ein echter Fant, der das natürliche Recht des Bettelns dem ihm verliehenen Rechte des Hilfeforderns von Seiten der Kasse vorzieht, an eine solche Armenkommission, wird aber oft von dem Lehnsmanne und noch öfter von dem Prediger an eine solche gewiesen, deren geistliche Mitglieder dann häufig, mit durch Religionseifer verhärtetem Herzen, den unglücklichen Eltern die Kinder wegnehmen lassen, um deren Seelenheil zu retten — wodurch das physische und moralische Elend jener freilich noch vermehrt wird. Aber nicht allein in einem solchen Falle, oder wo es sich um die Übernahme eines hinfälligen Greises zur Erhaltung durch Distriktmittel, oder auch nur um Bezahlung der vier schmalen Bretter und sechs Schuh Erde handelt, die zur Bestattung eines auf rastloser Fahrt am Wege oder unter fremdem Dache gestorbenen Elenden erforderlich waren, sondern schon bei der einfachen Pflichterfüllung in Leistung der, vom Gesetze vorgeschriebenen Gabe entspinnen sich langwährende und schwierige Untersuchungen über das Bürgerrecht des Ansuchenden in dem betreffenden Distrikte. Dass bei Ergründung dieser oft vollkommen unlösbaren Aufgabe — besonders bei Fanten, die alles Mögliche tun, um ihren Lebenslauf zu einem unergründlichen Mysterium für jeden Anderen zu machen, und deren wirkliches Heimatrecht zu erforschen eine genaue Verfolgung der Wanderungen ihrer Väter, ihrer Mütter und oft der Großeltern, mit allen Unterbrechungen durch Haft in den Gefängnissen, und ihren häufigen Namensänderungen, nach kecken Ausbrüchen und listiger Flucht, bedingen würde — oft lange und hartnäckige Federkämpfe entstehen, ist erklärlich, und unzählige Prozesse werden im Lande geführt, mit einem Aufwände von diplomatischen Unterhandlungen, spitzfindigen Einwänden und Advokatenkniffen, um die Geldauszahlung abzuwenden oder nach erfolgtem Spruche Aufschub zu gewinnen. Unter diesen Umständen ist es denn begreiflich, wenn, bei nicht günstiger Aussicht für das Gewinnen eines solchen Prozesses, es in dem betreffenden Distrikte nicht geradezu ungern gesehen wird, dass der, zur Verhandlung der Sache den positiven Grund und Boden bietende Fant seine Wanderung in dem benachbarten Distrikte fortsetzt oder wieder beginnt. Freilich sind ihm hierbei die Distriktswächter oder Bettelvögte, welche die Grenzen aller benachbarten Bezirke scharf bewachen und sich meist so feindlich einander gegenüber stehen, dass es unter ihnen selbst zu einer Art Krieg kommt, hinderlich. So führt denn, gerade seinem guten Zwecke entgegengesetzt, das Armengesetz zu dem Resultate, das Fantentum, nach wie vor, seinem Schicksale zu überlassen, um dadurch die Armenkommissionen von der, mehr mühevollen als nützlichen Sorge zu befreien.

Die, durch weite Reisen des Gerichtspersonales bedingte und für den Staat so drückende Kostspieligkeit und Weitläufigkeit der Rechtsbehandlung der Vergehungen und Verbrechen, welch letztere meist eine lange Aufrechterhaltung der Haft erfordert; so wie die Schwierigkeit der Bewachung eines Eingebrachten, welche die Bauern zu übernehmen verpflichtet sind; als auch der Mangel an zweckmäßigen und hinreichenden Zwangsarbeitshäusern; und endlich die Unpopularität der Bestimmung, welche der Polizeigewalt das Anrecht zuspricht, „Fanten und Müßiggänger", trotz eines entgegenstehenden Paragraphen des Grundgesetzes, bis zur Dauer von sechs Monat in ein Zwangsarbeitshaus zu stecken, sind sämtlich ebenfalls mächtige Faktoren für eine fernere Aufrechterhaltung dieses Krebsschadens für das allgemeine Wohl Norwegens. Wenn aber selbst diesen einzelnen Hindernissen einer Radikalkur plötzlich ein Ende gemacht würde, wenn die Bezirkswächtereinrichtung und das Passwesen, die in ihr Gegenteil umschlugen und dem Vagabundentum förderlich wurden, aufgehoben, und wenn der ärgerliche Bruch des Hausfriedens, statt des Ausübens einer harmlosen Profession ohne einen dazu bevollmächtigenden Erlaubnisschein, im Gesetze als Verbrechen angesehen würde, so würde darum doch der Gang des Fantenwesens nicht eher zu hemmen, geschweige denn ihm der Untergang bereitet sein, als bis die öffentliche Meinung sich in ihrer Anschauung über die Fanten umgestaltet hätte. Diese betrachtet von vorn herein die Fanten als außerhalb der übrigen staatlichen Gesellschaft stehend, als etwas Fremdes, jeden Einzelnen nur in soweit, als es der eigene Schutz verlangt, etwas angehend; und diese selbst erhalten gern diese Meinung aufrecht, beider sie sich gut befinden, da ja der Wille des Gesetzes nur innerhalb gewisser Grenzen herrscht und nicht bis zu dem tiefen Grunde reicht, auf dem diese Hefe der staatlichen Gesellschaft ruht. Es gibt eben nur ein Mittel zur Heilung der Wunde, und dies ist: eine so allgemeine Aufklärung und Zivilisation des ganzen Volkes, damit es die entgegenstehenden Vorurteile schwinden lässt, welche es bisher verhindern, sich mit den tief Gesunkenen der Art zu beschäftigen, um selbst im Stande zu sein, zu entscheiden, wo es berechtigte Bitte, wo es ungesetzliches Verlangen sich nahen sieht, und dass es dann seiner Verpflichtung zur Hilfe, mit richtiger Wahl der Mittel, nachzukommen versteht. Ob Aussicht vorhanden ist, in solcher Weise durch eigene Tugend die Rohheit und das Laster der Fanten zu überwinden, der Not derselben abzuhelfen und sie auf den rechten Weg zu bringen, um die norwegische Gesellschaft von dieser Plage zu befreien, das ist eine Frage, die der geneigte Leser, der diesen Schilderungen bis hierher folgte, sich selbst beantworten möge.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Vagabundentum und Wanderleben in Norwegen